190
,z>
auch bei den Wahlen viel mitgewirkt hat, ein Gespenst gemacht zu haben.
Payer (Volksp.) beschwert sich über eine von dem Abg. Frhrn. v. Münch ihm gegenüber in seiner Rede begangene Indiskretion, welche ihn veranlasse, deyr genormten Abgeordneten nicht mehr dasjenige Maß kollegialischen Vertrauens zu beweisen, welches er andern zu beweisen für eine Ehre halte. — Frhr. v. Münch stellt in Abrede, irgend ein Indiskretion absichtlich begangen zu haben. (Aus den bisher vorliegenden Berichten ist nicht zu ersehen, worin diese Indiskretion bestanden hat; man muß den Aufschluß aus dem stenographischen Protokoll erwarten.)
Bei der Abstimmung werden die Anträge Auer und Gen-, sowie der Antrag v. Münch, letzterer gegen die Stimme des Antragstellers, abgelehnt, H 135 unverändert angenommen.
Z 136 regelt Beginn der Arbeitszeit und Pausen für die Kinderarbeit. Angenommen.
Auer und Genossen beantragen einen neuen Z 136 a, nach welchem für alle über 14 Jahre alten Arbeiter der zehnstündige Normalarbeitstag eingeführt werden soll. Vom 1. Januar 1894 an soll der Normalarbeitstag neun, vom 1. Januar 1898 ab nur acht Stunden betragen.
Nachdem hiezu Grillenberg gesprochen, wird die Beratung abgebrochen.
Tages Ueuiykeiten.
Calw, 19. April. Am Freitag abend wurde im Georgenäum die Schlußfeier der gewerbl. Fortbildungsschule abgehalten. Die Schule war den Winter über von 104 Schülern besucht; die Teilnehmer waren fast sämtlich Lehrlinge der verschiedensten Gewerbe und des Kaufmannstandes, Gehilfen waren es sehr wenige. Unterrickstsgegenstände waren: Freihand- und technisches Zeichnen, Deutsch, Rechnen, Geographie, Geschichte, Geometrie, Buchführung, Französisch und Englisch. Der Unterricht wurde von 7 Lehrern erteilt. Der Schulvorstand, Hr. Prof. Haug, hielt eine treffliche Ansprache an die jungen Leute, indem er sie mit eindringlichen Worten aufforderte, die in der Schule gebotene Gelegenheit zur Weiterbildung in den für das Leben so nützlichen und notwendigen Fächern aufs eifrigste und treueste zu benützen, in der Werkstätte fleißig undgewissenhaft zu arbeiten und die Vervollkommnung im Berufe immer als Ziel vor Augen zu halten, damit jeder ein tüchtiger und brauchbarer Mann werde, umsomehr, da das Handwerk einen harten Stand gegenüber der Großindustrie habe und deshalb auch strebsame und geschickte Männer erfordere. Nur im Fortschritt liege ja auch der größte Segen der Arbeit. Ebenso eindringlich wandte sich der > Vorstand des Gewerbevereins, Hr. Direktor Spöhrer, an die Schüler mit dem Bemerken, daß der Kampf im Leben
erst nach der Lehrzeit beginne und daher auch den jungen Leuten manches harte Loos nicht erspart bleiben werde; durch Arbeit und Fleiß könne aber vieles erreicht und besser werven. Zuletzt sprach noch Hx. Rektor Müller als Vorstand des Gewerbeschulrats den Lehrern den wohlverdienten Dank für ihre viele Mühe bei dem schweren Unterricht aus. An fleißige und würdige Schüler konnten auch in diesem Jahr wieder Prämien und Belobungen verabreicht werden. Die Mittel zu den Prämien stoßen aus der Stiftung des Hrn. Generalkonsuls v. Georgii-Georgenau und aus Beiträgen des Gewerbevereins und der Stadt. Da für die wissenschaftlichen Fächer die verfügbaren Mittel aber nur klein sind und manche wackeren Schüler unberücksichtigt bleiben müssen, so würden weitere Stiftungen für die Fortbildungsschule sehr angelegt und willkommen sein. —
An der Lehrlingsprüfung, welche am Samstag für die aus der Lehre tretenden Lehrlinge stattfand, beteiligten sich 8 junge Handwerker. Die Prüfung erstreckte sich auf die Schulfächer und besonders auf Kenntnisse in: Handwerk. Die Erfolge der Prüfung sind im allgemeinen recht befriedigend. Im Zeichensaale waren zugleich auch die Arbeiten der Lehrlinge ausgestellt, welche durchgängig sauber und schön ausgeführt waren.
* Calw. Vortrag. Herr Theodor Westmark, der schwedische Congoforscher, hält in der nächsten Woche hier einen Vortrag über seinen Aufenthalt bei den Menschenfressern des oberen Congos, die Stanleyskandale und das Bekämpfen der Sklaverei in Central-Afrika. Herr Westmark hat schon in Frankreich, Spanien, Schweiz, Belgien und Holland mehrere Vorlesungen gehalten und seine Vorträge haben einen gewaltigen Erfog gehabt. Der schwedische Afrikareisende spricht geläufig französisch, englisch, deutsch, italienisch, portugiesisch und Kisuahili. Er hat seine französischen Vorträge in Paris mit Richepin und Coquelin studiert, seine deutschen Vorträge an der Straßburger Universität und die englischen in Oxford. Herr Westmark ist Mitglied von verschiedenen geographischen Gesellschaften Frankreichs, Ehrenmitglied der in Marseille. Die geographische Gesellschaft in Lyon hat ihm ihre große goldene Medaille verliehen und der Kaiser Dom Pedro von Brasilien, der Herrn Westmark zuerst in Marseille gehört, hat ihn zu nochmaligem Vortrage nach Cannes eingeladen und ihm seine Photographie gesandt mit eigenhändiger Unterschrift.
* Calw. Dieser Tage wurde ein 16jähr. Junge in der Vorstadt von einem in ein Grastuch geschnürten Heubündel, welches aus beträchtlicher Höhe herabgeworfen worden war, zu Boden geschlagen. Der Junge hat sich nach anfänglicher Betäubung rasch erholt und geht wieder seiner Arbeit nach, der Fall aber giebt hier Gelegenheit vor solcher Unvorsichtig
keit mit Hinweis auf die oft- recht schlimmen Folgern zu warnen.
Wildbad, 16. April. Für den verstorbenen. Freiherrn König von Kömgshofen ist Oberst ar D. von Karaß zum Kgl. Badkommissär hier ernannt, worden.
Eßlingen, 18. April. Der am letzten Mit- woch morgen auf den Bahnhof in Aalen verunglückte Landgerichtsrat Schumann in Stuttgart, ein geborener Eßlinger, wurde gestern Nachmittag auf dem hiesigen Friedhof, wo auch seine vor wenigen Mo-- naten verstorbene Schwester, Frau Oberamtmann Supper aus Calw, ihre letzte Ruhestätte gefunden,, begraben. An der Begräbnisfeier nahmen viele Beamte und Freunde des Verstorbenen von auswärts teil, darunter Präsident v. Firnhaber, die Landgerichtsräte Elsäßer, Fetzer und Scholl aus Stuttgart, sowie Direktor v. Pfaff aus Ulm.. Der Grabrede, gehalten von Dekan Kübel, folgte ein. von Landgerichtsdirektor Elsäßer dem Dahingeschiedenen gewidmeter warmer Nachruf; als äußeres Zeichen, der Wertschätzung und Hochachtung legte der Redner einen schönen Lorbeerkranz am Grabe nieder. Der Kirchhofchor eröffnete und schloß die Leichenfeier mit Choralgesang.
Onstmettingen, 15. April. Schon ist es- stark 2 Monate, seit die für die Kinderwelt so sehr gefährlichen Krankheiten Scharlach und Diphtheritis in unserem Orte ihren gefürchteten Einzug hielten und noch immer steht das Erlöschen derselben nicht, in Aussicht. Schon nahezu 60 Kinder sind bis jetzt diesen heimtückischen Krankheiten zum Opfer gefallen.. Nicht zu den Seltenheiten gehörte es, daß die Totenglocken täglich zweimal erschallen, einigemale mußten, an einem Tage 3 und einmal sogar 4 Leichen bestattet werden. Drei Familien, welche sich des Besitzes mehrerer Kinder zu erfreuen hatten, wurden sämtlicher Kinder und damit ihrer schönsten Hoffnungen beraubt. Untröstlich, ja fast verzweifelnd stand heute ein Elternpaar an dem offenen Grabe ihrer 3 Kinder im Alter von 4, 2 und 5 Jahr, welche ihnen innerhalb 12 Stunden von dem Tod entrissen wurden. Möchte doch dieser heimtückische Gast recht bald aus unseren Grenzen scheiden und die sehr gedrückte Stimmung, welche unter der Einwohnerschaft unseres Ortes herrscht, einer freudigeren weichen; es wäre dies namentlich auch sehr zu wünschen im Hinblick auf unsere Schuljugend, welche nun schon seit anfangs Februar jedes Unterrichts entbehrt.
Magdeburg, 15. April. Einen netten Direktor haben die hiesigen Gas- und Wasserwerke in der Person des Dr. Tiefgrund gehabt. Es hat sich nämlich jetzt herausgestellt, daß er die Stadt im Verein mit einer Stettiner Fabrik auf eine ganz unerhörte Weise betrogen hat. Die Fabrik hat nach erfolgter Prüfung der Rechnungen für gelieferte Mauersteine sofort den Betrag von 17074 an die Stadt herausbezaylt. Bei Kohlenverkäufen, Liefer-
Jn der Welt trug Anna Sergejewna als eine Witwe, die weiß, was sie dem Andenken ihres Mannes schuldig ist, noch immer Trauerkleider; zu Hause empfing sie ihre vertrauten Freunde meistens in einem Negligee, das ihrem Hang zur Bequemlichkeit entsprach und dabei elegant genug war, um ihrer Schönheit noch zur Zierde zu gereichen. Sie zeigte sich mir heute in einer derartigen weißen Hülle, die mit hellblauen Schleifen besetzt war, und eine blaue spitzenbesetzte Schleife thronte wie ein Häubchen auf ihrem Scheitel.
„Was seh' ich?" rief sie aus, als sie eintrat, indem sie mir die Hand entgegenstreckte. „Was für eine Ehre, Herr Polizeirat! Und was für ein seltener Besuch!"
Sie wollte aufstehen, aber ich drückte sie sanft in ihren Fauteuil zurück und rückte für mich einen Stuhl neben ihr Fauteuil an den Kamin.
„Lasten Sie sich nicht stören, Anna Sergejewna", sagte ich, indem ich neben ihr Platz nahm. „Ich habe etwas mit Ihnen zu plaudern und diese gemütliche Ecke ist gerade der rechte Platz dafür."
„Sie nehmen doch eine Taffe Thee, mon ober »mi?"
Anna Sergejewna hatte die Gewohnheit, fünf oder sechsmal im Laufe des Tages Thee zu trinken und die wenigen französischen Brocken, über die sie verfügte, bei jeder Gelegenhell anzubringen.
„Ich bedauere, daß ich von dieser freundlichen Einladung keinen Gebrauch machen kann."
„Und aus welchem Grunde?"
„Weil ich die Absicht habe, heute Abend bei Ihnen zu soupieren."
„,4d, tont ivieux, man ami! mieux!"
„Sie bleiben bei mir ?"
„Nein, aber ich komme wieder."
„Um welche Stunde?"
„Um neun Uhr, wenn es Ihnen so recht ist."
„Ganz wie eS Ihnen paßt."
„Aber vorher hätte ich Ihnen ein Wort unter vier Augen zu sagen, Anna Sergejewna."
„Werden wir bei dem Souper nicht unter vier Augen sein?"
„Nein, meine Gnädige. Ich wollte Sie nämlich bitten, meinen Sekretär einzuladen."
„Paul Zwetajeff? Er wird uns langweilen. Uebrigens — ganz wie! Sie wünschen. Ich werde ihm Nachricht schicken. Aber — das Wort unter vier Augen, von dem Sie gesprochen haben, mein lieber Polizeirat? Was betrifft es?"
Anna Sergejewna lehnte sich in ihrem Fauteuil zurück und während sie den Rauch ihrer Cigarrete in leichten Wölkchen aus ihrem kleinen, immer lächelnden Munde aufsteigen läßt, richtete sie ihre schmachtenden Augen mit dem Ausdrucke der Neugierde auf ihren Besucher.
„Ein Lieblingsprojekt von mir, schöne Anna" sagte ich. „Ich möchte Sie gerne verheiraten."
„Wahrhaftig?" sie lachte hell auf. „Wollen Sie dies im Interests der Polizei thun oder aus Teilnahme für das Wohl und Wehe meiner Person?"
„Vielleicht ist Beides dabei im Spiele."
„Und an wen wollen Sie mich verheiraten, wenn ich fragen darf?"
„Raten Sie einmal."
„Am Ende kommen Sie selbst als Freier?"
„Nein, nur als Werber. Und nicht einmal im Aufträge Desjenigen, für den ich sprechen will. Ja, Anna Sergejewna, hätte ich nicht das Gelübde abgelegt, bei der Fahne des Junggesellentums treu auszuharren, selbst so ein alter Knabe wie ich könnte sich versucht fühlen, im Angesichte von soviel Schönhell und Liebenswürdigkeit seine Wünsche zu dieser kleinen Hand zu erheben.
„Ueber den Nachsatz ließe sich reden, wenn der Vordersatz die Diskussion nicht unmöglich machte" — meinte Anna Sergejewna, indem sie mir sanft die Hand entzog, die ich gefaßt und geküßt Halle.
„Ich heiraten?" — fuhr ich fort. „Wohin denken Sie, Anna Sergejewna? Woher soll ich die Zell nehmen, verheiratet zu sein und die Pflichten eines braven. Ehemanns zu erfüllen ?"
„Mein Mann war auch Pristaw."
(Fortsetzung folgt.)