M 47.
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw
66. Ichrgavß.
Erscheint Di en S 1 a g , Donnerstag und SamStag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung » Pfg. die Zeile, sonst IS Psg.
Amtliche Aekarmtmachunge«.
Calw.
Die Ortsvorsteher
her an der Landesgrenze gegen Baden gelegenen Gemeinden werden unter Hinweis auf die Bekanntmachung des Ministeriums des Innern betr. das Verfahren zur Erhaltung und Berichtigung der Landesgrenze Hegen Baden vom 29. Februar 1888 (Minist.-Amtsbl. S. 86) daran erinnert, daß die jährliche Begehung der Landesgrenze im Monat Mai d. I. stattzufinden hat.
Bezüglich des Verfahrens wird besonders auf H 1 Abs. 1 der Vorschriften und bezüglich der Kosten auf Z 9 Abs. 2 derselben, sowie auf die Bekanntmachung des Kgl. Ministeriums des Innern vom 14. September 1888 (Minist.-Amtsbl. S. 271) und den Minist.-Erlaß vom 3. Jum 1890 (Minist.-Amtsbl. S. 161) zur genauesten Beachtung hingewiesen. Den 19. April 1891.
K. Oberamt. Supper.
Ainttichk LejrauntlNlilhlllrg,
betreffend den Ausbruch der Maulund Klauenseuche.
Unter dein Rindvieh in Sommenhardt ist die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen. Calw, den 18. April 1891.
K. Oberamt. Amtmann Bertsch.
Dienstag, den 21. April 1891.
Amtliche Kkkainitmllchimg,
betreffend de« Ansbruch der Schafräude.
Unter der 9 Stück zählenden Schafherde des Heinrich Söll in Mthengstett ist die Räude ausgebrochen.
Calw, den 18. April 1891.
» K. Oberamt.
_ Amtmann Bertsch.
Deutsches Reich.
Berlin, 16. April. Reichstag. Fortsetzung der Beratung des Arbeiterschutzgesetzes.
H 135 betrifft die Kinderarbeit: Kinder unter
13 Jahren dürfen in Fabriken nicht beschäftigt werden. Kinder über 13 Jahren dürfen beschäftigt werden, wenn sie nicht mehr zum Besuch der Volksschule verpflichtet sind. Die Beschäftigung von Kindern unter
14 Jahren darf die Dauer von 6 Stunden täglich nicht übersteigen. Junge Leute zwischen 14 und 16 Jahren dürfen in Fabriken nicht länger als 10 Stunden täglich beschäftigt werden.
Auer und Genossen (soz.) wollen die Kinder bis zu 14 Jahren von der Fabrikbeschäftigung ausschließen und für junge Leute bis zu 18 Jahren eine lOstündige Arbeitszeit zulassen.
Frhrn. v. Münch beantragt, die Altersgrenze für die lOstündige Arbeitszeit an das Ende des 17. Lebensjahres zu legen.
Tröltsch (nat.-l.) Der soz. Antrag sei wegen der siebenjährigen Schulpflicht in Bayern nicht möglich. Wöllmer (freis.). Im Jahr 1888 habe die Zahl der in Fabriken beschäftigten Kinder 22,930 be
Abonnementspreis vierteljährlich in der Statt Pfg. im SO Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen Ml. 1. ll, sonst,v ganz Württemberg Mk. 1. SS.
tragen. Die Zahl werde sich auf Grund dieses Gesetzes erheblich vermindern. Es fei noch nicht ausgemacht, ob die Beschäftigung in der Fabrik für einen solchen Menschen nicht schlimmer sei als der Müßiggang. Er stimme für den Antrag Auer, dann schwinde aus dem deutschen Gesetzbuch der Begriff der Kinderarbeit überhaupt. Bayer. Oberreg.-Rat Landmann: Trotz der 7jährigen Schulpflicht könne sich Bayern in Bezug aus Schulbildung mit andern deutschen Staaten messen. Mißstände aus der Beschäftigung von Kindern von 13—14 Jahren seien in Bayern nicht erwachsen. Wenn die Bestimmungen über die Fabrikarbeiter auf den Handwerksbetrieb ausgedehnt werden, würde es keinem Handwerkmeister einfallen, einen Jungen von 13 Jahren einzustellen, den er nur 6 Stunden beschäftigen könne.
Frhr. v. Münch (Dem.): Gegen eine zu frühe Zulassung der Kinder zur Fabrikarbeit schützt in meiner Heimat Württemberg die gesetzliche Bestimmung, daß Kinder mit ungenügenden Kenntnissen noch ein weiteres Jahr in der Schule zurückbehalten werden dürfen. Redner erklärt, daß er über die Verhältnisse in der Textilindustrie statistische Ermittelungen angestellt habe, nach welchen in den Arbeiterkreisen die dreifache Sterblichkeit wie in anderen Berufen vorhanden sei. Es sterben alljährlich viele Arbeiter im Alter von 15 bis 30 Jahren, die unfern ökonomischen und industriellen Verhältnissen zum Opfer fallen. Wenn der Handelsminister sich begnügt, das 16. Lebensjahr als Grenze vorzuschlagen für den Schutz der jugendlichen Arbeiter, so trifft ihn die Schuld, aus dem kaiserlichen Wort, welches dem Arbeiterstand Schutz verheißt und das
6 14 4 11 6 1 o 14 ^ Nachdruck verboten.
Die Spionin.
Roman aus dem russischen Nihilistenleben.
Nach den Aufzeichnungen eines Petersburger Polizeibcamten.
Von Willibald Mencke.
(Fortsetzung.)
Anna Sergejewna war die Wittwe des Pristaw's vom zweiten Bezirke in Wassili-Ostrow, die ein Viertel ihres nun zur Neige gehenden Trauerjahres dem Andenken ihres verstorbenen Mannes gewidmet und die übrigen drei Viertel darauf verwendet hatte, einen Nachfolger zu suchen. Sie gehörte zu jenen Frauen, denen eS nicht schwer fällt, einen Schwarm von Verehrern an sich zu ziehen, die aber auf der Jagd nach einem soliden Verhältnisse, das die Garantien längerer Dauer und der gesetzlichen Weihe in sich trägt, nicht immer glücklich sind. Unter Denjenigen, die ihr angelegentlichst den Hof machten, befand sich allerdings auch ein Beamter des Preßbureaus mit einem Gehalte von 600 Rubeln und mit einem „Nebenein- ckommen* von 3000 Rubeln, der ihr seine Hand angetragen hatte; aber da Anna Sergejewna eine stark ausgeprägte Abneigung gegen Glatzen hatte, die sich vom Hinterkopfe aus bis zur Stirne erstreckten, namentlich, wenn die Besitzer derselben außer von der Last ihrer fünfzig Jahre auch von der eines Schmeerbauches gedrückt nvurden, so hatte sie sich nicht entschließen können, einen so ehrenvollen Antrag anzunehmen. Andere wieder, die als Verehrer ernsthaft zu nehmen waren, was ihre Verhältnisse und ihre sociale Position betraf, zeigten sich weniger ernsthaft in der Art, wie sie sich um die Liebe der jungen Witwe bewarben; und mit einigen Jüngeren, die ihre Schönheit anseufzten, die aber nichts zu bieten hatten, was einer standesgemäßen Partie ähnlich sah, spielte sie, wie eine kokette Frau mit derartigen schwärmerischen Versemachern und Blumenspendern zu spielen pflegt.
Zu den Letzteren gehörte mein Sekretär Paul Zwetajeff. Er hatte die schöne Witwe bei einer kleinen Soiree unseres PristawS vom ersten Bezirke kennen gelernt
und dabei die Erlaubnis erlangt, ihr seinen Besuch machen zu vüifen. Von da an speiste er an jedem Sonntag bei ihr, und er erschöpfte sich in jenen Aufmerksamkeiten und Huldigungen, an die Anna Sergejewna längst gewöhnt war. Schon vier Wochen nach Anknüpfung dieser Bekanntschaft hatte er vcm Gegenstände seiner glühenden Neigung einen Liebesbrief geschrieben, der von Heine'schen und Puschkin'- schen Versen und von überschwenglichen Gefühlsergießungen strotzte, ein kleiner Scherz für Anna Sergejewna, der sie einen Augenblick lang sehr amüsierte und den sie mir unter heiterem Lachen mitteilte. Auf diese Leidenschaft und den Ehrgeiz des jungen Mannes baute ich meinen Plan.
Anna Sergejewna lebte von ihrer kleinen Pension, von den Zinsen des Kapitals, welches ihr Mann während seiner fünfzehnjährigen Amtsthätigkeit bei Seite »u schaffen verstanden, und von den Erträgnissen eines Besitztums, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Sie besaß ein bescheidenes zweistöckiges Haus auf der Wiburger Seite, besten unteren Stock sie an eine alte Dame und ihre drei gleichfalls schon recht bejahrten Töchter vermietet hatte, während sie im obersten Stock vier ziemlich elegant eingerichtete Zimmer bewohnte. Ich traf sie in ihrem Salon, in dem an dem naßkalten Aprilabend ein behagliches Feuer im Kamin knisterte, in besten Nähe sie sich in einem Fauteuil zurückgelehnt hatte, rauchend und in einem Roman lesend.
Anna Sergejewna liebte die Ruhe, und es war kein Wunder, daß unter dem Einflüsse eines behaglichen Wohllebens und bei ihrer Gewohnheit, den ganzen Tag über zu rauchen, Thee zu trinken und zu lesen und sich bei dieser Thätigkeit zuweilen die Erholung eines kleinen Schläfchens zu gönnen, die Formen ihres Köipers in letzterer Zeit etwas orientalische Fülle angenommen hatten. Auch die Linien ihres Gesichtes hatten sich mehr gerundet, ohne daß ihre Schönheit dadurch beeinträchtigt wurde. Ihre graublauen Augen, welche unter dunklen Brauen hervorsahen, hatten einen gewissen schmachtenden Schimmer angenommen, in dem nach der Ansicht ihrer Verehrer neben ihrem Munde der größte Reiz ihrer Schönheit bestand. Dieser Mund war so klein, daß es den Anschein hatte, als sei er zu kurz geraten, um geschloffen zu werden; zwischen den roten Lippen schimmerte stets etwas das Weiß ihrer Zähne hindurch, und es umspielte sie fast immer ein leichtes, kokettes, verführerisches Lächeln.