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Berlin, 23. Okt. Ob der Rei ch s kan zl e r den Zollanschlußfeierlich­keiten in Hamburg anwohnen wird, soll fraglich geworden sein. Wenn­gleich Fürst Bismarck sich sonst ganz wohl befindet, zeigen sich doch öfter Schmerzen in den Füßen, die ihm das Stehen sehr erschweren. Indessen steht jedenfalls ein Zusammentreffen mit dem Kaiser in Aussicht. Sicher ist, daß der Kaiser die Absicht hatte, den Kanzler in Friedrichsruh zu besuchen.

Bremen, 22. Okt. Unter Beteiligung des Senats, der Bürger­schaft und der Handelskammer, der Spitzen der Behörden und eines großen Teils der Bevölkerung begann gestern mittag die Feier der Eröffnung des Freihafengebiets. Oberbaudirektor Franzius übergab die mit großer Anstrengung geförderten Arbeiten dem Senate, indem er seine feste Ueber- zeugung aussprach, daß alle Bauten sich bewähren und in naher oder ferner Zeit der freien Hansastadt Bremen zum Segen gereichen würden. Namens des Senats und der Bürgerschaft übernahm der Bürgermeister Buff den Freibezirk mit Hafen und allen zugehörigen Einrichtungen und übergab die­selben dem öffentlichen Verkehr für den Handel und die Seeschiffahrt. Er schloß:Unter der unvergeßlichen Regierung des Kaisers Wilhelm des I. wurde das Werk, das wir heute feiern, begonnen; unter der Regierung des Kaisers Wilhelm II. übergeben wir es seiner Bestimmung. Unser Kaiser hält des Reiches Macht hoch, um durch sie dem Reiche den Frieden zu sichern. Diesen Willen weiß vor allem eine Handelsstadt zu schätzen, darum sage ich: Gott erhalte dem Kaiser die Kraft, durch die Macht des Reiches ein Hort des Friedens zu bleiben. Ich fordere Sie auf, in Liebe und Verehrung zu dem erlauchten Herrn einzustimmen in den Ruf: Unser allerdurchlauchtigster Kaiser Wilhelm U, er lebe hoch!"

Berlin, 23. Okt. Nach neueren Nachrichten aus Ost­afrika befindetsich die ganze, zum Sultanat Sansibar gehörige Küste in Aufruhr. Speziell in der Umgegend von Bagamoyo herrschen Mord und Plünderung, während dieser Ort selbst in­folge der Anwesenheit eines deutschen Kriegsschiffes ruhig geblieben ist. Der Handel mit dem Innern ist völlig unterbrochen, wodurch sowohl die deutschen Kaufleute in Sansibar als besonders die indischen Händler, welche in den Küstenhäfen des Festlandes angesessen sind, großen Schaden erleiden. Die Sachlage ist eine derartige, daß weder der Sultan noch die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft im Stande sind, die Bestimmungen des im Frühjahr 1888 ab­geschlossenen Vertrages auszuführen, nach welchem die Verwaltung und die Zollerhebung in dem südlichen Teile der festländischen Besitzungen des Sul­tans auf die Gesellschaft übergehen sollten.

Hcrges-Weuigkeiten.

Deckenpfronn, 20. Okt. Vor einigen Tagen ereignete sich hier ein Unglück «fall, der geeignet ist, Müttern und Kinderwärterinnen zum warnenden Ruse zu dienen. Die I. Schneide r'fchen Eheleute hatten sich vom Hause entfernt und ihre 3 Kinder, zwei dreijährige Zwillinge und ein einjähriges Brüderchen, der Obhut eines Kindermädchens anvertraut. Dieses ging, als das Kleine zur Ruhe gebracht war, zum Obstauflesen. Als die Eltern zurückkehrten, bot sich ihnen ein herzzerreißender Anblick. Der lieblichste unter den Zwillingen lag unter der Wiege und war nach heftiger Gegenwehr, wie die Spuren zeigten, erstickt! Dieses Kind wollte, wie es scheint, sein kleines Geschwisterchen zur Ruhe wiegen und fand so seinen frühen Tod, der den Eltern unsäglichen Jammer brachte. Schw. M.

Leonberg, 20. Okt. Letzte Nacht hatten wir den ersten Frost bei 5 ° k. Kälte. Die noch unreifen Trauben sind erfroren. Morgen hält der Liederkranz seine Herbstfeier und am Montag morgen beginnt die Weinlese.

Eine Photographenfrau in Heilbronn tötete sich mittelst eines Revolverschusses, und zwar aus Gram über ihre Notlage und weil ihre zwei Lieblingshunde gepfändet wurden.

Die gewerbliche Fortbildungsschule.

Im Laufe dieser Woche wird an der hiesigen Fortbildungsschule der Unterricht in sämtlichen Fächern wieder ausgenommen. Bei diesem Anlaß möge es gestattet sein, die Aufmerksamkeit insbesondere der Eltern und Lehr­herrn der jungen Leute, welche in den hiesigen Werkstätten und Geschäften ihre Ausbildung erhalten, darauf zu lenken, von wie großem Werte ein fleißiger und andauernder Besuch des Zeichenunterrichts sowohl als der übrigen Fächer für dieselben ist.

Betrachten wir die Anforderungen, welche gegenüber der Zeit vor 50 Jahren heute auf beinahe sämtlichen Gebieten der Gewerbsthätigkeit an den Handwerksmann gestellt werden, so ist vor allem hervorzuheben, daß in unseren Tagen an die hieher gehörigen Erzeugnisse nicht allein der Anspruch des Soliden und Zweckentsprechenden, sondern namentlich auch des Schönen, dem Auge Wohlthuenden gestellt wird. Daß es dabei einfache Pflicht der Selbsterhaltung für den Gewerbetreibenden ist, mit der Zeit fortzuschreiten, braucht wohl kaum gesagt zu werden. Es gilt also besonders auch für das Kleingewerbe durch geschmackvolle Ausstattung seiner Produkte, der erdrückenden Konkurrenz großer Fabriken die Spitze zu bieten und Sache der Lehrlinge und Gesellen ist es, jede Gelegenheit, im Zeichnen etwas Tüchtiges zu lernen, freudig zu ergreifen und die Hand fähig zu machen, dasjenige nachzubilden, was das Auge als schön erkannt hat. Aber nicht bloß um die Erwerbung einer gewissen Fertigkeit im Zeichnen handelt es sich für einen strebsamen jungen Mann, sondern noch um eine Reihe von sonstigen Kenntnissen, welche der tüchtige Handwerker weder entbehren kann noch will. Er muß im Stande sein, sich in Hunderten von Fällen mit einer gewissen Gewandtheit schriftlich auszudrücken, er muß Ueberschläge für die Anfertigung einer größeren Arbeit sowohl, als die Abrechnung nach Beendigung derselben sicher und pünktlich machen können, er sollte hauptsächlich aber auch fähig sein, sich und anderen am Ende eines Jahres genaue Rechenschaft abzulegen, über die Ergebnisse desselben in wirtschaftlicher Hinsicht. Hiezu dient nun außer den Kursen, in welchen die Abfassung von Geschäftsbriefen u. s. w. und Rechnen gelehrt wird, namentlich auch die Kenntnis der gewerblichen Buchführung, deren Un­entbehrlichkeit für den Handwerker ebensogut wie für den Kaufmann leider immer noch viel zu wenig eingesehen wird. Wie mancher der in dem fröh­lichen Glauben lebte, sein Geschäft werfe ihm jährlich einen beträchtlichen Nutzen ab, mußte nicht schon zu seiner großen Ueberraschung und zu seinem Schaden erfahren, daß er mit Verlust statt mit Gewinn gearbeitet hatte. Und dies einzig deshalb, weil er die Buchführung entweder gar nicht oder nur sehr mangelhaft verstand, und daher nicht in der Lage war, einen Ueber- blick über den thatsächlichen Stand seines Vermögens zu gewinnen und Aus­gaben und Einnahmen in das richtige Verhältnis zu setzen. Im vorigen Jahre ist der im Stundenplan der hiesigen Fortbildungsschule vorgesehene Kurs in gewerblicher Buchführung aus Mangel an Teilnehmern nicht zu stände gekommen und es ist sehr zu bedauern, daß nach den Nachrichten über die gewerbl. Fortbildungsschulen in Württemberg auch die Stadt Calw zu den wenigen Städten, in denen solche Schulen bestehen, gehört, in welchen sich für dieses Fach gar kein Interesse zeigt. Den älteren Lehrlingen und den Gesellen, welche sich bisher wohl aus falschem Stolz, von der Fort­bildungsschule fast gänzlich fernhielten, möchten wir den Besuch eines Kurses in Buchführung besonders dringend raten. Ferner richten wir an die Lehr­herrn und Meister die ernstliche Mahnung, sie möchten ihre Lehrlinge und womöglich auch die Gesellen zu fleißiger Benützung der Gelegenheiten, ihre Kenntnisse zu erweitern, anhalten und der Verantwortung eingedenk sein, welche sie in ihrem Teile für eine gründliche und allseitige Ausbildung ihrer Pflegbefohlenen übernehmen. Eltern und Vormünder aber fordern wir auf, ihre Söhne nur solchen Meistern in die Lehre zu geben, welche die Ver­pflichtung übernehmen, für einen pünktlichen Besuch der Fortbildungsschule von seiten der Lehrlinge zu sorgen.

Wie, er ist schon fort?" rief d'Artige erstaunt.

Er befindet sich im gegenwärtigen Augenblick bereits auf dem Wege nach Paris und es war ihm so viel daran gelegen, den nächsten Zug nicht zu versäumen, daß er selbst das Portemonnaie und die Brieftasche seines Freundes auf dem Kampf­plätze zurückließ. Ich habe Beides zu mir gesteckt?"

Und was willst Du damit thun?"

Sie dem Landrat d'Arcy übergeben. Ich vermute, daß die Brieftasche eine bedeutende Summe Geldes enthält, und werde mich davon überzeugen."

Wie," rief d'Artige überrascht,Du willst das Portefeuille öffnen?"

Und ein summarisches Verzeichnis Dessen machen, was es enthält; warum nicht? Ich lasse die Schriftstücke, wo sie sind, aber ich will wissen, was ich bei mir trage."

D'Artig: wandte den Blick ab, denn es widerstrebte ihm, einen Gegenstand anzusehen, welcher dem Manne gehört, welchen er getötet hatte; Andrea indes folgte mit Aufmerksamkeit jeder Bewegung Chantal's, ja, sie schlug sogar den Schleier zurück, um besser sehen zu können.

Ich täusche mich nicht," sprach Chantal, nachdem er die Brieftasche geöffnet hatte,hier ist ein bedeutendes Packet Banknoten, wahrscheinlich das letzte Geld, welches er seiner Frau erpreßte, ehe er nach London abreiste. Und hier sind auch einige Zeilen Moulisres', welche das heutige Datum tragen und in denen sein Freund ihm ins Gedächtnis ruft, daß er ihn heute um neun Uhr bei sich erwarte und das Duell zwischen elf und zwölf Uhr in Bille d'Avray statthabe. Das ist ein wichtiges Beweisstück dafür, daß das Duell ein abgemachtes war und man Herrn von Listrac in keine Falle führte."

Ich begreife nicht, wie Du Dir erlauben kannst, in den Papieren eines Toten zu wühlen, und bitte Dich inständig, das Portefeuille zu schließen," ermahnte dÄrtige.

Ich werde Deinen Wunsch erfüllen, denn ich habe genug gesehen," versetzte Chantal.

Wollen Sie mir diesen Brief zeigen?"

Andrea war es, welche diese Frage stellte und dadurch die beiden Freunde in nicht geringe Verwunderung setzte.

Ich will es wohl," entgegnete Chantal,doch weshalb ist Ihnen daran ge­legen, das Schriftstück zu sehen? Ich sagte doch bereits, was es enthalte."

Mit der rechten Hand, der einzigen, welcher sie sich bedienen konnte, riß das Mädchen eine Seidenschnur, die sie um den Hals trug, aus ihrem Kleide hervor und zeigte d'Artige ein Medaillon, welches an dieser Schnur befestigt war.

Es ist das Porträt meines Vaters. Drücken Sie auf die rückwärts befindliche Feder, sprach sie.

D'Artige that, wie ihn geheißen, und bemerkte, daß sich in dem Medaillon ein durch die Zeit vergilbtes Blatt Papier verborgen befand.

Entfalten Sie dieses Billet," sagte Andrea,und vergleichen Sie die Schrift desselben mit jener des Briefes, den dieser Mann an seinen erbärmlichen Freund ge­schrieben hat."

D'Artige, vollständig verblüfft, reichte das Blatt Chantal, der keinen Ansland nahm, den in Rede stehenden Vergleich vorzunehmen.

Es ist dieselbe Schrift," murmelte er leise.

Ich war dessen gewiß; meine Vorahnungen täuschen mich niemals!" rief die junge Italienerin.

Welchen Schluß ziehen Sie aus dieser allerdings ungeheuren Schriftgleichheit?" bemerkte Chantal zu Andrea.

»Ich folgere daraus, daß Mouliöres es gewesen ist, der meinen Vater er­mordete!"

Ihren Vater? Das verstehe ich nicht."

Mein Vater ist vor etwa fünfzehn Jahren in Florenz durch einen Unbekannten, der ihm am Quai Arno ein mitternächtliches Rendezvous gegeben, erdolcht wordm. Der Brief, welchen er ihm damals sandte, befindet sich in Ihren Händen, und der Allmächtige hat mich dazu ausersehen, durch denselben den Mörder zu bezeichnen, welchen di« Behörde meines Landes zu entdecken nicht im Stande war."

(Fortsetzung folgt.)