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aus Freundschaft für Deutschland, sondern in eigennütziger Absicht die Expedition nach Tabora übernommen.
Berlin, 2. Jan. Von dem großen Ansturm gegen das Jesuitengesetz schreibt das „Franks. I.* ist es in der Zentrumspresse merkwürdig still geworden. Der künstliche Apparat einer Begeisterung für die „Zurückberufung der frommen Väter", den man auf dem Coblenzer Katholikenkongreß in Scene setzte, hat seine Wirkung nicht gethan, die Massen der katholischen Bevölkerung sind für den Gedanken nicht zu bemeistern gewesen. Wenn von einer „Volksbewegung" in dieser Sache die Rede sein kann, so ist sie sehr viel mehr auf protestantischer Seite zu finden, wo die Inaussichtstellung der Aufhebung des Jesuitengesetzes eine Aufrüttelung der Gemüter zu Wege gebracht hat, die in ihrem weiteren Fortgange nicht nur die gegenwärtige Stellung des Zentrums zu beeinträchtigen droht, sondern auch anderen Parteien gefährlich werden kann. Man sagt, daß Herr Windhorst etwas derartiges vorhergesehen und deshalb die Aktion für Aufhebung des Gesetzes zurückzuhalten versucht habe. Wenn das wahr ist, -so wird er demnächst angesichts der veränderten Lage bei seiner Gefolgschaft wohl größere Geneigtheit für eine dilatorische Taktik finden. Denn zu der mangelnden Begeisterung des katholischen Volkes für die Aktion tritt die Sicherheit ihrer Erfolglosigkeit. Es ist jeder Zweifel ausgeschlossen, daß, wie auch der Beschluß des Reichstages über den Zentrumsantrag ausfallen möchte, der Bundesrat nur eine ablehnende Haltung beobachten wird.
— Sozialdemokratie und Altersversicherung. lieber die Altersversicherung der Arbeiter ist von sozialdemokratischer Seite noch geringschätziger und spöttischer geurteilt worden, als über die Jnvaliditätsversicherung. Ein Arbeiter würde überhaupt nicht siebzig Jahre alt, konnte man oft genug hören. Jetzt wird aus dem Berliner Vorort Rixdorf mit 35,000 Einwohnern gemeldet, daß die Zahl der dort ansässigen, über siebzig Jahre alten Arbeiter und Arbeiterinnen, welche sofort zum Bezug der Altersrente berechtigt sind, zwischen 170 und 200 beträgt, und hierfür im Jahr 1891 20—24000 Mark erforderlich sind. Das ist doch wahrhaftig eine Wohl- that, die den Spott nicht herausfordern kann. — Zu Neujahr haben zwei größere sozialdemokratische Blätter, das „Königsberger Volksblatt" und die „Westpreußische Volkszeitung" ihr Erscheinen eingestellt. In Königsberg haben bei der letzten Reichstagswahl die Sozialdemokraten 12,000 und in der Stichwahl 13,000 Stimmen aufgebracht und das Mandat erobert. Gleichwohl kann sich ein sozialdemokratisches Blatt nicht halten. Von dem Erlöschen des Sozialistengesetzes erwartete man ein gewaltiges Aufblühen der sozialdemokratischen Presse; diese Erwartung scheint doch nur in sehr eingeschränktem Blaß sich zu erfüllen.
Hamburg, 31. Dez. Der Hamburger Korr, erfährt aus Friedrichsruh, Fürst Bismarck gedenke die Verwaltung seiner Güter Varzin, Schönhausen und Schönau, seinen Söhnen, den Grafen Herbert und Wilhelm Bismarck, zu übergeben und sich auf Friedrichsruh zu beschränken.
Ausland.
Paris, 30. Dez. Bei der gestrigen Preisverteilung der ^oaäswis äeo Loikmos« erhielt eine deutscheDoktorinder Medizin, Namens Klumpke, deren glänzendes Examen hier vor einigen Jahren sehr bemerkt wurde, in der Sektion für Medizin und
Chirurgie die Hälfte des krix Imllomanä; die andere Hälfte entfiel auf vr. Guinon.
Athen, 31. Jan. Dr. Schliemanns Tetanie n t ist gestern hier eröffnet worden. Der Ver- torbene hinterläßt sein Grundeigentum in Paris einen 2 Kindern erster Ehe. Sein gesammtes unbewegliches und bewegliches Vermögen in Athen, einschließlich seiner Bibliothek, fällt seiner zweiten Frau, einer Griechin, und deren Kinder zu. Die Sammlung von den in Hissarlik (Troja) aufgefundenen Altertümern hat vr. Schliemann dem Museum für Völkerkunde in Berlin vermacht. Seiner ersten, von ihm geschiedenen Frau, zahlreichen Verwandten und den Wohlthätigkeitsanstalten Athens fallen Legate zu. Frau Schliemann hat zahlreiche Beileidstelegramme von hervorragenden Persönlichkeiten in allen Teilen Europas erhalten. Der Magistrat von Berlin schickt an die Witwe ein Beileidsschreiben und läßt einen Kranz auf das Grab des großen Altertumsforschers legen.
Tages-Neuiykeiten.
Calw, 4. Jan. In den Bürgerausschuß sind gewählt die HH. E. Hippelein, W. Wid- mann, G. Schlatterer, Schlosser Heldmaier, K. Müller z. Linde, Apotheker Seeger, Joh. Schuster und I. F. Oester len.
* Calw, 5. Jan. Der schon längst mit Sehnsucht erwartete Umschlag in der Witterung scheint nun einzutreten. Wenn auch das Thermometer noch nicht bedeutend gesunken ist, so hat doch die strenge und anhaltende Kälte abgenommen zur großen Freude der Hausbesitzer, denen bei der grimmigen Kälte die Wasserleitungen zugefroren sind. Infolge der Kälte wurde auch der untere Marktbrunnen defekt, so daß derselbe abgelassen und mit vieler Mühe vom Samstag abend auf Sonntag früh wieder hergestellt werden mußte. Es muß dem Löwen auf dem Brunnen wohl komisch vorgekommen sein, daß er in seinen alten Tagen so liebreich erwärmt und eingeräuchert wurde. Die Schlittschuhbahn auf der Nagold wurde in der letzten Zeit und auch gestern noch von vielen Eisläufern benützt und wohl selten war die Nagold so lange und so stark zugefroren. Der Wandel auf den Straßen ist durch Glatteis sehr erschwert. Seit heute früh schneit es und werden wir wohl wieder eine prächtige Schlittenbahn bekommen. Der Wasserstand der Nagold und in den Brunnen ist im allgemeinen ziemlich nieder; die Orte auf der Höhe leiden schon empfindlich an Wassermangel; ein anhaltender Umschlag der Witterung wäre daher wohl jedermann erwünscht.
si Neubulach, 5. Jan. Seit Neujahr ist unser Städtchen durch eine Telephonleitung mit der Station Teinach verbunden. Von diesem praktischen Verkehrsmittel ist von dem Publikum schon ziemlich Gebrauch gemacht worden. Für ein Telegramm ist der gewöhnliche Betrag, für 5 Minuten Sprechzeit 1 angesetzt.
Stuttgart, 2. Jan. Gestern früh zwischen 4 und 5 Uhr wurde durch einen Schutzmann in der Eichstraße ein Mann auf dem Trottoir schlafend gefunden und auf die Polizei verbracht. Daselbst stellte sich heraus, daß der Mann einen gefährlichen Stich im Unterleib hatte. Wo er die Wunde her hat, darüber vermag der Verletzte keine Auskunft zu geben. Derselbe logierte in der letzten Zeit in der „Deutschen Flotte" und dürfte in betrunkenem Zustand mit anderen Leuten Streit bekommen haben.
Stuttgart, 3. Jcnr. S. K. H. der Prinz Wilhelm hielt gestern eine Feldjagd auf der Markung, Zuffenhausen, zu der etwa 25 Herren von hier und Ludwiqsburq geladen waren und wobei gegen 70 Hasen geschossen wurden.
Sulz a. N. 27. Dezbr. Gestern mittag erstattete im Gasthaus zum Hirsch Reichstags-Abgeordneter Freiherr Oskar v. Münch vor einer zahlreichen Zuhörerschaft Bericht über Reichstagsangelegenheiten. Der „N. Albbote" konstatiert bei dieser Gelegenheit, daß Freiherr v. Münch aus der Volkspartei nicht ausgeschieden sei, sondern sich, wenn auch außerhalb der parlamentarischen Fraktion, nach wie vor zu derselben bekenne.
Horb, 2. Jan. In der Klagsache Jos. Treibers in Stuttgart gegen den Reichstagsabgeordneten Frhrn. v. Münch, den Redakteur Oeser der „Ulmer Ztg." und den Redakteur Göbel des „Neuen Alb- boten" wegen Beleidigung wurde vom Schöffengericht v. Münch zu 120 jeder der angeklagten Redakteure zu 60 ^ Geldstrafe, sowie zur Tragung der Kosten je mit '/3 verurteilt unss'Veröffentlichung des Urteils im „Neuen Albboten", „Schwarzw. Boten" und „Ulmer Ztg." auf Kosten der Beklagten dem Privatkläger gestattet. (Es handelte sich in dem Prozeß um die Behauptung des Frhrn. v. Münch, dast I. Treiber, der sich zur deutschen Partei rechne, die damals von ihm verlegte Zeitung „Tagespost" ihm, dem demokratischen Abgeordneten, zum Kaufe ange- boten und beinahe aufgedrängt habe. Es waren an. diese Mitteilung Urteile über den Charakter I. Treibers geknüpft, welche die Klageerhebung veranlaßten.)
Staatsanz.
Deißlingen, 30. Dez. Letzte Woche verletzte sich hier der 17jährige Schneidergeselle Josef Birk mit der Nadel am Daumenfinger der linken Hand. Er gab dieser Verletzung keine Acht, aber nach ein paar Tagen entstand eine Entzündung des Fingers. Es wurde letzten Sonntag ärztliche Hilfe angerufen, aber leider zu spät. Noch am gleichen Tage verschied er.
Ebingen, 2. Jan. Gestern nachmittag kam auf der Schlittschuhbahn ein junger Mann zu Fall und brach die Achselknochen.
Kempten, 2. Jan. Gestern früh warf sich unweit Jmmenstadt die Frau eines Bahnbeamten von dort vor der Maschine des um 7 Uhr 15 Min.. von Jmmenstadt nach Kempten abgegangenen Post- zuzs^auf die Schienen und wurde sofort getötet. Die Unglückliche lüt seit ihrem letzten Wochenbette an Geistesstörung.
Erlangen, 30. Dez. Ein Raubmordversuch wurde dieser Tage an dem Pfarrverweser Zindel in Möhrendorf verübt. Der Gauner übergab dem Geistlichen zuerst einen Brief, in welchem unter Drohungen 50 Mark verlangt wurden. Als Zindel den Brief gelesen hatte und an den Platz schritt, an dem sein Revolver hing, feuerte der Verbrecher und traf den Geistlichen in den Hals. Er forderte dann den Schwerverwundeten auf, sein Geld herzugeben, welchem Verlangen der nahezu ohnmächtige Zmdel nachkam, worauf der Räuber sich entfernte. Ein als. der That dringend verdächtig in Haft genommener Gärtner Kirhübel wurde, wie der „Fränk. Kurier" meldet, hierher transportiert und in Anwesenheit des - Untersuchungsrichters dem noch in der Klinik befindlichen Pfarrverweser Zindel vorgestellt, von Letzterem aber nicht mit Bestimmtheit wiedererkannt. Nach die-
greifen können; und wäre nicht schon eine so lange Zeit verstrichen, seit sie ihr eigenes Kind erzog, sie wäre sicher nicht darauf verfallen. Ivo war, wie die meisten lebhaften, aufgeweckten Kinder, kein Grübler; er hätte bis zum Abend den Hautriß sammt dem Pflaster darüber, das zarte Mädchengesicht, das sich über ihn gebeugt, das mitleidige „Hast Du Schmerzen, Du armer Schelm?" vollkommen vergessen, wenn das Verbot nicht gewesen wäre. Das erhielt den ganzen Vorfall frisch in seinem Gedächtnis und verlieh ihm eine tiefe Bedeutung. Und als Papa am Abend, gleich beim Kommen das Pflaster auf der Stirn bemerkend, auf seine Frage von Großmama die Antwort erhielt, Ivo habe sich an der Tischkante gestoßen, wurden die Augen deS Kindes sehr groß. Großmama hatte gelogen, ein guter Teil ihrer Autorität war für immer dahin. Hartnäckiger als sonst wehrte sich der Kleine gegen sie, als sie ihn zu Bett bringen wollte. Aber hartnäckiger als sonst, bestand sie heute auf ihrem Willen; es war nicht ratsam, Vater und Kind blieben an diesem Abend sich selber überlassen. Aber als sie Ivo trotz seines Sträubens ergriff, schrie er: „Laß mich, oder ich sage dem Papa, daß ich vom Wagen gefallen bin!"
Ihr fielen die Hände vor Schreck in den Schooß, und ohne Widerstand duldete sie es, daß der Teufelsjunge sich von Papa emporheben und aus dem Zimmer tragen ließ. Erst nach einer Weile folgte sie ihnen, um ihrem Schwiegersohn beim Auskleiden des kleinen Prinzen zu helfen, aber der lag schon im Bett, mit beiden Händchen um den Hals des Vaters, der seinen Kopf auf das Kissen neben den des Kindes gelegt; es war wie gewöhnlich; kein Anzeichen, daß der Range geplaudert und alle Mühe umsonst gewesen. Beruhigt zog sie sich zurück. Sie ahnte nicht, was ihr der nächste Morgen bringen würde.
Es war ein Sonntag, ein schöner milder Frühlingstag, Großmama sah kein
Arges darin, daß sie ihr Schwiegersohn bat, dem Kinde sein bestes Kleid anzulegen. Vermutlich führte er ihn, wie er es fast jeden Sonntag that, in den Park spazieren. — Als der junge Mann und das Kind der Thüre zuschritten, wandte sich der Erster« nochmals um: „Ich hoffe, Großmama, wir werden zur rechten Zell zurück sein, doch sollen wir uns, wider Erwarten, verspäten, dann nehmt das Esten ohne uns ein. Ich beabsichtige mit Ivo einen Besuch zu machen."
Einen Besuch? seit dem Tode, nein schon seit der Erkrankung seiner Frau, hatte er nicht daran gedacht, ein fremdes Haus zu betreten, fing er auf einmal an, dex Außenwelt Interesse abzugewinnen. Der Alten erschien dies wie eine Beeinträchtigung ihrer toten Tochter.
„Wohin willst Du mit Ivo gehen?" fragte sie und wischte dem Kinde über das ohnehin blanke Gesichtchen; sie hatte kein Recht zu der Frage, aber ihre Wißbegier trug manchmal den Sieg über ihre Klugheit davon.
„Selbstverständlich zu dem jungen Mädchen, das meinem Kinde Beistand geleistet. ES war nicht recht, Großmama, daß Du mir den Vorfall verheimlicht. Die junge Dame mußte uns für Leute ohne Lebensart und Erziehung halten, wenn wir ihr nicht einmal unfern Dank dafür aussprächen, daß sie den schweren Jungen bis zum Hause trug."
Nun lag ihm schon an der Meinung einer wildfremden Näherin. Großmama war wütend.
„Ich hatte es vergessen," sagte sie, mühselig eine gleichgültige Miene behauptend, „gedankt habe ich ihr für die kleine Mühe übrigens schon gestern. Sie wird wohl wissen, weshalb sie sich sie nahm. Wäre mein armes Kind noch am. Leben, dann hätte die drüben gewiß keine Hand nach Ivo ausgestreckt!"