Zum Kanzlerjubiläum
I» unserer gestrigen Ausgabe hatte« wir des in öer deutschen Republik einzig dastehenden Amtsjubiläums Dr. Marx' Erwähnung getan. Allein mit der zweiten Periode seiner lOlMügigeu Amtodauer — sie umfaßt 887 Tage — übertrifft Dr. Marx an ununterbrochener Amtsführung sogar seinen Parteifreund Dr. Wtrth, der vom 10. 6. 1921 bis 21. November 1922, also 5Sg Tage lang Kanzler war. Ans Dr. Wirth solgt der Amtsdauer nach Dr. Luther, der vom 18. Januar 1925 bis zum 17. Mai 193S 479 Tage lang die RegicrungsgefchLfte führte. Der mittlerweile verstorbene Reichskanzler Fehrenbach folgt mit 324 Amtstagen an vierter Stelle. Er bekleidete das Kanzleramt vom 21 . Juni 192» bis zum 10. Mai 1921. Der von der sozialdemokratischen Partei gestellte Reichskanzler Bauer hat 280 Tage lang (22 Juni 1919 bis 27. März 1929) regiert. Euuo, der Generaldirektor der „Hapag" stand 265 Tage lang an der Spitze der Retchsregteruug, und zwar vom 2l. November 1922 bis 12. August 1923. Scheidemann regierte noch unter dem Titel „NetchSmintsterprästdent" 139 Tage, iSraltch vom 13. Febr. 1919 bis 22. Juni 1919. Dr. Stresemann führte die Kauz» lergeschäste vom 12. August bis zum 99. November 1923, also nur 111 Tage. Noch kürzer war die RegternngSzeit des fetzigen sozialdemokratischen Parteivorntzenden Hermann Müller, der 87 Tage lang, vom 27. März 1929 bis zum 21. Juni 1929 Reichskanzler war. Ebeer, dem, verfassungsrechtlich sicherlich nicht ganz klar, vom Prinz«n Max von Baden, das NetchSkanzleramt übertragen wurde, stand an der Spitze der Regierung vom 9. November 1918 bis 13. Fe- bruar 1919, insgesamt also 97 Tage. Di-, vorstehend aufge- führten 9 Kanzler haben insgesamt >8 Kabinette geführt, hieraus ergibt sich, daß etnz-lne dieser Personen mehrmals Reichskanzler waren. Neben Marx, von dem schon festgestellt wurde, das er viermal Kanzler gewesen sei, waren Luther, Wirth und Stresemann te zweimal Reichskanzler, während sich Scheidemann, Bauer, Müller. Fehrenbach und Enno damit begnügten, einmal die Kanzlerwnrbe »u tragen.
Aus dem besetzten Gebiet
TU. KSln. 27. Dez. Wie die „Köln. Ztg." aus Kaiserslautern meldet, ließ ein französischer Offizier sich eine schwere Ausschreitung einem Arbeiter gegenüber zuschulden kommen. Ein Arbeiter war in der franzüstschcn Kaserne mit AuSbcssernngsarbesten beschäftigt, als er vlötzlich von einem hinter ihm vorbeigehendeu französischen Offizier heftig geobrfetgt und mit Füßen getreten wnlde. Dazu schrie drr Offizier: „Ihr Drecksäcke, könnt ihr n'cht die Mutze vor mir abnehmen?" Als der Arbeiter sich bückte, um seine ihm vom Kopf heruniergeschic-gcne Mütze wie8eraulzu- nehmen, trat der Offizier nochmals nach ihm. Diesem brutalen Borgang wohnten einige französische Sergeanten bei, sowie ein Arbeitskollege des Geschlagenen.
Nene französische Schikane im Laargebiet.
TU. Saarbrücken, 27. Dez. Die Werbearbeiten für die von der französischen Bergiverksdirektio» unterhaltenen französischen Volksschulen im Saargebtet sind unmittelbar vor Weihnachten wieder mit neuem Eifer ausgenommen worben. In Elversberg gehen die französischen Gruben beamten mit dem Versprechen von Weihnachtsprämten und sonstigen Vorteilen von HauS zu HauS. Die Zahl der Schüler der französischen Volksschule der Kolonie Velsen ist u>- nerhalb des letzten Jahres von 279 auf 179 zurückgeganicn. Die Franzose» drohen letzt, den Eltern der ausgetretenen Kinder die Grubenwohnnngen zu kündigen, falls diese Kur- -er nicht mehr zur srnnzösischen Schule znrückgemelbet werden. Das Urteil über die mangelhak»-» Leistungen d r französischen Volksschulen im Saargebtet ist allgemein. Tie Kinder lernen weder richtiges Deutsch noch anwendbares Französisch.
Ete gläserne Welt
S> Roman von Otfrid v. Ha n st ei n.
„Herr Geheimrat, ich wiederhole, ich bitte Sie von gan- zem Herzen um Verzeihung unv ich bitte Sie noch um etivas anderes."
Ter Geheimrat sieht auf.
„Haben Sie die Güte» mich zu einem Schwerkranken zu begleiten."
„Zu einem Kranken?"
„Zu einem Manne, der vermutlich sterben wird. Zu John Henry Wisley, dem Erfinder des Radio-Cerebra- tors, das die Gedanken der Menschen entschleiert."
Ter Geheimrat steht ärgerlich auf.
„Schon wieder die Phantasterei, Sie wollen schon wie- der versuchen —"
„Herr Geheimrat, hören Sie mich an. Herr Wisley liegt, wie Ihnen bekannt, in meinem Sanatorium, er ist fest davon überzeugt, die Erfindung gemacht zu haben. Er verlangt, mein Sanatorium heute zu verlassen. Es mag sein, daß er noch einige Tage lebt. Er will in den Zeitungen inserieren. Er wird sicher einen Mann finden, der das Geld gibt, mit dem er seine Mutter versorgen will."
Geheimrat Milanius ist von heftigem Unwillen ge- packl.
„So mag er. WaS geht mich das an. Herr Doktor, ich-"
Magnus steht vor ihm mit aufgehobenen Händen.
„Herr Gelicimrat. ich bitte Sie. es darf nicht sein, daß diese furchtbarste oller Erfindungen unter die Menschen kommt: denn sie würde unsägliches Unglück verbreiten. Herr Geheimrat, ich vermag es nicht. Kaufen Sie jenem Mann die Erfindung ab. Es gibt nur einen Menschen, in dessen Hand sie ruhen darf, Herr Geheimrat, das sind Sie;
Die Finanzlage Frankreichs
TU Paris, 27. Dez. Francois de Wendel, Mitglied des Berwaltungsrates der Bank von Frankreich, gab bei einem landwirtschaftlichen Bankett in Nancy interessante Bemerkungen über die finanzielle Lage Frankreichs ab. Er erklärte, daß bet Andauern der gegenwärtige» politischen Lage kaum zu erhoffen sei, daß an eine gänzliche Stabilisierung des Franken herangegangen werde. Es wäre auch sehr schwierig, zu einer solchen zu schreiten, solange nicht das interalliierte Schuldenproblem gelöst sei. Die Regelung dieses Problems hänge aber eng mit der Durchführung des Dawesplanes zusammen. Die beiden Fragen könnten voneinander nicht getrennt werden, denn eS könnte von keiner Zahlung öer Schulden an England und Amerika die Rede sein, wenn Deutschland seinerseits seine Schuldenzahlungen etnstellen sollte. Andererseits sei es auch wünschenswert, daß der Stabilisierung eine Periode der Wert- erhöhung des Franken vvrausgtnge. Aus budgetären Gründen und aus Gründen der staatliche» Schulden könnte dicker neue Wert des Franken ntcht viel höher als setn gegenwärtiger Wert liegen. Auch wäre eine stärkere Revalorisierung des Franken unter den gegenwärtigen Verhältnissen ntcht erwünscht. Dennoch wäre eine Tendenz zur Wertbesserung vorteilhaft. Es werde ständig von der schwere» wirtschaftlichen Lage gesprochen und in diesem Zusammenhang eine Erhöhung der Gehälter gefordert. Diese könnte jedoch nur durchgeführt werden, entweder durch Erhöhung der Kaufkraft des Franken oder durch bessere Bezahlung in Papterfranken. Der letztere Weg würbe erneut zur Erhöhung der Warenpreise führen, weshalb de Wendel die erste Methode für die richtigere halte.
Die Weihnachtsansprache des Papstes
TU. Non, 27. Dez. In seiner diesjährigen Wethnachts- ansprache vor dem Kardinalskolleginm gab der Papst zunächst seinem t,esc» Schmerz über die Vorgänge in Mexiko, China und Rußland Ausdruck. In diesen Ländern hatten sich solche Grausamkeilen ereignet, daß es fast unglaublich '. t, daß die Regierungen keine Schritte dagegen unternähme».. Auch die religiöse Lage in Frankreich gebe zu Betrübnis Anlaß. Wohl seien viele Gehorsamsbczeugunge» und der Wahrheit entsprechende Veröffentlichungen erfolgt Aber von einigen Abtrünnigen würden Behauptungen wiederhilt, >ce drr Heilige Vater bereits als Tollheit und als Berten ^nn > bezeichnet habe. Auch würden dem Päpstlichen Stuhl ven einigen Gruppen politische Absichten zngeschrieben. Niemals habe jedoch ein politischer Gedanke sein Werk bestimmt. Zum Schluß gab der Papst seiner Genugtuung über die Fortschritte des Religionsunterrichts in Italien Ausdruck.
Die italienisch-griechische Freundschaft
Der Besuch -cS griechischen Außenministers in Rom.
TU. Mailand, 27. Dez. Der „Popolo d'Jtalta" schreibt zu dem Besuch des griechischen Außenministers Michalakopit- los in Nom: Der griechische Außenminister habe den lebhaften Wunsch, zwischen Italien und Griechenland die freundschaftlichen Beziehungen wieder anzuknüpfen, die vor dem Balkankriege bestanden hätten. Der Minister habe erklärt, daß die griechische Regierung eine Festsetzung Süd- slawienS im Hafen von Saloniki nicht dulden könne. Süd- slawien habe nur das Recht auf Transitverkehr. Die Bestrebungen, ein Balkan-Locarno zu schaffen, seien von dem' Minister in Abrede gestellt worben.
Die russisch-japanischen Beziehungen
Eine japanische Delegation in MoSka«.
TU London, 27. Dez. Nach einer Meldung der „Times" aus Riga hat die Ankunft einer japanischen Delegation zum
denn Sie werden verhindern, daß sie Unglück bringt über die ganze Menschheit."
Ter Geheimrat sieht ihn verwundert an.
„Herr Doktor, das ist Ihr Ernst?"
„Mein völliger Ernst. Diese furchtbare Erfindung hat mich in zehn Minuten zum siebenfachen Mörder gemacht."
„Was heißt das?"
„Nicht. Herr Geheimrat, — ein Traum — ein stircht- barer Traum — vielleicht auch kein Traum, vielleicht gibt es etivas in uns Menschen oder über uns» daS »»ns warm Ich möchte Ihnen fo gerne erzählen —"
Dem Geheimrat ist wunderbar zumute. Seine Stimme klingt ganz weich:
„Kommen Sie, lieber Doktor, sehen Sie sich und erzählen Sie mir Ihren Traum."
» » »
Eine Stunde später.
Isolde und Erika Milanius müssen Gedusd haben, daß der Vater heut' nicht pünktlich zu Tisch kommt. Am Bett John Henry Wisleys sitzen Geheimrat Milanius und Se- verin Magnus. Der Geheimrat hält des Kranken Hand unv dieser sagt mit matter Stimme:
„Lfsen die Wahrheit, Herr Geheimrat, WK lange kann ich noch lelvn?"
„Es ist wenig zu hoffen, Mr. Wisley. — Sie sind ein Mann, jedenfalls ist ein Transport unmöglich."
„Ich muß die fünftausend Dollar haben — für meine Mutter."
„Sie kennen mich, Mr. Wisley?"
„Ich weiß. Sie sind der Geheimrat Milanius — ich wollte zu Ihnen —"
„Ich kann Ihnen die fünftausend Dollar nicht geben: denn ich habe sie nicht. Aber ich gebe Ihnen mein Ehren- wort, daß ich für Ihre Mutter sorgen werde, und daß,
Studimn der russischen Wtrtschaftsverhältuisse in Moskau großes Interesse geweckt. Der Delegation, die sich aus dem Grafen Goto und dem Direktor der japanischen Gesellschaft für Annäherung mit den Sowjets Kanaka zusammensetzt, wurde auf ihrer ganzen Reise durch sowjetrussischeS Gebiet besondere Aufmerksamkeit erwiesen. Auf den sibirischen Eisenbahnstationen wurden die Delegierten auf Anordnung der Sowjetregterung von prominenten Sowjetbeamten empfangen. In Moskau rechnet mau damit, daß Graf Goto Verhandlungen über die Uebernahmc von Konzessionen durch Japan etnlciten und sich über die Möglichkeit einer Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Japan und Rußland in der Mandschurei und in der Mongolei vergemis, fern werde.
Kleine politische Nachrichten
Berläugernng des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung deutscher bzw. schwedischer Handelsvertreter. Amtlich wird mitgctetlt: Das durch gleichlautenden Notenaustausch zwischen dem Auswä Ligen Amt und der schwedischen Gesandtschaft in Berlin ain 3l. Dezember 1925 auf ein Jahr abgeschiosseue und durch Notenwechsel vom 29. Dezember 1926 auf ein weiteres Jahr verlängerte Abkommen über die Vermeidung der Doppelbesteuerung von ^an^.^vertretern deutscher ^z.o. schwedischer Firme» ist durch Notenaustausch vom 29. Dezember b. I. bis zum 31. Dezember 1928 verlängert worben.
Registrierung englischer Verträge km Völkerbnndssekre» tariat. Die englische Negierung hat dem Vülkerbunössekre- tartat zur Negistrieruug und Veröffentlichung eine größere Anzahl von Noten und internationale» Abkommen, und zwar mit Spanien, beu Vereinigten Staaten, Frankreich, Irak, Jugoslawien und Schweden übersandt. Diese internationalen Vereinbarungen behandeln eine Reihe von technischen Fragen, wie internationale Postbeförderung und Zivilschicdsgerichtsbarkeit.
Eine Völkerbundökommission kommt nach Portugal. Die Lissabon«! Presse veröffentlicht eine Negieruirgsmittetlung, baß eine Bölkerbundskomrrnssion demnächst tn Lissabon ein« treffen wird, um die Finauzreform zu begutachten, die die portugiesische Negierung vorgesehen hat. Der Kommission wird neben einem englischen und französischen auch ein deutscher Delegierter angchöre».
Japan will in der Provinz Schantnug eingretfen. Der japanische Ministerpräsident Baron Tanaka hat die Pekinger Negierung verständigt, daß Japan bereit ist, im Falle eines Aufstandes tn der Provinz Schantung alle notwendigen Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.
Regierungskrise in Bagdad. Wie ein Berliner Blatt aus Bagdad meldet, »nacht sich tm Irak über den mit England abgeschlossenen Vertrag große Enttäuschung bemerkbar. Nach Veröffentlichung des Vertrags sind der Innenminister und der Ftuanzmtnister von ihren Posten zurttckgetrcten.
Boriät...g »eine Anwendung dcS Anti-Dumpiug-Gesetzes t« Amerika. Wie aus Washington gemeldet wird, hat Schatz- sekretar Mellon erklärt, daß die amerikanische» Maßnahmen gegen die deutsche Stahleinsnhr, wie eine etngeheude Untersuchung ergebe» habe, nicht gerechtfertigt seien. Unter diesen Umstände» komme vorläufig eine Anwendnng des Anti» Dumping-Gesetzes nicht in Frage.
Hochwasser in Südslawien
TU Belgrad, 27. Dez. Infolge der rasch eingesetzten Wtt- terungsveränderung und starker Negenfälle ist die Save so gestiegen, daß einige Gegenden Serbiens vor einer schweren Katastrophe stehe». Die Save steigt 12 em in der Stunde. Das Dorf Naivanj ist völlig überschwemmt. Dte Bevölkernng hat ihre Wohnstätten verlassen müssen. Den Höhepunkt der Katastrophe erwartet man heute nacht.
wenn Ihre Erfindung ausgebeutet werben sollte, Ihre Mutter zum minvesten die Hälfte des Gewinnes hat."
Wisley sieht ihn mit matten Augen an.
„Ihr Ehrenwort, Herr Geheiinrat — es muß mir genügen, ich fühle selbst, ich kann nicht mehr tun. Mutter, gib vem Geheimrat das Kuvert mit dem Paßwort."-
Eine halbe Stunde später ist John Henry Wisley gestorben. In den Armen des GeheimratS MilaniuS gestorben. nicht von Severin Magnus ermordet, unv die alte ,^rau hat die Gewißheit, daß ihre Zukunft versorgt ist — —
Auf der Bank ist Geheimrat MilaniuS und Dr. Severin Magnus. Der Geheimrat erbricht das Kuvert und darin liegt ein Zettel mit einem einzigen Wort: Weltherrschaft!
Severin MagnuS durchzuckt eS wie ein elektrischer Schlag.
„Das Paßwort, das ich geträumt."
Im Zimmer des Geheimrats Milanius stehen die beiden Herren, vor ihnen ein Koffer. Der Geheimrat hat ihn geöffnet. Ein kleiner Apparat liegt darin. Zwei seltsame Horchinstrumente mit unendlich feinen Membranen und ein System von Röhren und Spulen in einem Holzkästchen. Daneben ein dickes geschriebenes Buch.
Der Geheimrat sieht Severin an. „Das ist die Erfindung. Was soll nun mit ihr geschehen, Dr. Magnus?"
Der Doktor schaut vor sich nieder, während des Ge- heimrais Auge prüfend auf ihm ruht.
„Weltherrschaft."
Noch einmal lodert der Ehrgeiz in ihm auf. Noch ein- mal kämpft er einen schweren Kampf. Dann reißt er sich zusammen.
„Ganz, was Sie wünschen, WaS Sie für gut Haltes Herr Gebeimrat."