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nacht! Nachdem nunmehr die aus Anlaß Unseres fünfundzwanzig- jährigen Regierungs-Jubiläums veranstalteten Festlichkeiten vorüber sind, drängt es Mich ausrusprechen, wie im Innersten gerührt und beglückt Wir, die Königin und Ich, durch die Uns von Unserem geliebten Volke in so reichem Maße bewiesene Liebe und Ergebenheit sind.
Sprichwörtlich und in der ganzen Welt bekannt ist ja die Treue der Schwaben und ihre Anhänalichkeit an ihr angestammtes Herrscherhaus, aber schöner haben sich diese Eigenschaften gewiß noch selten bewährt als in den letzten festlichen Tagen, von denen einer um den andern Uns zahllose Beweise derselben brachte. Von allen Seiten und aus allen Kreisen der Bevölkerung, von Einzelnen und von Vereinen, von Gemeinden, Korporationen und Behörden, auch von Unseren Landerkindern im Aus- lande, sind Uns die herzlichsten Glückwünsche, oft in schöner künstlerischer Form, zugegangen; Private und Vereine haben ihrer Teilnahme an Unserem Feste durch Schenkungen und Stiftungen für wohlthätige und gemeinnützige Zwecke, durch Gaben und durch Veranstaltungen bethätigt, die wie die verschiedenen zum Jubiläum veranstalteten Ausstellungen zu. gleich Zeugnis ablegen von dem Fortschritte, welchen Wissenschaft und Kunst, Gewerbe-Fleiß und Bodenkultur in Württemberg in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. In erster Linie gedenke Ich aber der großen — von dem ganzen Lande dargebrachten — Jubiläumsstiftung, durch die M i r eine bedeutende Summe für landwirtschaftliche und gewerbliche Zwecke zur Verfügung gestellt worden ist und die auch spätere Geschlechter noch durch ihre wohlthätige» Wirkungen an Unseren Ehrentag erinnern wird.
Glücklich und stolz sehen Wir auf die eben durchlebten Tage zurück, deren Gedächtnis nie aus Unserm Herzen schwinden wird.
Nur Wenigen konnten Wir diese Unsere Gefühle und Unfern Königlichen Dank selbst aussprechen.
I ch beauftrage daher Sie, Mein lieber Präsident des Staatsministeriums Dr. Freiherr v. Mittnacht, öffentlich kundzugeben, wie Wir Allen für die Uns bewiesene Liebe und Treue innigst und herzltchst danken. Karl.
Stuttgart. Am Mittwoch vorm, wurden die 4 Rappen, welche als Jubelangebinde des Kaisers von Rußland an Ihre Maj. die Königin gelangten, der Königin in der Allee auf der Südseite des k. Privatgartens voraeführt, und zwar im Beisein des Großfürsten Thronfolgers von Rußland. Die 4 Rappen, Hengste, bilden 2 Paare; ein Paar ist ohne jegliches Abzeichen, ein Paar hat an den Fesseln hinten kleine weiße Abzeichen. Die vier Thiere stammen aus dem berühmten Orloff'schen Gestüte und sind ausgezeichnet als Traber ersten Ranges. Mit den Pferden sind auch gold- plattierte Geschirre russischer Art angelangt. Die Thiere sind 4jährig und sind bereits gut eingefahren; sie bilden ein wahrhaft königliches Gespann.
Stuttgart, 27. Juni. Den Münchener „Neuesten Nachrichten" wird von hier geschrieben: „Peinliches Aufsehen hat in unseren militärischen Kreisen ein Vorfall erregt, der sich vorgestern im Offizierskasino des hiesigen Infanterie-Regiments, Kaiser Friedrich, abgespielt hat. Bei einem Toast, der auf Deutschland und das württembergische Armee-Korps ausgebracht wurde, erklärte ein Stabsrittmeister von der Deputation des russischen Dragoner-Regiments vor den ebenfalls als Gäste anwesenden preußischen, bayerischen und österreichischen Offizieren kurz und bündig: Auf das Wohl der württembergischen Offiziere könne er trinken — auf Deutschland nicht! Sprach'«, warf sein Glas zu Boden und verließ das Lokal. Dieses allen Regeln des Taktes und der guten Sitte hohnsprechende Benehmen des Moskowiters kam höheren Orts sofort dienstlich zur Kenntnis und es wurde der militärische Heißsporn von dem russischen Großfürst Thronfolger, wie man hört, nachdrücklichst zurechtgewiesen. Nach Entfernung der Russen, die ihrem Kameraden folgten, brachte der preußische Oberstlieutenant v. S. einen demonstrativen Tcinkspruch auf die deutsche Armee und ihre Verbündeten aus, der kolossal einschlug, besonders auch bei den Oesterreichern." — Demselben Blatte
wird dann unterm 28. Juni geschrieben: „Die Weigerung des russischen Offiziers, bei dem Festmahle eines Offizierskorps auf Deutschland sein. Glas zu leeren, bildet begreiflicherweise das Stadtgespräch, so zurückhaltend auch die Militärs sich äußern. Während die einen in dem bedauerlichen Vorgang nur die persönliche Ungezogenheit eines vielleicht durch Weingenuß erregten Gastes sehen wollen, erblicken andere darin eine berechnete politische Demonstration. Unter allen Umständen ist der Vorfall bezeichnend für die in manchen Kreisen des russischen Offiziers Ko>ps herrschende Stimmung."
— Ueber den Vorfall mit der Abordnung von Offizieren des russischen Regiments, dessen Chef König Karl ist, wird der „K. Z." „aus zuverlässigen Quellen" folgendes gemeldet: Bei der Regimentsfeier, wobei die russischen Offiziere die Gäste des Offizierskorps waren, hatte die Gesellschaft an kleinen Tischen Platz genommen, und zwar so, daß die russischen an verschiedenen Tischen saßen neben württembergischen, zum Teil der russischen Sprache mächtigen Offizieren. Als ein Hoch auf die deutsche Armee ausgebracht wurde, weigerte sich einer der Russen, ein junger Hauptmann, auf die deutsche Armee sein Glas zu leeren. Er sagte in deutscher Sprache zu seinen württembergischen Nachbar: „Ich kenne keine deutsche Armee, ich kenne nur eine württembergische Armee." Der angeredete württembergische Offizier erhob sich und erwiderte: „Dann werden Sie die deutsche Armee kennen lernen müssen", und entfernte sich mit seinen Kameraden von dem Tische, den bald darauf der junge russische Hauptmann und ein zweiter an diesem Tisch befindlicher Kamerad verließen. Später hat der Führer der russischen Abordnung den Vorfall auszugleichen versucht, indem er insbesondere darauf hinwies, daß der Hauptmann der deutschen Sprache nicht genügend mächtig sei.
Berlin, 28. Juni. Der Kaiser ist auf der Wildpartstation bei Potsdam heute nachm. 4 Uhr angekommen. Die 4 ältesten Söhne der Majestäten, Kronprinz Wilhelm, Prinz Eitel Fritz, Prinz Adalbert und Prinz August Wilhelm werden heute abend nach Kissingen abreisen, um während der Dauer des Aufenthalts daselbst bei Ihrer Mutter zu bleiben. Prinz Oskar, welcher am 27. Juli sein erstes Jahr erreicht, bleibt im Neuen Palais bei Potsdam, wohin auch die Kaiserin nach beendigtem Kurgebrauch in Kissingen mit den Prinzen zurückkehrt. Von der norwegischen Reise gedenkt der Kaiser am 21. und 22. Juli wieder in Berlin einzutreffen. Derselbe reist dann etwa am 28. nach Wilhelmshaven und schifft sich am 30. nach England ein. Am 2. Aug. erfolgt die Ankunft in Cowes an der Nordküste der Insel Wight, die Rückkunft nach Berlin würde dann voraussichtlich am 8. Aug. stattfinden. Alsdann sieht man dem Besuch des Kaisers von Oestreich entgegen, an welchen sich die großen Manöver schließen dürften. — Die Kaiserin hat den Schutz über die 18 Berlmer Kleinkinderanstalten übernommen.
— Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" beschäftigt sich heute auch wieder mit der Schweiz. Sie erklärt, sie werde das Unzutreffende der Auslassungen des Bundesrats Droz erst beleuchten, wenn sie eine Reihe Artikel über die deutschen Beschwerden gegen die Schweiz beendigt haben werde. Die Antworten des schweizer Bundesrats an Rußland und Oesterreich seien, wie sie höre, viel höflicher und weniger polemisch, als die Interpellation annehmen lasse. In einem zweiten längeren Artikel wirft die „Nordd. Allg. Ztg." der Schweiz die Förderung der sozialdemokratischen Propaganda unter der Jugend vor. Die nach der Schweiz sich begebende deutsche Jugend, Arbeiter wie Studenten, werde dort durch sozialdemokratische Beauftragte bearbeitet. Auch für den Verdacht, daß deutsche Soldaten zur Desertion verleitet werden, liegen Anhaltspunkte vor. Ein weiterer Vorwurf ist die Duldung fremder Sozialrevolutionäre ohne Leumundszeugnisse und sonstige Legitimationspapiere in der Schweiz. Das machten sich deutsche Sozialrevolutionäre zu Nutzen, wie Reinsdorff, Lieske, Kämmerer, Kumisch, Neve. Der schweizer Regierung könne sonach der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß sie durch ihr bisheriges Verhalten das Wachstum der sozialrevolutionären Propaganda in Deutschland gefördert habe.
„Findest Du nicht auch, daß er sich hier in diesen Tagen schon recht erholt hat?" bemerkte Irma.
Bruno lächelte.
„Ja, eine kurze Ausspannung aus dem Joche seines rastlosen Thätigkeitseifers war ihm auch höchst notwendig. Jndeß, Du gestattest mir wohl, zu bezweifeln, dtzß sein besseres Aussehen lediglich eine Folge der Landluft ist. Vielmehr —"
Er stockte ein wenig verlegen. Irma blickte ihn fragend an.
„Vielmehr," fuhr Bruno mit einem schalkhaften Blick fort, „bin ich überzeugt, daß der Anblick einer gewissen jungen Dame den hauptsächlichsten Anteil daran hat."
Der diese Worte begleitende Blick war so bezeichnend, daß Irma nicht im Zweifel bleiben konnte, wen er mit der gewissen .jungen Dame' im Sinne hatte.
Eine brennende Röte überflutete jählings ihr Antlitz und in stummer Verwirrung beugte sie sich tief über den Nacken ihres Pferdes.
Bruno hatte sie lächelnd beobachtet; jetzt neigte er sich ihr zu.
„Bist Du mir böse, Irma," sagte er einschmeichelnd, „daß ich Dir das Geheimnis Treuhold's verraten habe? Nein, nicht wahr. Du bist doch noch immer meine liebe, gute Schwester, der ich unbedingt vertrauen darf?"
Irma richtete sich hastig auf und ein scheuer Blick schweifte jetzt zu ihrem Begleiter hin. Alle Röte war aus ihren Wangen gewichen, eine unbestimmte Angst leuchtete Bruno aus ihren Augen entgegen. Er verfärbte sich leicht und fühlte eine seltsame Beklemmung in sich aufsteigen. So sah kein Mädchen aus, welches das Geheimnis ihres Herzens von einem Unbekannten erraten hörte. Sollte sie die Liebe Treuhold's wirklich nicht erwiedern, — oder hatte derselbe mit seiner Behauptung gar Recht, daß — ?
Er richtete sich plötzlich straff auf. Es lehnte sich Etwas in ihm dagegen auf, den Gedanken nur auszudenken, und er fühlte eS heiß in seine Wangen steigen, während ein rascher Blick das junge Mädchen an seiner Seite traf, die, schön, wie ein strahlender Maimorgen, im vollsten Maße dazu geschaffen schien, einen Mann so recht von Herzen glücklich zu machen, wenn — st» ihn liebt«.
Bruno's ganze Selbstbeherrschung war urplötzlich zurückgekehrt. Fust würde er einen großen Fehler begangen haben; noch rechtzeitig hatte er es erkannt.
„Sieh, Irma," sprach er zutraulich, „der arme Treuhold thut mir herzlich leid, obgleich ich ihm seine Gefühle nicht nachempfinden kann, denn das Gebiet der Liebe ist mir noch eine vollständige terra iueoAnita. Doch da ich weiß, daß er unter der Qual der Ungewißheit unsäglich leidet, obgleich er nur selber daran Schuld ist durch seine ängstliche Zurückhaltung, so dachte ich, man müßte ihm ein wenig zu Hilfe kommen —" seine Stimme wurde unsicher und leiser — „und deshalb wollte ich Dich bitten, wenn — ja, wenn Du ihn ein ganz klein wenig ermutigen wolltest —"
„Hat er Dich etwa dazu beauftragt?" unterbrach Irma ihn mit ungewohnter Schärfe. Ihr Antlitz war unbeweglich; sie blickte gerade vor sich hin, so daß er nur ihr feingeschnittenes Profil sehen konnte.
Bruno war bei dem fremden, harten Klang ihrer Stimme bestürzt zusammengefahren. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er ihr gegenüber seine Sicherheit schwinden; aber entschlossen hielt er leine sorglose, heitere Miene fest.
„Wohin denkst Du, Irma?" antwortete er lächelnd. „Verzeihe mir, wenn ich ungeschickt war. Der Zauber der Liebe ist mir eben noch ein vollständig unbekanntes Gefühll Du wirst mich nicht verstehen, ich — ich bin eine zu prosaisch veranlagte Natur, oder zu oberflächlich, wenn Dir das wahrscheinlicher klingt. Noch schätze ich meine Freiheit über Alles! Das scheint Dir wohl seltsam, nicht wahr?"
„O, nein, durchaus nicht!"
Sie hatte ihr Antlitz von ihm abgewandt, ihr Busen wogte stürmisch auf und nieder und ihre Stimme klang verschleiert. Ein schmerzlicher Seufzer entschlüpfte Bruno's Lippen bei dieser Wahrnehmung und er mußt« sich sammeln, ehe er seine Stimme wieder in der Gewalt hatte. ,
„Und Du zürnst mir nicht? Du verzeihst mir meine Ungeschilftheit?" fragte er leise.
Jetzt wandte Irma langsam das Gesicht chm zu. Sie lächelte, aber ihre Züge warm blaß und in ihren Augen schimmerte es wie von gewaltsam zurückge- haltenen Thränen. Er sah das nur einen blitzartigen Augenblick, denn eben so schnell hatte ß« ihr Besicht wieder abgewandt. (Forts, folgt.)