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Dienstag» den 19. Zuni 1917
Ms in KrieMmMen keine AeMmg.
Jar Wtstil der deutsche» Reihest.
Bon Geheimrat Prof. Dr. Rudolf Gucken. Jena.
Es gehört zu den Kampfmitteln unserer Gegner, uns einen Mangel an Freihettsfinn vorzurverfen, uns als ein Volk hinzustellen, das zu blindem Gehorsam und knechtischer Unterwerfung neige. Manche mögen das ohne viel Ueberzeugung aus bloßer Gehässigkeit tun, andere aber scheinen in Wahrheit von dem Recht dieses Bsrwurss überzeugt zu sein. So gilt es die Sache gewissenhaft zu erwägen und zu prüfen, wie eine solche Meinung überhaupt entstehen konnte. Die Aufklärung aber liegt nahe genug. So gewiß durch die ganze Neuzeit eine Bewegung zur Freiheit geht und dieser Zeit vornehmlich ihren eigentümlichen Stempel verleiht — die verschiedenen Kulturvölker haben nicht nur diese Bewegung verschiedenen Gebieten zugesührt, es zeigt das wordene Leben auch völlig abwei- chende Fassungen der Freiheit. Daraus nun erklärt sich jenes Berrufen der deutschen Art, daß man uns nach dem FreihritLbrgriffe der anderen Völker mißt, nicht nach dem. zu dem wir uns bekennnen. Daß aber der deutsche Begriff vollstes Recht besitzt, sich als Erfüllung des Freiheit«- gedankens zu geben, das ist mühelos darzutun.
Es geht ein zwiefacher Begriff von Freiheit durch das moderne Leben: einerseits bedeutet Freiheit Abwesenheit aller Bindung, das Recht jedes einzelnen, alles zu tun. was ihm beliebt, wenn es nur nicht einen anderen direkt verletzt; andererseits aber bedeutet sie das Selbstän- digwerden der Persönlichkeit, die Ursprünglichkeit des Handelns, das Wirken und Schaffen von innen heraus. Jene Freiheit ist überwiegend verneinender, diese bejahender Art, jene trifft mehr da« Verhältnis zu anderen, diese mehr das zu uns selbst und zu dem Leben, das in unserer Seele aussteigt; dort müssen allgemeine Ordnungen vornehmlich als eine lästige Hemmung erscheinen, während sie hier ol, Mittel zur Grhöung und Vollendung des eigenen Wesens gelten und daher in das eigene Wollen ausgenommen werden; dort geht die Sorge vornehmlich dahin, daß di ' einzelnen Kreise einander möglichst wenig stören, hier wird ein gemeinsamer Kreis gebildet und von jedem einzelnen unmittelbar als seine eigene Sachs freudig ergrif- sen. Das ist eine Freiheit nicht gegen das Gesetz oder
Im Kanne «Lei- Liebe.
Original-Roman von Hermann Preiß.
17j (Nachdruck verboten.)
Der Untersuchungsrichter horchte hoch auf.
„Das alles", sagte er hastig, „überrascht mich aufs höchste. Es ist aber leider nur geeignet, den Fall noch schwieriger zu gestalten. Und dann noch eins. Wenn Ihre Annahme zutrifft, daß der Mörder nach vollbrachter Tat wieder im Kreise der Gäste erschien, so muß vorausgesetzt werden, daß er ohne die geringste Blutspur war."
„Das ist nicht nötig", wandte Breitenfeld ein, „zuviele . haben sich um die Ermordete bemüht und mancher wird ! blutbefleckt worden sein. Zudem aber konnte ihn Las Blut seines Opfers nicht treffen, denn er stand hinter der hohen ! Rückenlehne des Doppelstuhles und geschützt durch sie."
! . Der Untersuchungsrichter schwieg. Er konnte gegen i me Schlußfolgerung Breitenfelds nichts mehr einwenden.
Breitenfeld berichtete nun die Erzählung des Kammer- Wieners über die Entstehung der Tapetentür und des Ganges zur Terrasse und fuhr dann in seiner Darstellung fort.
„Es ist ein verzweifelt ernster Fall. Zwar der Polizei- kommissar Höpfner behauptet, der Täter werde nun versuchen, die wertvollen Perlen zu veräußern. Ich halte es mcht für ausgeschlossen, aber nicht für sehr wahrscheinlich. M> gebe gern zu, daß er auf die eine oder andere Weise nch des Perlenkolliers entledigen wird, bin aber der festen Überzeugung, da er heute weiß, daß alle Welt über den -Nord und dem damit verbundenen Raub unterrichtet ist."
In diesem Augenblick wurde heftig die Flurklingel gezogen und ein Polizeibeamter trat in das Zimmer. Ec stuckerte dem Untersuchungsrichter einige Worte zu. Dr. Bremer stieß einen Ruf des Erstaunens aus.
„Sie haben sich geirrt", wandte er sich dann an den Detektiv, „die Perlen sind bereits in Paris bei einem der ersten Juweliere aufgetaucht."
Ungläubig starrte Breitenfeld auf den Sprecher, der aber wandte sich an den Beamten und forderte ihn auf, eingehend Bericht zu erstatten.
ohne das Ersetz, sondern eine Freiheit, die selbst ein Gesetz in sich trägt und eine Welt aus sich entwickelt. Damit erst gewinnt der Pflichtgedanke einen rechten Sinn und einen hohen Klang. Denn hier bedeutet es nicht nur erzwungene Unterwerfung unter ein von draußen auserlegtes Gebot, sondern die frele Anerkennung einer unserem eigenem Wesen entstammenden Ordnung ; s» verstanden, besagt er nicht eine Einengung und Einschüchterung, sondern «rweiterung un) Stärkung des Lebens. Nur wo uns die Pflicht in diesem Sinne erfüllt, stehen wir ganz und gar auf uns selbst, und können wir uns mutig und stegesgewiß gegen eine fremde Welt behaupten.
Nun kann aber kein Zweifel daran sein, daß bei unseren Gegnern jener mehr äußerliche und verneinende Begriff der Freiheit überwiegt, während wir Deutsche aus unserer tiefsten Art die Freiheit im innerlichen und bejahenden Sinn verstehen. Uns ist Freiheit nicht möglichste Ungedundenheit, sondern innere Unabhängigkeit, Selbständig, werden des Leben« und Wesens; eine derartige Freiheit schließt die Anerkennung und Hochhaltung einer gemein- samen, der Willkür überlegenen Ordnung in sich und treibt dazu, sich sür eine solche mit ganzer Seele etnzusetzen. Eine solche Denkart zeigen alle Höhen des deutschen Schaffens. Luther ht uns über die besondere Konfession hinaus die Freiheit und Ursprünglichkeit des religiösen Lebens gewaltig gesteigert, aber er hat stets mit größtem Eifer daraus gedrungen, daß die gewonnene Freiheit dazu treiben solle, unseren Nächsten mit voller Hingebung zu leben und zu dienen, ohne alle Gedanken an Lohn und Anerkennung. Kant, unser größter Denker, machte zum Eckstein seiner Philosophie den Freiheilsgedanken; Freiheit aber galt ihm dabei als die Selbstbestimmung des vernünftigen Wesens, als das Vermögen, sich der Herrschaft des Naturmechanismus zu entwinden und sich selbst Ge- setze zu beben. Damit gewann ihm der Mensch eine Wellüberlegenheit und eine unvergleichliche Würde. Untrennbar von dieser Fassung der Freiheit war ihm der Gedanke der Pflicht, des Gehorsams gegen das sebstgegebene Gesetz; die Verstärkung der Freiheit ergab hier eine grö- ßere Strenge der Moral und machte Kant nach Goethes Ausdruck zu einem Befreier der deutschen Weichlichkeit, in die sie versunken waren. Auch Goethe selbst darf zu den Vorkämpfern der Freiheit gerechnet werden. Denn
„Wir erhielten soeben telegraphisch die Nachricht, daß bei der Juwelierfirma Gebrüder Conrad, Boulevard Saint Germain in Paris von einem Boten das Perlenkollier vorgelegt wurde mit der Bitte, es zu kalkulieren. Der Bote erklärte, in einer Stunde wiederkommen zu wollen. Er hat sich aber im Laufe des Tages nicht mehr sehen lassen. Alle Nachforschungen nach ihm waren vergeblich, niemand weiß wer ihn gesandt hat, niemand konnte feststellen, wo er geblieben ist."
Breitenfeld nickte.
„Ich habe mich also doch wohl nicht geirrt", sagte er ruhig. „Der Bursche hat auf überaus schlaue Weise sich seines Raubes entledigt und wird vielleicht jetzt schon wieder auf der Fahrt nach Berlin sein. Demgegenüber sind wir ohnmächtig. Befänden wir uns in Newyork, wo jeder Polizist sein Stadtviertel seit frühester Jugend kennt und weiß wo jeder der Bewohner die Nacht zugebracht hat und wo er am Tage weilt, so wäre es ihm nicht möglich gewesen, Liese Reise anzutreten, die seine Spur völlig verwischen wird."
Der Untersuchungsrichter ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Er tat mächtige Züge aus seiner Havanna und man merkte ihm an, daß er sich in großer Erregung befand.
„Was machen wir?" sagte er nach einer Weile ratlos.
„Ich werde versuchen die geeigneten Ermittlungen anzustellen. Allerdings ist es fraglich, ob sich feststellen lassen wird, wer von den Ballgästen verreist war. Zudem wissen wir ja nicht einmal, ob der Täter draußen in der Villenkolonie, oder in Berlin wohnt. Jedenfalls werde ich mein Möglichstes tun."
Er verabschiedete sich von dem Untersuchungsrichter und während nun Breitenfeld abermals nach dem Villenvorort fuhr, begab sich Dr. Bremer in sein Amtszimmer im Untersuchungsgefängnis. In des Tages Last und Mühe vergaß er diesen Fall mehr und mehr. In jeder Ruhepause aber kehrten seine Gedanken zu dem geheimnisvollen Morde zurück und er zermarterte sich das Hirn mit allen möglichen Kombinationen über den vermutlichen Täter. Er kam endlich zu dem Schluß, daß Breitenseld
sein aus tiefster Seele quellendes, durchaus wahres und ursprüngliches Schaffen hat die Kunst und über sie hinaus das Leben von vielem Gemachten, Scheinhasten von draußen Auferlegtem befreit; so durste er mit gutem Recht von sich sagen, wer ihn richtig verstehen gelernt habe, der «erde einen Gewinn von innerer Freiheit bekennen müssen. Demnach hat sür Freiheit im tiefsten Sinn kein Volk mehr getan als das deutsche.
Der deutsche Freiheitsgedanke reicht auch in das politische Gebiet und hat hier seit Beginn unserer Geschichte gewirkt; es hatte guten Grund, wenn Montesquieu, der große französische Staatsphtlosoph, meinte, die Wiege der europäischen Freiheit habe in den Wäldern .unserer", d. h. aber bei ihm der fränkischen, also deutschen, Vorfahren gestanden. Auch beim Staatsleben bedeutet Freiheit den deutschen Selbständigkeit innerhalb des Ganzen, nicht gegen das Ganze, Ergreifung der Gesamtzwecke als eigener Zwecke. Bildung eines besonderen Lebenskreises innerhalb der gemeinsamen Ordnung. In engstem Zusammenhang damit steht eine hohe Schätzung der Persönlichkeit, die Ausbildung persönlicher Berhältniffe im Zusammenleben, auch die Hochhallung eigentümlicher Berufe, in dem allen eine durchgehende Gliederung der Gemeinschaft, eine Abneigung gegen ein bloßes Verschwimmen in eine unterschiedslose Maffe, in einen großen Hausen.
Wieviel das zusammen bedeutet, das zeigt jeder Vergleich mit dem. was unseren Gegnern, etwa den Amerikanern, als Freiheit gilt. Die möglichste Aufhebung aller Bindung durch Gesetze und die formelle Gleichstellung all« Individuen verhindert nicht im mindesten das Entstehen anderer Bindungen, die um so gefährlicher sind, weil der von ihnen geübt« Zwang sich zu verstecken pflegt. Bet diesem Zusammensein auf dem Boden einer überwiegend äußerlichen und verneinenden Freiheit liegt alle Entscheidung bei der sogenannten öffentlichen Meinung: der einzelne dünkt sich dabei .frei", weil er bei ihrer Bildung mitzuwirken glaubt. In Wahrheit wird jene Meinung von der Presse gemacht und den einzelnen zwangsweise eingeflößt; die Presse aber wird von kleinen, meist aber beutegierigen Kreisen gelenkt; schließlich entscheidet dort über sie die Kapitalkrast. und es ist eine Geldherrschaft, welche unter dem Schein der Freiheit die Seelen zwingender beherrscht, als irgendwelche Regierungsmacht es könnte. Die Schwächung, welche das
recht hatte, wenn er sagte, man müsse dem Zufall den Hauptanteil an der Aufdeckung dieses merkwürdigen Falles überlassen.
Er tröstete sich in dem Bewußtsein getreuer Pflicht-- erfüllung alles getan zu haben, was seines Amtes war und darüber hinaus noch. Trotzdem quälte ihn die Vorstellung, daß zu den mannigfachen Bluttaten der letzten Zeit die unentdeckt blieben, sich eine neue gesellt habe. Wurde er doch schon in diesen beiden Tagen von allen Seiten mit Fragen bestürmt und es fehlte nicht an versteckten Anspielungen, in denen der Polizei Mangel an Tatkraft und Findigkeit vorgeworfen wurde. Aber was Hilsts, sagte er sich, man muß es mit Geduld ertragen.
Auch Breitenfeld suchte, nachdem er den ganzen Tag bei allen möglichen Leuten herumgehorcht hatte, ohne irgend etwas von Wichtigkeit zu erfahren, sein Heim auf. Unterwegs beschäftigte ihn lebhaft die Erzählung eines alten Herrn, der in einem der vornehmen Restaurants gesessen hatte und eine Geschichte zum besten gab, als man gerade über den Aufsehen erregenden Mord in der Villa des Grafen Oldensloh sprach.
Ihm war aus seiner Waffensammlung ein wertvolles Dolchmesser gestohlen worden, zwei Tage lang hatte er es vermißt und am dritten morgens bei einer nochmaligen Revision hatte es sich an seinem alten Platze vorgefunden unverändert, wie es wenige Tage zuvor da gehangen hatte.
Einen Augenblick lang hatte die Erzählung des Alten die ganze Aufmerksamkeit Breitenfelds in Anspruch genommen, als er aber hörte, daß dieser Mann Junggeselle sei und gar nicht in Schlachtensee, sondern in einem anderen Berliner Vorort wohne, war sein Interesse erlahmt. Trotzdem kehrte sein Gedankengang immer wieder zu diesem Messer zurück. Er wußte selbst nicht wie es kam, aber seine lebhafte Phantasie suchte immer wieder das geheimnisvolle Verschwinden und Wiederfinden dieses Dolchmessers in irgendeinen Zusammenhang mit dem Verbrechen zu bringen, das alle seine Sinne beschäftigte.
(Fortsetzung folgO '