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mit den Zeichen der Liebe überschüttet. Die Kissinger sind darin einig, daß der Empfang und die dem Fürsten gebrachten Huldigungen noch nie so innig waren wie diesmal. Das macht: früher war es liebe Gewohnheit, ihn zu sehen und zu grüßen, jetzt ist der Wunsch allgemein ihm die Liebe auch zu zeigen. In Kissingen waren die Huldigungen auch noch des­wegen interressant, weil sie vielfach einen internationalen Karakter trugen. Mit den Deutschen haben nament­lich die Engländer, aber auch Russen, ja Franzosen gewetteisert, die Allen imponierende und in ihrer milden Güte Viele gleich angenehm enttäuschende Per­sönlichkeit des Fürsten mit Blumen zu überschütten. Bei der Ankunft des Zugs in Schweinfurt war Jung und Alt, Arm und Reich auf dem Oberndorfer Bahnhofe der behäbigen bayrischen Stadt zusammen­geströmt. Und als der Zug des Fürsten hielt, brauste ein Hurrahschreien ihm entgegen, das leidenschaftlichste Liebe und Verehrung zu ihm trug. Es war vom Zuge aus kein Durchkommen bis zum Fürsten. Und so weiß ich nicht, was er auf die Begrüßung erwi­derte. Ich weiß nur, daß sein Hoch dem deutschen Reiche galt. Dann that er den Schweinfurtern, die ihn schon immer einmal bei sich haben wollten, den Gefallen und fuhr auf eine halbe Stunde in ihre Stadt. Aus all den Blumen, die seinen Wagen füllten, hatte er einen einfachen Strauß Haidekraut in der Hand. So fuhr er, überall jubelnd begrüßt, durch die Stadt. Nach einer kleinen halben Stunde kehrte er zurück und die Reise ging weiter nach Homburg.

Ausland.

Wien, 7. Septbr. Die amtlicheWiener Zeitung" veröffentlicht eine kaiserliche Verord­nung vom 6. September, durch welche die Regierung ermächtigt wird, zwei Millionen Gulden aus Staats­mitteln zur Bestreitung der erforderlichen Ausgaben anläßlich der Ueberschwemmungen in Böhmen, Nieder- und Oberösterreich, Schlesien und Vorarlberg zu verwenden.

Rom, 6. Sept. Auf die Einladung des Ge­meinderats von Turin wird Crispi am 28. Sept. einem ihm zu Ehren veranstalteten Bankett beiwohnen und nach demselben alsbald von Turin nach Berlin abreisen, um den Reichskanzler v. Caprivi zu be­suchen.

London, 6. Sept. Der Standard schreibt: Die politische Seite der Reffe des Zarewitsch nach der Türkei ist ebenso wichtig als die zeremonielle Seite. Immerhin verbleibt ein unangenehmes Ge­fühl, da es sicher ist, daß Rußland eine günstige Gelegenheit, sich Konstantinopel anzueignen, nicht un­benutzt vorübergehen lassen werde. Was die Reise des Zarewitsch nach Indien betrifft, so möge die­selbe dazu dienen, ihm begreiflich zu machen, daß, wie unternehmend auch Rußland sein möge, es noch andere Mächte giebt, die reicher und ebenso unternehmend als Rußland sind.

Tages-Ueuigkeiten.

Calw, 8. Sept. Die Einweihung der Sängerhöhe, wozu am Samstag in besonderem Rundschreiben Einladung ergangen war, fand gestern

Unter sehr großer Beteiligung der Licderkranz- mitglieder statt. Die Teilnehmer sammelten sich um 2 Uhr am Pavillon Luginsthal und begaben sich in gemeinschaftlichem Zug auf den neuen Aussichts­punkt. Derselbe liegt auf den: Walkmühleberg, in dem Waldteil Zigeunerberg, zwischen dem verlängerten Schaffotweg und dem von der Saatschule auf den Falkenstein führenden Weg. Durch Anlage von Wegen und Ruhebänken ist die Sängerhöhe ein sehr schöner Platz geworden, und wir zweifeln nicht, daß dieselbe von Spaziergängern gerne aufgesucht werden wird. Man übersieht hier das Oelenderle bis zu der Fabrik Tanneneck, den Bahnhof, die Häuser in der Bahn­hofstraße, die Schafscheuer, den Galgenberg u. s. w. Auf dem Festplatz angekommen, eröffnete der Sänger­chor des Liederkranzes die Feier mst dem Mendelsohn'- schen ChorWer hat dich du schöner Wald", worauf der Vorstand der Gesellschaft, Hr. Kollaborator Bäuchle, die Festrede hielt und ungefähr Folgendes ausführtc: Wenn der Lenz seinen Einzug hält, eilt jedermann hinaus in Feld und Wald, um sich des schönen Anblicks zu erfreuen und die erfrischende, gesunde Luft einzuatmen. Schon die alten Deutschen hatten eine besondere Vorliebe für den Wald, in dem wir ein Bild der Kraft, des Fleißes und der Reg­samkeit verkörpert sehen. Man möchte wohnen unter den Bäumen des Waldes, die dastehen wie ein Volk der Titanen, fröhlich und frei, aus starker Wurzel gegen die Wolken die sonnigen Kronen emporrichtend. Auch dieses neugeschaffene Waldidyll, das die Be­zeichnung Sängerhöhe erhält, ladet den Spaziergänger zum Aufenthalt ein. Und wie hier, so trifft man an gar manchen Orten unseres Schwarzwaldes solch lausch­ige und romantische Stellen, die vielfach an Großartig­keit mit den lieblich wilden Thälern und Felsen der Hochgebirge wetteifern und daher den deutschen Tour­isten zurufen: Was willst Du in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah! Der Schwarzwald und feine biederen Bewohner leben hoch! Die treffliche Rede wurde mit größtem Beifall aufgenomtnen. Fer­ner sprach der verdiente Vorstand, welchem der Verein, wie so manche Förderung, auch die Schaffung dieser An­lage großentei^ verdankt, den bürgerlichen Kollegien für die Herstellung des Weges und dem Hrn. Forstwächter Rüdinger für die Ausführung der Anlage noch den besonderen Dank aus. Hr. Oberamtstierarzt Leytze widmete den Sängern ehrende Anerkennung. Die Teil­nehmer lagerten sich auf dein weichen Moosrasen und bald entwickelte sich ein heiteres, anmutiges Leben und Treiben. Der Liederkranz trug verschiedene Chöre vor, die ihres Eindrucks auf die Zuhörer nicht ver­fehlten. Die verabreichten Speisen und Getränke verdienten alles Lob. Dank der guten Witterung konnten sich die Mitglieder bis 5 Uhr im Walde aufhalten, worauf höchst befriedigt die Rückkehr zur Stadt erfolgte. Wir empfehlen zum Schluffe die neuen Anlagen dem Publikum zum Besuch, aber auch zum Schutz und zur Schonung.

Calw, 8. Sept. Theater. Gestern Sonn­tag abend ging vor voll besetzten SitzreihenMadame Bonivard" über die Bühne. Die Aufführung zeigte durchweg zutreffende Verteilung der Rollen, der Vor­trag ging schlank und fließend und zeugte von guter Einstudierung. Den Mitwirkenden wurde nach jedem Akte reicher und wohlverdienter Beifall zuteil.

Der Gewittersturm am 2/. Augusts Der Gewittersturm am Mittwoch den 27. abends- hat das ganze Land, am wenigsten das Oberland be­troffen, stark aber dann schon wieder das Bodensee- Ufer. Uebereinstimmend wird berichtet, daß der Sturm aus Südwest kam. Dem gegenüber ist sehr auffällig, daß die Ausbreitung des Sturm nicht in der Rich­tung südwestnordostwärts, sondern westostwärts, ja sogar Westnordwestostsüdostwärts erfolgte. Die frühesten Wahrnehmungen stammen demnach aus Dobel, OA. Neuenbürg, 5 Uhr 48 Min. und Schömberg, OA. Neuenbürg 5 Uhr 51 Min., um 6 Uhr wurde die Linie Neuhengstett, OA. Calw, Aichhalden, OA. Calw, Freudenstadt, Winzeln, OA. Oberndorf erreicht. Innerhalb 2'/- Stunden wurde das ganze Land in Mitleidenschaft gezogen, zuletzt das Allgäu, einzelne Bezirke - etwas weniger; m vielen aber wurde volle Sturmesstärke erreicht, Bäume entwurzelt, Kamme umgeworfen. Viel, streckenweise sogar sehr viel Obst, wurde unreif abgefchüttelt. Vielenorts, wie in Fried­richshafen, war der Boden förmlich übersät mit ab­geknickten Aesten und Zweigen. Auch die Hopfen­pflanzungen litten Not. In Großbottwar wurde ein beladener Garbenwagen umgelegt, sogar dis Dächer haben vielfach Schaden genommen. Von Friedrichs­hafen wird berichtet, daß dem Sturm seit vormittag Föhn vorangegangen war. Abends wurde auf dem Bodensee der Sturm so bedenklich, daß das Dampf­boot sich in den Hafen-von Langenargen flüchtete und erst nach zwei Stunden seine Fahrt nach Friedrichs­hafen wieder aufzunehmen traute. Staatsanz.

Aus Stuttgart, 4. Sept., wird dem Frkf. I. geschrieben: Trotz gegenteiligen Zeitungs­meldungen kann jetzt auf das Bestimmteste versichert, werden, daß das Abschiedsgesuch des komman­dierenden Generals v. Alvens leben genehmigt, ist, und daß derselbe bis Anfang Oktober die Woh­nung im Gebäude des Generalkommandos räumen wird. Von einer Wiederanstellung des Generals in Preußen scheint, wenigstens für die nächste Zeit, ab­gesehen zu werden, denn Herr v. Alvensleben unter­nimmt mit seiner jungen Frau eine längere Reise- nach dein Süden.

Stuttgart, 6. Sept. Kartoffelmarkt:. Zufuhr 800 Zentner. Preis 2 50 bis 3 ^

pr. Ztr. Krautmarkt: 3000 L-tück Filderkraub 1218 pr. 100 Stück. Mo st ob st: Wilhelms­platz. 500 Ztr. Preis 2 -V/ 50 -rH bis 3 -H,

pr. Ztr.

Ludwigs bürg, 5. Sept. Am Mittwoch vormittag veranstaltete der Verein zur Züchtung reiner Jagdhundraffen in Württemberg bei Kornthal erst­mals eine Preis suche für Hühnerhunde. Das interessante Schauspiel hatte gegen 200 Zuschauer angelockt und die Sportwelt war stark vertreten. Als Preisrichter fungierten für deutsche Vorstehhunde- Hofmarschall v. Plato, Graf Degsnfeld-Cannstatt und Stahl-Tübingen, für englische Vorstehhunde und Grif­fons: Hofmarschall v. Plato, Hauptmann Lutz-Ulm und Stahl-Tübingen. I. Puppensuche für deutsche Vorstehhunde; Baron v. NeurathsBekas" erhielt, den 1. Preis, den 2.Hex" des Hauptmanns Lutz- Ulm. II. Preissuche für ältere deutsche Vorstehhunde. Den 1. Preis erhielt der Hund des Dr. Hofmann, Senta", von: Verein für Züchtung reiner Jagdhund­

ward ich an ihr ein unerklärliches Etwas gewahr, welches mich überzeugte, daß ihr Herz dem weinigen sich näherte, und dies vielleicht umso schneller, da wir Beide unter den körperlichen Schatten der Totenschiffbesatzung allein als sterbliche Menschen weilten. Ich fühlte die Bedeutung dieses uns verknüpfenden Bandes umso mehr, wie ich auf die in der Ferne am Kompaß schwach sichtbar werdende Figur Vander- deckens, die geisterhaft dunklen Formen des zweiten Maats und den an einen vom Winde hin- und herbewegten Leichnam erinnernden Steuermann hinblickte und an die schauderhaften, unheimlichen, kaum noch menschenähnlichen Geschöpfe dachte, die sich in der Finsternis des Vorderdecks verloren oder in ihren Hängematten schlum­merten, vorausgesetzt daß sich auf Augen, denen sich zu nähern sogar dem Tod ver­boten war, wenigstens die Wohlthat des Schlafes senken durfte. ES war mir, als^ ob Jmogene auf der einen und ich auf der andern Seite eines Grabes stünde und wir uns zur Ermutigung, die wir in warmem, pulsierendem Blute fanden, über der Oeffnung, welche den Blicken in die Tiefe einen hcrzerstarrenden Anblick bot, die Hände reichten.

Und wir werden doch entkommen fürchten Sie nichts!" unterbrach ich, meinen Gedanken lauten Ausdruck gebend, das Schweigen, wie wenn wir uns eben über dieses Thema unterhalten hätten.

Möge unser Erlöser es gewähren!" rief sie aus.Schauen Sie, wie schwarz und düster das Gewässer ringsum das Schiff macht, trotz der überall glühenden seltsamen Flämmchen!"

Ich fühlte, wie ein Schauer durch ihren Körper zog, als sie fortfuhr:O, dieses schreckliche Fahrzeug scheint mir jeden Tag schrecklicher zu werden, vielleicht nur, weil wir so oft davon gesprochen und Ihre auf Vanderbecken und die Mann­schaft bezüglichen Ansichten in mir so gräßliche Gedanken geweckt haben."

Wir werden doch entkommen!" wiederholte ich erregt und heftig, denn schon der bloße Gedanke an unsere Gefangenschaft und die Hilflosigkeit unserer jetzigen Lage, deren Ende nicht abzusehen war, machte mich so rasend, daß ich die Laune in mir fühlte, den leibhaftigen Teufel selbst, wenn er erscheinen sollte, herauszufordern,

zu höhnen und in's Gesicht zu speien! Ihre rechte Hand hatte ich gegen mein Herz gepreßt und ich merkte, daß es ihr Trost und Mut einflößte. So standen wir denn geraume Zeit schweigend zusammen und ließen unsere Blicke über das Schiff schweifen.. Und cs bot einen Anblick, der Einen schaudernd zurückbeben ließ! Mein warm­fühlendes Seemannsherz erstarrte eisig in Schauer und Grausen, als ich den schwach­funkelnden, uralten und doch unvergänglichen Schiffsrumpf musterte, der so unnatür­liche Geschöpfe in seinem Innern barg, wie ähnliche nirgendwo auf dem weiten Erdenrund von einem Menschenauge geschaut wurden, und der sein Gefüge vom altersgrauen Segel- und Mastmerk zu den Sternen emporstreckte, deren Strahlen in Blau, Grün und Weiß an den von der Schwellung geschaukelten Naaen entlang tänzelten. Ist es da ein Wunder, wenn cs dem Seemann, der ihm auf den ein­samen Pfaden des weiten Ozeans begegnet, Furcht und Schrecken und Grausen einflößte L

Meine Gedankenthätigkeit drohte sich zu verwirren, und leidenschaftlich drückte ich meine Hand gegen die Stirn.O," flüsterte ich, ganz außer mir, meiner Ge­fährtin zuich träume gewiß nur. Es kann, es kann nicht sein, daß ich in diesem. Momente auf dem Deck des Totensch-ffes stehe!"

Sie suchte mich zu besänftigen, doch mein Benehmen beunruhigte sie augen­scheinlich. Glücklicherweise brachte mich diese Wahrnehmung alsbald wieder zu- mir selbst.

Wenn sie als ein schwaches und einsames Mädchen fünf Jahr« ihres Lebens, unter diesen Schiffsinsassen tapfer aushalten konnte, was für eine Memme war ich, wenn schon eine siebentägige Gemeinschaft, die ich noch dazu größtenteils in ihrer Gesellschaft verbracht hatte, mein Gehirn zu verwirren im Stande war? Der Him­mel möge mir verzeihen, aber mir däucht, ich vergegenwärtigte mir unsere Lage mit einer außerordentlich verschärften Einsicht, die sowohl auf die Gegenwart bezüglich sowie zugleich prophetisch war, und wie sie ihr schwerlich innewohnen konnte, da ihre- Seekenntnisse nur dem Kindesalter entstammten und sie seitdem in Vvnderdeckens Hände gefallen war.

(Fcrtsetzung folgt.)