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Echwäb. Landwirt.

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Der Wetterwart.

politische Amschau.

p Dem öffentlich-politischen Leben unserer Heimat war in der abgelausenen Woche das fast ausschließliche "Gepräge gegeben durch die Stuttgarter Stadtvorstandswahl. Die Erörterungen der parteipolitischen Presse hierüber, waren ja so ausgiebig, bis weit über die Grenzen unseres Landes hinaus, daß eine Hervorkehrung der einzelnen Momente sich erübrigt.

Die Leonb-erger Ersatzwahl gewinnt durch den Be­schluß der Sozialdemokratie, ihre Kandidatur aufrecht zu er­halten, was ihr bei ihrem Stärkeverhältnis gar nicht ver­übelt werden kann, ein erhöhtes Interesse. Heikel ist in diesem Falle die Stellung der Volkspartei. Hält diese, als schwächste Partei, ihre Kandidatur ebenfalls aufrecht, so ist das Mandat dem Bund der Landwirte wohl sicher; das Gleiche aber ist der Fall, wenn sie die Kandidatur zu Gunsten -der Sozialdemokratie preisgiebt, denn daun werden sich die ländlichen Wähler, die die Volkspartei hier in ansehnlicher Fahl gewonnen hat, in ebenso ansehnlicher Zahl eben aus die ihnen nächststehende Seite und das ist aber wieder der Bund der Landwirte, schlagen. Und was dann noch ins Gewicht fällt, das ist die Hauptsache: wenn die Bolkspartei ihre Wähler jetzt nicht zusammenhäll, selbst ohne Aussicht auf Sieg, so wird sie diese das nächstemal nicht mehr zu­sammenbringen: die Organisation wird unter einer solchen Zweiteilung schwer notleiden.

Im Vordergrund der Reichspolitik steht naturgemäß die Beratung der Reichsoersicherungsordnung im Reichstag: Da ist bemerkenswert, daß das Ganze über den höchsten Berg eigentlich schon hinweg ist, denn in den Paragraphen über die Kassenbeamten lag die politische Pointe des Gesetzentwurfs. Und die Pointe dessen, was erreicht worden ist, ist eine Verstärkung des Arbeilgcberrechts. Eine ' Eigentümlichkeit für sich bilden die Bestimmungen für die . Landkrankenkassen. Hier ist faktisch ein Ausnahmerecht ge­schaffen worden, für das nach unserer Auffassung außer der Rücksichtnahme auf die preußischen Junker, die ja immer ihre Exirasuppe gekocht haben müssen, ein Grund tatsächlich nicht vorlag, denn durch das Gesetz sind die Landleute gegenüber allen übrigen Bersicherungsteilnehmern in Nach­teil gestellt.

Eine gute Note in die deutsch-englischen Beziehungen hat der Kajserbesmch in England gebracht, nach unserem Urteil gerade deshalb, weil ihm keinerlei politischer Charakter anhängig gemacht wurde, denn politische Tendenzen geben derartigen Kundgebungen nach der einen oder andern Seite hin immer ein gewisses odiöses Gepräge. Und die Hoch­achtung und Wertschätzung, die unser Kaiser in England tatsächlich genießt, ist mehr wert als der schönste Leitartikel in der Nordd. Ailg. Zkg. Daneben noch der Besuch des Kronprinzen am russischen Hofe, und wir können mit Befriedigung konstatieren, daß die deutsche Farbe in der europäischen Welt gegenwärtig mit Ehren vertreten ist.

Dies ist umso höher zu bewerten, als das marok­kanische Abenteuer Frankreichs - neuerdings in ein Stadium geraten ist, das ihm einsichtige Politiker längst oorausgesagt haben. Und wir wissen aus alter Erfahrung, wie bei derartigen prekären internationalen Lagen nur zu gern Deutschland zum Reibmrgspunkt gemacht wird. Da ist es.ganz gut, wenn wir für den Fall, daß ein ernstes Wort .zu reden ist, gerade an den Möchten, zu denen Frank­reich unter allen Umständen sich gut stellen will, einen ge­wissen moralischen Rückhalt haben.

Im alten.Wetterwinkcl Europas, aus der Balkanhalb- inse i, stehen die Dinge imnrer noch kritisch, denn der energ­ische Widerstand der Albanesen ist natürlich nicht dazu an- bei den anderen Balkanoölkern das Ansehen der Türkei, die dazu immer noch an inneren Kämpfen krankt, zu stärken.

In Mexiko neigt sich die Wage des Schicksals immer mehr zu Gunsten der Revolutionären; eine Gefahr liegt weiter nicht -.darin, solange die Bereinigten Staaten sich eines Eingreifens enthalten, aber mit dieser' Möglichkeit ist eben mi: dem Fortschreiten der revolutionären Erfolge, die leicht in Zügellosigkeit ausarten können, immernoch ernstlich zu rechnen.

Deutscher Reichstag.

r Berlin, 19. Mai.

Am Bundesratstisch die Staatssekretäre Dr. Delbrück und Wermuch.

Präsident Graf Schrversi-Löwitz eröffnet die Sitzung um 12.15 Uhr.

Die zweite Lesung der Neichsrersicherungsard- nun.g wird beim 4. Buch ^Punaliden-und Hinterbliebenenver­

Samstag, dm 20. Mai

sicherung) fortgesetzt. Der erste Abschnitt behandelt den Umfang der Versicherung und umfaßt die Ztz 12121234. Bei 8 1212 (Bersicherungspflicht) beantragt

Polt ho ff (fortschr. Pp.) namens eines Teils seiner Partei, auch diejenigen Privatbeamten in die Versicherung einzubeziehen, deren regelmäßiger Iahresarbeitsoerdienst 2000 übersteigt. Dabei soll der Reichszuschuß bei den­jenigen Privatbeamten in Wegfall kommen, die über das Durchschnittseinkommen verdienen. Gegebenenfalls soll das Derdienstmaximum auf 5000 heraufgesetzt werden.

Hoch (Soz.): Wir stimmen diesem Antrag zu.

Stresemann (natl.): Wir verlangen, daß die Ver­bündeten Regierungen erklären, wann das Privatbeamten- Versicherungsgesetz zu erwarten ist.

Staatssekretär Dr. Delbrück: Das Gesetz betreffend die Versicherung der Privatbeamten hat den Bundesrat schon passiert und wird dem Reichstag in den nächsten Tagen zugehen.

Der Antrag wird abgelehnt und Abschnitt 1 bis Z 1234 erledigt. Bei Abschnitt 2 (Gegenstand der Versicherung) erklärt auf eine Anregung Ministerialdirektor Caspar, daß mit der gegenwärtigen Praxis nicht gebrochen werden soll, wonach die Invalidenrente ohne Rücksicht auf das Lebens­alter des Versicherten derjenige erhält, der infolge Krankheit oder anderer Gebrechen dauernd invalid ist.

§ 1242 bestimmt, daß die Altersrente vom vollendeten 70. Lebensjahr an gezahlt wird. Mit diesem Paragraphen wird verbunden § 1376, der die Wochenbeiträge regelt.

Mugdan (fortschr. Bp.): Wir beantragen, als Alters­grenze das 65. Lebensjahr festzusetzen. Kostenrücksichten dürfen da nicht mitsprechen. Geld ist vorhanden, wenn die Rechte die Erbschaftssteuer beschließt. (Große Unruhe).

Faber (Soz.) befürwortet einen Antrag seiner Partei, ebenfalls auf Herabsetzung der Altersgrenze auf das 65. Lebensjahr.

Staatssekretär Delbrück: Es handelt sich hier nicht um die Herabsetzung der Altersgrenze, sondern darum, ob im Rahmen der Reichsversicherungsordnung im Zusammen­hang mit den zahlreichen neuen sozialpolitischen Wohltaten diese Neubelastung notwendig und möglich ist. Zu einer Zeit, wo so enorme Neubelastungen durch Steuern und durch sozialpolitische Gesetze mit einem Mal auf unser ge­samtes Erwerbsleben gelegt werden, muß man sich doch einige Beschränkungen auferlegen. Die Forderung der Herabsetzung der Altersgrenze würde übrigens im Laufe der Zeit an Bedeutung verlieren, weil namentlich industrielle Arbeiter mit ziemlicher Sicherheit die höhere Invalidenrente erreichen werden, bevor sie die Altersgrenze erreichen. Die Herabsetzung der Altersgrenze würde das Reich mit fast 9 Millionen, die Bersicherungsämter mit fast 45 Millionen mehr belasten. Dazs kommt, daß das Privatbeamten-Ber- sicherungsgesetz weitere 250 Millionen notwendig machen wird. (Hört! Hört!) Den Arbeitern wird mehr daran liegen, eine erhöhte Iusatzrente für Invaliden unter 50 Jahre, die Kinder haben, zu erhalten. Diese Forderung hoffe ich, beim Bundesrat durchsetzen zu können.

Ich erkläre nach Rücksprache im Bundesrat und im Auftrag des Reichskanzlers, daß wir einer Herabsetzung der Altersgrenze nicht zustimmen können und die Reichsver- sichcmngsordmMg für uns unannehmbar werden wird. (Gr. Unruhe links. Zuruf: Schämen Sie sich!) Die Mehr­leistungen sind so erheblich, daß die verbündeten Regierungen sich nicht zu schämen brauchen und ich hoffe, daß an dieser Frage das Gesetz nicht scheitern wird. (Lebh. Beif.)

-(Forts, folgt.)

Württernbergischer Landtag.

r Stuttgart, 19. Mai. Die Zweite Kammer genehmigte.heute die Rechnungsergebnisse des Staatshaus­halts von dem Rechnungsjahr 1907 und 1908 und verwies entsprechend einem Antrag des Abg. Löchner (Vp.) den Ge­setzentwurf betr. die Rechtsverhältnisse der Volksschullehrer an den Volksschulausschuß. Bei der nun folgenden Berat­ung des Eisenbahnbaukreditgesetzes für die Finanzperiode 4911 bis 1912 wurden von verschiedenen Rednern zahlreiche Wünsche oorgebracht und unter anderem kritisiert, daß die Eisenbahnoerwaltung das Areal des Stuttgarter Bahnhofs nicht selbst verkauft und dadurch den Bahnhofumbau ver­billigt habe; ferner,- bei dem Bau von Nebenbahnen auf die geologischen Verhältnisse nicht genügend Rücksicht ge­nommen worden sei, wodurch Mehrfsrderungen entstanden. Schließlich wurde der Antrag Dr. o. Kiene's auf Verweis­ung des Entwurfs an den Volkswirtschaftlichen bezw. an den Finanzausschuß angenommen und die Weiterberatung auf morgen vormittag 9 Uhr vertagt. 2. Lesung des Haupt­finanzetats.

1911

Tages-Neuigkeiten.

Aus Stadt uud Land.

r Obernheim OA. Spaichingen, 19. Mai. Gestern wurde der Besitzer des kürzlich abgebrannten Hauses, Baisch, wegen Verdachts der Brandstiftung sestgenommen und dem Amtsgericht Spaichingen übergeben. Die Voruntersuchung hatte so viel Belastendes erbracht, daß die Untersuchungshaft verhängt werden mußte.

r Tuttlingen, 19. Mai. (Arbeiterbewegung.) Die Lohndifferenzen in den hiesigen Schuhfabriken sind nunmehr beseitigt und die Arbeiter haben die Arbeit wieder ausgenommen.

r Göppingen, 19. Mai. (Vom Rathaus.) In der heutigen gemeinschaftlichen Sitzung der bürgerlichen Kollegien gab Oberbürgermeister Dr. Keck eine Erklärung über seine Bewerbung um die Stadtoorstandsstelle in Stutt­gart ab. Nicht darüber, daß er sich beworben habe, sondern daß er seine Kandidatur in den letzten Tagen vor der Wahl, als sie aussichtslos geworden war, nicht zurückgezogen habe, wolle er sich äußern. Es sei nicht Eigensinn von ihm gewesen, vielmehr hätten Gründe Vorgelegen, die er heute noch nicht in öffentlicher Sitzung bekannt geben könne, vielleicht biete sich später dazu Veranlassung. Der dienst- älteste Gemeinderat Kübler gab eine von den Gemeinde­kollegien einstimmig gebilligte Erklärung ab, wonach die gesamte Bürgerschaft sich freue, daß die bewährte Kraft des Oberbürgermeisters der Stadt erhalten bleibe. Man sei überzeugt, daß das schöne Zusammenarbeiten der bürgerlichen Kollegien mit dem Oberbürgermeister, gestützt auf gegensei­tiges Vertrauen, wie bisher so auch künftig durchaus er­sprießlich sein werde. Oberbürgermeister Dr. Keck entgegnete kurz, er werde nichts unterlassen, um das gute Einvernehmen zwischen ihm und den Kollegien zu erhalten und zu fördern.

Crailsheim, 18. Mai. Ein seltener Fall ereignete sich in dem Orte W. hiesigen Oberamts; brachte da die Kuh eines oermöglichen Bauem zwei schöne gesunde Kälber zur Welt, zur Freude des Besitzers. Nach einiger Zeit ver­kaufte der Bauer das eine Kalb zu gutem Preis, merkte aber in den nächsten Tagen zu seinem nicht geringen Schrecken, daß das andere Kalb jetzt trauerte, von der Kuh keine Milch mehr annahm und zusehends abmagerte. Der Bauer, in der Befürchtung, daß dasselbe verenden könnte, nahm sich das so zu Herzen, daß er herging und sich aufhängte. «

Gerichtssaal.

r Stuttgart, 18. Mai. (Das neue Weingesetz.) Vergehen gegen das neue Weingesetz beschäftigen noch fort­gesetzt die Strafkammer. Ein Wirt hatte inländischen Wein mit Tiroler vermischt und dem Verschnittwein etwa 15 Liter Zuckerwasser zugesetzt. Die Strafkammer erblickte darin ein Vergehen gegen § 3 des Weingesetzes und ver­urteilte den Angeklagten zu 5 ^ Geldstrafe. Außerdem erkannte das Gericht aus Einziehung des Weines. Mit dem Fall wird sich übrigens noch das Reichsgericht zu befassen haben.

Leipzig, 19. Mai. Das Reichsgericht verwarf die Revision des Rektors RobertB o ck, der am 7. März vom Landgericht II in Berlin wegen vollendeten Sittlichkeils­verbrechens in zwei Fällen und versucht in einem Fall zu 1 Jahr 3 Monaten Gefängnis unter Annahme mildemder Umstände verurteilt worden war.

Deutsches Reich.

Berlin, 19. Mai. Die Reichstagskommission für Elsaß-Lothringen erledigte heute in 2. Lesung das Wahlgesetz mit einigen Aenderungen und beschloß, sofort in eine 5. Lesung des Verfassungsgesetzes einzutreten. Das Berfassungsgesetz wurde darauf unter Annahme zweier von der Reichspartei beantragten Paragraphen mit 19 Stimmen der Reichspattei, des Zentrums, der National­liberalen, der Fortschrittlichen Bolkspartei und der Sozial­demokraten angenommen.

Berlin, 19. Mai. Die nationalliberale Parteileitung unterhandelt seit der vorigen Woche emeut mit der Fort­schrittlichen Bolkspartei auf Herbeiführung eines allge­meinen Wahlkompromisses für die Reichstagswahlen. Das Kompromiß soll sich lediglich auf gemeinsames Zu­sammengehen bei den Stichwahlen beschränken.

r Berlin, 19. Mai. Fm Tunnel der im Bau befind­lichen Untergrundbahn am Hohcnzollerndamm brach gestern durch Umfallen und Explodieren einer Benzinlampe Feuer aus, dem die über den Tunnel führende Brücke zum Opfer fiel. Die Tunnelwände brannten in einer Ausdehnung von reichlich 600 m, so daß ein sehr beträchtlicher Matettal­schaden entstand. Meterhohe Flammen schlugen aus dem