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Westen, nach Mezieres und Montmedy keinen Aus­weg hatte. Die Straße nach Belgien war noch frei und an diesem Abend hätte der Marschall jedenfalls noch einen großen Teil der Armee, wenn nicht die ganze nach Belgien hinüber retten gekonnt; allein dieser Ausweg war denn doch ein so wenig militäri­scher, daß er davon absah uno lieber die Schlacht aufnahm. Auch die deutschen Truppen hätten wohl nach den anstrengenden Märschen einen Ruhetag nötig gehabt, allein die ganze Sachlage drängte zur Ent­scheidung und so ergingen denn am Abend vom Hauptquartier zu Vandresse die Befehle für den fol­genden Tag, während französischerseits im Angesicht der Katastrophe eine Gesamtdlsposition nicht mehr gegeben ward und auch kaum noch, den Umständen nach, gegeben werden konnte.

Die Festung Sedan liegt in einem Thale, im Osten von Höhenzügen, im Westen von der Maas begrenzt. Oestlich ziehen sich die Dörfer Givonne, Daigny, la Moncelles, Bazeilles hin, nordwestlich liegt das Plateau von Jlly und der Bach von Floing. Innerhalb dieses Halbkreises und auf Höhen, hinter sich die Festung Sedan, standen die französischen Truppen. Die Aufgabe der deutschen Truppen war nun, um es in kurzen Worten auszudrücken: Die Maasarmee hatte die Franzosen in der Front anzu­greifen, während die 3. Armee, den Krümmungen der Maas entlang, die Franzosen zu umgehen trachten mußte, um sich mit dem nördlichen Flügel der Maas­armee zu vereinigen. Gelang diese Vereinigung, die bei Jlly stattfinden mußte, so war die gesamte fran­zösische Armee eingeschlossen und rettungslos verloren.

Den Kampf eröffnet« am 1. September in aller Frühe ein Angriff der Baiern auf den rechten französischen Flügel (Korps Lebrun) bei Bazeilles. Es war einer der wütensten Kämpfe in diesem Kriege, bei dem den Deutschen die beste Truppe des feind­lichen Heeres, französische Marineinfanterie, gegen­überstand. Sechs Stunden, mit kurzen Unterbrech­ungen, dauerte das erbitterte Fechten in dem bren­nenden Dorfe; einzelne der Bewohner des Dorfes beteiligten sich an dem Kampfe oder vergriffen sich auf barbarische Weise an den Verwundeten, was denn seitens der Baiern, als sie endlich siegreich waren, entsprechende Repressalien hervorrief. Um sieben Uhr, als der Kampf am heftigsten tobte, erschien Mac Mahon selbst auf der Höhe. Er ward von einem Granatsplitter getroffen, mußte hinweggetragen wer­den und General Ducrot übernahm den Oberbefehl. Für Mac Mahon war es ein glücklicher Zufall, daß er auf diese Weise der Notwendigkeit überhoben wurde, die Schlacht als Oberbefehlshaber zu ver­lieren; für die französische Armee war es ein böser Zufall, da dieser Wechsel im Oberbefehl Unordnung und Verwirrung hervorrief. General Ducrot ließ sofort den Intentionen des Marschalls gegenteilige Operationen vornehmen, die übrigens nicht unrich­tig waren; sehr bald aber verlangte und erhielt General Wimpffen, der erst am 30. August aus Afrika zurückgekehrt war, als der älteste General den Oberbefehl. Dieser ließ wieder anders operieren und so wurde diese Verteidigungsschlacht eine Ver­zweiflungsschlacht, ein bloßer Kampf um die mili­tärische Ehre. Und diese, das muß man dem Feinde zum vollen Lobe anrechnen, suchten die Franzosen möglichst zu wahren; sie hielten sich außerordentlich tapfer und die deutschen Truppen mußten, nament­lich am Vormittag, jeden Fußbreit Bodens hartnäckig erkämpfen.

Inzwischen wogte der Kampf bereits nördlich

von Bazailles bis Givonne, wo die Sachsen und die preußische Garde standen. Um 10 Uhr war Ba­zailles und Daigny in den Händen der Baiern und Sachsen und etwa eine Stunde später auch Givonne in den Händen der Garde. Bereits waren eine An- ahl Geschütze und eine nahmhafte Menge von Ge­angenen in den Händen der deutschen Truppen. Um 11 Uhr vormittags war auf dem östlichen Teile des Schlachtfeldes, auf der ganzen Seite der Maasarmee, der Erfolg ein sichtbarer; die Franzosen waren von dieser Seite bereits auf Sedan zurückaedrängt und an einen Durchbruch war hier nicht mehr zu denken. Die deutschen Truppen lagerten bereits im Givonne- thalgrunde und waren hieraus nicht mehr zu ver­drängen. Kaiser Napoleon hatte sich auf diesem Teile des Schlachtfeldes wiederholt und längere Zeit dem Kugelregen ausgesetzt; um 10 Uhr begab er sich, körperlich und geistig total erschöpft, nach Sedan zurück, wo er sich bereits auf dem Wege durch ein­zelne fliehende Truppenteile hindurcharbeiten mußte. General von Wimpffen überzeugte sich, nachdem die Gegend von Bazailles bis Givonne vom Feinde be­setzt war, daß die Katastrophe nahte und daß der eiserne Ring sich immer dichter schloß. Noch am Morgen hatte er vomFeind in die Maas werfen" gesprochen; nun war die Sache anders gekommen.

Zwischen Jlly und Floing, im Norden von Sedan, stand der linke französische Flügel. Diesen zu schlagen, mußte die Aufgabe der Armee des Kron­prinzen von Preußen sein, wenn die Vereinigung mit der Maasarmee ausgesührt werden sollte. Um 8 Uhr morgens war das 11. Armeekorps und etwas später das 5. Korps in die Nähe des feindlichen linken Flügels gekommen und es gelang zunächst, eine mächtige Artillerie auf die Höhen von St. Menges zu bringen und so den Kampf gegen Floing zu Er­öffnen. Aber um 10 Uhr morgens war die deutsche Truppenmacht auf dieser Seite noch so gering, daß ein energischer Vorstoß von französischer Seite leicht auf den Gang der ganzen Schlacht hätte einwirken können. Dieser Vorstoß wurde nicht gemacht, wenig­stens nicht mehr zur rechten Zeit. An einem Punkte kam das Gefecht fast 1Stunden lang zum Stehen. Um I V- Uhr mittags war soviel Verstärkung für den linken deutschen Flügel herangekommen, daß man zum energischen Angriff, der auch der entscheidende Teil der Schlacht wurde, übergehen konnte. 17 Ba­taillone drangen vor, denen die französische Kavallerie entgegengeworfen ward, ein zwar totesmutiger, von höchster Tapferkeit zeugender Angriff, der aber das Vordringen der deutschen Armee nicht mehr hindern konnte. Die tapferen Reiterschaaren kehrten aufgelöst und in wilder Flucht zurück und diese mißglückte Attacke trug nicht wenig dazu bei, den Mut der fran­zösischen Infanterie zu lähmen. Um 2 Uhr waren die Höhen von Floing bereits in deutschen Händen.

Der Maasarmee gegenüber führte den Befehl in der Schlacht General Wimpffen selbst. Die Fran­zosen hatten auf Balan zurückgehen müssen, das gleichsam nur als ein Fort von Sedan zu betrachten ist. Immer größer war die Ermattung und Er­schöpfung der Truppen geworden und gegen Mittag war auch Balan in den Händen der Baiern, während die Franzosen bereits nach Sedan flüchteten. Der Plan des General Wimpffen war dahin gegangen, sich noch bis zur Nacht zu halten und dann einen Durchbruch zu versuchen. Aber bereits zwischen 2 und 3 Uhr nachmittags sah er, daß alles verloren war und nun machte er dem Kaiser Napoleon den Vorschlag, einen Durchbruch nach Montmedy zu

würde, ob sie jemals England oder irgend ein anderes zivilisiertes Land Wiedersehen würde, falls Vanderdecken in Folge seiner väterlichen Zuneigung und seiner Ueber- zeugung, daß er den heimischen Hafen bald erreichen müsse und nur eine zeitweilige Hemmung durch den widrigen Nordwest ihn aufhalte, sie von sich zu lassen ver­weigerte. Sie versicherte mir, daß sie manchmal gefürchtet habe, ihre Muttersprache zu vergessen, und daß ihr nichts als das Altholländische, dessen sich Vanderdecken und seine Leute bedienten, verbleiben würde. Um diesem Unglück vorzubeugen, habe sie regelmäßig jene Sammlung englischer Gedichte, die ein glücklicher Zufall unter des Kapitäns Bücher verschlagen, durchgelesen. Ihr Hauptkummer bestehe darin, daß eS statt eines Gedichtbuches nicht die Heilige Schrift wäre, aber sie wisse noch viele Gebete und Choräle, dir ihr einst die Mutter gelehrt, auswendig, und diese vergäße sie niemals des Morgens und Abends zu wiederholen.

Meine verehrten Leser würden tief gerührt gewesen sein, hätten sie diese ihre Worte hören, die über ihr ganzes Wesen ausgegoffene Traurigkett und Wehmut beobachten, die mädchenhafte, reine Unschuld ihres von ungeweinten Thränen um­flotten Blickes sehen können, und dabei sich erinnert hätten» wie sie ihrer schönen Jugendzeit beraubt geworden, wie schrecklich langwellig und öde jene fünf Jahre gewesen sein mußten, die sie an Bord des Totenschiffes und in Gesellschaft dieser unheimlichen Wesen verbracht hatte. Ich erinnere mich noch, sie gefragt zu haben, welcher Religion Vanderdecken angehöre; sie antwortete darauf, daß sie darüber nicht ganz gewiß sei, aber sie habe ihn bezüglich seines Weibes und seiner Familie sprechen hören, daß sie in die Ondr Kerk gegangen wären.

Wahrlich, Herr Fenton," sagte sie,ich glaube, daß er überhaupt keinem Glaubensbekenntnis angehött, oder angehött hat- Van Vogelaar ist ein Calvinist;

wagen, um wenigstens den Kaiser zu retten. Dieser aber, die Nutzlosigkeit des Wagnisses einsehend, seiner Person wegen das Leben so vieler Soldaten zu opfern, lehnte ab. Wimpffen versuchte den Durch­bruch mit 6000 Mann, die er noch zusammenraffte, selbst; allein zweimal wurde er zurückgeschlagen, so daß im nichts übrig blieb, als sich ebenfalls nach. Sedan zurückzuziehen.

Um 3 Uhr nachmittags hatte die preußische- Garde, die nördlichste Spitze der Maasarmee, ihre- Vereinigung mit der dritten Armee (Kronprinz von Preußen) bei Jlly, wie es vorausgesehen, bewerk­stelligt und damit war im Wesentlichen die Schlacht, wenttHon nicht überall der Kampf, beendet. Die Ordnung auf französischer Seite, die sich längst ge­löst, artete nun in wilde Flucht aus. Kein Heer mehr, ein wirrer Haufe von allen Waffen flutete, nur vom Instinkt der Selbsterhaltung getrieben, von da und dort einschlagenden Granaten zur Eile gehegt, nach Sedan zurück, dessen Thore sich mit Menschen und Fuhrwerk stopften. Um 4 Uhr gab es auf dem weiten Schlachtfeld kaum noch ein einziges schlag­fertiges französisches Bataillon. Und wenn das Schlachtfeld schon einen hoffnungslosen Anblick darbot, Abteilungen, welche die Waffen streckten oder weg­warfen, Verwundete, Tote, Geschütze, Fuhrwerke ledige Pferde, so war der Anblick der Straßen von Sedan selbst noch kläglicher: ein Chaos von. Menschen, Pferden, Wagen, Geschützen, die rettungs­los und hoffnungslos im Bereiche der deutschen Ge­schütze lagen, die, 600 an der Zahl, ihre Mündungen nach der Stavt hin richteten. Vernichtung oder Er­gebung, ein drittes gab es für die zertrümmerte und eingeschlosiene kaiserliche Armee nicht mehr.

Die Schlacht bei Sedan war eine der längst­dauernden unter den großen Schlachten der Neuzeit; denn es wurde in ihr von 6 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags ununterbrochen gekämpft.

Von 4 Uhr nachmittags ab des 1. September gab es für den Kaiser der Franzosen, dessen Thron zugleich mit dem Heere in Trümmer fiel, nur noch ein Verdienst zu erwerben: nutzloses Blutvergießen zu verhindern und für die Armee thunlichst günstige Kapitulationsbedingungen zu erreichen. Schon um 3 Uhr hatte Napoleon die Parlamentärflagge aufziehen lassen, die jedoch von der Umgebung bald wieder ent­fernt wurde. Als um 5 Uhr noch immer keine An­zeichen der Uebergabe erfolgten, fingen bairische Bat­terien an, die Festung zu beschießen. Nun schickte- König Wilhelm einen Offizier mit der Aufforderung zur Kapitulation. Dieser fand in Sedan zu seiner und der deutschen Armee nicht geringer Ueberraschung. den Kaiser Napoleon vor und abends 7 Uhr erschien vor dem König von Preußen der kaiserliche General­adjutant Reille mit einem eigenhändigen Brief Na­poleons. Der Brief enthielt die wenigen Worte:. Da ich nicht inmitten meiner Truppen habe sterben können, so bleibt mir nichts übrig, als meinen Degen, in die Hände Ew. Majestät zu übergeben." Der König von Preußen antwortete, daß er die Umstände bedaure, unter denen er und der Kaiser sich wieder, begegnen und daß er ihn bitte, einen Offizier zu be­stimmen, der mit den nötigen Vollmachten versehen sei, um über die Kapitulation der Armee zu ver­handeln. In der Nacht auf den 2. September trafen dann in Donchery Graf Moltke und General Wimpffen, denen sich Graf Bismarck und einige Generalstabs­offiziere zugesellten, zusammen. Moltke legte ruhig, ohne Uebertreibung, aber auch ohne Schonung, die Lage dar und verlangte Niederlegung der Waffen,

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er sagte es mir eines Abends selbst, als ich mein Erstaunen darüber äußerte, daß Antony Jans ein Katholik sei, da es mir unmöglich war, dieses Mannes Wohlbe- leibthett mit den Kasteiungen und Fastenlehren seines Glaubens in Einklang zu bringen."

Darüber dürste kein Zweifel herrschen," entgegnete ich ihr,daß Vander» decken während seiner eigentlichen Menschheit ohne Religion war. Sein heftiger Trotz und die darauf folgende Verdammung beweisen zur Genüge, daß seine Thaten nicht aus vorübergehender Leidenschaftlichkeit, sondern tiefster Sündenverderbnis der Seele entsprangen. Und doch hätte man vermuten sollen, daß ein Holländer, wie sündhaft er auch immer im Geheimen sein mochte, mit mehr.Besonnenheit und Klug­heit nach Außen aufgetreten sein würde als es dieser Schiffsherr gethan."

Ich meine, er würde wahrscheinlich vorsichtiger und besonnener gewesm s ein," sagte Jmogene,wenn er gewußt hätte, was die Folgen sein würden."

Auf solche und ähnliche Weise und unter derartiger Unterhaltung versuchten wir uns die Langewelle jener sechs stürmischen Tage zu vertreiben. Doch jetzt komme ich zu anderen Gegenständen.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Z>er Sturm legt stch.

Am sechsten Tage sagte Vanderdecken während des Mittagessens, er glaube, daß wir nun das Schlimmste von Sturm hinter uns hätte». Der Wind begann allmählich nachzulaffen und hier und da machte sich zwischen dem Sturmgewölk am Firmament ein mattes Hell bemerkbar, gleich dem schwachen Ausdämmern besserer Witterung, die jedoch noch unzählige Meilen von uns entfernt lag.

Ich werde mich freuen, wenn die Sonne wieder scheint," sagte Jmogene. (Fortsetzung folgt.)