General ist das Opfer der von seinen Landsleuten mit so rührender Sorgfalt grobgezogenen Spionenriecherei geworden. — Es ziemt sich vielleicht als Pendant hiezu hier einen kurzen Bericht aus dem „Frkf. I." über den ersten Tag, an welchem die Paßzwangverfügung in Kraft getreten ist, anzureihen. Bis zum Mittag waren nicht mehr und nicht weniger als 27 Reisende, die aus allen möglichen Gründen auch ohne Paß die Grenze glaubten passieren zu können, an den Thoren Deutschlands zur Umkehr gebracht. Gegen Mittag begab sich eine ganze Anzahl im Elsaß wohnender einstiger französischer Soldaten ü^er die Grenze und Beamten um wie gewöhnlich an den qu. französischen Zahlstellen ihre Monatspension zu erheben. Fröhlichen Sinnes, ihr Geld in der Tasche und nachdem das gewohnte Glas auf weiteres gutes Glück geleert war, kehrten sie nach der Heimat zurück. Der Paff! Bah, wer von ihnen hätte denn an einen Paß gedacht, nur um die Pension von jenseits der Grenze zu holen. Aber in Novöant harrte ihrer das unerbittliche Geschick und auch sie mußten umdrehen vor der eigenen Hausthür. Der letztere Fall soll in den Grenzgegenden eine lebhafte Bewegung heroorgerufen haben. Hieran schloßen sich noch 2 ähnliche Fälle. In Avricourt ward, man lache nicht, der Oderkoch des Orient-Expreß, diese gute Seele, der die Reisenden in seinem Salon-Küchenwagen so trefflich zu speisen pflegt und sich offenbar für ein Stück Jmmobilium des Expreßzuges hielt, aus seinem Heiligtum verwiesen und sah weitgeöffneten Auges seine geliebte Küche mitsamt dem Zuge davonsausen, ihn, den Franzosen, auf der heimatlichen Erde zurücklafsend. Der Mann schwor, er habe jahrelang seinen Salonwagen nach Petersburg begleitet, aber niemals habe man ihn an die Luft gesetzt. Ja, diese Teutonen!
Frairkreich.
Paris, 4. Juni. Vor vollbesetztem Hause und überfüllten Tribünen rückte heute endlich der „Diktator der Zukunft", General Boulanger, in der Deputiertenkammer mit seinem Anträge auf Revision der Verfassung heraus und verlangte zugleich die Dringlichkeit für denselben. Boulanger ist kein großer Redner; die Monotonie seiner Stimme ist ermüdend. Dieser Mißstand machte sich heute besonders geltend, da der „Volkstribun" die Begründung seines Antrags ablas. Heiterkeit erweckte es, daß Boulanger bei seinem Eintritt in den Sitzungssaal sichtlich in Verlegenheit geriet wegen seines Platzes den er nicht sogleich wiederfinden konnte. Laguerre erbarmte sich des seltenen Gastes in Palais Bourbon und geleitete ihn zu dem in beträchtlicher Höhe, auf dem „Berg", befindlichen Sessel. Die „Vorlesung" des Zirkus-Generals dauerte nicht weniger als IVs Stunden und rief unendliche Unterbrechungen hervor, durch welche sich der General aber, offenbar um nicht aus dem Concept zu geraten, nicht einläßt. — Die Kammer verwirft schließlich mit 377 gegen 186 Stimmen die Dringlichkeit und beschließt mit 335 gegen 70 Stimmen die Verbreitung der Rede Floquet's durch Maueranschläge in ganz Frankreich.
Gcrges-Weuigkeiten.
Calw, 6. Juni. Auf mehrfache an uns ergangene Anfragen teilen wir mit, daß die Badeanstalt voraussichtlich am Schluß der Woche noch benützt werden kann. Die Nagoldwärme beträgt heute 17«. — Von Stamm- heim wird berichtet, daß sich daselbst ein seltener Sänger eingestellt hat. Eine Nachtigal läßt des Abends bis zur Morgendämmerung ihren herrlichen Gesang in nächster Nähe des Orts erschallen.
Vom Schönbuch, 1. Juni. Fast beängstigend vermehren sich die Waldbrände in unseren Forsten; innerhalb 4 Wochen hatten wir 3 Brände, einen bei Steinenbronn, einen bei Weil im Schönbuch und einen letzter Tage bei Dettenhausen. Es gelang jedesmal das Feuer auf geringen Feuerherd zu beschränken, weil es sogleich entdeckt wurde und durch herbeigeeilte Mann- schäften noch rechtzeitig bewältigt werden konnte. Aber welch ernste Gefahr sie für unsere Wälder bildeten, kann man daraus ersehen, daß noch allen, thalben ganze Strecken dürrer Forchenkulturen vom Schneedruck des Winters
1886/87 vorhanden sind, welche als Brennstoff nur des Funkens harren, um sogleich lichterlohs aufzuschlagen. Ein Zusammenhangder Thäterschaft konnte nicht festgestellt, überhaupt keine Entstehungsursache ermittelt werden.
Göppingen, 3. Juni. Die Aussichten des heurigen Jahres in unserer Gegend sind keine ungünstigen, aber doch nicht so glänzend, wie man dies noch vor kurzer Zeit erwartete. Zunächst läßt die Winterfrucht manches zu wünschen übrig, etwas besser bestellt ist es mit der Sommerfrucht. Wir werden quantitativ kaum eine Mittelernte zu gewärtigen haben. Die Futtergewächse haben unter der anhaltenden Trockenheit gelitten, der Graswuchs ist stellenweise spärlich und die diesjährige Heuernte wird ziemlich hinter der vorjährigen zurückstehen. Dagegen verspricht dieselbe ein ausgezeichnetes Produkt zu liefern, da sich noch selten die Wiesen so blumenreich gezeigt haben. Die Ob staussichten sind immer noch vielversprechend, wenn auch vieles namentlich durch Ungezieferfraß, zugrunde gegangen ist. Am schönsten stehen die Birnbäume, die teilweise einen überreichen und dabei sehr kräftigen und gesunden Fruchtansatz zeigen. Die Apfelbäume haben zum Teil reichlich angesetzt, bei vielen ist aber infolge der massenhaften Raupennester und anderer Ursachen die Blüte nicht recht zur Entfaltung gekommen und die späteren Apfelsorten (Luiken u. s. w.) haben nur spärlich oder gar nicht geblüht. Steinobst, namentlich Zwetschgen, giebt es verhältnismäßig wenig.
Aalen, 1. Juni. Ein Brand, der heute nachmittag in dem hölzernen Turm der Zellstofffabrik Unterkochen ausbrach, wurde durch das mutige Vorgehen des Direktors Schnurmann gedämpft. Der Turm war oben mit Tüchern behängt und diese fingen wahrscheinlich Feuer durch brennende Cigarrenreste, welche von den Arbeitern wehgeworfen worden waren. Das Feuer hatte sich rasch dem Holzwerk mitgeteilt und drohte sehr gefährlich zu werden. Ein Strohhaufen, der in der Nähe lag, brannte vollständig zusammen.
Heidenheim, 3. Juni. Ein recht bedauerlicher Unglücksfall passierte gestern Abend in Zang. Dem dortigen Boten brannte dieses Frühjahr das Haus ab und gegenwärtig baut er neu. Seine Frau führte gestern Abend noch Material bei, stieg vor dem Ort, als der Wagen hielt, über die Stränge, die Tiere zogen an und der Wagen ging über sie weg. Nach einer Stunde starb die Frau, die ihrer Entbindung entgegensah.
Heidenheim, 3. Juni. Nachdem hier der Wunsch schon mehreremal geäußert wurde, auch hier, wie in anderen größeren Städten, die Fäkalstoffe mittelst Latrineneinrichtung zu entfernen, haben die bürgerlichen Kollegien nun beschlossen, vorerst zwei Latrinenwagen samt dem nötigen Zubehör um 3600 anzuschaffen. Der Unternehmer bekommt pro Kubikmeter 3 für Entleerung, hat aber an Grundbesitzer die Fäkalstoffe um 2 auf dem Platze abzutreten. Eine Kommission war in Gmünd, um die dortigen Latrineneinrichtungen kennen zu lernen.
Heidenheim, 4. Juni. Die Affaire des Ignaz Geiger, welcher vor 14 Tagen wegen doppelten Kirchenraubs (Aalen und Auernheim) verhaftet wurde, bekommt immer größere Ausdehnung. Stationskommandant Schmied von Neresheim entdeckte im Abort des letzten Logis Geigers falsches Geld, somit ist er jedenfalls bei einer Falschmünzerei beteiligt. Auffallend war es hier, als er vor 3 Tagen die gemietete Wohnung verließ, daß man im Kehricht eine österr. 1000 fl.-Note fand, die echt war, aber welcher die Unterschrift des Bankdirektors fehlte.
Heilbronn, 2. Juni. Der heutige Tag sollte nicht schließen, ohne für unsere Stadt und die betreffenden Familien zwei schwere Unglücksfälle zu bringen. Auf dem Bahnhofe wollte abends 7 Uhr ein Bremser — K. aus Crailsheim —, ein solider pflichttreuer Mann, ein paar Geleise überspringen, wurde aber hierbei von der heransausenden Maschine erfaßt und schrecklich zugerichtet. Glücklicherweise trat der Tod sofort ein, daß er eines fürchterlichen Leidens enthoben war. — Gleichzeitig stürzte Herbstraße Nr. 18 ein Kind aus der Mansardenwohnung in den Garten. Obgleich man an dem herzigen Kind, dem Liebling der Eltern, keinerlei äußere Verletzungen entdecken konnte, verschied es nach einer halben Stunde.
Mary lag inzwischen schwer erkrankt im Hause der Gräfin Elmer danieder. Sie hatte Hugo die ganze Wahrheit vollinhaltlich anvertraut und ihm anheim gestellt, nach seinem Ermessen nun zu handeln. Der Graf beriet sich daraufhin mit seinem Rechtsanwalt und zog auch einen bekannten Geheimpolizisten ins Vertrauen-
Den Mann zu finden, welcher Roden's und Morton's Helfershelfer war, darin lag die erste Notwendigkeit, aber auch die größte Schwierigkeit. War derselbe jedoch gefunden, so mußte er durch die verlockende Aussicht auf reichen Lohn zum Sprechen gebracht werden. Hugo selbst aber machte sich zu einer Reise nach Jamaika auf, um persönlich Erkundigungen einzuziehen über Alles, was im Schoß der Vergangenheit ruhte. Kein Glied in der Kette der Beweisführung durfte fehlen, bevor er es wagen konnte, den Mann anzuklagen, welcher sich heute noch Richard von Roden nannte. Fiel der entscheidende Schlag einmal, so mußte er mit ganzer Schwere fallen und vernichtend die Schuldigen treffen, die, wie zwei zum Bagno Verurteilte, an eine und dieselbe Kette geschmiedet waren und die darum auch nur ein und dasselbe Los treffen konnte, — das Los des Verbrechens!
XI.
Behaglich in seinem Bibliothekzimmer rauchend, saß der Mann, welcher so lange Jahre hindurch eine Stellung usurpiert und eingenommen hatte, zu welcher er auch nicht den Schein eines Anrechts besaß.
Er hatte den Mitwisser seiner Geheimnisse mit dessen Forderungen abgefunden und hoffte, daß dieser nun, wohl wissend, daß für den Moment Nichts mehr zu erreichen sei, in einigen Jahren wenigstens in Ruhe lassen würde. Richard befand sich in Südamerika und Karoline, sowie die beiden jüngeren Mädchen waren willenlos in seinen Händen; so lebhaft sie Mary's Fernsein auch bedauern mochten, seine teuf- li chen Handlungen ahnten sie nicht im entferntesten. Was Mary selbst aber betraf, so war es zweifellos,'daß, was sie auch behaupten würde, seinem Wort gegenüber stets Alles nur als die Ausgeburt einer krankhaften Phantasie angesehen werden würde. Er wartete nur auf eine Nachricht über ihren Verbleib, um sie ohne Zögern der Obsorge einer Irrenanstalt anzuvertrauen.
Nein, er fürchtete Mary nicht. Alle Bekannten aber legten nur Bedauern für den armen Vater an den Tag, der, wie man allgemein annahm, in Trübsinn versinke über das Unglück und das plötzliche Verschwinden seiner Tochter, — Gefühle, die in Wahrheit zu hegen er weit entfernt war.
So ruhig er indeß, wie er sich selbst einredete, allem Kommenden entgegensah, so sollte doch der geringste Anstoß hinreichen, alle seine Fassung über den Haufen zu werfen. Den Anlaß hierzu sollte das unerwartete Erscheinen John von Roden's geben, der, aufgeregt bei ihm eintretend, ihn jäh aus seiner Behaglichkeit aufschreckte. Das verstörte Aeußere desselben ließ ihn aufspringen und erbleichen.
„Weshalb bist Du gekommen?" forschte er angstvoll, sobald der Diener die Thür hinter John von Roden geschlossen hatte.
„Weshalb? Weil ich weder Rast, noch Ruhe finde; weil ich fühle, daß irgend Etwas geschehen muß. Morton, es wär ein schlechter Streich, den zu thun Du mich gezwungen hast, und ich würde besser daran gethan haben, Alles über mich ergehen zu lassen, als zu leiden, wie ich gelitten habe!"
„Höre mit diesen unsinnigen Lamentationen auf!" rief der andere heftig. Bin ich etwa in Sicherheit? Wir müssen Alle unseren Preis bezahlen für Das, was wir in diesem Leben erreichen! Du würdest besser daran gethan haben, zu Hause zu bleiben, wenn Dn aus keinem anderen Grunde gekommen bist, als um mich mit Deinen Klagen zu langweilen und mich Gefahren auszusetzen, indem Du in diesen Mauern Namen nennst, welche besser unausgesprochen bleiben! Was führt Dich hierher ?"
„Eine Vorahnung, für die es keine Erklärung giebt, das Gefühl, daß irgend ein Unheil uns bedroht! Es ist diese Vorahnung eine so bestimmte, so entsetzliche, daß ich alles Geld zusammenrafste und hierher eilte, um mich zu vergewissern, ob Nichts geschehen ist, was — horch, ist da nicht jemand an der Thür?" Und er sprang erschrocken von seinem Stuhle, auf den er niedergesunken war, auf.
/Fortsetzung folgt.)