Walddorf, 39. Jan. Heute wurde hier eine Frau im Alter von 92'/s Jahren beerdigt, die älteste Person nicht nur in hiesiger Gemeinde, sondern wohl auch der ganzen Umgegend. — Auch in hiesiger Gemeinde befinden sich Personen, die jetzt schon in den Genuß der Altersrente treten. Hat erst einer in unsrer Nähe einmal die Rente wirklich aubezahlt erhalten, so wird von selbst die bei der ländlichen Bevölkerung so weit verbreitete Meinung verstummen: „Zahlen dürfen wir; aber etwas erhalten wird wohl keiner!"
Kirchheim u. T., 29. Jan. Falsche Zweimarkstücke mit dem Bildnis Kaiser Wilhelms I., der Jahreszahl 1877 und dem Münzzeichen sind neuerdings vielfach im Verkehr, so auch in Stuttgart aufgetaucht. Die Falschstücke sind jedoch sehr schlecht gegossen, so daß sie als solche leicht kenntlich werden zumal sie aus Blei hergestellt sind und sich fettig anfühlen.
Heilbronn. In der Nacht vom 6. auf 7. Nov. v. I. wurde ein auf dem hiesigen Güterbahnhof stehender plombierter, mit dem Hausrate eines von München hierher übersiedelnden Einwohners gefüllter Güterwagen gewaltsam eröffnet, die in demselben befindlichen verschlossenen Behältnisse zertrümmert und aus denselben Kleidungsstücke u. dergl. im Werte von gegen 500 ^ gestohlen. Bei einer polizeilichen Streife fanden zwei Schutzmänner in der gleichen Nacht zwei Burschen in einem Strohhaufen bei der Zuckerfabrik, welche mit zwei der gestohlenen Ueber- zieher bekleidet waren. Sie wurden festgenommen; eine weitere Durchsuchung des Strohhaufens brachte noch eine Anzahl der gestohlenen Gegenstände zu tage. Als sie aus dem Polizeiarrest abgehen sollten, hatte keiner der Burschen mehr einen Ueberzieher; man fand diese zerrissen unter ihren Matrazen versteckt vor. Wegen schweren Diebstahls im Rückfall wurde in dieser Sache der Dienstknecht Lukas Vötter aus Oberböhringen von der Strafkammer in ihrer Sitzung vom 29. Januar zu 3 Jahren Zuchthaus, lOjährigem Ehrverlust und Zulässigkeit der Polizeiaufsicht, der Kesselschmied Friedrich Walter aus Grunbach wegen Hehlerei zu 6 Monaten Gefängnis und dreijährigem Ehrverlust verurteilt.
Heilbronn. Die Verhandlungen des Schwurgerichts im 4. Quartal 1890 begannen am Montag, den 29. Dez. Den ersten Fall bildete die Strafsache gegen den Schuhmacher Johann Friedrich Keck aus Enzlösterle, OA. Neuenbürg, wohnhaft in Eberstadt, OA. Weinsberg, wegen Meineids. Der Angeklagte ist mehrfach vorbestraft, arbeitsscheu, ein schlechter Haushälter und mit seiner ganzen Familie im Armenhaus untergebracht. In einer Privatklagesache der Zimmermannsehefrau Louise Noller in Eberstadt gegen den Schuhmacher Christian Wägele daselbst wegen Beleidigung hatte Keck vor dem Schöffengericht Weinsberg am 24. Juli 1889 als Zeuge beschworen, die Noller habe ihm einen unzüchtigen, von einem Unteroffizier in Ulm mit ihr verübten Vorgang erzählt und beim Anmessen vongSchuhen ihm selbst gegenüber sich unzüchtig betragen. Die Noller beschuldigte ihn sofort der Lüge, er beharrte aber auf
seinen Behauptungen und so hatte die Noller mit ihrer Klage keinen Erfolg; sie und der Wiederkläger Wägele wurden beide für straffrei erklärt und hatten je die Hälfte der Kosten zu tragen. Die Noller, welche wohl auch in eigener Schuld vorher schon schlecht mit ihrem Ehemann lebte, hatte unter seiner Eifersucht nunmehr noch mehr zu leiden, wurde von ihm mißhandelt, zündete ihr Haus an, wurde wegen Ä^andstiftung mit einem Jahr Gefängnis bestraft und gmg schließlich vor Vollstreckung der Strafe nach Amerika durch, wohin ihr der Rest der Familie nachfolgte. Dem Angeklagten ließ jetzt sein Gewissen keine Ruhe mehr; er erschien bei dem Pfarrer in Eberstadt und legte diesem das Geständnis ab, daß er aus Rachsucht gegen die Noller'schen Eheleute falsch geschworen habe, weil sie ihn eines Diebstahls von Leder zu ihrem Nachteil verdächtigt und der Ehemann ihn einmal mit einer Bierflasche geschlagen habe. Von dem Pfarrer an das Amtsgericht Weinsberg gewiesen, wiederholte er dort sein Geständnis und auch in der Hauptverhandlung hielt er dasselbe aufrecht. Die beiden an die Geschworenen gestellten Fragen nach der Schuld und der durch die Angabe der Wahrheit dem Keck drohenden Verfolgung wegen eines Vergehens wurden von denselben bejaht und hienach der Angeklagte gemäß Z. 154 Abs. 1 und Z 157 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs neben dem Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte auf 5 Jahre zu 1 Jahr 3 Monat Zuchthaus verurteilt.
Münsingen, 30. Jan. Gestern abend traf Reg.-Dir. v. Rüdinger mit Baurat Ehmann hier ein. Die Herren übernachteten hier und begaben sich heute früh mittelst Schlitten nach Bernloch, um mit der dortigen Gemeinde wegen des Anschlusses an die Albwasserversorgung zu unterhandeln. Die Gemeinde Bernloch, welche nur Zisternenbrunnen mit angesammeltem Regenwasser hat und sich früher des Kostenpunktes wegen nicht entschließen konnte, sich an die Albwasserversorgung 'anzuschließen, scheint nun angesichts des sehr wasserarmen heurigen Winters den hohen Wert einer Quellwasserleitung endlich eingesehen zu haben. Die in die Albwasserversorgung eingefchlossenen Gemeinden empfinden diese Einrichtung als eine große Wohlthat und würden sich von ihr um keinen Preis mehr trennen. Alle, welche früher dagegen waren, haben sich bekehrt und man ist der Regierung für ihre der wasserarmen Alb entgegengebrachte Fürsorge recht dankbar. Neben dem unberechenbaren Nutzen ist auch der Bequemlichkeit Rechnung getragen, indem jeder Hausbesitzer in Küche und Stall nur den Hahnen zu öffnen braucht, um § reines Quellwasser zu erhalten.
München, 30. Jan. Die Behandlung im ^ städtischen allgemeinen Krankenhause mit Koch'scher ^ Lymphe, haben, wie von ärztlicher Seite erklärt ! wird, befriedigenden Erfolg. Bei weiblichen Kranken ! wird im allgemeinen ein besseres Ergebnis erzielt als ! bei männlichen, obgleich in der Regel bei ihnen die ! Reaktion in gemäßigterer Weise verläuft. - i
Mainz, 31. Jan. Gestern fanden unter j Leitung des Hauptmanns Hohenstein und des Premier- ! lieutenants Chevalier von der 2. Compagnie des >
Pionierbataillons Nr. 11 an der Mainmündung Eissprengungen statt. Den Soldaten waren 15 Flößer von Kastel beigegeben, welche unter Leitung des Baggermeisters Herrn Burger aus Mainz standen. Außer- den Genannten waren noch mehrere Beamte des Wasserbauamtes Mainz zugegen, ferner der Bataillons- Commandeur Herr Major Oster und eine Anzahl Ingenieur-Offiziere. Die Sprengungen begannen Morgens in der Frühe und wurden den ganzen Tag über bis zur einbrechenden Dunkelheit fortgesetzt und dabei ganz hübsche Resultate erzielt. Die Flößer bahnten für die Soldaten den Weg mnd suchten mit Aexten die Stellen auf, wo man bequem die Sprengladungen anbringen konnte. Zur Verhütung von etwa vorkommenden Unglücksfällen waren Sicherheitsposten ausgestellt. Ein Unteroffizier stand auf der Eisenbahnbrücke und hatte Signal zu geben, wenn etwa das Nheineis sich in Bewegung setzen sollte. Etwa 500 Meter von den Sprengstellen entfernt war ein Signalist ausgestellt, der das Gleiche in Bezug auf das Maineis zu melden hatte. Bei den Sprengungen flogen öfters Eisstücke von beträchtlicher Stärke hoch in die Luft, so daß die zahlreichen Zuschauer am User öfters flüchten mußten. Zur Vorsicht trugen Soldaten und Flößer, wenn sie auf gefährliche Punkte gingen, Seile um den Leib, die auf verschiedenen Punkten gehalten wurden. Die Sprengungsarbeiten werden morgen (Sonntag), wenn kein anderer Befehl kommt, den ganzen Tag über fortgesetzt.
Frankfurt, 29. Jan. Eine Fälschung von deutschen Zehnpfennigmarken in großem Maßstabe beschäftigt gegenwärtig die hiesigen Gerichte. Die Postbehörden waren derselben schon länger auf der Spur, bis ein in Montabaur aufgegebener und angehaltener Brief mit falscher Marke zu der Entdeckung führte, daß der Herd der Fälschungen sich in Höchst befinde. Ein dortiger Lithograf wurde darauf hin hier verhaftet und scheint in der That der Verfertiger gewesen zu sein. Es handelt sich jetzt nur noch darum, der Verbreiter habhaft zu werden; denn die Marken wurden vielfach in größeren Beträgen (bis zu 20 an Geschäfte zur Bezahlung von Rechnungen gesandt, zum Teil natürlich im besten Glauben. Eine zweite Verhaftung hat bereits stattgefunden, und die Untersuchung ist noch im vollem Gange." Die Marken sind täuschend ähnlich nachgemacht. Die kleinen Abweichungen an der Schwanzfeder des Reichsadlers und an dem weißen Striche im oberen Rand sind kaum zu bemerken; wohl aber fallen sie durch ein dunkleres Rot und dadurch auf, daß der weiße Untergrund nicht so klar hervortritt, wie bei den echten. Auch sind die Löcher, welche Sie einzelnen Marken trennen, etwas kleiner und unregelmäßiger.
Hildesheim, 31. Jan. Im Regierungsbezirk Hildesheim haben die jungen Saaten, sowohl Roggen wie Weizen, besonders aber die schon an sich lückenhaft bestandenen Kleefelder, stark durch massenhaft auftretende Mäuse zu leiden gehabt. Wie stark das Auftreten,der Mäuse im Herbst gewesen ist, geht daraus hervor, daß in dem zu den mittelgroßen Kreisen des Regierungsbezirks gehörenden Kreise Einbeck die Zahl der getöteten Mäuse auf 000,000 Stück
Gleich darauf erschien der Gerufene und fragte in unterwürfigen Tone, was Herr Varley befehle.
„Ich wünsche ein substantionelles Frühstück für drei Personen," sagte Varlky, „wollen Sie das Nötige besorgen, Matthias?"
„Gewiß, Herr Varley," versetzte Matthias scheu und leise, indem er einen ängstlichen Blick auf den Fremden warf, „ich werde mich nach K'ästen beeilen."
„Schön — vergessen Sie nicht den Wein von der besten Sorte zu nehmen — Sie wissen es ja, welche Marke wir lieben."
Matthias nickte und verschwand; Taubert blickte ihm aufmerksam nach und fragte dann lebhaft:
„Wer ist der Mann? Ihr Schreiber?"
„Das nicht gerade," entgegnete Varley, „es ist ein armer Teufel, den wir Beide, mein Kompagnon und ich, protegieren und beschäftigen. Leider ist Matthias ebenso scheu und ablehnend, als schwach und kränklich, und der Verkehr mit ihm «fordert ein gut Teil Diplomatie, denn es darf nie den Anschein haben, als ob man ihm eine Erleichterung verschaffen wolle. Wapping ist ihm im Laufe der Jahre etwas näher gekommen, aber wer und was Matthias eigentlich früher gewesen ist, weiß er ebenso wenig wie ich."
„Matthias erschien jetzt wieder in Begleitung eines Kellners aus dem nahe gelegenen Restaurant, welcher ein Taklet mit Speisen trug, während Matthias zwei versiegelte Weinflaschen, sowie Teller und Gläser auf den Tisch stellte. Der Kellner entfernte sich gleich wieder und Matthias deckte den Tisch und ordnete die appetitlichen Speisen auf demselben in einer Weise, die mit seinem sonstigen linkischen Wesen gar nicht im Einklang stand.
„Ah — das sieht so recht einladend aus," äußerte Varley, einen befriedigenden Blick aus den Tisch werfend, „kommen Sie, Taubert — Sie werden hungrig und durstig sein und Sie, Matthias, ebenfalls."
„Ach nein — ich — ich möchte doch nicht," stammelte Matthias verlegen, indem er sich der Thür näherte. .
„Halt," rief Varley lachend, „Sie kennen doch meinen Wahlspruch, Matthias
— mitgefangen — mitgehangen. Haben Sie uns das Frühstück besorgt, so müssen Sie auch mitthun." , ^
„Aber ich will die Herren nicht stören," wehrte Matthias unsicher.
„Unsinn — Sie stören gar nicht. Dieser Herr, Kapitän Taubert, ist ein rühmlichst bekannter Detektiv aus Newyork, der uns bei der Abwickelung eines schwierigen Geschäfts behülflich sein will."
Matthias warf einen erschreckten Blick auf den Fremden und seine ohnehin bleiche Gesichtsfarbe ward noch um einen Schatten bleicher, während die Rechte sich, wie um eine Stütze zu suchen, tief in die Lehne des Sophas grub.
„Na, Herr Matthias," meinte Taubert jovial, „Sie brauchen sich nicht vor mir und meiner Profession zu entsetzen; ich habe noch keinem ehrlichen Menschen ein Leid zugefügt."
„Ach — Matthias ist immer so ängstlich und schüchtern," bemerkte Varley, indem er am Tische Platz nahm, „er thut immer, als ob er die Welt um Verzeihung bitten müsse, daß er überhaupt lebe."
Ein bitteres, rasch wieder verschwindendes Lächeln huschte über die Züge des Besprochenen, doch machte er keine weiteren Umstände, sondern setzte sich an den Tisch und begann den Speisen zuzusprechen. Varley hatte' die Gläser gefüllt und mit seinen Gefährten anstoßend, sagte, er lachend:
„Auf gute Verrichtung, Kapitän — hoffentlich gelingt es Ihrem Scharfsinn, die Erbin von Rockwalde herbeizuschaffen und die verwickelte Angelegenheit zu entwirren."
„Ich werde mich wenigstens bemühen, das in mich gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen," versetzte der Detektiv.
Matthias hatte, als Rockwalde genannt worden war, erschreckt Messer und Gabel fallen lassen und den Advokaten angestarrt, als ob er ein Gespenst sei. Bevor indes einer der Herren seine Bestürzung gewahrt hatte, war es Matthias gelungen, seine Selbstbeherrschung wieder zu gewinnen, und hastig ein Glas Wem. hinunterstürzcnd, blickte er angelegentlich auf feinen Teller.
(Fortsetzung folgt.)