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lieber den Besuch des Kaisers Wilhelm in Osborne schreibt derNord", er glaube an eine enge deutsch-englische Freundschaft, aber nicht an die Existenz eines deutsch-englischen Vertrages und auch nicht an den Beitritt Englands zur "Tripel-Allianz. Dies wäre allen britischen Traditionen entgegen. Unter diesem Vorbehalte sei die englisch-deutsche Freundschaft eine Wohlthat und eine Bürgschaft für den Frieden. DerNord" bespricht gleichzeitig das Reskript des Zaren an den Kriegsminister Wannowsky, be­tont die friedliche Tendenz dieses Schreibens und hebt Art und Weise hervor, wie der Kaiser den bewaffneten Frieden charakterisierte und wie er die Rüstungen durch die ökonomischen und Wohlstandsbedingungen der Nation beschränkt wissen will; dies sei eine neue und originelle Auffassung, die Europa mit dem be­waffneten Frieden aussöhnen müßte. In einem Petersburger Briefe desNord" wird die Lösung der bulgarischen Bischofsfrage in Macedonien be­sprochen. Die Türkei geht nach Ansicht des Korre­spondenten infolge ihrer Nachgiebigkeit dem Abgrunde entgegen, sie bereite das Ende ihrer Herrschaft in Europa vor. Auf die Angriffe derTimes" wegen der Judenverfolgungen in Rußland erwiedert der Korrespondent, dieTimes" möchte sich lieber mit der Lage der Irländer beschäftigen. In dem politischen Bulletin desNord" wendet sich derselbe gegen ähn­liche Angriffe desFigaro".

Tages-Neuiykeiten.

Calw, 14. Aug. Viehmarkt. Der heutige Markt zeigte geringe Zufuhr. Es waren zugebracht 852 Stck. Rindvieh und 18 Pferde. Fette Ochsen und sonstige fette Ware fand zu guten Preisen raschen Absatz. Arbeitsochsen waren weniger begehrt, dagegen wurden trächtige Kühe und Melkvieh, ebenso schönes Zuchtvieh, viel gehandelt und gut gezahlt. Höchster Preis für 1 Paar Ochsen mit 2820 Pfd. lebend Gewicht 1010 Pferdehandel unbedeutend. Auf dem Schweinemarkt wurden für Läufer als höchster Preis 90 pr. Paar und Milchschweine mit 2536 das Paar bezahlt. Namentlich vom

Gäu war die Zufuhr eine geringere, da man dort schon stark in die Oehmd- und Fruchternte eingetreten ist. Infolge der auf den heutigen fallenden bedeuten­den Märkte, wie Vaihingen a. E. u. s. w., waren wenige Händler vertreten.

n. Neubulach. Wie seit mehreren Jahren, so wurde auch Heuer wieder unserem Städtchen eine Stuttgarter Ferienkolonie zugeteilt. Am 25. Juli zogen 15 Knaben unter Führung des Herrn Schul­lehrer Fischer hier ein. Im Gasthaus zum Lamm wurde Ouartier genommen. Wenn man bedenkt, welch mangelhafte Nahrung diese Kinder oft zu Hause erhalten, so muß man den edlen Menschenfreunden, die das Institut der Ferienkolonien ins Leben ge­rufen, wie auch denjenigen, die dasselbe durch Geld­beiträge nachdrücklichst unterstützen, den herzlichsten Dank sagen. Täglich zweimal werden mit den Kindern Spaziergänge in den Wald unternommen, an heißen Nachmittagen wird in einem benachbarten Weiher gebadet. Unsere kräftige Bergesluft verbun­den mit reichlicher und nahrhafter Kost hat auch ihre Wirkung auf die Knaben nicht verfehlt und neuge­stärkt werden sie am nächsten Montag wieder in Stutt­

gart eintreffen. Auch in dem benachbarten Schön­bronn ist eine Knabenkolonie, während in Effringen eine Mädchenkolonie sich befindet.

Stuttgart, 10. Aug. DemSchwäbischen Merkur" geht die Nachricht zu, daß in den letzten Tagen Ingenieur Daimler mit Geheimem Kom­merzienrat Duttenhofer in Rottweil und mit Fabrikant Lorenz, früherer Besitzer oer Patronen­fabrik Karlsruhe (durch Kauf an Lewy u. Cie. in Berlin übergegangen), eine Gesellschaft gebildet, welche beabsichtigt, für den Betrieb des Daimler'schen Motors eine große Fabrikanlage in Cannstatt zu be­gründen. (Der Aufsichtsrat dieser neuen Aktienge­sellschaft besteht aus den Herren Geh. Kommerzienrat Duttenhofer- Rottweil Vorsitzender: Ingenieur D a imler - Cannstatt Baurath Groß- Eßlingen, Dir. Lorenz-Karlsruhe, Geh. Kommerzienrat Dr. Steiner-Stuttgart. Neben der Vergrößerung der seitherigen Daimler'schen Fabrik in Cannstatt ist auch die Errichtung einer Zweigniederlassung im ehem. Kloster Nottenmünster in Aussicht genommen, falls sich mit dem K. Finanzministerium bezüglich des Kauf­preises eine Vereinbarung erzielen läßt.)

Tübingen, 11. Aug. Das Opfer einer brutalen That ist am Samstag vormittag Gutleut­hausvater Koch geworden. Ohne besondern Anlaß versetzte ihm der Taglöhner Schöffel aus Urach ^us Zorn darüber, daß er nicht ohne Erlaubnis das Haus verlassen durfte, einen Stich in die Herzgegend, der eine erhebliche Verletzung bewirkte. Schöffel, der müh­sam an Krücken geht, wurde in Haft gebracht. Am Samstag vormittag entsprang der hier in Haft befindliche Raubmörder Mickeler von Rotten­burg, indem er, als der Arzt kam, um einen andern Gefangenen zu behandeln, die Gelegenheit benützte, aus der Zelle entwich und am Blitzableiter sich hinab­ließ, wobei ihm die Kleidung total zerrissen wurde. Polizeiunteroffizier Junghans machte sich sofort, nach­dem er in einem Hause der Neckarhalde Zivil ange­legt, auf die Verfolgung des Entsprungenen, der über die Neckarhalde den Weg nach dem Spitzberg ge­nommen hatte. Mit Hilfe des Dieners der Verbin­dungSchottland", August Weyershausen, gelang es auch, den Mickeler einzuholen, zu binden und wieder ins Gefängnis einzuliefern.

Freuden st adt, 10. Aug. Gestern mittag entlud sich über die Stadt ein großes, mit Hagel ver­bundenes Gewitter. Der Blitz schlug in das Gast­haus zum Dreikönig. Von den dort bei einer Hoch­zeit versammelten Gästen wurde ein junger Mann, Bruder der Braut, betäubt, daß er zu Boden stürzte.

Zell, O-A. Kirchheim, 11. Aug. Der durch das Hagelwetter vom 2. Aug. auf den Mark­ungen Zell und Pliensbach verursachte Schaden ist nach der vorgenommenen amtlichen Schätzung leider ein überaus großer. Es wurde festgestellt, daß am Dinkel und Weizen 7, 8 und 9 Zehntel, am Haber 5, 7 und 8 Zehntel und an der Gerste 7 und 8 Zehn­tel vernichtet sind. Der Schaden am Obst und den Brachfrüchten ist verhältnißmäßig nicht geringer und die Not wird, zumal bei dem ärmeren Teil der Be­völkerung, groß werden.

Gmünd, 11. Aug. Das Schwäb. Kreisturn­fest hat am Samstag abend mit dem Kreisturntag begonnen, nachdem schon am Freitag der Einzug der

Turner begonnen hatte. Beim Kreisturntäg führte- Rob. Langer-Biberach den Vorsitz, Oberbürgermeister. Untersee wohnte demselben an. Nach dem Jahres- bericht zählt der Schwäb. Turnerkreis über 19 000- Mitglieder; als neuer 15. Gau ist der Gau Zollern- Schalkenburg hinzugetreten. An Stelle der abtreten­den Mitglieder des Ausschusses Nägele-Stuttgart,. Albrecht-Ravensburg, Frey-Ulm, Zweigle-Gmünd wurden gewählt Schwarz-Eßlingen, Hoffmeister-Lud-- wigsburg, Georgii-Calw, Nau-Göppingen. Einstimmig: wurde beschlossen, das nächste Kreisturnfest in Hall, zu feiern. An Ihre Majestäten wurde fol­gendes Telegramm abgesandt:Die zum 30. Kreis'-- turnfeste in Gmünd versammelten Turner Schwabens senden Eurer Majestät und hoher Gemahlin innigstes Gut Heil!". Darauf traf folgende Antwort aus dem K. Kabinett ein:Ihre Majestäten der König und die Königin lassen den zum Kreisturnfest in Gmünd versammelten Turnern Schwabens für die dargebrachte Huldigung höchst Ihren gnädigsten und freundlichsten Dank aussprechen, zugleich frohen Ver­lauf des Festes wünschend." Das Abend-Konzert, auf dem Festplatz nahm einen schönen Verlauf. Die Tübinger Kapelle Schneckenburger und der örtliche Brüßler Gesangverein übernahmen den musikalischen Teil. Der Vorsitzende des Schwäb. Turnkreises Rob- Langer und der Turnwart Renz wurden mit silbernen Ketten beschenkt. Fabrikant Hugo Böhm von hier, der Enkel des Turnvaters Buhl, schenkte dem Turn­kreis einen prachtvollen silbernen Pokal. An dem Festzug am Sonntag nachmittag nahmen etwa 3000- Turner teil mit 71 Fahnen. Die Festrede hielt Ge­meinderat Möhler in Vertretung des unpäßlichen Oberbürgermeisters. Die Massenübungen auf dem. Festplatz leitete Renz-Stuttgart. Das Preisturnen fand heute statt.

Tuttlingen, 10. Aug. Heute morgen hatte Th. Vogler das Glück, einen beinahe 2'/- Pfd- schweren Aal in der oberen Donau bei der Dorner- 'schen Fabrik im Netz zu fangen. Der vor einigen Jahren anläßlich des Einsetzens von jungen Aalen in die Donau geäußerte Wunsch, es möchten unsere Fischer bald unter ihrer zappelnden Beute regelmäßig auch Aale finden, geht, wie es scheint, nunmehr allmählich in Erfüllung.

Neufra, 11. Aug. Schon wieder ist hier­orts durch Unvorsichtigkeit in der Bedienung von Futterschneidmaschinen ein Unglück entstanden, in­dem ein Knabe im Alter von 8 Jahren, welcher sich beim Futterschneiden beteiligte, die Hand in das Ge­triebe brachte, wodurch ihm der Daumen der linken Hand abgeschnitten wurde. Es wäre wohl am Platze, wenn man seitens der Polizeibehörde dahin eine Ver­fügung erlassen würde, daß zur Bedienung dieser Maschinen nur großjährige Personen zugelassen wer­den und auch schließlich, daß derartige Maschinen nur an solchen Plätzen aufzustellen seien, welche nicht­erwachsenen Personen unzugänglich find. Es würde dadurch gewiß manches Unglück verhindert bezw. ver­hütet werden.

Blaubeuren, 10. Aug. In hiesiger Stadt wurde vorige Woche bei einem Schuhmacher ein frecher Betrug verübt. Ein gutgeklcideter Herr stellte sich diesem als Reisender für eine Stuttgarter Lederfabrik vor, mit welcher der Schuhmacher in Geschäftsver­

gleich denen seiner Gefährten einen düsteren, gedankenvollen Ausdruck annahm, als wenn sein Geist well entfernt und mit irgend einem Feind beschäftigt sei, wiewohl er das Steuer mit Geschick handhabte und klar und sorgfältig die Luv hielt.

Um meine wachsende Neugierde zu befriedigen, faßte ich mir ein Herz und guckte in das Kompoßhäuschen oderBittacle", wie die frühere Bezeichnung war. Die Kompaßrose war natürlich, wie zu vermuten, höchst altmodisch, doch schwang sie lustig zu den Bewegungen des Schiffes und mußte auch ziemlich zuverlässig sein, da sie ja mit ihrer Hilfe von Zeit zu Zeit das Land aufsuchten, um sich Fleisch zu erjagen und die Wasserfäfser zu füllen. Da weder Vanderdecken noch Anton Arents meinem Herumwandern irgend ein Hindernis in den Weg legten, benutzte ich die günstige Gelegenheit, das Totenschiff einer eingehenden Besichtigung zu unterziehen.

Ich inspizierte die Drehbaffen, die das hohe Alter grün gefärbt hatte, und versuchte eine in ihren Angeln zu drehen, aber ich fand bald heraus, daß sie unbe­weglich war. Die Steuerpinne war einst von sehr festem und haltbarem Material gewesen doch jetzt war sie ebenso verfault wie alles übrige Holzwerk auf dem Schiff, obgleich sie noch die Spuren eleganter Schnitzereien und Schnörkel erkennen ließ, deren Sinn und Bedeutung allerdings nicht mehr herauszustudieren war. Der Steuerkopf stak in einem großen Hmnegat, durch das ein korpulenter Mensch von achtzehn Stein Schwere gemächlich in die darunter plätschernde See schlüpfen konnte. Die Windsbraut heulte melancholisch durch die Skrlettlaterne und ich wunderte mich, warum sie das wertlose Ding nicht herabnahmen und über Bord warfen. Ms ich mich über die Seite beugte, zeigte sich das Schiff, so weit meine Blicke reichten, von einer matten, blaffen Farbe, die nicht gelb zu nennen, vielmehr so unbestimmt war, daß mir für sie jede Bezeichnung mangelte, obgleich ein Maler die ursprüngliche Färbung vielleicht hätte mutmaßen können, falls er etwa wußte, welche Farbe sich unter dem Einfluß jahrelang waschender Seen und brennenrer Sonnenhitze in diese namenlose Bläffe zu verwandeln geneigt sei.

In der Absicht, nach vorn zu gehen, wovon mich auch die daselbst über Deck

gehenden Sturzwellen nicht abhalten konnten, schlich ich mich vorsichtig an Vander­decken vorbei, dabei immer bereit, sofort stehen zu bleiben, wenn er mich anblicken sollte, doch seine Crdentrücktheit, die ihn zu einer Steinsigur machte, dauerte fort und alles ihm gebliebene Leben konzentrierte sich in seinen Augen, die noch ebenso schrecklich funkelnd auf ganz dieselbe Stelle des Ozeans starrten, die er fixiert hatte, als mir seine Erstarrung zuerst aufgefallen war; so ging ich denn an ihm vorüber und stieg zum Halbv'erdeck hinab, wo nichts zu sehen war, bis ich das Oberdeck betrat-

Hier in der Nähe des Hauptmastes befanden sich zwei Pumpen nach einem Modell, wie ich ein solches einst auf einem im Jahre 1722 erbauten Schiffe, das noch im Jahre 1791 flott und rüstig war und seinem Eigentümer Geld einbrachte, gesehen hatte. Gerade vor dem Mast lagen zwei Boote, das eine über das andere placiert und das untere mit daruntergelegten Stützen; beide zeigten die gleiche Form, nämlich Vorder- und Hinterteil glatt, und mit einem Schanddeck, das wie Hörner hervortrat. Das oberste hatte einst in einem Hellen Scharlachrot geprangt, während mir das Innere des unteren Bootes unsichtbar war. Jenes enthielt Sitze und ein halbes Dutzend kurze und lange Ruder mit ungeheuer breiten Schaufeln,, die gleichfalls Ueberbleibsel einer hellroten Färbung aufwiesen. Die rostigen Kanonen, die den Speigaten entlang schwimmenden Segelfetzen, die Schwerfälligkeit der Jungfern am großen Halse, das graue alte, an die Backbordsette befestigte Faß, das einer Wasscrtonne entsprach, das hohe Alter des Presennings über den großen Luken, alles dies zusammen mit einer Menge Einzelheiten, deren Aufzahlung ich meinen Lesern ersparen will, drückten diesem Teil des hin- und hergeschleuderten, eingeweichten, in Sprühregen gehüllten Fahrzeuges ein höchst elendes, trauriges Ge­präge auf und über das Ganze spannte sich ein Himmel, der sich seit dem Morgen verfinstert hatte und von dem die Segelkanten in fahler, angekränkelter Bläffe ab­stachen, während zu Häupten die großen verbarrikadierten Tops, die Masten und Raaen hin- und herschwankten, ja, hin und her, traurig und müde!

Da die Bollwerke sehr hoch waren, so war ich im Stande, den hereinstürzenden: