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Bietigheim, 4. Juni. Gestern gelang es zwei hiesigen Männern einen wegen Sittlichkeits- Verbrechens sofort verfolgten 1718jährigen Burschen auf dem hiesigen Bahnhof zu erwischen. Dieselben ließen denselben jedoch, nachdem er unter Thränen sein Verbrechen bekannt und gebeten hatte, ihn lieber recht durchzuprügeln, als in den Arrest zu verbringen, ohne nach Namen und Heimat zu fragen, unbegreiflicherweise wieder laufen. Hoffentlich gelingt es der noch am gleichen Tag benachrichtigten Polizei, den Verbrechen zu ermitteln.

In Herbrechtingen, OA. Heidenheim, ist eine große Dampfziegelei init 2 Feldöfen nach ägyptischer Art erstellt worden. Beim ersten Brand wurden, demGrenzb." zufolge 800,000 Backsteine gebrannt. Wie dasNeue Tagbl," berichtet, fand man in Giengen a. Br. beim Ausschachten eines alten Turmverlieses, 1,4 m unter Straßenhöhe 60 steinerne Kugeln mit 10 ein Durchmesser und 2,1 ko. Gewicht, ferner aus Erde gebrannte Gewehrkugeln, dolchartige Hirschgeweihzinken u. s. w., 1 m unter Grundwasser fand sich ein kupferner Kessel mit einer Menge Gold-, Silber- und Kupfermünzen römischen und deutschen Gepräges vor.

Ellwangen. DieJagstztg." berichtet von einer dieser Tage vor der Strafkammer des Land- erichts geführten Verhandlung: Auf der Anklage- ank saß der Bauernsohn Anton Michel von Geis­lingen, OA. Ellwangen. Derselbe wollte studieren, war 2 Jahre im Gymnasium in Mergentheim, dann 1 Jahr in Ellwangen, dann kam die Militärzeit, nach dieser ging er nach Amerika und setzte dort, wie er angiebt, seine Studien fort. Als ihm die Mittel ausgegangen, kam er zurück, um dann nochmals nach Amerika zu gehen. Diese Reisen, sowie der Lebens­unterhalt scheinen sein Muttergut aufgebraucht zu haben und der Vater gab nichts weiter, auch als sein Sohn krank im Hospital in Brooklyn lag. Endlich kam dieser nach Geislingen zurück, ohne Mittel, ohne Kleider, von der Familie als Taugenichts und Faulen­zer betrachtet. Er drang vergebens in den Vater, ihm die Mittel zu geben, seine Studien zu vollenden; um Bauer war er verdorben und zu allem andern ehlten die Mittel. Bei den häufigen Auftritten mit dem Vater drohte er des Oeftern, das Gehöft anzu­zünden. Am Sonntag den 27. April, als alles in der Kirche, er aus dein Hause Hinausgetrieben war, öffnete er init Gewalt die Stallthüre, drang ins Haus, erbrach die Kammer seines Bruders und eignete sich dessen Kleider im Werte von 70 an. Der Bruder stellte Klag-Antrag wegen schweren Diebstahls mittelst Einbruchs, der Vater wegen Bedrohung. Das Gericht erkannte auf eine Gefängnisstrafe von 4 Monaten Gefängnis.

Ulm, 5. Juni. Premierlieutenant Heimer­

dingen und Sek.-Lieutenant Frhr. v. Mühlen voni Feldart.-Reg. Nr. 13 haben einen Distanzritt von Darmstadt hierher gemacht und den Weg von 260 Kilometer in 48 Stunden zurückgelegt. In den ersten 24 Stunden kamen die Reiter nach Bietigheim und in den nächsten 24 Stunden hierher, ohne sich besonders ermüdet zu fühlen. Auch die beiden Vollblutpferde Walküre"' undPollux" kainen verhältnismäßig frisch an.

Ulm, 6. Juni. Gestern nachmittag war beim Einfluß der Iller in die Donau die erste Probe des Fischerstechens. Der Blitzableiter auf dem Haupt­turm des Münsters ist in Abwesenheit von Prof. Bopp und Stadtbaurat Mayer aus Stuttgart aufgestellt und darauf heute mit dem Abbruch des Bau-Gerüstes begonnen worden, welches soweit entfernt werden soll, daß die Kreuzblume freigelegt wird. Beim Münster­festzuge kommen einige kolomle Festwagen zur Ver­wendung. Um sicher zu gehen, daß dieselben durch die vom Festzug zu passirenden, teilweise engen Stra­ßen der Altstadt unbeschadet gelangen können, hat die Festzugskommission heute abend eine Probefahrt mit Lattengerüsten vorgenommen.

Neufra, 5. Juni. Am Dienstag nachmittag ertrank dahier das fünfjährige Töchterchen des Rudolf Bart in der Nähe der Schafwäsche. Der Leichnam des unglücklichen Kindes wurde erst gestern abend am Rechen in der unteren Mühle aufgefunden.

Saulgau, 5. Juni. Gestern wurde ein mit Röhrenlegung beschäftige Arbeiter, der mit dem Rande eines zirka 2 Meter tiefen Grabens abstürzte, von den nachstürzenden Erdmassen erdrückt und war augenblicklich tot.

Darm stadt, 4. Juni. In Angersbach ent­leibte sich vor einigen Tagen ein lljähriger Schul­knabe durch Erhängen. Der jugendliche Selbstmörder wollte einige Tags vorher mittels Ertränkens seinem Leben ein Ende setzen, wurde jedoch von seinen Kameraden an der Ausführung seines Vorhabens verhindert.

Straßburg, 6. Juni. Der Großherzog von Baden traf gestern hier ein. Er besichtigte heute in Begleitung des Statthalters die Landwirtschaftliche Ausstellung mit großem Interesse. Um 11 Uhr fand ein Aufzug von 120 badischen Bauern zu Pferde in Landestracht statt. Der Fremdenverkehr ist groß. Heute ist der K. Wnrttemb. Minister des Innern v. Schmid eingetroffen, um die Ausstellung in Augen­schein zu nehmen.

Dem Großherzog von Baden wurden von den badischen Besuchern der Ausstellung aus dem Hanauer Ländel" eine Ovation dargebracht. Der Großherzog gestattete, daß die Hanauer, die in großer Zahl zu Pferde und in ihrer malerischen Tracht er-

aufgesianden und hatte sich mit völlig heiserer, rauher Stimme die Erlaubnis er­beten, noch jetzt eine Frage an den Angeklagten zu richten. Er zitterte am ganzen Leibe, und seine mächtige Brust arbeitete und keuchte, als ob er eine schwere Last zu tragen hätte.

Jeetzemüller," begann er,wollt Ihr auch mir nicht sagen, wo Ihr ii jener Nacht gewesen seid?"

Nein, Bühlhofbauer, ich kann's nicht! Euch am wenigsten!"

Auch nicht, wenn ich Euch vor Gott und Eurem Gewissen auffordere, der Wahrheit die Ehre zu geben? Auch nicht, wenn ich Euch sag', daß ich Alles weiß?"

Der Angeklagte blickte schweigend zu Boden, und in dem Schwurgericktssaal war's so still, daß man das Summen der Fliegen an den Fenstersch. ben hörte.

Nun denn," fuhr der Geschworene mit einem tiefen Atemzuge fort,wenn Ihr nicht reden wollt, so muß ich's thun, damit ich als ein ehrlicher Mann aus diesem Hause gehen kann. Meine Herren Richter, er hat die Thal nicht begangen; denn er ist zu der nämlichen Zeit in meinem Garten gewesen. Meine Tochter hat m-r's auf ihrem Krankenbette gestanden, daß sie ihm hinter meinem Rücken ein Stelldichein gegeben hat, und sie wird's beschwören können, daß er bei ihr war, als bei der Thalmühle geschossen und um Hilse geschrien wurde! Jst's so, Jeetzemüller oder hat die Käthe nn Angesicht des Todes zum ersten Mal in ihrem Leben eine Lüge gesagt?"

Es ist so, Bühlhofbauer!" kam es tonlos über Philipps Lippen.Aber Ihr thut nicht recht, Bühlhosbauer. Ich hätt' Eure Käthe nicht verraten!"

Was ich thu', mach' ich mit meinem eigenen Gewissen aus", fiel kurz ab- - weisend der Geschworene ein.Wenn aber die Herren Richter noch immer nicht wissen, wo sie den Mörder zu suchen haben, so will ich ihn Ihnen zeigen! Da sitzt er!"

Mit ausgestrecktem Arm hatte er aus Heinrich Langhöfner gedeutet, der noch immer auf der Zeugenbank saß. Der junge Bauer sprang mit wutverzerrtem Antlitz auf; aber es kamen nur unverständliche Laute aus seinem Munde, und gleich darauf wälzte er sich laut schreiend in Krämpfen und Zuckungen am Boden.

In der allgemeinen Aufregung kaum vernehmlich, beantragte der Verteidiger, die Verhandlung zu vertagen und die Tochter des Bühlhofbauern zu vernehmen. Der Staatsanwalt stimmte dem Anträge bei; die Gerichtssitzung wurde aufgehoben, und während man den Jeetzemüller in die Untersuchungshaft zurückführte, entleerte sich unter großem Lärm langsam der düstere Saal.

Philipp Straßburger's Unschuld hatte sich auf das Glänzendste herausgestellt. Abermals war eine Untersuchungskommission am Thatorte erschienen, und nachdem Käthe Reinhardt, die sich nach glücklich überwundener Krisis in entschiedener Besser­

schienen waren, im Zuge an ihm vorbeiritten. Bürger« meister Baumert hielt eine kräftige Ansprache, worauf der Großherzog erwiederte: Liebe Freunde! Es ist mir eine Freude, Ihnen Dank zu sagen für das herz­liche Willkommen. Die Freude ist in der That groß.. Als treue gute Badener wissen Sie, daß die höchste Ehre ist, ein guter Deutscher zu sein. Ich appelliere an ihre Herzen. Sie sind noch jung und haben noch- vieles vor sich. Böses und Gutes. Sollte es> aber: schwere Tage für Sie geben, so werden Sie sich als gute Deutsche bewähren. Zur Bewahrheitung dieses fordere ich Sie auf, ihre Mützen abzunehmen und mit einzustimmen in ein Hurrah auf Se. Majestät, den deutschen Kaiser, der uns das Glück einer starken,, kräftigen Regierung des Friedens gegeben hat. Hur­rah ! Die Hanauer und die sie umschließenden Tausende- der Ausstellungsbesucher sielen mit Begeisterung ein.

Essen, 5. Juni. Die Rh.-W. Z. berichtete. Im Schmelzbaue der Krupp'schen Gußstahlfabrid ist gestern nachmittag ein höchst bedauerlicher Un­glück s f a l l vorgekommen. Bei Abfertigung eines Gusses wurden durch die glühende Masse 15 Arbeiter mehr oder minder erheblich verletzt. 2 der schwer Verletzten sind in der vergangenen Nacht gestorben; 4 andere schweben in Lebensgefahr.

Im Hafen von Apia auf Samoa sind,, wie von Neuseeland der Auckland Herald meldet, die Wracks der 3 Schiffe Trenton, Vandalia und Adler noch in derselben Lage wie am 16. März v. I., wo sie in dem furchtbaren Sturm gescheitert waren. Der Adler liegt hoch und trocken im innern Riff und sollte im Mai versteigert werden. Vom Eber ist nur ein Mast zu sehen, der hoch aus dem Wasser emporragt. Die beiden Amerikaner, die dicht an den Strand ge­worfen worden, haben die Strömung in der Bucht verschoben, so daß die Hauptstraße Apias auf 200 Dards in den Bereich der See gebracht ist.

Ueruuschics.

Berlin, 7. Juni. Vor dem Kaiser fand heute Vormittag auf dem Tempelhofer Felde eine Separat-Vorstellung der Somali-Karawane mit ihren Kameelen, Straußen, Pferden und Antilopen statt. Pünktlich zur festgesezten Stunde traf der Kaiser vor dem Lager der Somali ein und ließ sich sofort von Herrn von Schirp, nachdem dessen Söhnchen dem Kaiser einen Blumenstrauß überreicht hatte, genaue Mitteilungen über die Karawane machen. Das auf­gestellte Programm führte zunächst das Leben und Treiben in einem Somali-Lager vor; da wurden Schmiede- und Flechtarbeiten ausgcführt, Kriegs- und Hochzeitstünze kamen zur Aufführung und ihre Künste im Bogenschießen und Lanzenwersen zeigten dann die Somalis. Ein Reiten auf den Kriegs- und Nenn­ung befand vo n Krankenbette aus ihre Auslagen auf das Bestimmteste wiederholt hatte, war in der Wohnung Heinrich Langhöfner's eine ebenso unerwartete als gründ­liche Durchsuchung vw genommen worden. In einem Wink l d>s Kellers, unter allerlei Gerümpel mrst-ckt, hatte man eine Zimmermannsaxt gefunden, deren Eisen­teile ebenso w e der böfte ne Stiel gar verdächtige rotbraune Flecken zeigten. Das Auffällige d es r Entrückung war noch vermehrt worden durch das Benehmen Lang- höfoer's, der sich von vornherein wie ein Unsinniger gebärdet und endlich seiner Ver­haftung einen so hestw.en Widerstand entgegengesetzt hatte, daß er gef. fielt auf einen Wagen geschafft woid-n mar. Schon bei dem ersten Verhör batte er sich dann der­art in W-dersprüche verwickelt, daß ihm schließlich nichts Anderes übrig geblieben war, als ei>, unumwundenes Geständnis abzulegen. Vor Wut über seinen Verlust und d n U-bermut des glücklichen Gewinners außer sich geraten, war er in jener Nacht aus dem Kruge gerodeswegs nach seinem Hause gelaufen, um sich die Mord­waffe zu holen, mit welcher er dem Thalmüller auflauerte, um ibm den rötlichen Schl 'g zu versetzen. Als sich der Verdacht auf Philipp gelenkt, hatte er dann mit teufl'lcher Verschlagenheit jene Erzählung von der Begegnung am Bache ersonnen, die dem Andern den Hals brechen sollte.

Selbstverständlich wurde der Jeetzemüller nach diesem Geständnis des Ver­brechers unverweiit auf freien Fuß gesetzt, und man bereitete ihm im Dorfs einen Empfang wie einem Helden. Gab es doch da gar Viele, die ihm im Grunde ihres Herzens ein schweres Unrecht abzubitten hatten, und war doch seine heldenmütige Selbstverleugnung bereits allgemein bekannt geworden. Philipp aber lehnte alle Huldigungen und jede Anerkennung mit ernster Entschiedenheit ab. Er begab sich auf seine Mühle, und es schien seine Absicht, sich da von aller Welt abzuschließen;, denn Wochen lang kam er Niemandem zu Gesicht.

Eines Abends in später Stunde klopfte es an seiner Thür; der Bühlhofbauer war es, der in gebeugter Haltung und mit gesenktem Haupte draußen stand. Mit leiser Stimme begehrte er Einlaß, und als er nach einer langen Weile die Müyle wieder verließ, da schritt Philipp an seiner Seite. Das glückstrahlende Antlitz des jungen Jeetzemüllers verriet zur Genüge, welchen Inhalt ihre Unterredung gehabt, und in der Wohnstube des Bühlhofes gab es an diesem Abend ein Wiedersehen, vor dessen rührender Seligkeit auch die harte Rinde vom Herzen des Bauern schmolz' Er weinte mit seinen Kindern, und Alle, die ihn an diesem Abend gesehen hätten, würden vor Verwunderung die Hände über dem Kopfe zusammengeschlagen haben.

Eine fröhlichere Hochzeit aber hatte es seit vielen Jahren nicht im Dorfe ge­geben, als es diejenige Käthe Reinhardt's und ihres getreuen Philipp war.

Ende.