Deutsches Reich.
München, 6. Sept. Zu der Meldung, daß der Kaiser bei den bayrischen Manövern die kaiserliche Kommandoflaage nicht führen werde, bemerkt die Münchener Allg. Z.: „Die kaiserliche Kommandoflagge ist das Zeichen des höchsten Oberbefehls. Da der Kaiser den Oberbefehl über die bayrischen Truppen in Friedenszeiten verfassungsmäßig nicht führt, so hat Se. Majestät bei den bevorstehenden bayrischen Truppenübungen von der Kommandoflagge Abstand genommen. Dagegen besteht reichsverfassungsmäßig das Jnspektionsrecht des Kaisers auch in Bayern, „die Pflicht und das Recht", zu deren Ausübung Allerhöchstderselbe am Montag in München eintrifft." — Die Münch. N. Nachr. sagen in einem Artikel zur Begrüßung des Kaisers u. a.: „Wohl ist unser ganzes Smnen und Trachten auf den Frieden gerichtet — aber der Tag kann wiederkehren, da uns der Haß und der Uebermut unserer Feinde noch einmal das Schwert in die Hand drückt, da ganz Deutschland wie ein Mann sich erhebt zur Verteidigung der deutschen Grenzmarken, der deutschen Ehre! Und den Führer, der dann die Blüte der festgeeinten deutschen Nation in den heißen, blutigen Entscheidungskampf um die höchsten nationalen Güter ruft. Ihn begrüßen wir heute in unserer Mitte! Sein Haupr schmückt das sichtbare Zeichen der Deutschen Einheit und damit der Deutschen Kraft, die Kaiserkrone; seinem Rufe folgen wir alle freudigen Herzens, Jung und Alt, Fürst und Volk, um Leib und Leben, Gut und Blut einzusetzen für's Vaterland!" — Die Allg. Ztg. bezeichnet die diesmalige Anwesenheit des Kaisers als einen Augenblick von geschichtlicher Bedeutung. Das Erscheinen des deutschen Kaisers würde dem deutschen Süden den Gedanken an den Kaiser wärmer und lebendiger auf- leuchten lassen.
— Das „Frkf. I." schreibt: Man wird der „Nordd. Allg. Ztg." Recht geben müssen, wenn sie erklärt, die demagogische Verhetzung der Massen unter Vorspiegelung eines Notstandes sei nur deshalb möglich, weil die Bevölkerung einen wirklichen allgemeinen Notstand gar nicht mehr kenne, eine Wohl- that, die man der Weisheit unserer Regierungen verdanke und die man anerkennen müsse. Statt dessen aber finde man, so führt das genannte Blatt mit gerechtem Spott aus, die demokratische Presse am Werke jedem halbreifen Burschen einzureden, daß, wenn er sich nicht mit einem ganzen oder halben Dutzend Seidel Bier die notwendige Bettschwere zu verschaffen vermöge, das ein offenbarer Notstand sei, an dem die Nichtswürdigkeit unserer öffentlichen Einrichtungen schuld wäre. Wenn die Sozialdemokratie diese Anschauungen pflege, so wisse sie, weshalb; wenn Andere sie dabei unterstützten, so sägten sie den Ast ab, auf dem sie säßen, und deshalb wäre wohl zu wünschen, daß mit dem Begriffe Notstand etwas vorsichtiger und präciser umgegangen würde.
— Die „Köln. Ztg." kann konstatieren, daß , zur Zeit in Deutschland viel mehr Roggen lagert, als I
bis zur Beendigung der nächstjährigen Ernte verbraucht werden kann. Wie sich herausstellt, war die vorläufige Ernteberechnung, die der „Reichsanzeiger" brachte, (82 Prozent einer Mittelernte) nicht nur nicht zu günstig, sondern blieb hinter der Wirklichkeit zurück, da die Körnung weit besser ausgefallen ist, als man erwartet hatte. Da außerdem nun neben einer guten deutschen Weizenernte Amerika wahrhafte Niesenmassen von Weizen geerntet hat, so ist selten eine so reichliche Versorgung Europas mit Brotfrucht möglich gewesen wie in diesem Jahre. Wenn trotzdem die Preise einstweilen auf derselben Höhe gehalten werden, wie zur Zeit, da die Freihandelspresse eine vollständige Mißernte und drohende Hungersnot ankündigte, so trägt — sagt die „Köln. Ztg." — daran niemand schuld, als die Leute, welche diesen falschen Lärm gemacht haben, und diejenigen, welche im Vertrauen auf die Richtigkeit oder Wirksamkeit desselben an der Börse Unmengen von Getreide in Hausse genommen haben und nun durch ihre Geldkraft der natürlichen Bildung des Marktpreises trotzen, um die Preise zu halten und sich vor Verlusten zu retten.
Ausland.
Schwarzenau, 7. Sept. Kaiser Franz Joses beauftragte den Statthalter, mittels Handschreibens der Bevölkerung des Waldviertels für ihre patriotische Gesinnung, dynastische Treue und opferwillige sympathievolle Erfüllung der militärischen Anforderungen die allerhöchste Anerkennung und ven allerhöchsten Dank auszusprechen.
Riga, 5. Sept. Die Unterdrückung des Deutschtums nimmt immer mehr überhand. An den baltischen Schulen bestand bisher die Einrichtung, daß wenigstens noch zwei Fächer deutsch gelehrt werden durften, Religion lutherischer Konfession und deutsche Sprache. Nunmehr ist bereits an eine größere Anzahl Direktionen die Weisung ergangen, auch den Unterricht im Deutschen russisch vorzutragen, also deutschen Kindern ihre Muttersprache russisch zu lehren.
Tages-Ueuigkeiten.
Calw, 9. Sept. Die gestern mittag einge- trosfene Einquartierung hat viel Leben in die Stadt gebracht. Es sind hier 2 Compagnien des I. Battaillons des Jnf.-Reg. Alt Württemberg Nr. 121 und das ganze III. Bataillon, '/» Eskadron des Drag.-Reg. Nr. 25, die 10. und 11. Batterie des Feldartillerie-Reg. Prinz Leopold von Bayern Nr. 29 und eine Kompagnie des Pionierbataillons Nr. 13. Der Commandeur, Oberst v. Fischer, ist in der Villa Dörtenbach im Quartier. Morgen, den 10., werden uns die Truppen wieder verlassen und voraussichtlich über Althengstett abziehen. Heute Nachmittag von 4 Uhr ab spielt die Militärkapelle im Garten des bad. Hofes gegen billiges Entree.
Wild bad, 5. Sept. Baron v. Rothschild ist vorgestern Morgen nach Baden-Baden abgereist, wo sich derselbe einige Tage aufzuhalten gedenkt. Vor seiner Abreise übergab er Stadtschultheiß Bätzner für
die hiesigen Armen ein Geschenk von 800 Durch das seit voriger Woche eingetretene herrliche Wetter hält sich der Besuch unserer Badestadt noch immer auf ziemlich hohem Stande. Durch die mit Beginn- des Monats September eingetretene bedeutende Herabsetzung der Kurtaxe und der Zimmerpreise ist die Vornahme einer Badekur in unserem schönen Badeorte zur jetzigen Zeit sehr vorteilhaft.
Stuttgart, 6. Sept. Durch den Tod des Prinzen Alexander ist die Familie des Schwagers S. M. des Königs, des Prinzen Hermann zu Sachsen- Weimar, in tiefe Trauer versetzt worden. Prinz Alexander war schon länger rückenmarkleidend und suchte in verschiedenen Badeorten, wie auch jetzt wieder in Baden-Baden, wo er gestern einem Herzschlag erlegen ist, Heilung. Der Vater des Verstorbenen war bis vor wenigen Tagen auch in Baden-Baden und reiste sodann nach kurzem Aufenthalt in Stuttgart nach Liebenstein zu seiner Familie. Prinz Alexander, welcher 34 Jahre alt geworden ist, stand als Premierlieutenant in sächsischen Diensten, früher bei einem Husaren- und zuletzt bei einem Ulanen-Regiment. Der Hofmarschall, Frhr. v. Simolin-Bathory, hat sich heute früh nach Baden-Baden begeben. Die Leiche wird voraussichtlich nach Weimar übergeführt, wo sich die Familiengruft befindet. Der Verstorbene galt als tüchtiger Offizier und vorzüglicher Reiter. Hier hat die Trauernachricht in den weitesten Kreisen die aufrichtigste Teilnahme hervorgerufen.
Stuttgart, 8. Sept. Vor einiger Zeit hat ein Dienstknecht, welchem sein Dienstherr gekündigt hatte, ein dem Letzteren gehöriges wertvolles Pferd auf rohe Weise mißhandelt. Laut Gutachten eines Tierarztes hat das Pferd an beiden Hinterschenkeln 55 kleinere und größere, teils oberflächliche, teils tiefergehende Riß- und Stichwunden erhalten, welche aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer Dunggabel in böswilliger Absicht beigebracht worden sind, jedoch als nicht lebensgefährlich bezeichnet werden können. Das Pferd ist einige Zeit dienstunfähig. Untersuchung gegen den Thäter ist eingeleitet.
Winnenden, 4. Sept. Nachdem erst gestern abend zwischen 5 und 6 Uhr ein Gewitter mit starkem Regen und leichtem Hagel sich über unsere Stadt entlud, wurden wir heute mittag um 1 Uhr von einem schweren Gewitter mit wolkenbruchartigem Regen und etwa fünf Minuten andauerndem Hagel heimgesucht. Zum Glück waren die dichtfallenden Körner nur klein, auch ist der größte Teil der Ernte unter Dach gebracht, so daß der Schaden kein bedeutender ist.
Göppingen, 7. Sept. Mit der Sicherheit in unserem Bezirke und dessen Umgebung scheint es immer noch nicht richtig zu sein. Wenn auch einzelnes übertrieben ist, wie es vor etwa 10 Tagen die Angabe war, daß ein Mähder in der Nähe von Schlath auf der Wiese angefallen worden sei, so kommen doch immer wieder Nachrichten, die man nicht als unglaubhaft zurückweisen kann. So gibt Schreinermeister S. von Holzheim an, er sei gestern auf der Straße bei Jesingen von einem Mann gepackt worden, der ihm sein Geld abforderte. Heute vorm, wurde eine Frau aus Gammelshausen auf der Straße zwi-
achtungsvollen Ritterlichkeit und Zartheit, die er ihr als seiner Verlobten schuldig war; aber daß es trotz alledem in ihren Beziehungen noch nicht beim Alten war, das fühlten Beide nur zu gut. Asta hatte ihre Unbefangenheit und ihren freien, offenen Blick dem Professor gegenüber nicht wieder gefunden, und in Nordenfeld's Benehmen war etwas Erkünsteltes und Gezwungenes, das zu verbergen ihm bei der Gradheit und Wahrhaftigkeit seiner Natur nur schwer gelang. Darum trat jedesmal eine beklemmende, drückende Stille ein, wenn es der Zufall fügte, daß sie im Zimmer des Kindes allein geblieben waren, und sie waren beinahe ängstlich bemüht, solchem Alleinsein aus dem Wege zu gehen. Ob Alicens klare Kinderaugen diese Entfremdung zwischen den beiden Verlobten bemerkten, war aus ihrem Verhalten kaum zu erkennen. Sie ging völlig auf in der ernsten und verantwortungsvollen Aufgabe, die ihr als der Pflegerin des schwer kranken Knaben zugefallen war, und alles Andere schien für sie ohne Interesse und Bedeutung zu sein. Da in dem Widerwillen des kleinen Patienten gegen jede Annäherung seiner Mutter noch immer keine Aender- ung eingetreten war, und da Alice, an welcher er mit ebenso schwärmerischer Zärtlichkeit hing wie an dem Professor, demnach an seinem Leidensbette alle Pflichten einer Mutter zu erfüllen hatte, war es unausbleiblich, daß sie in fast beständige Berührung mit Nordenfeld trat. Das gemeinsame Interesse und die gemeinsame Sorge hatten ein sehr inniges Band um sie gewoben, und innerhalb eine- Zeitraums von wenigen Tagen mußten sie einander notwendig viel näher treten, als es unter anderen Verhältnissen durch eine monate- oder jahrelange Bekanntschaft hätte bewirkt werden können.
Aber je mehr sich Alice in die Wünsche und Gedanken Nordenfelds einzu- leben wußte, je öfter ihn die feinfühlige Sicherheit überraschte, mit der sie seine Ansichten erriet und seinen Anordnungen zuvorkam, desto unabweisbarer drängte sich chm die Wahrnehmung auf, daß ihre Art, mit ihm zu verkehren, nicht mehr dieselbe vertraulich offene und herzliche war wie in den ersten Stunden ihrer Bekanntschaft. War sie auch niemals unfreundlich gegen ihn, so beobachtete sie doch mehr und mehr eine Zurückhaltung, die ihn befremdete, weil er ihre Veranlassung nicht begriff, und die ihn verletzte urch kränkte, obgleich er sich sagen mußte, daß er nicht be
rechtigt sei, von der Schwester seiner künftigen Gattin etwas Anderes zu fordern.
Nach Ablauf der ersten Woche von Nordenfelds Anwesenheit drängte die Krankheit Guido's mehr und mehr zu einer entscheidenden Krisis hin, über deren Vorzeichen sich das geübte Auge des Arztes nicht täuschen konnte. Er verdoppelte jetzt seine Aufmerksamkeit und war fast zu jeder Stunde des Tages und in der Nacht in dem Krankenzimmer zu finden. Auch die Frauen, obwohl sie den äußeren Anzeichen nach fest an eine fortschreitende Besserung glaubten, spannten, seinem Beispiel folgend, ihre Kräfte auf das Aeußerste an, und namentlich auf Alicens zartem Antlitz waren die Spuren beginnender Ermattung bereits deutlich genug wahrzunehmen. Auf den dringenden Wunsch des Professors war denn auch noch eine Ordensschwester als Krankenpflegerin genommen worden, die das junge Mädchen wenigstens zeitweilig in ihrem schweren Amte ablösen konnte.
So war es an diesem Abend geschehen. Da sich irgend welche beunruhigende Symptome nicht zeigten, war die Fürstin, die über große Müdigkeit geklagt, in ihr Schlafgemach hinaufgegangen, welches gerade über dem Krankenzimmer lag. Alice aber war, ehe sie diesem Beispiel folgte, auf die kleine Terrasse hinausgetreten, um ihre heiße Stirn in der linden Abendluft zu kühlen. Nordenfeld war allein mit der Krankenpflegerin und diese wandte sich plötzlich zu ihm, indem sie mit einer gewissen sanften Traurigkeit sagte:
„Wir werden bald eine arme Mutter zu trösten haben, Herr Professor! Denn ich meine, dieses Kindes Erdenwallen ist nahe an seinem Ziel!"
Der Arzt runzelte die Stirn und sah die Unglücksprophetin beinahe finster an.
„Woraus schließen Sie das?" fragte er. „Ich habe noch nichts wahrgenommen, das mich nötigte, jede Hoffnung fahren zu lassen!"
„So sehen meine Augen vielleicht schärfer als die Ihrigen. Seit diesem Morgen hat sich das Verhalten des Kindes seltsam verändert. Es ist viel stiller und geduldiger geworden, und auch jetzt, da es schlummert, liegt ein Lächeln auf einen Lippen. Ich meine, der Engel des Herrn, der berufen ist, es heimzuholen in ein wahres Vaterhaus, hat den Kuß der Erlösung bereits auf seine Stirn gedrückt!"
(Forts, folgt.)