eine Milderung in der Handhabe desPaß- zwanges, ist mit Vorsicht aufzunehmen, wenn auch eine solche Milderung, getreu dem Kaiserworte, in nicht mehr allzuferner Aussicht steht.
— Die Manöverckritiken des Kaisers werden, so schreiben die „Münchener Neuesten Nachrichten", von allen, welche sie zu hören Gelegenheit hatten, als Meisterstück ebensowohl in Bezug auf die Form wie auf den Inhalt geschildert. Der Kaiser spricht vollkommen frei, das Eingehen auf Wendungen des Manövers, welche nicht vorgesehen waren, beweist auch, daß die Kritik nicht etwa am grünen Tische einstudiert sein konnte. Er beherrscht vollkommen die Bedingungen der Schlagfertigkeit aller Waffengattungen, aber bei dem oft überraschenden Scharfblick für das Einzelne scheinbar Geringfügige, für das Taktische behält er die Generalidee, das Strategische scharf im Auge. Wie ein roter Faden zieht sich durch seine Kritiken das große Problem der modernen Kriegs- wiffenschaft: Vereinigung vollendeter Mannszucht mit geistiger Beweglichkeit in allen Gliedern und Stufen des Heeres. Der Soldat — Offizier wie Mannschaft
— soll mit unbedingter Hingebung der ganzen Persönlichkeit nur das Eine im Auge haben: Pflicht! Daß es hierzu nicht genügt, nur die Gliedmaßen seines Leibes in den Dienst einer drakonisch streng verfolgten Aufgabe zu stellen, sondern daß der Soldat auch Kopf und Herz jederzeit auf dem rechtem Flecke haben muß, ist bei solcher Auffassung wohl selbstverständlich. Gerade die neueste Phase des Feuerkampfes, das rauchlose Pulver mit dem Magazinfeuer, stellt die höchsten Anforderungen auch an den letzten Mann. Furchtlosigkeit, Ruhe, Ueberlegung muß hier auch der einzelne Schütze im denkbar höchsten Maße entwickeln. Dem Scharfblick des Kaisers ist es nicht entgangen, daß gerade in dieser Beziehung der bayerische Soldat von keinem anderen des deutschen Heeres übertroffen wird. Der deutsche Soldat ist ebensoweit von gallischer Ungeduld und Unruhe, wie von russischer Schwerfälligkeit — dem uralten Angebinde der Leibeigenschaft
— entfernt. Freuen wir uns, daß dem gediegenen „Material" nicht bloß unser deutsches Offizierkorps entspricht, unter dessen Händen eben nur die deutsche Mannschaft das werden konnte, was sie darstellt, sondern daß auch die höchsten Spitzen der Kriegsleitung und im Ernstfälle „unser Herr Kaiser" von echt deutschem Soldatengeiste erfüllt sind!
Ausland.
Petersburg, 15. Sept. Die Regierung wies für die Notleidenden bereits 22 Millionen Rubel an und ließ sie mit Wintersaatkorn versorgen. Nach einem amtlichen Verzeichnis wurden dreizehn Gouvernements durchweg von Mißernte heimgesucht, acht andere nur teilweise.
— Das „Berliner Tageblatt" bringt ein Telegramm aus Sansibar von gestern, wonach ein unglückliches Gefecht der Expedition Zelewski gegen den Stamm der Wahehe bei Jlenza stattgefunden
habe. Angeblich seien neun Deutsche und viele schwarze Mannschaften der Schutztruppe gefallen. Die Lieutenants v. Zitzewitz und Buschow, sowie der Unteroffizier Tiedemann werden unter den Toten genannt. Vier Deutsche seien angeblich von den Wahehes gefangen.
Die Wahehe wohnen im Hinterlande des südlichen Teiles der deutsch-ostafrikanischen Küste. Lieutenant v. Zitzewitz gehört zur 5. Kompagnie der deutsch-ostafrikanischen Schutztruppe, die ihr Standquartier in Dar-es-Salam hat. Daß Premierlieutenant v. Zelewski mit einem größeren Teil der Schutztruppe auf einer Expedition gegen die Wahehe begriffen sei, wurde vor ca. 4 Wochen gemeldet. Die letzten Nachrichten über die Wahehe befinden sich in dem amtlichen „Deutschen Kolonialblatt" vom 1. Mai d. I. Danach hatten die Wahehe die südlichste der Karawanenstraßen beunruhigt und durch einen Einfall in Usagara eine Panik hervorgerufen, die sich den katholischen Missionen mitteilte. Chef Ramsay, welcher mit einer Kompagnie abgesandt wurde, gelang es, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Nach kurzen Verhandlungen in Mkondoa boten die Wahehe zum Zeichen ihrer Unterwürfigkeit ein Geschenk von 60 Stück Rindvieh dar und versprachen, allen gestellten Forderungen (Rückgabe der geraubten Menschen und Entschädigung der Wasagara) nachzukommen. Als Sicherheit für die Einhaltung dieser Versprechungen schlossen sich 450 Wahehe mit viel Elfenbein und Vieh dem Chef Ramsay an.
Inzwischen ist nun auch die offizielle Bestätigung eingetroffen. Die Expedition wurde morgens überfallen und zersprengt. Vermißt werden die Offiziere Zelewski, Zitzewitz, Pirch, Dr. Duschow, die Unteroffiziere Horrich I. Tiderwitz, Schmidt, Henzel- haupt und Hemprich. Wohlbehalten sind die Offiziere Tettenborn und Heydebreck, die Unteroffiziere Kay und Wutzer.
Tages-Ueuigkeiten.
(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.j Das Reifezeugnis und damit die in Ziffer 11 der Verfügung des Kirchen- nnd Schulwesens vom 14. Febr. 1876 bezeichneten Berechtigungen hat erworben: Lörcher, Paul, S. d. Wundarztes in Altburg.
Neuenbürg, 14. Sept. Heute Nacht '/-I Uhr ertönten plötzlich die Alarmzeichen der Feuerwehr. Im nahen Birkenfeld war eine furchtbare Feuersbrunst ausgebrochen, der in kurzer Zeit 6 Wohnhäuser und 5 Scheunen zum Opfer fielen. Von den 9 obdachlos gewordenen Familien ist unbegreiflicherweise nur ein Teil versichert; doch ist kein Menschenleben zu beklagen. Den Feuerwehren von Birkenfeld, Neuenbürg, Gräfenhausen und Obernhausen ist es gelungen, das durch die Windrichtung und örtlichen Wassermangel begünstigte Feuer auf seinen Herd zu beschränken. Im Ort des Unglücks herrscht große Aufregung, da Brandstiftung dringend vermutet wird.
Herrenberg, 13. SepL. Das Manöver hat sich jetzt auch unserer Gegend Mgewendet. Gestern. Morgen hatten wir starken Truppendurchzug und gegen. Mittag bezogen die Stäbe der 52. Jnf.Brigade, des. Regiments Nr. 122, der 13. Feldart-Brigade, sowie das 2. Bataillon Nr. 122, 1 Schwadron Dragoner Nr. 25 und die 10. Batterie von Reg. Nr. 29 hier Quartier. In den Nachbarorten wimmelt es von Soldaten. Mittags ließ die Regimentskapelle ihre schönen Weisen auf dem Marktplatz ertönen, was ja auf dem Lande ein ganz besonderer Genuß ist. Heute Nachmittag konzertierte die Musik auf dem Schloßberg unter großem Andrang des Publikums. Morgen beginnen die Divisionsmanöver unter der Leitung des Generallieut. v. Lindequist. Die 51. Brigade unter Generalmajor v. Dettinger werden sich als Nord- und als Südkorps gegenüber stehen. Abends gehts ins Biwak bei Bondorf, später wird noch einmal biwakiert. Die Hebungen werden 5 Tage dauern. Für nächsten Mittwoch ist der kommandierende General v. Wölckern hier angesagt.
Stuttgart, 14. Sept. Am Samstag nachmittag fand in der Garnisonskirche die Trauung des kaiserl. Zollverwalters in Kamerun Herrn Gustav Pahl mit Frln. Julie Sauer von hier statt. Bei dieser Feier waren auch zwei Kameruner zugegen, der etwa 16 Jahre alte Enkel des King Bell und der neunjährige Sohn des Regierungs-Dolmetschers Mee- rom von Kamerun.
S tuttgart, 14. Sept. (Hopfemnarkt.) Zugeführt wurden heute 70 Ballen. Das Geschäft entwickelte sich langsam und schleppend, da die Verkäufer auf den bisherigen Preisen beharren wollten, jedoch zur Nachgabe gezwungen wurden. Nach Mitteilungen der Produzenten scheint übrigens die' Ernte nicht so ergiebig auszufallen, wie angenommen wurde, da durch die andauernde Trockenheit die Dolden klein blieben. Die Eigner erwarten deshalb in Anbetracht der heurigen vorzüglichen Güte bessere Preise. Wir notiren für heute für la. 70—80 Mittelware 50—65
Schw. M.
Stuttgart, 15. Sept. Zufuhr auf dem Wilhelmsplatz: 300 Ztr. württemb. Mostobst (Aepfel und Birnen).
— Der. Verein zur Züchtung reiner Jagdhunde- Rassen für Württemberg veranstaltete gestern bei Kornthal drei Prüfungssuchen, zu welchen sich Seine König!. Hoheit Prinz Wilhelm von Württemberg mit dem Hofmarschall v. Plato, Hofjägermeister v. Neurath und andere Jagdfreunde, Offiziere und Mitglieder des Vereins eingefunden hatten. Bei der ersten Suche für deutsche Hühnerhunde erhielten 2 Hunde des Hauptmanns Lutz in Ulm den Ehrenpreis Sr. K. H. des Herzogs Albrecht und 50 sowie den zweiten mit 25 Zur zweiten Jagdsuche war ein Ehrenpreis Seiner Majestät des Königs und 100 ein zweiter Preis mit 50 ^ und ein dritter mit Diplom gestiftet. Der erste Preis konnte nicht vergeben werden, das Los entschied für einen Hund des Baron Turing v. Ferrier. Die zwei andern Preise erhielten Hunde von Baron v. Leutrum und
licher und unheimlicher erscheinen mochte als sonst. Er stieß einen schwachen Schrei des Schreckens aus und wühlte dann wimmernd das Gesicht in das Kissen. Wie in einem Krampfe zuckte und wand sich der kleine, abgemagerte Körper.
Der Professor zog die regungslose Fürstin bei Seite.
„So hart es erscheinen mag, Asta," sagte er leise, „dies ist unmöglich! Wenigstens so lange als es bei Bewußtsein ist, mußt Du dem Kinde Deinen Anblick entziehen. Wer weiß, welche schrecklichen Wahnvorstellungen es in ihm erweckt, und wir haben ja leider die Wirkung vor Augen."
Sie nickte stumm und ließ sich von ihm zu einem hinter dem Bettchen stehenden Sessel führen, wo sie von dem kleinen Patienten nicht wahrgenommen werden konnte. Ihre plötzliche unnatürliche Ruhe war vielleicht beängstigender, als es ein erneuter Ausbruch der wildesten Verzweiflung hätte sein können, denn sie blieb regungslos wie eine Statue in unveränderter Haltung, mit vorwärts geneigtem Oberkörper und starrem Antlitz sitzen, die brennenden Augen unverwandt auf ihren Knabe» geheftet, und völlig teilnahmslos gegen alles Andere was um sie her geschah.
Und es war ein langer schwerer Kampf, den das Kind zu durchringen hatte, ehe es den letzten Schritt über die Grenze alles irdischen Jammers thun durfte. Der Tag ging »ur Rüste, und noch immer pulsirte ein schwaches Leben in der mühsam athmenden Brust, noch immer verrieth das Zucken der blaffen Lippen den Schmerz, welcher den hinsterbenden Körper durchwühlte. Wie still war eS doch in dem Zimmer, und wie unheimlich, wie beängstigend war diese gleichmäßige Stille während all' der qualvollen, unendlich langen Minuten, aus denen sich die Stunden dieses Nachmittags zusammensetzten.
Und zugleich mit dem verlöschenden Tagesgestirn verlosch auch das ängstlich flackernde Flämmchen dieses jungen Menschendasrins. Eine geraume Weile hatte Guido mit geschloffenen Augen still dagelegen und die eigentümlichen, nicht zu verkennenden Züge des Tode» waren so deutlich auf sein immer noch holdseliges, wachsbleiches Gefichtchen geschrieben, daß Alice ihre von Thränen verschleierten Augen
fragend zu dem neben ihr sitzenden Professor erhob. Aber der schüttelte schweigend das Haupt und legte den Finger an die Lippen. Er wußte, daß dieses empfindungslose Hindämmern eine Wohlthat für den armen Kleinen war, und er wollte um jeoen Preis verhindern, daß irgend ein unvorsichtiger Schmerzenslaut seiner Umgebung ihn daraus emporschrecke.
Da, als der laue Abendwind eben die verschwimmenden Klänge eines zum Ave Maria läutenden Glöckleins durch Thür und Fenster hereintrug, schlug Guido noch einmal seine Augen auf. Nie zuvor waren sie so groß und glänzend gewesen, als in diesem Moment, und in ihrem feuchten Schimmer war etwas von dem vorausgeworfenen Abglanz himmlischer Verklärung. Die schmalen, kühlen, marmorbleichen Händchen aber irrten auf der seidenen Decke des Lagers umher, als suchten sie nach einer Stütze und Führung für die lange, weite Reise, die nun ihren Anfang nehmen sollte.
„Die letzten Augenblicke sind gekommen!" sagte der Professor leise und feierlich ; und nun sank Alice neben der seit langem betenden Ordensschwester in die Knie, um das Schluchzen, das sie nicht länger zurückzudrängen vermochte, in den Kissen deS BettchenS zu ersticken.
Die Fürstin Baranow aber erhob sich langsam aus ihrem Sessel und trat neben das sterbende Kind. Jetzt dachte Niemand mehr daran, sie zurückzuhalten, und auch Guido's seltsame Furcht vor der eigenen Mutter war an der Schwelle des Todes verschwunden. Sein Auge war wohl schon halb umflort, aber er mußte sie dennoch erkennen, denn als sich Asta's thränenloses Antlitz nun zu ihm herab- beugte, bewegten sich seine Lippen noch einmal und leise wie ein Hauch, aber noch deutlich vernehmbar klang es durch die Stille deS abendlich dunkelnden Gemaches:
„Mama — liebe Mama! — Lieber — Onkel — Raimund!"
(Forts, folgt.).