Aro. 66.

63. Jahrgang.

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Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.

Donnerstag, äen Juni 1888.

Abonnementspreis halbjährlich 1 80 durch

die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst in

ganz Württemberg 2 70

ArntLiche Wekcrrrrrtmcrchurrgen.

Die Krtsvorsteher

werden auf den oberamtlichen Erlaß vom 12. d. M., betreffend statistische Erhebungen über die Nachbarschaftsstraßen, Calwer Wochenblatt Nr. 57 noch besonders aufmerksam gemacht.

Calw, 5. Juni 1888. K. Oberamt.

Supper.

H'otitrscHe Wuchvictzten.

Deutsches Reich.

Potsdam, 5. Juni. Der Kaiser hatte eine gute Nacht. Derselbe ist um 10 Uhr aufgestanden und begab sich auf die Terrasse. Der Kopf­schmerz ist geschwunden. Der Kaiser nimmt am Vormittag Vorträge von Albedyll, Mischte, Rauch und Radolin entgegen.

DieVolksztg." veröffentlicht folgende Zuschrift: Von zuverlässiger Seite geht mir die Meldung zu^ daß jetzt von allen Aerzten, welche den Kaiser behandeln, die Ansicht, daß die Krankheit Krebs sei, auf­gegeben worden ist. Bekanntlich hatte ein Geschwür, welches sich vor einigen Monaten im Halse des Patienten bildete und welches einen sehr ge­fahrdrohenden Charakter annahm, auch Mackenzie bestimmt, an die Möglich­keit des Krebses zu glauben; dieses Geschwür isi nun vor einigen Wochen unter Entleerung von einer großen Menge von Eiter aufgegangen und be­findet sich jetzt in der Heilung schon so weit vorgeschritten, daß die Grund­fläche des Geschwürs zu vernarben beginnt. Da aber erfahrungsmäßig eine solche Vernarbung bei Krebs niemals eintritt, so ist damit die Krebs-Diagnose, an welcher einzelne Aerzte so hartnäckig festgehaltcn haben, hinfällig geworden. Wenn auch damit noch keineswegs eine vollständige Sicherheit für die Heilung des Monarchen gegeben ist, so ist doch dieselbe um Vieles wahrscheinlicher geworden.

Sehr ernste Betrachtungen knüpft an die sogen. Puttkamer­ke i s i s auch in ihren neuesten Nummern wieder die Köln. Ztg. Sie sagt u. a.:Wenn es wahr wäre, daß König Friedrich in berechtigter Ausübung seines freien Herrscherrechtes das preuß. Gesetz über die Verlängerung der Legislaturperioden nicht genehmigt habe, oder daß das Gesetz, obwohl mit der allerhöchsten Unterschrift versehen, doch nicht veröffentlicht werden soll, so würde diese Thatsache für die nationalen und staatserhaltenden Parteien eine sehr unerfreuliche Bedeutung haben. Seit Monaten sind die deutschfreisinnigen

Blätter bemüht, ihren Lesern eine Reihe wirklicher oder erdichteter Thatsachen vorzusühren, aus denen sich der Nachweis ergeben soll, unser Kaiser und König stehe der Regierung und den regierungsfreundlichen Parteien innerlich fremd gegenüber und neige mit seiner eigensten Gesinnung der von Eugen Richter geführten Oppositionsgruppe zu. Das Häuslein der Deutschfreisinnigen, das immer darauf ausging, die Rechte des Herrschers zu beschneiden, und das sich nach den in Frankreich zur Schau gestellten, wahrhaft verlockenden Herrlichkeiten der absoluten Parlamentsherrschaft sehnt, stolziert unbekümmert um diese seine Grundsätze in der erborgten Maske einer kaiserlichen Partei einher und wagte es sogar, die Königstreue der monarchischen Par­teien zu verdächtigen. Es wäre in hohem Grade wünschenswert, daß diesen planmäßigen Versuchen, die höchsten Autoritäten in Deutschland gegeneinander auszuspielen und dadurch zu schwächen, ein rasches Ende bereitet würde; es ist Zeit, den Komödianten die Loyalitätsfetzen vom Leibe zu reißen. Die Spalt­ung und Schwächung der höchsten Staatsgewalt, ja, selbst der bloße künstlich erzeugte Anschein derselben ist nur zu geeignet, die Gemüter zu verwirren und den zersetzenden Bestrebungen das Wasser auf die Mühle zu treiben. . . Dem Lande könnte keine freudigere Empfindung zuteil werden, als die volle Ueberzeugung sie mit sich brächte, daß in unfern leitenden Kreisen in allen Grundfragen eine vollständige Uebereinstimmung herrsche. Gerade weil dieses Vertrauen durch nichtsnutzige deutschfreisinnige Treibereien erschüttert zu sein scheint, würden wir um so mehr jeden Vorgang bedauern, welcher den fort­schrittlichen Hetzern neue Waffen liefern würde."

Von der Vogesen grenze, 3. Juni. Ein bezeichnender, stark an's Komische streifender Vorfall bildet zur Zeit den Gegenstand der Erör­terungen der französischen Grenzbevölkerung. Dieser Tage begab sich nämlich der Kommandeur eines im Innern Frankreichs stationierten Armeekorps man bezeichnete den General Föorier nach Belfort, woselbst er sich zwei Tage lang aushielt und mit großer Peinlichkeit die französisch-deutsche Grenze von den Orten Foussemagne bis Chavannes les Grandes (im Terri- Loire de Belfort) rekognoseierte, ohne jedoch das deutsche Gebiet zu betreten. Der Kommandeur war zu Pferde und von einem Adjutanten und zwei Be­dienten begleitet, welche gleich ihm Zivilanzüge trugen. Am verflossenen 29. Mai, als der Kommandeur eben die Besichtigung des Pulvermagazins von Petit-Croix vornahm, kam ein französischer Zollbeamte hinzu, ...nahm den Herrn fest und führte ihn ungeachtet aller Einreden nach Station Petit-Croix. Man steht nun vor dem Dilemma: entweder besaß der eine Recognoscierung an exponierter Stelle vornehmende höhere Offizier keine Legitimation, oder der der Militärbehörde unterstellte Zollbeamte keine In­struktion , wenn nicht gar beide Fälle gleichzeitig zutreffen; oder aber der

§euilletoir.

lNachdruck verboten.)

Die Aande des Akutes.

Roman aus dem Englischen von War v. Welsenthurn.

(Fortsetzung.)

Der Empfang dieses Briefes beruhigte die zwei Männer gewissermaßen. Mary war allerdings fort, aber es schien nicht wahrscheinlich, daß sie den Rechtsweg ein- schlagen werde. Sie war fort, aber selbst, wenn sie eine Anklage vorbrachte, so konnten die Beiden immerhin eine Verteidigung wagen, und was war weiter daran, wenn sie auch aussagte, daß man sie hier in diese Villa gebracht, daß man sie hier Tag und Nacht überwacht hatte? Irrsinnige werden ja stets auf solche Weise von Menschen behandelt, die für das Wohlergehen der Kranken besorgt sind. Der be­kannte Londoner Arzt hatte die Geschichte der Hallucinationen vernommen, welchen sie sich hingab, und dieselben als ein ernstes Symptom geistiger Störung angesehen. Nein, nein, es gab gar keinen so bedeutenden Grund zur Angst, wie man es an­fänglich geglaubt hatte. Ohne länger zu zögern, entließen beide Männer die weib­liche Dienerschaft, welche zu Mary's Pflege ausgenommen war. Dann begaben sie sich nach London, um mit dem Nechtsfteunde der Familie Rücksprache zu pflegen.

Ein Inserat nachstehenden Inhalts ward in sämtliche größereZeitungeneingerückt:

Von dem Landsitz, wohin man die junge Dame, damit sie der absolutesten Ruhe pflege, gebracht hatte, ist Fräulein von Roden entflohen. Sie entschlüpfte am frühen Morgen des 25. Novembers ihren Wächtern. Sie ist schlank, von vornehmem Aeußern und sehr schön, im Alter von siebenzehn Jahren. Die junge Dame leidet an Geistesstörungen, welche sich jedoch bei flüchtiger Beobachtung nicht sofort erkennen lassen. Wer immer dem gepeinigten Vater Auskunft über die Verschwundene zu geben im Stande sein wird, erhält reichliche Belohnung. Man wende sich an den Rechtsanwalt William Reddy rc."

Viele lasen diese Anzeige, und mehr denn ein Brief fand seinen Weg in das Bureau des Juristen; unzählige Leute schrieben, welche glaubten in irgend einer ver­lassenen jungen Dame das Fräulein von Roden gefunden zu haben.

Unter Jenen, welche die Notiz lasen, befand sich auch die Dienerschaft der Gräfin Elmer.

Wer doch die arme, irrsinnige, junge Dame entdecken könnte!" meinte die Zofe der Gräfin im Gespräch mit der Haushälterin.

Ja, wenn sie sich überhaupt finden läßt, aber solche arme, halbblöde Ge­schöpfe bringen sich häufig ums Leben, und eigentlich ist es das Klügste, was sich thun läßt!"

Die beiden Frauen hatten nicht die allerentfernteste Ahnung davon, daß die anmutsvolle Mädchenerscheinung, welche seit einiger Zeit im Hause weilte und für eine Verwandte der Gräfin Elmer angesehen ward, das verschwundene Fräulein von Roden sei.

Zeitungen aber bleiben bekanntlich nicht nur im Lande, und so geschah es denn, daß auch eins jener Blätter, in welchem sich das in Rede stehende Inserat befand, seinen Weg nach Rio de Janeiro fand und dort einem jungen Mann in die Hände fiel, welcher mit feuchtschimmernden Augen das Blatt der fernen Heimat er­kannte. Dasselbe überfliegend, traf sein Blick zufällig plötzlich jenes übrigens aus­fallend gedruckte Inserat und wie gebannt starrte er darauf nieder. Man) von Wahnsinn befallen, Mary gefangen gehalten in einem Hause, aus welchem sie ent­flohenwar, und ein Preis war ausgeschrieben für Jene, welche eine Kunde von ihr brachten!

Der junge Mann, der, beschäftigungslos, aller Mittel entblößt war, hatte nun nichts Eiligeres zu thun, als sich als Matrose zu verdingen, um nur auf diese Weise wieder in die Heimat zurückzugelangen. Er sagte dem Kapitän, daß er an das Krankenlager einer Schwester eilen müsse, und wußte das Mitleid des braven Mannes so sehr wachzurufen, daß dieser ihn nicht nur unentgeltlich an Bord nahm, sondern ihn auch noch verhältnismäßig gut bezahlte für die geringen Anforderungen, welche er an ihn stellte.

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