Deutsches Reich.

Berlin, 2. Nov. Als der Kaiser gestern abend gegen 7 Uhr nach Berlin gekommen war, um der Vorstellung im königlichen Schauspielhause beizu­wohnen, stieß ihm ein kleiner Unfall zu. Auf dem Leipzigerplatz stürzten die Pferde des geschlossenen Koupes. Der Kaiser verließ mit dem Adjutanten den Wagen und war persönlich bei der Aufrichtung der Pferde thätig. Nach wenigen Minuten konnte der Wagen die Fahrt wieder fortsetzen.

Berlin, 3. Nov. Der Kaiser begab sich heute zur Hubertusjagd nach dem Jagdschloß Grune- wald. Morgen wird er eine Fasanenjagd auf dem sog. Entenfang bei Potsdam halten und am Don­nerstag Jagdgast des Grafen Philipp v. Eulenburg, des Gesandten in Stuttgart, in Liebenberg sein.

Berlin, 3. Nov. Der Kronprinz und die Kronprinzessin von Griechenland sind hier eingetroffen und wurden von der Kaiserin Friedrich, dem Erbprinzen und der Erbprinzessin von Sachsen- Meiningen, dem Prinzen Leopold und den Prin­zessinnen Viktoria und Margarethe am Bahnhof em­pfangen. Der Kommandeur des Gardekorps Frhr. v. Meerscheidt-Hüllessem, der Kommandant von Berlin Graf Schlieffen und der Polizeipräsident waren bei dem Empfang anwesend. Eine Ehrenkompagnie des zweiten Garderegiments war mit der Bataillonsfahne auf dem Bahnhof aufgestellt. Kronprinz Konstantin trug die Uniform des zweiten Garderegiments. Das kronprinzliche Paar begab sich mit der Kaiserin Fried­rich nach deren Palais.

DieKreuzzeitung" berichtet: Reichskanzler von Caprivi setzt von München am 6. November seine Reise über Verona nach Mailand fort; er wird dort im HotelCavour" Wohnung nehmen. Hr. v. Caprivi wird im nahen Monza vom König Umberto in Privataudienz empfangen werden und einem größeren . Galadiner beiwohnen. Die Zusammenkunft bezweckt in erster Linie ein persönliches Sichkennenlernen der beiden Staatsmänner Caprivi und Crispi. Am 9. oder 10. wird der Reichskanzler in Berlin zurücker­wartet, um der Eröffnung des Landtags beizuwohnen.

Ausland.

London, 3. Nov. DieTimes" melden aus Sansibar von gestern: Der Erfolg der Expedition der Engländer gegen Witu machte auf die Ein­geborenen einen tiefen Eindruck. Die Zahl der eng- lischerseits Verwundeten beträgt 13, sämtlich nur leicht. Der Feind hat 8090 Tote und Verwundete. Unter den aufgefundenen Toten und Verwundeten waren keine Araber, sondern lediglich Sklaven und Einge­borene.

Die IiumMiits- imd Mrsvkrjiihkrnils.

INachdruck verboten-!

Die Botschaft Kaiser Wilhelms I. an den deut­schen Reichstag vom 17. November 1881, zu deren Inhalt sich auch Kaiser Wilhelm II. wiederholt be­kannt hat, stellte die Grundzüge für die von der Reichsregierung angestrebte Sozialreform fest:

Schon im Februar dieses Jahres haben wir Unsere Ueberzeugung aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließ­lich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, diese Aufgabe dem Reichstage von Neuem an's Herz zu legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürg­schaften seines inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen größere Sicher­heit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinter­lassen." .

In Bethätigung der hier angekündigten Sozial­politik sind noch unter der Regierung Kaiser Wil­helms I. zu Stande gekommen und bereits in Geltung: Die Gesetze betreffend dieKrankenversicherung" und dieUnfallversicherung" der Arbeiter.

Die in der kaiserlichen Botschaft enthaltene Ankündigung:

Auch diejenigen, welche durch Alter und Invalidität erwerbsunfähig wer­den, haben der Gesamtheit gegenüber einen be­gründeten ^Anspruch auf ein höheres Maß staatlicher Fürsorge, als ihnen bis­her hat zu Teil werden können" zur Ausführung zu bringen, war Kaiser Wilhelm I. nicht mehr beschieden. Erst Kaiser Wilhelm II. voll­zog am 29. Juni 1889 das nach mühsamen Vor­arbeiten und Beratungen zu Stande gekommene Gesetz betreffend die Jnvaliditäts- und Altersversicherung", wohl das wichtigste und, weil es an allen Vorbildern fehlte, schwierigste der neuen Sozialgesetze.

In Kraft getreten ist von diesem Gesetze bis jetzt erst derjenige Teil, welcher die erforderlichen Vorbereitungen und die Schaffung der nötigen Einrichtungen rc. betrifft. Der Tag, an welchem die Versicherung selbst in Kraft tritt, ist der Be­stimmung durch kaiserliche Verordnung Vorbehalten; man nimmt an, daß es bereits der 1. Januar 1891 sein wird. Hervorzuheöen ist. daß die Vorbe­reitungen für das Jnsleventreten der Jnvaliditäts- und Altersversicherung nicht bloß den Behörden ob­liegen, sondern daß auch die Arbeiter dringende Veranlassung haben, schon jetzt durch Be­schaffung gewisser Zeugnisse Vorbereit­ungen zu treffen, um sich die Vorteile der Versicherung gleich von Beginn des Inkrafttretens derselben zu sichern.

Dies und überhaupt die große, in unser ganzes soziales Leben tief einschneidende Bedeutung des Ge­setzes rechtfertigt den Versuch, in kurzen Zügen einen möglichst klaren Ueberblick über den wesentlichen In­halt des Gesetzes zu geben.

I.

Gegenstand der Versicherung

ist der Anspruch auf Gewährung:

a) entweder einer Jnvaliden-Rente, d) oder einer Alters-Rente, a) Invalidenrente

erhält ohne Rücksicht auf das Lebensalter derjenige über 16 Jahre alte Versicherte, welcher dauernd erwerbsunfähig ist, oder während eines Jahres ununterbrochen erwerbs­unfähig gewesen ist, für die weitere Dauer seiner Erwerbsunfähigkeit.

Es fragt sich nun: Wann nimmt das Gesetz Erwerbsunfähigkeit an und giebt dem-, zufolge den Anspruch auf Invalidenrente? Antwort: Die Erwerbsunfähigkeit braucht nicht eine völlige in dem Sinne zu sein, daß der Versicherte fortan gar nichts mehr verdienen kann; sie soll vielmehr als vorliegend schon dann angenommen wer­den, wenn derselbe durch eigene Lohnarbeit nur noch sehr wenig verdienen kann. Das Gesetz stellt ge­wiss« Grundsätze fest, nach welchen in jedem Falle die Summe des Arbeitsverdienstes berechnet werden kann, welche die Grenze zwischen Erwerbs­fähigkeit und Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Ge­setzes bildet. Z. B. ein Arbeiter wird schwindsüchtig und kann in Folge dessen nur noch gering bezahlte Aufseher- und dergl. Dienste leisten. Für die Be­antwortung der Frage, ob er so erwerbsunfähig ist, daß er Anspruch auf Invalidenrente hat, wird zweierlei in Betracht gezogen: der sechste Teil des jährlichen Durchschnitts-Lohnsatzes, von wel­chem für ihn während der letzten 5 Jahre Ver­sicherungsbeiträge gezahlt worden sind, und der sechste Teil des 300fachen des ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter seines letzten dauernden Beschäftigungsortes. Angenommen jener jährliche Durchschnittslohnsatz betrüge 500 Mark und der ortsübliche Tagelohn eines gewöhnlichen Tage­arbeiters betrüge 1,20 Mark, so wird folgendes Exem-

v . ^ ^ 500 -s- 300 X 1,20 - 143>.

pel aufgestellt: ^ ^ ^

Der in Rede stehende Arbeiter gilt nun im Sinne des Gesetzes als erwerbsunfähig und zum Be­züge der Invalidenrente berechtigt, wenn er durch eine seinen Kräften und Fähigkeiten entsprech­ende Lohnarbeit nicht mehr als 143^/s Mark jähr­lich verdienen kann. Kann er mehr verdienen, so er­hält er keine Invalidenrente.

Wodurch die Erwerbsunfähigkeit ver­ursacht ist, ist im Allgemeinen ohne Bedeutung. Jedoch fällt der Anspruch auf Invalidenrente fort, wenn der Versicherte die Erwerbsunfähigkeit sich vorsätzlich oder bei Begehung eines durch strafge­richtliches Urteil festgestellten Verbrechens zuge­zogen hat, oder wenn er sich der Krankenfürsörge entzogen hat, sofern anzunehmen ist, daß die Erwerbs­unfähigkeit durch dieses Verhalten veranlaßt ist. Ferner fällt diejenige Erwerbsunfähigkeit, welche durch einenUnfall" verursacht ist, für den nach dem Unfallversicherungsgesetze Rente gewährt wird, nicht unter das hier behandelte Gesetz.

(Fortsetzung folgt.)

zuge Ihres Kriegsschiffes und heute Abend in dem Gebühren des französischen Fahrzeuges. Sagen Sie mir doch, rief er erregt mit funkelndem Geflimmer in den Augen,wie man sich den lähmenden Schrecken und die darauf folgende Panik der Mannschaften zu deuten hat, wenn ich nicht glauben soll, daß sie über unsere Nationalität im Ungewissen waren, bis sie unser Verdeck erstiegen und die Besatzung erblickt hatten?*

Ich verbeugte mich ehrerbietig, als wenn ich ihm beistimmte.

Kapitän,* rief Van Vogelaar,ist es nicht wahrscheinlich, daß sie uns für Engländer hielten? Sie zeigten keine Furcht, so lange ihnen die Gesichter unserer Matrosen nicht über unser Land Aufschluß gegeben*

Ein schwaches, verächtliches Lächeln kräuselte Jmogene's Lippen; doch die Entrüstung ihres gut englischen Herzens verwandelte sich schnell in einen Ausdruck des Mitleids und der Traurigkeit, als sie ihre Augen von der kläglichen, häßlichen Figur des Steuermanns auf das majestätische Antlitz des Kommandanten wandte. Aber damit war auch die Unterhaltung zu Ende. Die beiden Männer schmauchten ihre Pfeifen und nippten schweigend aus ihren Silberbechern. Nur Jmogene und ich wechselten von Zeit zu Zeit ein paar Worte.

Jmogene zog sich ungefähr halb zehn Uhr in ihre Koje zurück, Vanderdecken und Van Vogelaar stiegen auf Deck und ich blieb allein zurück, rauchte und ließ die aufregenden Ereignisse des Abends noch einmal vor meinem Geiste vorüberziehen. Dabei brütete ich über Plänen zur Flucht, doch gewann ich dadurch nichts als ein schweres, trübes Herz mit leidenschaftlicher, hoffnungsloser Sehnsucht nach jener zu­künftigen Zeit, wo ich, sicher und wohlbehalten auf dem Boden des geliebten Vater­landes, das zarte, bezaubernde, liebliche Mädchen die blondhaarige Fee diese» Totenschiffes mein Eigen nennen würde!

Ich beeilte mich, die öde, einsame Kajüte, hinter welcher mein Mädchen schlummerte, zu verlassen, und begab mich auf das Verdeck. Düster und niederge­schlagen wie ich war. wollten mich eine Zeitlang Zweifel beschleichen, ob ich auch klug und weise gehandelt, jenen Schrei, der die Piraten verscheuchte, auszustoßen, anstatt mich ihnen zu nähern, sie in Kürze mit meiner Leidensgeschichte bekannt zu machen und um Rettung anzuflehen. Doch ein wenig Nachdenken gab meiner Phantasie bald eine andere Wendung und schon die bloße Idee von Jmogene's

Aufenthalt in der Kajüte des Piratenschooners und in der Gewalt teuflischer, laster­hafter Korsaren erregte mich derartig, daß ich bei meiner Ankunft auf dem Halbver­deck furchtsam über die dunklen Gewässer spähte, um mich zu vergewissern, daß die Schurken nicht etwa, nachdem sie sich gehörig Mur angetrunken, einen zweiten Ueber- fall versuchen würden.

Ich wandcrte von Geländer zu Geländer und strengte meine ganze Sehkraft an, aber nichts war zu sehen als der Schaum der Wogen, der nah und fern auf­blitzte, das Flimmern der glänzenden Sterne gleich funkelnden Himmelsfackeln und der dunkelrote Mond, der an dem westlichen Horizonte stand und ein schwaches Licht herabsandte. Plötzlich ward ich gewahr, daß wir seit meiner Anwesenheit zum ersten Male eine wirklich günstige Brise zu verzeichnen hatten. Aus dem Stande des Kreuzgestirns ersah ich, daß unser Fahrzeug ungefähr Westnordwest anlag, eine Richtung, die uns nach Agulhas und in das Äthiopische Meer bringen mußte.

Für eine Weile übermeisterte mich ein gewisser Grad freudiger Erregung r: Eine Wendung war eingetreten, es war nicht länger ein hoffnungsloses Treiben nach dem Norden, auf das ein baldiges Zurückwerfen in die weiten, einsamen Wasserwüsten des Südens folgen mußte, nein, unser Schiff steuerte der Heimat zu! Aber ebenso schnell und plötzlich wie die Wogen beglückender Hoffnung in mir auf­gewallt waren, sanken sie auch nieder. Heimat? Welch' andere Heimat als diese wilden, unendlichen Gewässer hatte denn das Totenschiff? War es denn nicht für immer und ewig dazu verdammt, durch gekräuselte Wellen oder turmhoch gepeitschte, schäumende Wogenmassen zu steuern, die heulenden Stürme des südlichen Ozeans durch sein Takelwerk rasen zu lassen und nur des Seevogels, der sich auf seinen Waffersurchten schaukelt, des strahlenden Sonnenlichtes und der schneebleichen Scheibe des Mondes ansichtig zu werden? Nein! Ich wenigstens war ein sterblicher Mensch, mit den vollen Verstandesfähigkeiten eines irdischen Wesens ausgerüstet und viel zu gesunden Geistes, um mich durch ein wohlgefülltes Segel täuschen zu lassen. Diese anscheinende Wandlung war zweifellos nur eine trügerische Vorspiegelung zur Ver­schärfung des auf ihnen lastenden schweren Bannfluches. Doch als ich in meine Koje Hinabstieg, murmelte ich ein Gebet, daß sie wenigstens für mich und meinem Geliebte eine günstige Gelegenheit zur endlichen Befreiung bieten möchte.

(Fortsetzung folgt.)