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seit Anfang des 20. Iahchmdcrts 9 verschiedene Regierungen und seit dem Sturz des Kaiserreichs 44 (ungerechnet drei Entlassungen des Kabinetts, unter Beibehaltung des Premierministers) — also im ganzen etwa 50 Regierungswechsel in Zeit von weniger als 50 Jahren gehabt haben, so würde Deutschland seinen Platz auf der Karte von Europa längst eingebüßt haben. Frankreich behauptet ihn, weil ihm zu Verteidigungszwecken die britische Flotte zur Seite steht. Politische Geographie ist ein hinreichender Grund für Deutschlands Armee und Marine. Wir wollen doch gerecht sein und gleich zugsben, daß gewisse Friedenskrämer längst gehängt und unsere girrenden Friedenstauben längst in Teer und Federn gewälzt worden wären, wenn Japan an Mexikos Stelle und Rußland an Kanadas Stelle läge, und Deutschland nur durch ein paar Dampferflunden von uns getrennt wäre.
Ich gestehe ganz offen, daß ich diese dreioiertel Million von Soldaten, Matrosen und ihre Offiziere bewundere. Sie ist ein prächtiges Beispiel von Patriotismus, von Nichtachtung des verweichlichenden Komforts und des Luxus und der geschäftigen Vergnügungen, die zu viel von unserer Lebenskraft absorbieren — ein Beispiel von Nichtachtung der materiellen Errungenschaften, die in ihrer selbstsüchtigen Nebenbuhlerschaft gerade diejenigen Uebel heroorbringen, die heute unsere schwersten Probleme bilden. Dies ist wenigstens eine große Körperschaft, deren Ziele und Lebensweise beweisen, daß es eine soziale Hierarchie geben kann, die nicht vom Gelds abhängig ist. Es ist eine der schönsten Lehren, die Deutschland zu erteilen vermag, möge es lange dabei bleiben, uns darin ein Beispiel zu geben!
Der Wetterwart.
B-Mische Umschau.
x Unser diesmaliger Berichtsabschnitt steht ganz unter dem Zeichen der auswärtigen Politik, eingeleitet durch die Zusammenkunft von Konopischt und endigend mit den in grotesken Sprüngen sich überstürzenden Ereignissen aus dem noch viel groteskeren Balkan.
Der Wert der Zusammenkunft vonKono- pischt, der „Iagdbesuch" Kaiser Wilhelms beim österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand unter Begleitung unseres Staatssekretärs des Reichsmarineamts, Großadmiral v. Tirpitz, einerseits und des österreichischen Marinekommandanten andererseits, ist, obwohl die offiziösen Ankündigungen dieser Visite zuerst einen rein privaten Charakter zugeschrieben hatten, um nicht allzuviel Aufhebens von ihr zu machen, nachträglich von der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung selber unterstrichen worden. Und zwar handelt es sich, um den Kernpunkt kurz scstzustellen, um nichts Geringeres als um den von Oesterreich geplanten organisatorischen Ausbau der Flotte, wobei es ebenso be- merkenswert ist, daß hiezu, wie es in einer Begrüßung der offiziösen Wiener Reichspost hieß, der „große deutsche Flot- tenorganisator" als Berater hinzugezogen wurde, wie andererseits die hohe Bedeutung dieser Reform für den Dreibund und damit mittelbar für Deutschland darin liegt, daß man für die Zukunft mit einer respektablen österreichischen Flottenmacht im Mittelmeer wird rechnen können, ein Gegengewicht gegen die dortigen englischen und hauptsächlich französischen Anstrengungen, ein Wertfaktor für die Offenhaltung der Zufuhr nach Deutschland im Falle einer Blockade seiner Nordküste und eine Sperrkette gegen eine etwaige Herüberziehung afrikanischer Streitkräfte nach Frankreich. Das letztere hat denn auch gleich die Wichtigkeit der Zusammenkunft folgerichtig ausgesaßt und dementsprechend kommentiert.
Aber die Franzosen haben auch gleich einen Kanzlei- trost gefunden in einer weiteren Zusammenkunft, der des Zaren mit dem König von Rumänien. Wenn es sich um den Abschluß eines Bündnisses für Frankreich selber gehandelt hätte, hätte der Jubel nicht größer sein können als unmittelbar — vor der Zusammen- dunst. Nachher ist er etwas gedämpft worden. Hatte man doch mit fast tödlicher Sicherheit damit gerechnet, daß
„Wolf, kennst Du das Gedicht: „O, laß Dich Hallen, goldne Stunde"?"
„Nein, Märchen, Gedichte kenne ich nicht," lächelte er.
„O, es ist schön — es steht in dem Buche, das Du mir neulich mitgebracht hast."
Und mit ihrer süßen Stimme begann sie die Strophen des Gedichtes herzusagen. Aufmerksam hörte er zu —
„Was soll uns Tag, was soll uns Sonne? Du schöne Nacht entflieh uns nicht!" wiederholte er die Endzeilen, als Mary geendet.
„Ich weiß nicht, Wolf, wie mir heute ist," sagte sie, „ach, ich bin so froh, so glücklich!" Sie blieb stehen und schlang die Arme um seinen Hals, seinen Kops zu sich niederziehend und in sein Ohr flüsternd „O Wolf, wie liebe ich Dich doch!" Da preßte er sie wild an sich und hob sie in seinen Armen empor —
„So Brust an Brust, so ganz mein eigen,
So halt' ich Dich, geliebtes Bild" flüsterte er ihr heiß zu und bedeckte ihr Gesicht mit leidenschaftlichen Küsten.
In diesem Augenblick verließ er mit seiner süßen Bürde die dunkle Allee und trat auf einen freien Platz hinaus. Das Mondlicht fiel hell auf Mary schönes Gesicht; ihre fast schwarz schimmernden Augen schauten ihn mit einem so seltsamen Ausdruck an; um den halbgeöffneten, rosigen Mund, der die weißen Zähne heroorblitzen ließ, schwebte ein weiches, sehnsüchtiges Lächeln, und auf ihren Wangen lag eine rosige Glut. — Wieder preßte er voller Leidenschaft seinen Mund auf den ihren, und ebenso heiß gab sie
diese Zusammenkunft eine regelrechte Allianz zwischen den beiden Reichen zeitigen werde. Es sind auch schöne und herzliche Worte gewechselt worden zwischen dem Kaiser Nikolaus und dem König Karol, aber über die Worte hinaus ist die Sache nicht gediehen.
Ueber den Charakter der russischen Rüstungen selbst kann wohl kein Kind mehr im Zweifel sein, denn er ist so ostentativ und demonstrativ, daß er sich überhaupt nicht mehr verhüllen läßt. Bor wenigen Tagen erst hat der russische Kriegsminister mit einer Friedenspräsenz (!) von weit über zwei Millionen Soldaten geprahlt und es ausgesprochen: Wir sind bereit. Zu den Franzosen hat ers gesagt und sie in ziemlich klobiger Form darauf aufmerksam gemacht, daß Rußland dasselbe auch von Frankreich verlange — angesichts des Streits um das Dreijahrsgesetz — aber er ist gut verstanden worden, denn er hat noch besonders aus den Ausbau der strategischen Bahnen hingewiesen, die es Rußland ermöglichen, seine ganze gewaltige Streitmacht in wenigen Tagen an die Grenze zu werfen.
Angesichts der gegenwärtigen besonders scharfen Reibungen zwischen Griechenland und der Türkei rechnen selbst solche Leute, die sich nicht gleich aus dem Konzept bringen lassen, mit einem neuen Kriege zwischen Griechenland und der Türkei, dessen Flammen natürlich zu leicht aus weitere Gebiete übergreifen könnten. Es ist in der Tat nicht zu verkennen, daß die Verhältnisse direkt unhaltbare geworden und die Leidenschaften bis zur Siedehitze entflammt sind, aber die Befürchtungen sind schließlich doch wohl schlimmer als die Verhältnisse, denn mag auch Griechenland mit Recht empört sein über die Drangsalierungen und scheußlichen Verfolgungen, denen seine Landsleute in den türkischen Gebieten ausgesetzt sind — die türkischen Untertanen sind es zum Teil auch in den griechischen Gebieten — mag es auch zum Kriege gerüstet sein, wie seine Regierung ankündigte, bis zum äußersten Mitte! wird es nur gehen, wenn es gar keinen Ausweg mehr gibt. Man darf aber nicht verkennen, daß wenigstens die türkische Regierung sich redlich bemüht, die Bevölkerung im Zaum zu halten, was ihr allerdings nicht in allweg gelingen wird, weil die Horden, die da sengen und brennen, nach der Regierung eben nichts fragen, aber am Ende gibt die loyale Haltung der Regierung den Ausschlag, und so glauben wir. damit rechnen zu können, daß eine anständige Genugtuung seitens der Türkei die aufgeregten Griechen schließlich doch vor dem Letzten abhalten wird.
Politische Tagesberichte.
Kriegsgefahr irr der Türkei. Die türkische Regierung hat angeordnet, daß bis aus Widerruf kein Dampfer in den Hafen von Smyrna ein lausen oder aus ihm her am - fahren darf. Am Eingang des Golfes von Smyrna sind Minen ausgelegt worden. Die vier Leuchtfeuer am Haseneingang von Smyrna sind ausgelöscht worden. Das ..Reutersche Bureau" erfährt aus diplomatischer Quelle, daß in den letzten Tagen eine Anzahl türkischer Marineoffiziere in England angekommen sei, um 120000 Tonncn Kohlen und auch 4—5 Transportdampser von etwa 6000 Tonnen und 10—11 Knoten Geschwindigkeit anzukausen. Die Schiffe sollten im Kriegsfälle als Truppeniransportschiffe dienen. Auch griechischerseits werden die schon begonnenen Rüstungen fortgesetzt, und man rüstet für alle drohenden Eventualitäten.
Die Lage i« Durazzo scheint ernst zu sein, da seit Freitagvormittag jegliche Nachricht fehlt. Auch nach Wien gelangten keine neuen Meldungen; auch ein Funkspruch aus Durazzo ist dort nicht eingegangcn. Durazzo ist wie von .der Erdoberfläche verschwunden. Was dort geschah, ob etwas geschah oder ob die gesamten Korrespondenten nur aus Stoffmangel in Schweigen verfallen sind, läßt sich nicht sagen. Ein Drahtbericht aus Rom meldet, daß Essad Pascha, der vor vier Tagen aus seiner Billa verschwunden ist, bisher nicht zurückgekehrt ist. Wie mehrere römische Zeitungen wissen wollen, hat er sich in Ancona nach Albanien eingeschifft.
ihm seine Küsse zurück. Da kam sie plötzlich zur Besinnung. „Nein, Wolf, nein!" wehrte sie ängstlich seinen stürmischen Liebkosungen und sich fest an ihn schmiegend, bat sie ihn mit süßer Stimme: „Laß uns nach Hause gehen, Geliebter!"
„Schon, mein Märchen?" entgegnete er, ihr tief in die Armen schauend.
„Es ist wohl bester-ach Wolf, mir ist auf ein
mal so bang."
„Aber Kind —"
„Wolf, nicht wahr, Du hast mich doch immer lieb? Du wirst mich nie verlassen?" fragte sie — ihr Gesicht war plötzlich so bleich geworden, und ängstlich sah sie ihn an.
„Wie kommst Du wieder zu solchen Fragen, Kind? Auf mein Wort kannst Du bauen — Du wirst mein süßes Weib! Quäle mich und Dich doch nicht unnütz!"
„Set nicht böse, Wolf! Aber ich bin so glücklich, daß ich denke, es kann nicht von Dauer sein! Manchmal in der Nacht fahre ich voller Schrecken auf — das Herz droht mir stillzustehen — mir ist es dann, als hätte ich Dich verloren! Und ich kann doch nicht mehr ohne Dich sein, so fühle ich mich mit Dir verwachsen!"
„Beruhige Dich doch, mein Liebling! Mir geht es ja ebenso — daß ich mir mein Leben ohne Dich nicht mehr denken kann! - - Sei gut und verbanne diese schwarzen Gedanken! Wir wollen uns doch gegenseitig nicht mehr mit den ewigen Fragen nach Liebe und Treue quälen! Wir wissen jetzt, daß wir uns lieben; da bedarf es also
Der König als juristischer Ehrendoktor. Am
24. Juni wird, wie aus London gemeldet wird, dis Uni- versität Oxford dem Herzog von Coburg-Gotha und am folgenden Tage dem König von Württemberg den G:ad eines Doktor des bürgerlichen Rechtes honoris causa verleihen.
Der Bundesrat wird am Freitag nächster Woche seine letzte Sitzung vor der Sommerpause abhalten. Mit diesen Tagen erreichen auch die Beratungen der Ausschüsse ihr Ende.
Rumänien in der deutschen Kriegsmarine. In
die deutsche Kriegsmarine sind eine Reihe rumänischer Staatsangehöriger zur Ausbildung als Seeoffiziere einge- trcten. Nach diplomatischer Bercilibarung sollen die in der deutschen Flotte ausgebildeten rumänischen Seeoffiziere den Stamm von Instrukteuren für die zu vermehrende rumänische Marine bilden.
Verlängerung des dentsch-türkischen Handelsvertrags. Die türkische Regierung hat der Kammer eine Vorlage zugehen lassen, durch die die Verlängerung des deutsch-türkischen Handelsvertrages von 1880 und des Zusatzprotokolls von 1907 um ein Jahr gutgeheißen wird.
Die Bekämpfung des Mädchenhandels. Der am 13. Oktober in München zusammentretenden 10. Konferenz zur Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels liegt der Antrag zur Beschlußfassung vor aus Verschärfung der internationalen Strafbestimmungen gegen den Mädchenhandel. Die an der russisch-deutschen Grenze kürzlich erfolgten Verhaftungen von zahl! eichen jüdamerikarüschen Händlern haben das trotz aller behördlichen Maßnahmen ungehinderte Bestehen einer internationalen Organisation des Mädchenhandels zutage gebracht.
Der König von Sachsen ist in Petersburg einge- troffen und am Bahnhofs vom russischen Kaiser herzlich begrüßt worden.
Ein Zeutrnmsführer geadelt. Dem bekannten Zentrumsführer Domprobst Dr. Pichler wurde anläßlich der Anwesenheit König Ludwigs in Passau der Verdienstorden der bayrischen Krone verliehen, mit dem der persönliche Adel verbunden ist.
Ein nenes Fabrikgesetz in der Schweiz. Der
schweizerische Natisnalrat hat einstimmig das neue Fabrikgesetz angenommen. Das Gesetz beruht aus einem Kompromiß zwischen Industrie und Arbeiterschaft; es bringt den Zehnstundentag, schränkt die Nacht- und Sonntagsarbeit ein, verbietet diese für Frauen und Jugendliche unter 18 Jahren, setzt als Mindestalter für Fabrikarbeiter 14 Jahre fest und gewährt Wöchnerinnen'chutz bis zu acht Wochen. — Diese Bestimmungen, die die Republik jetzt erläßt, bestehen mit geringen Abweichungen in unserer Monarchie schon lange.
Kein Anschlag ans den Zaren. Am 17. Juni um 1^/2 Uhr nachmittags entgleiste auf Werst 527, auf dem, von Kasatin gesehen, linken Gleise, die Lokomotive des Zuges Nr. 4. Ein Zugbeamier wurde schwer, der Lokomotivführer und Heizer wurden leicht verletzt. Drei Güterwagen wurden zertrümmert. Die Untersuchung ergab, daß das Gleis unbeschädigt war. Die Ursache war der schlechte Zustand der Lokomotive. Die Behauptung eines Anschlages auf den Zaren ist reine Erfindung.
Gründung eines Evangelische« Bundes in Spanien. In der evangelischen Kirche in Madrid fand eine Versammlung der Vertreter aller protestantischen Gemeinden Spaniens zur Gründung eines evangelischen Bundes statt. Es wurde ein Ausschuß ernannt," der mit den Behörden über alle einschlägigen Fragen verhandeln soll. Der Bund strebt die vollständige Gewissensfreiheit in Spanien an, sowie eine Propaganda für die Grundsätze der reformierten Konfession und die Verteidigung ihrer Anhänger gegen Uebergriffe Andersdenkender.
Aus Stadt und Land.
Nagold, 20. Juni 1914.
Vom Rathaus. In der gestrigen Sitzung des Ee- meinderats wurde u. a. beschlossen eine Geschäftsordnung für die Sitzungen aus dem Ralhause auszuarbeiten und
keiner weiteren Beteuerungen." Und zärtlich strich er über ihr Haar.
Mary war mit sich unzufrieden; es war ihr. als ob sie etwas an Wolf gut zu machen hätte. „Küsse mich," bat sie; er tat es — „noch mehr, Wolf." Er kannte sie in ihrer Leidenschaft nicht wieder, die alle Schranken durchbrach. Ihre Lippen und Wangen glühten, und sie zitterte.
„Mein Liebling." sagte er leise, mit müder Stimme, und streichelte sie.
Sie dursten sich wohl nicht mehr so oft treffen, der alte Berger hatte recht; es war für sie beide nicht gut. Und doch konnte und wollte er aus die Zusammenkünfte mit der Geliebten nicht verzichten, so lange es sein konnte — wer weiß, wie lange es noch währte, dann war sie nicht mehr in der Stadt, und er geizte doch mit jedem Augenblicke!
Sie begaben sich auf den Heimweg; Wolf trug seit einiger Zeit Zivilkleidung; so konnte er sein Lieb wenigstens, ohne aufzusallen, nach Haus geleiten.
(Fortsetzung folgt.)
Schwer von Begriff. Amtsrichter (zu dem wegen Verabreichung von verdorbenem Leberkäs angeklagten Schweinemetzger): „War denn die Leber auch frisch?" — „Was für a Leber?" „Die sie damals verwendet haben!" „Zu was sollt ich a Leber oerwend't Ham?" „Na zum Kuckuck — zu Ihrem Leberkäs!" „Ja so — zum Leberkäs — ja da kommt kei Leber net nei, Herr Amtsrichter!"
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