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* Calw, 5. März. Im Hörsaale des Georgenäums hielt gestern abend Hr. Helfer vr. Salzmann von Liebenzell vor einem zahlreichen Publikum einen geistvollen, mit feiner Ironie gewürzten, packenden Vortrag über „die Geisterwelt der vierten Dimension." Redner führte aus, daß er keinen Beweis von dem Verkehr der Geisterwelt geben und auch keine Vorstellung von der 4. Dimension (einer Raumgröße mit 4 Ausdehnungen) machen könne. Der sich mit dieser neuen Welt beschäftigende Spiritismus, einer der fremdartigsten Blüten des Aberglaubens, auf amerikanischem Boden entstanden und in ein neues philosophische» System gebracht, schien in den letzten 10 Jahren wieder allmählich zu verschwinden, steht aber in neuerer Zeit in voller Blüte, wie dies aus einem Vorkommen im Hause eines Bauern in der Nähe Berlins hervorgeht, wobei allerdings die Person des Geistes in dem Dienstknecht entlarvt und zur Verantwortung gezogen wurde. Bekanntlich hat der Spiritismus, welcher lehrt, daß die Seele fortlebe und die jenseitige Geisterwelt sich mit den Menschen vereinigen können, Vorgänge in den griechischen Orakeln, den Geisterbeschwörungen Homers und in der Seherin von Prevorst. Er ist im Jahr 1648 in New-Dork aufgetaucht, um einen Mord ans Tageslicht zu bringen. Schnell verbreitete sich die Geisterklopferei und -seherei. Man kam auf den Gedanken, die Zahl der Buchstaben mit den Klopslauten in Verbindung zu setzen und so zu Aussprüchen zu verbinden, zuletzt aber fing der Geist selbst auf den Tisch zu schreiben an. Auf das Geisterklopfen folgte also das Schreiben, dann das Erscheinen des Geistes und zwar zuerst Abdrücke von einzelnen Teilen, dann aber der Geist in seiner wirklichen Beschaffenheit. Zur Vorführung derselben braucht man Medien, Personen, welche als Vermittler de« geistigen Einflusses dienen und gewöhnlich sehr geschickte Hände haben; es giebt Sprech- und Schreibmedien. Einer der 4 berühmtesten Medien ist der Amerikaner Slade. In Deutschland hat man der Sache hauptsächlich durch die Unterstützung der Naturforscher ein wissenschaftliches Mäntelchen umgehängt, sollte doch diese Lehre interessante Aufschlüsse über die Handlungsweise der Geister, über die Beschaffenheit anderer Wesen u. s. w., geben. Viele Zeitschriften sind daher entstanden. Der Gedanke von 4 dimensionalen Wesen ist nicht neu; schon Plato, Oetinger (auf Grund von Bibelstellen z. B. Ephes. 3,18) und Kant haben darauf hingewiesen. Redner kam nun auf die berühmten Experimente des Prof. Zöllner in Leipzig mit dem Medium Slade zu sprechen. Dieser berühmte Mann ging von dem Satz aus: Die Thatsächlichkeit einer 4. Dimension kann nur durch Versuche oder Erfahrung bewiesen werden. Unaufgeklärt blieben nun freilich die Knoten in einem geschlossenen Ring, das Einschieben von Ringen in einen Tischfuß und das Verschwinden eines kleinen Tische»; manche Erscheinungen beruhten aber auf optischer Täuschung oder auf Taschenspielerei. Es ist manches wahr und schön, was der Spiritismus lehrt, das Wahre aber ist schon längst bekannt. Die Anschauung der Seelenwanderung findet besonders einen Stützpunkt in dieser Lehre von einer 4. Dimension. Im Interesse ihrer Entwicklung und Veredlung, sagen die Anhänger des .Spiritismus, bleibt die Seele nicht in der 4. Dimension, sondern geht von Körper zu Körper, bis sie vollkommen ist. Die Spiritisten erwarten von der Annahme ihrer Lehre ein vollständig neues Moralprinzip, ein Gesetz von der Erhaltung der Energie; nichts gehe verloren, jede gute Handlung bringe vorwärts und kapitalisiere sich. Der Wert dieser Lehre, läßt sich, wenn auch nicht alle Erscheinungen erklärt werden können, dahin zusammen- fassen: Sie bildet keine Brücke zum christlichen Glauben, sondern sie führt zur Anschauung der Seelenwanderung und zum Materialismus.
Stuttgart, 5. März. Unser württembergisches Volk und Land steht heute wiederum vor dem frohen Tage des Allerhöchsten Geburt«- festes Seiner Majestät des Königs, das wir in diesem Jahre mit besonders freudigen Gefühlen zu feiern uns anschicken, da es uns als Vorbote und Beginn der Feier des fünsundzwanzigjährigen Jubiläums der glücklichen und gesegneten Regierung Seiner Majestät gelten darf. So sehen wir mit froher Erwartung einer Reihe von herrlichen vaterländischen Gedenktagen entgegen, die Fürst und Volk in inniger Liebe und Treue verbunden zeigen. Freilich, schon seit einer Reihe von Jahren mischt sich in diese Freudentage die bange Sorge um die erschütterte Gesundheit Seiner Majestät, erst
in den letzten Wochen haben wir mit Trauer und Betrübnis erfahren müssen, daß trotz des günstigen Einflusses, den der Aufenthalt im Süden auf das Befinden Seiner Majestät auszuüben pflegt, Erkältungsanfälle nicht ausgeblieben sind und auch das Grundleiden selbst noch keine durchgreifende Wendung zur Besserung genommen hat. Doch haben wir vor wenigen Tagen zu unser aller Freude beruhigende Nachrichten vernehmen dürfen, die uns hoffen lassen, daß Seine Majestät den Tag Seines hohen Geburtsfestes an der Seite Seiner treuen Gemahlin in gehobenem Wohlsein werde begehen können. Und wenn wir zurückdenken, wie in den Märztagen des verflossenen Jahres Seine Majestät kaum erst von schwerer gefahrdrohender Krankheit genesen war, wie wenige Tage, nachdem wir fein Geburtsfest begangen hatten, unser Königshaus und Volk mit der ganzen deutschen Nation in die tiefste Trauer um den Verlust des greisen Kaisers Wilhelm versetzt wurde und wie die Schicksalsschläge, die damals alle patriotischen Herzen trafen, kein Ende nehmen wollten, so haben wir heute Grund genug, dem gütigen Himmel zu danken, daß unser engeres und weiteres Vaterland die Stürme der letzten Zeit ohne Gefährdung überstanden hat und heute in alter Kraft seine Stellung unter den Völkern der Erde behauptet und ihnen das Bild einer ungetrübten Einheit zwischen Fürsten und Völkern bietet. Vor allem aber ist es unser teures Württemberg, auf das in diesem Jahre die Blicke unserer deutschen Stammesgenossen und der ganzen Welt sich richten werden. Selten hat wohl je ein gekröntes Haupt mit seinem ihm aufs engste verbundenen Volke ein solches Jubeljahr in so ungetrübter Eintracht begangen und dabei auf eine Zeit zurückblicken können, reich an großen Ereignissen und glücklich durch fortschreitende Entwicklung auf allen Gebieten. Wir Württemberger wissen, was wir an unserem in Ehrfurcht geliebten König haben, und mit inniger Dankbarkeit flehen wir zu Gott, daß das teure Leben Seiner Majestät uns noch viele Jahre erhalten bleiben möge! Staatsanz.
Stuttgart, 4. März. (Strafkammer.) Ein schlimmer Bursche, der seinen Eltern unendlichen Kummer bereitet hat. stand in einem 13jährigen Schulknaben von Eßlingen vor der Strafkammer. Derselbe hatte im Dezember v. Jahrs betrügerische Handlungen zu begehen angefangen. Mit großer Geflissenheit und Raffiniertheit verschaffte er sich in 5 Fällen Geld, indem er zu mehreren Geschäftsleuten ging und auf die Namen anangesehener Leute in Eßlingen Waren entnahm, welche er bald darauf in Eßlingen und Stuttgart versetzte. So entnahm er 3 wollene Hemden für 18 »1«, 4 Normalhemden 18 1 Stück Herrenkleiderstoff 10 -M, 1 Stück
Buckskin 31 und 40>/z Psd. Roßhaar, 97 wert. Ferner versuchte er von einem Freunde seines Vaters 6 zu erschwindeln, indem er einen Brief des Vaters an jenen fälschte und um diesen Betrag bat, da er (der Vater) hier sein Portemonaie verloren habe. Dieser Betrug, sowie ein 7. gelang ihm jedoch nicht. Es bleibt rätselhaft, wohin der Knabe das Geld, welches er in den Leihhäusern für die verschiedenen Sachen erhielt, gebracht haben mag; es sind über 80 Allerdings hat er über 14 Tage damit gelebt, als er seinen Eltern durchgegangen war, und sich auch einige Kleider gekauft. Auch behauptet er, seinem Vater von dem Gelbe gegeben zu haben, dem er vorredete, er hätte es durch Gepäcktragen vom Bahnhofe in die Stadt verdient. Das Gericht erkannte dem Anträge des St.-A. gemäß auf 3 Mon. Gef. welche in der Abteilung für jugendliche Gefangene zu verbüßen sind.
Feuerbach, 3. März. Gestern abend kurz nach 7 Uhr kam dar Pferd des Herrn Metzgermeisters Alber von Stuttgart mit dem leeren Schlitten auf den hiesigen Bahnhof zugerannt, als gerade der Zug nach Zuffenhausen, Calw rc. abfahren wollte. Das scheue Tier prallte mit dem Schlitten an der Barriere an, welche sich durch den wuchtigen Stoß öffnete, setzte mit dem Schlitten über dieselbe und kam, als der Zugmeister gerade das Zeichen zum Abfahren gegeben hatte, zwischen zwei Eisenbahnwagen zu stehen. Einem Schaffner gelang es nun, dem Pferde in die Zügel zu fallen, es aus seiner kritischen Lage zu befreien und ein großes Unglück zu verhüten. Die Jnsaßen des Schlitten» (der Knecht des Herrn Alber und zwei Bekannte desselben) wurden unterwegs aufgefunden, glücklicherweise nur angeheitert, keiner erheblich verletzt. Das Pferd, welches hier in einem
Adrienne, als sie seine Blicke so ernst prüfend auf sich ruhen sah, errötete unwillkürlich.
„Was ist geschehen?" fragte sie verwundert.
„Das ist die Frage, die ich an Dich richten wollte," antwortete er. „Du siehst bleich und angegriffen aus, — bist Du nicht wohl?"
„O, doch, ich bin ganz wohl."
„Woher kommt es denn, daß Du Deine einst so blühende Farbe verloren hast?"
„Ist das wahr? Das weiß ich gar nicht."
„Ein ziemlich sicherer Beweis, daß Du nur selten in Deinen Spiegel blickst."
Adrienne lachte und begann mit einer Blume zu spielen, die sie im Gürtel trug. Es war eine seltene Orchideenart und ihre Bewegung lenkte Sir Ralph's Aufmerksamkeit auf sie.
„Woher hast Du diese schöne Blume?" fragte er.
„Mr. Egerton brachte sie mir heute Morgen. Du weißt, daß sie in Kings- Dene großartige Orchideenanlagen haben, während wir hier keine besitzen."
„Ich glaube, Mr- Egerton ist sehr gut gegen Dich," bemerkte ihr Gatte, sich bemühend, einen ruhigen Ton anzuschlagen. „Du wirst ihn wohl sehr vermissen, wenn er wieder fortgeht."
„O, gewiß werde ich das. Aber," fügte sie hinzu, „geht er denn überhaupt wieder fort?"
„Gewiß, in einiger Zeit."
Während Sir Ralph sprach, trat er ans Fenster und schaute hinaus; aber nach wenigen Minuten wandte er sich plötzlich wieder zurück und auf seine Gattin zutretend, legte er beide Hände auf ihre Schultern und schaute ihr forschend ins Gesicht.
„Adrienne," sagte er, „bist Du glücklich?"
Das Plötzliche dieser Frage erschreckte sie; sie wurde abwechselnd bleich und rot und schlug die Augen nieder.
„Glücklich!" wiederholte sie in bebendem Tone. „Was meinst Du damit, Ralph?"
„Sind meine Worte denn nicht deutlich genug?" fragte er etwas streng. „Ich denke, sie bedürfen keiner wetteren Erklärung!"
„Natürlich bin ich glücklich!" antwortete sie leicht bebenden Tones, dem man es anmerkte, wie sehr sie sich zur Ruhe zu zwingen hatte. „Habe ich denn nicht Alles, wonach ein Mensch nur verlangen kann, und bist Du nicht die Güte selbst gegen mich?"
Er seufzte tief. „Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich mich bemühe, es zu sein!" sprach er ernst.
„Und es gelingt Dir im vollsten Maße. Was hat Dich nur veranlaßt, diese sonderbare Frage zu stellen?"
„Well ich bemerkt habe, daß Du zuweilen recht niedergeschlagen aussiehst."
„Jeder Mensch hat Augenblicke, in denen ihn die Traurigkett anwandelt," versetzte sie ausweichend. „Ich glaube nicht, daß dies bei mir öfter der Fall ist, als bei Andern."
„Aber ich möchte Dich gern ganz und gar davor bewahrt wissen. Wenn es nach meinem Willen ginge, dürfte Dich niemals auch nur die geringste Kleinigkeit betrüben!"
Sie küßte ihn und schaute mit Thränen in ihren blauen Augen zu ihm auf.
„Du bist zu gut gegen mich," sprach sie, „wie kann ich Dir das je vergelten?"
„Indem Du mir Deine Liebe gibst, Adrienne!" versetzte er heftig und verließ schnell das Gemach.
Als die junge Frau allein war, wiederholte sie sich seine letzten Worte mehrere Male leise, dann schüttelte sie traurig den Kopf, während ein gepreßtes Schluchzen sich ihrer Brust entrang. (Fortsetzung folgt.)