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Mittwoch, den 28. Dezember 1927
101. Jahrgang
Das Schicksal
Noch kein Termin für die Neuwahlen
Berlin, 28. Dez. In parlamentarischen Kreisen stellt man sich auf Frühjahrswahlen ein und beruft sich dabei auf An» -eutungen, die offenbar aus. französischen Quellen stammen, wonach Briand und Stresemann In Genf sich über das Thema unterhalten haben und dabei zu dem Ergebnis gekommen sind, daß es wünschenswert wäre,
unmittelbar nach den französischen Wahlen auch die Neuwahlen znm deutschen Reichstag
vorzunehmen, damit dann zwet Regierungen verhandeln könnten, die auf eine lange Sicht Politik zu machen imstande wären
Daran wird wohl schon ein richtiger Kern sein. Die französischen Wahlen sind etwa am 1v. Mat auch in ihrer Stichwahl zu Ende, und vermutlich hat Briand darauf aufmerksam gemacht, daß es dann für ihn schwer sei, mit einer deut- schen Negierung z» verhandeln, die unmittelbar vor den Neuwahlen steht. Aber das ist vorläufig nur eine Anregung. Letzten Endes wird der Wahltermin zum Reichstag durch innere Erwägungen und Notwendigkeiten bestimmt. Für den Augenblick steht nur fest, -aß eine Neuwahl vor dem Monat April unter allen Umständen vermieden werden soll, um die rechtzeitige Erledigung des Etats nicht zu gefährden. Daran schließt sich die Osterpause, so daß das Schicksal des Reichstages sich frühestens im Mai entscheiden müßte, falls nicht bereits vor Ostern bei allen Parteien die Ueberzeugung entstehen sollte, baß ein weiteres Zusammenarbeiten mit der gegenwärtigen Regierung unfruchtbar bleibt und eine neue Koalition nicht zu schaffen ist.
Soweit find wir aber noch lange nicht. Es ist nach wie vor sehr gut möglich, daß bas Kabinett Marx seine Aufgabe erfüllt und dann sogar bis in den Herbst am Ruder bleibt, um die Neuwahlen möglichst lange bis zum ordnungsmäßigen Ablauf der Mandatsdaner des Reichstages hinauszuschieben.
Dr. Scholz gegen vorzeitige Neuwahlen.
Der FraktionssÜhrer der Deutschen Volkspartei, Dr. Scholz, veröffentlicht in den „Berliner Stimmen", dem Organ der volksparteilichen Berliner Arbeitsgemeinschaft, eine Erklärung, die auf den Wunsch abgestellt ist, daß das kommende Jahr uns mit Neuwahlen möglichst lange verschont. Er macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die vierjährige Legislaturperiode für die praktische Arbeit schon
des Reichstags
reichlich kurz bemessen ist und daß es jedem staatSpoliiischen Interesse widerspricht, sie durch vorzeitige Vorbereitungen von Neuwahlen künstlich zu verkürzen, weist aber darauf hin, daß cs außenpolitisch gesehen zweckmäßig ist, mindestens die Neuwahlen im Reich erst nach den französischen Wahlen stattftnden zu lassen. Gleichzeitig deutet die „Deutsche Tagesztg." an, daß im Kabinett die Meinungen noch sehr verschieden sind. Der Reichskanzler verfolge die Tendenz, Neuwahlen nicht vor dem regulären Termin vornehmen zu lasten, während Dr. Stresemann eine innere Verbindung der deutschen Wahlen mit de« französische« Wahlen Herstellen wolle. Zwischen den Zeilen steht aber zu lesen, daß die dentschnationalen Minister, was schon im Interesse der politischen Selbsterhaltung liegt, vorläufig von Wahlen nichts wissen wollen und mehr der Mahnung des Reichskanzlers zuneigen.
Das Schicksal des Reichstages bleibt also von der inner- politischen Entwicklung abhängig. Deshalb kann mau vorläufig den ganzen Streit ao acta legen, da in den nächsten Monaten ohnehin eine Entscheidung nicht zu erwarten ist.
Die Belastung der deutschen Landwirtschaft
TU Berlin, 28. Dez. Der „Vorwärts" hat in einem Artikel „Schiele blufft" die kürzlich im Rundfunk verbreitete Rede des NeichsernährnngSministers kritisiert. Der Artikel des „Vorwärts" geht, wie vom Reichsernährungsmint- ster erklärt wird, von falschen Voraussetzungen aus. Der Minister habe nicht behauptet, daß die Einnahmen der Landwirtschaft nicht einmal den Lebensunterhalt ermöglichten, sondern er habe kollektiv gesagt, daß Lebensunterhalt, Betriebskosten, soziale Lasten, Zinsendienst und Steuern zusammen durch die Einnahmen nicht gedeckt würden. Es handle sich in der Rede des Ministers auch nicht um reine Einnahmen, sondern um Roheinnahmen, und zwar stützten sich die Ausführungen Schleies auf die Untersuchungen der Enquete.
In diesem Zusammenhang werden bisher noch unbekannte Zahlen veröffentlicht. Die Höhe und Verteilung des Nohetnkommens pro Hektar beträgt in de» Jahren 1924 bis 1928 für ganz Deutschland gerechnet: die Einnahmen 8S ^t, Lebenshaltung und Lohnauteil SV abzugsähige Steuern 27 persönliche Steuern 11 .4s. Zur Deckung der Zinsen verbleibt demnach ein Minus von 3 .4l.
Tages-Spiegel
Kür -ie Reichstagsneuwahlen im kommenden Jahr ist noch kein Termin festgesetzt worden, jedoch soll zwischen Stresemann und Briand in Gens eine dahiugchende Einigung zustandegekommen fein, -atz die Neuwahlen in Deutschland gleich nach den französische« Parlameutswahle« stattsinde«.
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In Kreisen der Dentschnationalen «nd der Deutsche» BolkS- partei wünscht man ein Hinansschieben der Reichstags- ncnwahlen bis znm Herbst.
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Von amtlicher Seite ne« veröffentlichtes statistisches Material ergibt ein erschreckendes Bild von der nngehenre« tifrrschnibnng der dentsche« Landwirtschaft.
Poincares Milliardenforderunge» an Deutschland werden von der französische« Linkspresse in richtiger Erkenntnis ihrer Unhaltbarkeit -«rückgewiesen.
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Der Kongretz der französische« Sozialisten behandelte gestern vorwiegend die finanzielle« Problem« Krankreichs
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Woldemaras äutzerte sich dahin, -atz -ie Ansgleichsverhand- lnnge« mit Pole« «nr Erfolg versprechen, wenn gleichzeitig die Wilnafrage geregelt werde.
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Eine SchiffSkatastrophe im Marmara-Mcer hat 70 Todesopfer gefordert.
eine Revision der Verträge müsse mit Vorsicht herangegangen werden. Der Abg. Grumbach erklärte gegenüber Zq- romski, die Politik Frankreichs sei kein Hindernis für die Entwicklung des Völkerbundes. Der Redner wieS ferner auf die Kriegsgefahr hin, die die elsässtsche Autonomiebewe- gung darstelle und erklärte zum Schluß, der Friede der Welt hänge von dem Ausgang der französischen Wahlen ab.
Spanischer Verzicht auf Tanger?
TU. Paris, 28.Dez. In deuBerhanblungen zwischenFrank- reich und Spanien über eine Abänderung des Tangerstatuts, die in den letzten Monaten auf diplomatischem Wege geführt wurden, ist «ine prinzipielle Einigung erzielt worden. Wie verlautet, hat Spanien auf seine Forderung nach Einverleibung Tangers in die spanische Zone verzichtet und sich mit der Leitung der Polizei und der Beteiligung an der Hafen, dtrcktion von Tanger begnügt. Das Abkommen zwischen Frankreich nnd Spanien über Tanger soll demnächst in seinen Einzelheiten feftgelegt und im Laufe des Januar unter, zeichnet werden. Die erzielte Einigung wird England nnd Italien mitgetetlt werden, wobei Italien aufgefordert werden soll, sich an der Verwaltung -er Stabt und der A«re von Tanger zu beteiligen.
Slurmverheerungen in Nordfrankrelch
Der Dampfervcrlchr zwischen Frankreich «nd England eingestellt.
TU Paris, 28. Dez. Der Sturm, der seit Samstag im Nermeikanal wütet, hat besonders in der Gegend zwischen Bonlogne und Calais schwer« Störungen in den telegraphischen nnd Telephonverbindungen hervorgerufen. Zahlreiche Telegraphenmaste wurden «mgertffen, sodatz die Drähte den Eisenbahnkörper bedeckten. In der Nähe des Bahnhofes Caffiers wurde der Schnellzug Paris-Calais durch das Drahtgewirr aufgehalten, wobei die Maschine entgleiste. Ein von Bonlogne entsandter Hilsszug stietz am Bahnhof von Marquise auf einen Güterzug, da der Lokomotivführer durch den Schnee geblendet war. Der Lokomotiv- und der Zugführer wurden dabei verletzt. Die Drahtverbindung zwischen Parts und Nordsrankreich sowie England ist stark-gestört. Ein Teil von Bonlogne ist ohne Licht. Der Danipfcr- verkehr zwischen Frankreich «nd England ist bis auf weiteres eingestellt.
Schisfskatastrophe ^im Mannara-Meer
TU Kalata, 28. Dez. Im Marmara-Meer find aue bisher noch unaufgeklärter Ursache zwei Dampfer zusammen- gestotzen. Der Dampser Sewindsch wurde so schwer beschädigt, datz er sank. Nach de» bisherigen Feststellungen find etwa 79 Personen ertrunken. Die Schnldfrage ist i« Augenblick «och ungeklärt.
Poincares Milliardentaumel
Die Unhaltbarkeit
der französischen Reparationsforderungen
TU. Paris, 28. Dez. Die „Volonte" setzt ihre Aufklärung über die Unhaltbarkeit der Behauptung Poincares fort, daß Deutschland nach wie vor 132 Milliarden Goldmark schulde und der Dawesplan an den alliierten Forderungen nichts geändert habe.
Theoretisch möge das wohl stimmen, aber praktisch sei eS Unsinn, denn kein vernünftiger Mensch könne glauben, daß Deutschland mehr als ein Viertel von der ursprünglichen Summe bezahlen werde. Wie wenig Franzosen anderer Meinung seien, beweise die große Ueberraschung, die sich allgemein nach der Veröffentlichung der Erklärungen Poincares in der Oeffentlichkeit zeigte. Die Wahrheit sei eben, daß Frankreich in dem Augenblick aus die Gesamtsumme vs« 138 Milliarde« Goldmar» verzichtete, als es de« Dawesplan Unterzeichnete. Wenn Frankreich trotz -eg Widerstandes der Vereinigte» Staate« das alliierte Schulden- Problem mit der Frage einer Revision des DaweSplan verbinde, so müßte eS viel weitergehen «nd z. B. die Frage einer schnelle« Kommerzialisierung der Dawcsobligationen im Zusammenhang mit den alliierte« Schulde« in Betracht ziehen, was aber ohne eine Vermindern«« der dentschen Neparationsschuld nicht z« erreichen sein dürfte.
Kongreß der französischen Sozialisten
TU Paris, 28. Dez. Der sozialistische Parteitag beschäs. ftgte sich in seinen gestrigen Sitzungen mit der Aufstellung des Wahlprogramms. Besonders eingehend wurden die finanziellen Fragen behandelt, zu denen der Deputierte Vincent Aurtol ausführlich Stellung nahm. Die Einführung
einer Kapitalabgabe am Vorabend von Wahlen brzeichnete er als besonders gefährlich. Nach langer Debatte wurde einstimmig ein Antrag Auriol angenommen, in dem auf die Wirkung des Versailler Vertrages »erwiesen wird, Las Re- parationkproblem lösen zu wollen, ferner darauf, baß die sozialistische Partei in Uebereinstimmung mit -er deutschen Sozialdemokratie »nd der sozialistschen Internationale von 1919—1924 die gegenwärtig noch ungenügende Politik der Reparationen und des Friedens vorbereitet habe. Dieser Weg müsse weiter verfolgt werden. Durch die Mobilisierung der deutschen Obligationen müsse die Gesamtschuld Europas bei Amerika geregelt werden. Solange bas Budget der Sonderschnldenregelnng und der isolierten Abmachungen bestehe »nd der Dawesplan in Kraft bleibe, sei die Sozialistische Partei nicht in der Lage, eine Regelung des Schnldenproblems anzuerkennen, die weder die Zahlungsfähigkeit Frankreichs, die von der Liquidierung der dent- >chen Schulden abhänge, noch der Möglichkeit für Frankreich Rechnung trage, Devisen an Amerika ohne Schädigung der eigenen Währung zu transferieren. Die Sicherung Europas müsse durch die WührungSsicherheit jeder Nation ergänzt werden. Die Entschließung setzt sich weiter für die gesetzliche Stabilisierung des Franken zn einem Kurse ein, der den durch die Stabilität de facto geschaffenen wirtschaftlichen Bedingungen Rechnung trage. '
Einen breiten Raum in den Beratungen nahmen auch die außenpolitischen Fragen ein. ZyromSki verlangte die Förderung einer Politik der deutsch-französischen Annäherung und Widerstand gegen jede Politik des Bruchs mit de» Sowjets, sowie Revision der Friedensverträge von 1919 auf der Grundlage des Selbstbestimmnngsrechts der Völker. Abg. Fontanier wieS auf die dem Frieden durch das gegenwärtige Paktsystew in Europa drohenden Gefahren bin. An