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Calw, 24. Juni. Am gestrigen Sonntag feierten Herr Stadtschuld- heiß und Landtagsabgeordneter Haffner mit seiner Gattin das Fest der silbernen Hochzeit. Zur Beglückwünschung des Jubelpaars begab sich am Vormittag eine Deputation der bürgerl. Kollegien in die Wohnung des Gefeierten und überreichte unter den besten Glückwünschen ein prächtiges Geschenk, sowie eine Urkunde über eine namhafte Gehaltszulage. Elfteres besteht in einem silbernen Besteckservice, wovon jedes einzelne Stück in kunstvoller Ausführung das Wappen der Stadt, sowie den Tag und die Jahre 23. Juni 1864/1889 eingraviert trägt. Hr. C. Bozenhardt sen. übergab dasselbe mit einer Ansprache, in welcher er der Verdienste gedachte, welche sich Hr. Stadlschultheiß Haffner in seiner stetigen Sorge um das Wohl der Stadt und seiner Einwohnerschaft erworben und verband damit in schlichten herzlichen Worten den Wunsch, daß es dem Jubelpaare vergönnt sein möge, das überreichte Andenken in bester Gesundheit noch recht viele Jahre benützen zu dürfen. Der Jubilar gab seiner Ueberraschung Ausdruck, daß das Familienfest, entgegen seinem und seiner Gemahlin Wunsche, auch außer dem Hause bekannt geworden sei; es werde ihm mehr Achtung und Anhänglichkeit entgegengebracht, als er nach seinen Leistungen in seiner Stellung zu verdienen glaube; doch habe er das Bewußtsein, stets seine Thätigkeit für die Interessen der Stadt unter Einsetzung seiner vollen Kraft gewidmet zu haben und werde dies auch ferner, so Gott will, in derselben Weise fortsetzer, er danke aufs herzlichste für die ihm in so hohem Maaße gewordene Anerkennung. — Schon abends zuvor hatte der Liederkranz ein wohlgelungenes Ständchen gebracht. Zum Vortrag gelangten 3 Chöre, darunter das in Gövpingen zum Wettgesang bestimmte Lied „Am Waldrand steht ein Tannenbaum". Die Stadtkopelle brachte in der Sonntagsfrühe ebenfalls ein Ständchen, das sie mit dem prächtigen Choral „Kommt, kommt den Herrn zu preisen" eröffnete. Auch dis Frauenarbeitsschule gratulierte dem Vorstand des Curatoriums unter Uebergabe von Blumenbouquetten, begleitet mit einem passenden Gedicht. — In einer langen Reihe von Jahren hat der überall hochge- achtete Stadtvorstand eine überaus ersprießliche Thätigkeit auf den verschiedenen Gebieten der städtischen Angelegenheiten entfaltet. Möge es demselben vergönnt sein, auch fernerhin noch eine recht lange Zeit und in voller Kraft, getragen, von dem Vertrauen seiner Mitbürger sein schwieriges und mühevolles Amt zum Wohl und Heil unserer Stadt verwalten zu dürfen. ^
Calw, 24. Juni. Gestern Mittag verschied nach längerem, schweren Leiden der Reichstagsabgeordnete für die Oberämter Calw, Neuenbürg, Nagold und Herrenberg. Hr. Geheime Kommerzienrat Julius Staelin. Der im kräftigsten Mannesalter dohingeraffte, sehr geschätzte und überall beliebte, freundliche Mitbürger unserer Stadt vertrat den Bezirk Calw auch viele Jahre im Ständehaus, mußte jedoch bei der letzten Wahl aus Gesundheitsrücksichten eine Wiederwahl ablehuen. In politischer Beziehung stand er treu zu Kaiser und Reich und seinem angestammten Fürstenhause und gehörte im Reichstag der freikonservatioeu Partei an. Durch sein ausgedehntes Fabrikgeschäft erwarb er sich bedeutende Kenntnisse auf dem industriellen Gebiet und wurden seiner ersprießlichen Thätigkeit, da er auch Vorsitzender der Calwer Handelskammer war, von unserem Könige mehrfache Auszeichnungen zuteil. Die hochbetagte Mutter, die Witwe und 3 Kinder beweinen den Hin- gang des innigstgeliebten Sohnes, Gatten und Vaters. Für jedermann hatte der Verstorbene ein liebevolles Herz und fern von eitlem Stolz wird sein Abscheiden von seinen Freunden und besonders auch von den Armen, deren Wohl- thäter er war, tief betrauert werden.
Stuttgart. Die Residenz schmückt sich. Fieberhafte Thätigkeit herrscht an allen Stellen; Gärtner, Tapezierer und Maler wissen nicht, wo anfangen. Ueberall an den Häusern werden Draperien in würt- tembergischen, russischen, deutschen und den Stadtfarben angebracht. Die beiden Bahnhofshallen tragen reichen Flaggenschmuck, der Mittelgang zeigt im Hintergrund am Eingang der Restauration einen roten Baldachin mit den Büsten des Königspaares. Sehr geschmackvoll ist die Auslage des Gas- und Wasser
leitungsgeschäftes arrangiert. Dasselbe gilt von dem Märklin'schen Geschäft in der Königsstraße. Von Lorbeer und zwei Bronzelandsknechten umgeben, sehen wir die Dietenbachsschen Jubiläumebüsten des Herrscherpaares, davor Danneckers Brunnennymphen sowie Hofers Pferdebändiger, als Schmuck des Vordergrundes sind Porzellanrosen verwandt, von einer Feinheit, die erstaunlich ist. Bei Haijuwelier Föhr erhebt sich ein mächtiger Baldachin, unter welchem die Büsten des Königspaares stehen. Das großartigste in der Königsstraße werden die Häuser des bayerischen Generalkonsuls Dörtenbach, und das der K. Hoflieferanten Helblingu. Herrmann, das letztere wird nach einem Entwurf der Herren Architekien Wittmann und Stahl dekoriert. Die Gebäude des Kommerzienrats Kohlhammer erhallen einen gärtnerischen Schmuck durch den von der Blumenausstellung wohlbekannten Gärtner Lilienfctn. Die Säulen des Königsbaues werden mit Guirlanden umwunden, das Postpartal erhält Gasdekoration. Die via triumptislw in der Hauptstätterstraße geht ihrer Vollendung entgegen und bietet mit ihrem Triumphbogen einen prächtigen Anblick. — Bei dem Gartenfeste im Wilhelms-Rosensteinpark am26. ds. werden nicht weniger als fünf Militärkapellen ihre Weisen ertönen lassen.
Stuttgart, 23. Juni. Jubiläumsfeier in der Residenz. Ueber die Ankunft der hohen und höchsten Herrschaften erfährt man: S. Maj. der Kaiser trifft mit Sr. Maj. dem König von Sachsen am Dienstag vormittag 9 Uhr 30 Minuten hier ein; S. K. H. der Großherzog von Baden am Dienstag früh 7 Uhr; Se. K. H. der Großherzog von Hessen am Montag abend 9 Uhr 55 Min; Se. Kaiser!. Hoh. Großfürst Thronfolger Nikolaus von Rußland am Montag mittags 12 Uhr 25 Min. Se. Kaiser!. Hoheit der österr. Erzherzog Ferdinand am Dienstag früh mit dem Orientexpreßzug; Se. K. Hoh. Prinz Ludwig von Bayern am Montag abend 9 Uhr 52 Min.; S. K. Hoh. Erbgroßherzog von Sachsen heute (22.) mittags 12 Uhr 35 Min.; S. Durchl. Erbprinz von Reuß j. Linie und Se. Durchl. Erbprinz von Wawcck und Pyrmont am Dienstag früh. — Im Marmorsaal des K. Residenzschlosses fand Samstag nachmittag, nachdem II. Majestäten zuvor das diplomatische hiesige Korps, sowie die zur Beglückwünschung eingetroffenen außerordentlichen Gesandtschaften in Audienz empfangen hatten, ein diplomatisches Diner von circa 70 Couverts statt.
Karl-Olga-Medaille. Das Regierungsblatt Nr. 16 vom 20. d. M. enthält eine K. Verordnung vom 16. Juni 1889, betreffend die von Ihrer Majestät der Königin gestiftete Karl-Olga-Medaille für Verdienste um das rote Kreuz. Die Medaille wird an solche Männer, Frauen und Jungfrauen, welche im Dienste des roten Kreuzes zur Pflege im Felde verwundeter oder erkrankter Krieger sich besonders ausgezeichnet haben, als Zeichen der Anerkennung und Erinnerung verliehen. Die Verleihung des Ehrenzeichens hängt allein davon ab und kann nie nachgesucht werden. Sie erfolgt in der Regel auf Antrag der hohen Stifterin. Zur Jubiläumsparade entsenden von Ulm die einzelnen Truppenteile Abordnungen.
Der am 25. Juni stattfindende Fackelzug setzt sich um 9 Uhr im Kasernenhof mit Beginn der Musik in Bewegung, geht durch. die Paulinen-, Diarien- und Königsstroße, dem Königsbau entlang, am Cafe Bechtel vorüber und tritt bei dem unteren, dem kgl. Hoftheater zu belegenen Flügel des kgl. Residenzschlosses in den Schloßhof, wo die Zugsteilnehmer Sr. Majestät dem König und Ihrer Maj. der Königin ihre Huldigung darbringen. Vom oberen, dem alten Schloß zu belegenen Schloßflügel geht der Zug zurück gegen das kgl. Hostheater bis zum Reitweg gegenüber dem Cafe Bechtel, durch diesen zur Königstraße, längs dem Trottoir am Schloßplatze hin bis zu der zur Plante führenden Allee, biegt von ihr beim alten Schlosse zum alten Schloßplatz ab und zieht durch die Dorotheenstraße über den Charlottenplatz, rechtsseitig,^durch die Eßlinger- und Hauptstätterstraße bis zur Einmündung der Tübingerstraßs, wo er sich aufiöst. Die Zugsrichtung beim Schloßplatze entspricht dem Wunsche, den Tausenden von Zugsteilnehmern, selbst auch das Betrachten des sich aufrollenden Zuges in der Hauptsache zu ermöglichen.
Dieser selbst saß vor seinem Schreibtisch und war mit dem Durchlesen der soeben «»gekommenen Postsachen beschäftigt. Er war eine hohe, kraftvolle Erscheinung mit schon stark ergrautem, aber noch vollem, lockigen Haupthaar. Seine klugen Augen mit dem scharfen, durchdringenden Blick, seine entschlossenen Mienen hatten denselben Ausdruck, der das Antlitz Treuhold's charakterisierte. Intelligenz und Geist sprachen aus den markig geschnittenen Zügen.
Die imponierende Persönlichkeit des Majoratshsrrn flößte Jedem, der sich ihm nahte, Hochachtung und Vertrauen ein. Seine Untergebenen liebten und verehrten ihn, denn trotz aller Strenge, mit der er jedes Vergehen bestrafte,. war er ihnen im Ganzen doch ein wohlwollender, gütiger Herr, der Treue und Anhänglichkett nach Gebühr belohnte. Voll Gerechtigkeitssinn duldete er keine Bevorzugung; gerade durch ging er, vom Ersten bis zum Letzten, lobte und tadelte nach Recht und Verdienst.
Der größte Teil der Dienerschaft war schon in dem gräflichen Dienst ergraut und Keinen gab es unter ihnen, der von seinem Gebieter nicht schon irgend wie ein Zeichen des Wohlwollens empfangen hatte.
Mehrere Briefe hatte der Gras nach einander von dem silbernen Teller genommen und nach flüchtigem Ueberlesen bei Sette gelegt. Auch den letzten hatte er, wie alle übrigen, ohne Ansehen der Adresse erbrochen, die Lektüre desselben nahm ihn längere Zeit in Anspruch, als die aller übrigen Briefe zusammen. Schon nach dem ersten, kurzen Blick auf das Papier hatte er gestutzt, dann aber stieg eine dunkle Röte in seine Stirn; die Brauen zogen sich finster zusammen und seine Augen blitzten zornig aus. Mit hastigem Griff faßte er nach dem vor ihm liegenden, zrrifsenen Kouvert und wie in ihn plötzlich.überkommender Schwäche erzitterte dar Papier in seiner Hand. Von dem Kouvert irrten seine Augen wieder auf den Brief und blieben mit unheimlichem Ausdruck auf der Unterschrift desselben hasten. Dann schlug er heftig aus die seitwärts nebm ihm stehende, silberne Glocke und wandte sich bmsch an den gleich daraus lautlos eintretenden Diener:
»Wer hat mir die Briefe gebracht, Hubert?"
Der alte Diener fuhr erschrocken zusammen.
„Anton, gnädigster Herr."
„Hat der Mensch denn keine Augen, daß er mir die Briefe meines Sohnes mit auf den Teller legt? Warum besorgst Du das nicht selber? Du weißt doch, daß ich es nicht liebe, wenn Du Deine Odligenheüen von Andern besorgen läßt!"
„Ich bitte um Verzeihung. Ew. Erlaucht hatten mich gerade in den Stall geschickt, um nach dem Befinden der kranken Diana zu sehen," stammelte der Diener.
Der Graf strich mit der Hand über die Stirn.
„Du hast Recht, Alter. Gehe und sage dem Grafen Bruno, -aß ich ihn zu sprechen wünsche."
„Ew. Erlaucht mögen verzeihen, der Herr Lieutenant sind schon vor einer halben Stunde mit der gnädigen Komtesse fortgeritten."
Der Graf wandte sich unwillig ab und winkte dem Diener, sich zu entfernen. Aber noch bevor Jener die Thür wieder geschlossen hatte, rief er ihn zurück.
„Ist die Gräfin schon auf?"
„Die gnädige Frau nehmen soeben ihr Frühstück ein."
„Es ist gut; Du kannst gehen!"
Wieder senkten sich die Augen des Grafen auf den Brief, den er noch krampfhaft in der Rechten hielt. Noch einmal überflog er Wort für Wort; dann schleuderte er ihn wie ein giftiges Insekt von sich, schob heftig seinen Stuhl zurück und durchmaß mit großen Schritten das Zimmer. In seinem Gesicht zuckte es unhellvoll, die blauen Zornesadern auf seiner Stirn traten hervor und seine Augen sprühten flammende Blitze. Plötzlich trat er hastig wieder auf den Schreibüsch zu, ergriff den Brief mü einer verabscheuenden Geberde und verließ das Zimmer.
In einem klemm, mit behaglicher Eleganz ausgestatteten Boudoir saß die Gräfin Pauline auf dem schwellenden, pfauenblauen Plüschsofa und trank ihre Chokolade.
Hier in diesen Raum quol da- Tageslicht nicht so ungedämpft hinein, wie in da» Arbeitszimmer de« Grafen. Die schweren blauen Plüschvorhänge warm halb zugqogrn und verbreiteten jme anheimelnde Dämmerung, welche die Gräfin liebte, wenn sie sich allein befand.
(Fortsetzung folgt.)