Zimmermeister H., der Aufseher über die städtischen Taglöhner, war mit einem Arbeiter bei Ausbesserung eines Zauns beschäftigt. Der Taglöhner trieb eine von H. gehaltene Säule mit einem schweren eisernen Schlegel in die Erde. Unbegreiflicherweise neigte sich H. vor und wurde von dem niederfallenden Schlegel Hufs Vorderhaüpt getroffen, daß er zusammenbrach jmd blutüberströmt ins nächste Haus verbracht werden Mußte. Nach mehreren Stunden kam er zum Bewußtsein. Ob es der Kunst des Arztes gelingen wird, den schwer Verletzten am Leben zu erhalten, ist zweifelhaft. Der Thäter, den lediglich keine Schuld trifft, ist untröstlich. Er hatte noch Geistesgegenwart genug, den Streich etwas zur Seite zu lerten, nachdem er die Bewegung des vor ihm' stehenden Mitarbeiters gemerkt hatte, sonst wäre es um das Leben des Verletzten bei dem schweren vierkantigen Schlegel sofort geschehen gewesen.
Wangen i. A., 9. April. Vor kurzem kehrten die beiden Pfarrer von Roggenzell und Schwarzenbach von einem Ausflug nach Lindau zurück. Beim Aussteigen aus dem Schiff strauchelte der Pfarrer von Schwarzenbach, fiel in den See und wurde nur mit knapper Not gerettet. Vermutlich infolge des dabei ausgestandenen Schreckens wurde der Pfarrer von Roggenthal anderen Tages an den Stufen des Altars vom Schlage getroffen und starb nach wenigen Tagen.
Karlsruhe, 13. April. Ueber die Krankheit der Großfürstin Olga (geb. Prinzessin Cäcilie von Baden, geb. am 20. September 1839) wird mitgeteilt: Die Großfürstin war im Winter mehrfach leidend. Sie reiste am 7. April zur Erholung nach der Krim ab, war aber am Donnerstag durch eine Halsentzündung genötigt, in Charkow die Reise zu unterbrechen. Am Samstag war die Halsentzündung gehoben, es trat dagegen am Abend eine sofort äußerst gefährliche Rippenfellentzündung ein, die, da die Großfürstin seit langen Jahren herzleidend ist, einen Kräfteverfall herbeiführte. Am Sonntag früh wurde das Leben der Großfürstin durch den Schwächezustand als gefährdet angesehen, abends trat Bewußtlosigkeit und ein Nachlaß der Herzthätigkeit ein. Um 12 Uhr nachts trat der Tod ein. Der Großfürst Michael, der Gatte der verstorbenen Großfürstin, trifft heute abend in Charkow ein, woselbst der älteste Sohn Nikolaus verweilt.
Bochum, 12. April. Im ganzen rheinischwestfälischen Jndustriebezirke fanden heute in den größeren Orten Bergarbeiterversammlungen statt, in denen die Pariser Delegierten über die dortigen Beschlüsse ihren Wählern Bericht erstatten. Wie in Bochum, so wurden auch den meisten anderen Versammlungen dieselben gutgeheißen und die stark angehauchten sozialdemokratischen Reden mit Bravorufen begleitet. Auf die internationale Verbrüderung wurde manches Glas geleert und das anbrechende Morgenrot für die Bergarbeiter prophezeit. Zunächst soll den belgischen Kameraden zu ihren politischen Rechten
verholfen werden und dann wird man auch in Deutschland die äußerst „gerechten Forderungen" zur Geltung bringen. Hierzu werden die englischen Bergarbeiter ihre gefüllte Unterstützungskaffe — wie die Delegierten sagen — vollständig zur Verfügung stellen. Auf die Bürger und die „verlogene Presse" wurde sehr eifrig geschimpft, weil beide die „geknechteten" Arbeiter nicht genugsam unterstützen. In Wattenscheid wurde die Versammlung sogar polizeilich aufgelöst, weil bei Besprechung der Presse ein vollständiger Skandal ausbrach. In Gelsenkirchen konnten die Pariser keinen Saal finden. Im Dortmunder Revier verherrlichten Schröder und Bunte die Pariser Kommunisten, die Kämpfer für das Proletariat. Ueberall dasselbe Lied und dieselben Ansichten vom kommenden Streik, der wie ein Dieb in der Nacht kommen müßte. — Nachmittags fand in Wattenscheid eine Belegschafts-Versammlung der Zeche Holland I, II und III statt, in der Klagen über Kohlen, Löhne, Doppelschichten rc. zu Tage kamen, die der Direktion vorgetragen werden sollen.
— In Antwerpen ist in der Vorstadt Borgerhout in der Nacht zum Freitag ein entsetzlicher Doppelmord verübt worden. Der ehemalige Portier der Nationalbank, Klenghen, ein Greis von 77 Jahren, der mit seiner 75jährigen, vollständig gelähmten Frau in der Rue aux fleurs eine bescheidene Wohnung inne hatte, wurde, ebensowie die 19jährige Magd Blackx, ermordet. Ueber die That verlauten folgende Einzelheiten. Der Mörder drang in dem Augenblick in das Haus ein, als die Magd damit beschäftigt war, ihre gelähmte Dienstgeberin zu Bette zu bringen, und führte einen Schlag mit einem Hammer auf das Haupt der Unglücklichen, die mit einem Schmerzensschrei zusammenstürzte. In Folge des Lärms kam der alte Klenghen herbei und wurde vom Mörder gleichfalls niedergeschlagen. Sodann raffte der Mörder mehrere Wertgegenstände zusammen und ergriff die Flucht. Frau Klenghen war Zeugin der entsetzlichen Mordthat, hat aber durch den Schreck die Sprache verloren und vermag über den Mörder keine Auskunft zu geben.
Hamburg, 11. April. Die „Hamb. Nachr." bringen an der Spitze ihrer neuesten Nummer folgende Kundgebung des Fürsten Bismarck: „Zu meinem Geburtstage habe ich aus allen Gebieten des Reiches und von Deutschen im Auslande Glückwünsche und freundliche Begrüßungen erhalten. In der Freude, welche ich darüber empfinde, ist es mir ein Herzensbedürfnis, auf jede einzelne dieser Kundgebungen in gleichem Umfange und mit gleicher Wärme direkt zu antworten. Es schmerzt mich, daß ich in dieser Beziehung ein Schuldner, wenn auch ein dankbarer, meiner Freunde bleiben muß. Die Zahl der Eingänge ist, zu meiner Freude, so groß, daß ich auf die Beantwortung jedes Einzelnen auch dann würde verzichten müssen, wenn meine Arbeitskräfte erheblich größer wären, als sie sind. Ich hoffe deshalb von Herzen, daß meine Freunde, die mich durch ihre guten
von sechzig Rubeln monatlich ausgesetzt. Das Geld fließt in unsere Kaffe. Die Polizei ernährt uns! Es ist zum Totlachen.
Alle Blätter sind voll Mitteilungen über die Entdeckung der geheimen Druckerei. Und was hat man dort gefunden? Einen Kasten mit Lettern, eine Handpresse und einige hundert Abzüge einer Proklamation — alles, was wir erst am Tags vorher
in den Keller geschafft hatten. O diese kluge Polizei! Was für eine köstliche Komödie!"
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— 20. Dezember.
„Bravo! Auch das ist gelungen: Paul ist seit heute der Sekretär des Polizeirats. Ich hätte nicht gedacht, daß die ällweise Polizei sich so leicht an der Nase herumführen ließe.
Als ich gestern auf dem Bureau war, um meinen Gehalt zu erheben, machte ich dem Polizeirat mysteriöse Andeutungen über ein Attentat, das gegen den Polizeimeister geplant sei. Er zeigte sich natürlich sehr aufgeregt durch eine so wichtige Nachricht und wollte nähere Umstände wissen. Ich sagte ihm, daß ich nur von einem prinzipiellen Beschlüsse Kenntnis erlangt habe, über dessen Ausführung man noch nicht einig geworden sei; dagegen solle demnächst eine Proklamation erscheinen und an den Straßenecken angeschlagen werden, welche jenen Beschluß des E. C. der Bevölkerung bekannt machen soll. Er ersuchte mich, auf der Hut zu sein, und sicherte mir eine besondere Belohnung zu, wenn ich ihm bald nähere Mitteilungen machen könne.
„Herr Polizeirat", sagte ich, „ich verzichte gerne auf eine besondere Belohnung, dagegen würde ich Ihnen besonders dankbar sein, wenn Sie sich eines jungen Mannes annehmen wollen, mit dem ich zufällig bekannt geworden und von dessen Notlage ich unterrichtet bin."
„Und wer ist denn Ihr Schützling, Vera Feodorowna?" fragte der Polizeirat."
„Ein armer Student, der mit mir in demselben Hause wohnt und der sich sehr kümmerlich von den wmigen Lektionen ernährt, die ich ihm verschafft habe."
„Schicken Sie ihn zu mir. Vielleicht kann ich etwas für ihn thun."
Daul hat eine prachtvolle Handschrift und in Rußland macht man damit Karriere. Was nützt hier ein guter Kopf? Dir guten Köpf« sind der Regierung
Wünsche erfreut haben, Nachsicht mit mir haben werden, wenn meine Kräfte nicht ausreichen, jedem Einzelnen schriftlich zu danken. Ich bitte Sie, meinen herzlichen Dank durch diele Veröffentlichung freundlich entgegennehmen zu wollen. von Bismarck."
— Wie groß die Teilnahme gewesen ist — so schreiben die „Hamb. Nächr." — mit welcher in diesem Jahre in vielen deutschen Gauen die Feier des Geburtstages des Fürsten Bismarck begangen wurde, ist aus' den Zeitungen der letzten Tage ersichtlich gewesen. Wir haben eine Schilderung über die wahrhaft erhebende Art, in welcher das Geburtsfest in Friedrichsruh selbst begangen worden ist,, bereits gedacht; es wird unsere Leser aber interessieren, zu. hören, daß am 1. April 2200 Telegramme, über 3000 briefliche Sendungen und mehrere hundert Festgeschenke eingegangen sind, welche Zeugnis davon ablegten, wie viele Freunde des früheren Reichskanzlers, den Wunsch hatten, demselben ihre Sympathie zum Ausdruck zu bringen. Unter den Gratulanten sind alle Klassen der Gesellschaft vertreten, wenn auch unter Vorwiegen der wissenschaftlich Gebildeten. Als- Geschenke sind teils Blumengaben und andere Erzeugnisse der Gartenkunst, teils der Jahreszeit entsprechende Verbrauchsgegenstände und viele dauernde- Andenken gesandt worden.
Hamburg, 14. April. Der Dampfer Wißmann ist nunmehr fertiggestellt und versendungsbereit. Dessen Taufe soll aber erst auf dem Nyanza- See erfolgen.
Calais, 11. April. Heute nacht verhafteten! französische und englische Detektivs die berüchtigten internationalen Diebe, welche vor 3 Jahren 2 Millionen aus dem Bahnpostwagen Ostende-Brüssel und 700000 Frs. aus dem Bahnzug nach Wien, stahlen.. Unter den Verhafteten befinden sich der Bandenführer, welcher Besitzer eines prachtvollenSchlosses bei Pristolist..
Petersburg, 14. April. Der Gouverneur von Moskau, Großfürst Sergius, erließ ein Dekret über Ausweisung von 14000 jüdischen Handwerkern aus dem Moskauer Gouvernement, weil die-, selben angeblich nicht den Gesezen der Ansässigkeit, entsprechen. Die Maßregel ruft große Aufregung, hervor.
— Die Maßregelung der Juden in Rußland nimmt ihren Fortgang. Namentlich in, Moskau dürfte dieselbe demnächst zu rigorosen Schritten führen. Der provisorische General-Gouverneur von, Moskau, General Kistanda, hat nämlich auf Weisung der Regierung eine Zählung der in Moskau ansässigen Juden vornehmen lassen, welche ergab, daß diese Bevölkerung sich aus 120000 Seelen beziffert. Es soll sich hierbei herausgestellt haben, daß nahezu die Hälfte der Juden das gesetzliche Recht zum dauernden Aufenthalte in Moskau nicht besitzt. Bekanntlich, wurde s. Z. unter den Momenten, welche die Ent-
verdächtig. Aber eine schöne Handschrift, das ist etwas, was unseren Bureaukraten gefällt.
Der Polizeirat war ganz entzückt von der kalligraphischen Fertigkeit meines Schützlings; er hat Paul alsbald als Sekretär in seine Dienste genommen. Er muß die Berichte an den Polizeimeister fein säuberlich abschreiben! Auf diese Weise erfahren wir aus bester Quelle, was die Polizei gegen uns im Schilde führt. Hat man je eine solche Komödie erlebt?
Es ist ein niederträchtiges Gewerbe, das wir treiben, aber im Dienste des Vaterlandes gilt das Wort: „Der Zweck heiliA die Mittel."
. 25. Dezember.
„Paul rpgr eben bei mir und hat mir den Inhalt einer Unterredung mitgeteilt, die er mit dem Polizeirat hatte. Er erkundigte sich über mich und Paul erging sich in den überschwenglichsten Lobeserhebungen über, meinen Charakter und meine Talente. Er bedauere nur — fügte er schließlich mit scheinheiliger Miene hinzu — daß ich in meinent Umgang nicht sehr vorsichtig sei. Wie so? —. fragt der Polizeirat. Nun ja — fahrt Paul fort — es sei nicht seine Sache, den Angeber zu spielen, um eine Person in der guten Meinung seines Chefs herabzusetzen, der er zu großepi Dayke verpflichtet; aber es habe ihn immer geschmerzt, daß seine gute Freundin so freie Ansichten habe und im Verkehr mit jungen Leuten stehe, die sich zu den abscheulichen Grundsätzen der. Nihilisten bekennen.
Der Polizeirat lächelte still vor sich hin. Er weiß ja, weshalb ich mit Nihilisten verkehre. Ich bin ja die Spionin der Polizei! Es ist wirklich zum Tollachen. Dieser Paul ist klüger und pfiffiger als wir alle, und er versteht es, eine so harmlose Miene zu machen, daß man Hn füx den dümmsten, und gutmütigsten Menschen von der Welt hält." -
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— 13. März.
„Acht Tage lang habe ich nichts in mein Tagebuch eingetragen. In welchem Zustande habe ich diese Woche verlebt! Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich kann zu keinem ruhigen Augenblicke der inneren Sammlung der Einkehr in mich selbst» gelangen.
(Fortsetzung folgt.)