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bei seinem ersten Auftreten ihm zerstört habe, den für das Recht des arbeitenden Volkes einzutreten, habe er ihm nicht zerstört. Während Redner die einzelnen gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen wiederlegt, stellt er den Antrag, den Kommissionsan­trag dahin auszudehnen, daß die Protesterheber den Beweis der Wahrheit für ihre Behauptungen zeugen­eidlich antreten. Darauf wird der Kommissionsantrag angenommen, der Antrag v. Münch dagegen abgelehnt.

Berlin, Donnerstag 4. Dez., abds. Reichs­tag. Zweite Lesung der Helgolandvorlage. Stadthagen (Soz.) spricht gegen die Vereinigung mit Preußen. Staatssekr. v. Bötticher weist auf den kostspieligen Verwaltungsapparat bei der Ein­richtung der Insel als Reichsland hin. Die Helgo­länder dürften sich des wohlwollendsten Entgegen­kommens seitens Preußens versichert halten. Baum­bach für die Vereinigung mit Holstein. Z 1 (Ein­verleibung in Preußen) wird unverändert genehmigt.

Berlin, 4. Dez. Die Zentrumspartei des Reichstags hat den Antrag auf Aufhebung des Jesuitengesetzes eingebracht.

Berlin, 4. Dez. Der Jesuitenantrag des Zentrums im Reichstage lautet:Gesetz betr. die Aufhebung des Gesetzes über den Orden der Gesell­schaft Jesu. H 1. Das Gesetz vom 4. Juli 1872 wird aufgehoben. Z 2. Die zum Vollzug des ge­nannten Gesetzes erlassenen Anordnungen verlieren ihre Giltigkeit. H 3. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem Tag der Verkündigung in Kraft. Die Polen haben nicht unterzeichnet, nur das Zentrum.

Schw. M.

DieKöln. Volksztg." schreibt in Sachen der Aufhebung des Jesuitengesetzes:Das katholische Volk steht in dem Verlangen nach Aufhebung dieses Gesetzes fest wie ein Eichenwald. Wenn man uns die Erfüllung dieses Verlangens verweigert, dann träume man nicht, die Katholiken würden den Sirenen­gesängen vonFrieden", welche so oft vom Minister­tische niedersäuseln, Glauben schenken. Man begreife doch, daß es sich nicht nur um die Rückkehr der Jesuiten handelt, sondern um eine Ehrensache für uns, um ein gegen uns, gegen unsere Söhne, Brüder und Freunde gerichtetes Ausnahmegesetz. Wenn man sich aber heute mit den Katholiken auf den Kriegs­fuß setzt, so darf man morgen von denselben keine Gefälligkeiten und Hilfeleistungen verlangen. Fällt dieses Ausnahmegesetz, dann wird das katholische Volk erst erkennen, daß Ernst gemacht werden foll mit der Friedensarbeit. Wir werden allen danken, die uns bei der Aufhebung dieses Gesetzes unter­stützen, mögen sie auch sonst weit von uns getrennt sein, aber diejenigen, welche dieses letzte deutsche Aus­nahmegesetz gegen die Katholiken erhalten wissen wollen, werden wir als unsere unerbittlichen Gegner betrachten und keine Entschuldigung gelten lassen."

Die neue Waffe, der Dolch, wird in nächster Zeit an die Kadetten der Marine zur Verteilung ge­langen. Derselbe hat eine Länge von ca. 50 ein einschließlich des Griffes. Die Klinge ist damasziert und steckt in einer metallenen bronzepolierten Scheide; der Griff ist aus Knochen und trägt als Knopf eine bronzene Kaiserkrone. Getragen wird die Waffe an einem nach Form der Säbelkoppel aus marineblauer, geflochtener Wollschnur hergestellten Gehänge.

Braunschweig, 3. Dez. Der Prinz- Regent ist in Begleitung zweier Adjutanten nach

dem Haag abgereist, um den Kaiser bei den dortigen Beisetzungsfeierlichkeiten zu vertreten.

Köln, 3. Dez. Se. K. H. Prinz Wilhelm von Württemberg traf mit Gefolge heute morgen um 10 Uhr mit dem Frankfurter Schnellzug auf dem Hauptbahnhof hier ein, stieg im Hotel du Nord ab und setzte 1 Uhr 40 Min. seine Reise nach dem Haag fort.

Berlin, 3. Dez. Der Kaiser bestimmte für den Bau des Wißmann-Dampfers einen Betrag von 3000

Tages-Ueuigkeiien.

Calw. Bevölkerungszählung 1890. Nach der vorläufigen Berechnung beträgt die Zahl der hiesigen Einwohner 4523. Darunter 2065 männliche, 2468 weibliche, 53 sonst regelmäßig hier wohnende Personen waren bei der Zählung vorübergehend abwesend. Die Bevölkerungsziffer betrug im Jahr 1885 4632, männliche 2131, weibliche 2501. Die Zahl der Familien hat um 27 abgenommen, dagegen hat die Zahl der in dpr Stadt beschäftigten gewerblichen Arbeiter nahe­zu um 300 Personen zugenommen. In Folge des auffallenden Wohnungsmangels, der zu erheblichem Teil auch seinen Grund in den: Mangel an geeigneten Bauplätzen hat, ist der Zuzug von Arbeiterfamilien erschwert. Dieselben wohnen zum großen Teil in den Nachbarorten.

fAmtliches aus dem Staatsanzeiger.j Infolge der vom 18. bis 28. November abgehaltenen zweiten Lehrerprüfung ist zu Versehung von Schul­diensten für befähigt erklärt worden: Schröter, Johann, Hilfslehrer in Altburg, Bezirks Calw.

Aus dem Oberamt Maulbronn. Schult­heiß Kälber von Wurmberg hat die Kandidatur für das Landtagsmandat angenommen.

Heidenheim, 2. Dez. Die hiesige deutsche Partei hielt gestern ihre Monatsversammlung im Waldhorn. Hiebei berichteten Vorstand A. Hartmann und Fabrikant V. Zöppritz über die Stuttgarter Ver­trauensmännerversammlung. Sodann wurde beraten, was in unserem Bezirk, namentlich in den Landorten, noch geschehen könne zur Durchführung der aus der Vertrauensmännerversammlung aufgestellten Ziele. V. Zöppritz teilte ferner mit, daß die von ihn: ins Werk gesetzte Sammlung für ein Bismarckdenkmal eine Nettosumme von 600 ergeben habe, die er an das Landeskomite eingesendet habe. Bei ver nächsten Versammlung am 5. Jan. wird ein Vortrag gehalten werden über , die Jesuiten und ihre Bestrebungen.

Neustadt a. d. H., 3. Dez. Heute früh wurden drei Kinder eines Bahnwärters im benach­barten Dorfe Haßloch beim Ueberschreiten des Bahn­dammes, nachdem ein Güterzug passiert war, von dem heranbrausenden Gegenzug ergriffen. Die beiden Knaben wurden in Stücke gerissen, dem Mädchen beide Beine abgefahren.

Vermischtes.

Die Lebensversicherungs-und Er­sparnisbank in Stuttgart welche als Gegen­seitigkeits-Institut alle Ueberschüsse an ihre Versicher­ten zurück giebt wird chren Todesfall-Versicherten auf die im Jahre 1886 gezahlten Prämien im Jahre

1891 in Summa 2544274 zurückoergüten, und zwar gemäß Dividenden-Plan -1. I. (Dividende auf Iede Prämie) auf die lebenslängliche Prämie 34"/» und weiter auf die alternative Zusatz-Prämie 17°/»;

II. (Dividende vom 6. Jahre ab) 40 und 20°/«- L. (steigende Dividende) eine um 3°/° der Gesamt- Prämie erhöhte Dividende, welche an den im Jahre 1891 fällig werdenden Prämien in Abrechnung ge­bracht wird. Durch diese Rückvergütung stellt sich,- die Nettoleistung der Versicherten bei Berücksichtigung: der ohnehin billig bemessenen Tarif-Prämien unüber­troffen billig. Die Versicherungsbedingungen der Bank beruhen auf dem Primipe der Unanfechtbarkeit und Unverfallbarkeit. Der Bankfonds beträgt ca. 84 Mil­lionen, die Ueberschuß-Reserve ca. 13 Millionen und die Extra-Reserve ca. 2 Millionen Mark.

Ein Studentenstreich. Aeltere Berliner werden so schreibt man derT. R." sich noch, einer vortrefflichen Wirtschaft in der Nähe der Charitee erinnern, die ihrer Lage wegen viel von Studieren­den der Medizin besucht wurde. Nicht wenig trug dazu der freundliche, joviale Wirt, Herr T., bei, der sich gern mit seinen Gästen unterhielt und mit dem. die Studenten häufig ihren Spaß hatten, den er bei seiner harmlosen Natur fast niemals übel nahm. So wurde ihm einstmal vorgestellt, wie hübsch es klingen und wie sehr es ihn in den Augen des Publikums heben würde, wenn er den Doktortitel erhielte und seine Gäste ihn dann mitHerr Doktor" anreden müßten. Als er hierauf meinte, das wäre ja recht schön, aber er sehe nicht ein, wie das möglich zu machen sei, wurde ihm auseinandergesetzt,Doktor" könne Jeder werden. Es sei nur dazu nötig, bei einer philosophischen Fakultät eine Dissertation einzu­reichen, und die werde man ihn: machen, wenn er ein paar Bowlen spendieren wolle. Der Wirt that dies wirklich. Nachdem aber die Bowlen längst vertilgt waren, erhielt er eines Tages eine gerichtliche Vor­ladung, und als sich nach semem Erscheinen ein Herr eine Weile mit ihn: unterhalten hatte, bekam er in höchlichst überraschender Weise Bescheid, er könne wieder nach Hause gehen, denn man habe sich über­zeugt, daß er nicht geisteskrank sei. Der erstaunte Wirt erkundigte sich natürlich nach der Ursache einer solchen Vermutung und erfuhr nun, daß bei einer deutschen Universität von Herrn T. zwei Abhand­lungen eingegangen seien, überDie Kunst Fliegen zu zähmen und Maikäfer durchzuwintern," verbunden mit der Bitte um Verleihung des Doktortitels. Bei der betreffenden Fakultät waren darob Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Einsenders entstanden und man hatte das Gericht gebeten, denselben auf seinen Geisteszustand hin untersuchen zu lassen. T. war natürlich anfänglich sehr ungehalten über den ihm gespielten Studentenstreich, !aber sein Zorn legte sich bald, und später erzählte er selbst die Geschichte oft mit vielem Vergnügen seinen Gästen.

In denB. N. N." kommt folgendes hübsche Inserat:Hexenheirat! Eine junge, feine, alleinstehende, lustige Dame, jedoch ohne Vermögen, wünscht behufs Verehelichung die Bekanntschaft eines feinen, liebenswürdigen Millionärs zu machen. Nur solche, welche gewünschte Eigenschaften besitzen und den Mut haben, den Kampf mit dem Drachen auf­zunehmen, wollen ihre Briefe senden unter Chiffre Hyäne 8Z117" an Haasenstein L Vogler, A.-G., München."

Der Laternenträger war kein Anderer als der Schiffszimmermann. Als er an die Pumpe kam, überreichte er die Laterne einem Matrosen, während er selbst die Sondierstange hinabsenkte, um die Tiefe des Wassers im Schiffsraum zu unter­suchen. Das Laternenlicht verbreitete einen gelben Schein und die Gestalten der an der Pumpe arbeitenden Burschen und die gebückte Form des Zimmermanns traten wie ein illuminiertes Gemälde aus der Dunkelheit hervor, während man hoch oben im Tauwerk die sich von dem gestirnten Himmel abhebenden Figuren geschäftiger Matrosen erkennen konnte, die an den Raaen baumelten und die Segekgewandung aufrollten. Ich behielt den Zimmermann im Auge und sah, wie er die Stange an­stierte, um die Höhe des eingedrungenen Wassers zu erkunden. Nach einer Weile kam er auf das Hinterdeck und sprach zu Vanderdecken in Worten, die zu leise waren, um von mir verstanden zu werden.

Jmogene hatte mich vor zehn Minuten verlassen und ich stand allein in dem tieferen Schatten, den das nächtliche Dunkel auf dem Hinterdeck in der Nähe des Besantakelwerkes bildete. Mein Herz pochte hastig vor Angst und Erwartung. Von einem Moment zum andern konnte ich nicht sagen, was wohl der nächste Befehl sein möchte, und wenn ja einmal ein leiser Luftzug meine heißen Schläfe zu um­fächeln schien, so zitterte ich, fürchtend, daß es der Vorbote einer frischen Brffe sein könnte. Augenblicklich war cs eine Nacht wie geschaffen zur Flucht, eine wunder­schöne, grabeSstille Nacht, wie sie selbst mein tiefster Glaube an Gottes väterliches Erbarmen nicht zu erhoffen gewagt hatte. So lehnte ich im Schatten, und zwar in einer unbeschreiblichen Erregung ängstlicher Erwartung, daß der Befehl, nach dem ich mich sehnte und den ich doch nach meiner Erfahrung als Mattose kaum erwarten konnte cs sei denn, daß Vanderdeckens Gebräuche denjenigen unserer Zeit nicht entsprächen wohl gar unterbleiben könnte. An der entgegengesetzten Sette des Hinterdeckes ging er selbst, der Herr und Meister dieses Schiffes, langsam auf und Ä; da» Sternenlicht beleuchtete seine wachsbleichen Züge, bisweilen schaute er auf nach obm zu seinen an den Segeln beschäftigten Leuten, ein andere» Mal streifte

sein Blick den Ozean oder er blieb plötzlich gedankenversunken und wie auf der Stelle gebannt stehen, als wenn er irgend einem geisterhaften Flüstern in der Luft über sich lauschte.

Zehn weitere Minuten verflossen. Obwohl sich an allen Ecken und Enden des Schiffes geschäftige Hände regten, so unterbrach doch kaum ein einziger von einer menschlichen Stimme hervorgebrachter Laut die tiefe Ruhe der Nacht.

Eine Figur klomm die Hinterdeckleiter empor und kam langsam näher. Es war Jmogene. Ich rief sie leise beim Namen und sie trat an meine Sette in das Dunkel des Schattens.

Was thun sie gegenwärtig?" forschte sie flüsternd.

Sie falten die Segel! Weiter nichts bis jetzt," gab ich zur Antwort.

Werden sie wohl heute Nacht noch versuchen, das Leck über Wasser zu heben?"

Herzensschatz, ich warte ja eben, um zu sehen, was sie zu thun beabsichtigen."

Ich will Vanderdecken danach fragen," sagte sie;er hat mir bis jetzt meine Fragen immer beantwortet." Ich ergriff ihre Hand:Nein! Er könnte Argwohn schöpfen und denken, ich hätte Dich abgeschickt. Wir wollen lieber scheinbar gleich­gültig ein wenig umherwandeln. Längeres Verstecktbleiben im Schatten möchte uns seinem argwöhnischen Geiste verdächtig machen."

Wir bewegten uns auf das Hackebord zu das Steuer war festgebunden und verlassen und gingen Hann, uns mit gedämpften Stimmen unterhaltend, langsam auf und ab.

Geoffroy, wir werden vielleicht kein Trinkwasser finden, wenn wir das Ufer erreichen. Hast Du dafür Vorsorge getroffen?" fragte sie. Ich erschrak. Ich bildete mir ein, an Alles gedacht zu haben, und doch hatte ich gerade das unentbehrlichste aller notwendigen Bedürfnisse übersehen.

Nein, dafür habe ich leider nicht gesorgt!" rief ich erregt aus.Der Tausends wie das nun gleich machen?"

(Fortsetzung folgt.)