- 62 —
> !
Rußland.
Petersburg, 3. Feb. Die „Neue Zeit" hält als einziges Mittel, wie Rußland vor einem Angriff zu schützen sei, die Verstärkung der Grenztruppen und Festungen aufrecht. Die bisherigen russischen Maßnahmen an der russischen Grenze seien rein defensiv. Rußland brauche keinen Fuß breit deutschen Landes, werde aber auch nicht einen Fuß breit von dem seinigen abtreten. Es sei von tiefer Friedensliebe erfüllt. So lange Deutschland ruhig sei, drohe ihm keinesfalls ein Angriff.
Petersburg, 5. Febr. Das „Journal de St. Petersbourg" bespricht die Publikation des Bündnisvertrages und hebt besonders den in der Eingangserklärung des „Reichsanzeigers" betonten rein defensiven Charakter desselben hervor, wonach also beide Regierungen zur Erhaltung des Friedens entschlossen und überzeugt seien, durch die Publikation alle hierüber gehegten Zweifel zu zerstreuen. Es sei zu wünschen, daß das Ziel erreicht werde.
— Aus Batum wird dem „N. W. T." über ein nihilistisches Raubattentat berichtet: Der Kassier der transkaukasischen Eisenbahn Sidorow wurde von zwei als Kondukteure verkleideten Nihilisten mit Dolchen überfallen und tätlich verwundet. Die Räuber nahmen 12,000 Rubel mit. Einer der Räuber namens Ragosin wurde verhaftet. Das geraubte Geld hatte sein flüchtiger Genosse mitgenommen. Ragosin bekennt sich zu der revolutionären Partei und gestand auch, daß der Raub zu nihilistischen -Zwecken ausgeführt wurde.
^ Gcrges-Weuigkeiten.
(:) Monakam, 5. Febr. Die Gemeinde Monakam durfte heute einen festlichen Tag begehen. Orgelbaumeister Carl Schäfer von Heilbronn hat für die Gemeinde eine kleine, aber ganz meisterhaft ausgeführte Kirchenorgel geliefert, welche heute in festlichem Gottesdienst, den auch der Kirchenchor Liebenzell durch den Vortrag einer Motette verherrlichte, zum erstenmal in Gebrauch genommen wurde. Trotz des ungünstigsten Wetters waren nicht bloß die Einwohner selbst, sondern auch viele Gäste aus den benachbarten Gemeinden in der Kirche anwesend. Das Werk ist durch Anbringung eines Kombinationsregisters sehr modulationsfähig gemacht geworden und nach dem Urteil des Orgelrevidenten, Hrn. Seminaroberlehrer Hegele von Nagold, in jeder Hinsicht tadellos gebaut. Die Kosten des Instruments sind durch freiwillige Beiträge, Kirchenopfer und Hauskollekten zur Hälfte gedeckt, und auch die andere Hälfte hofft man in nicht allzuferner Zeit auf gleiche Weise zusammenbringen zu können. Der kleinen, nicht wohlhabenden Gemeinde gereicht die Anschaffung dieser Orgel, wodurch sie ihrem kirchlichen Sinne und ihrer Liebe zum Evangelium einen schönen Ausdrück gegeben hat. zu hoher Ehre.
Stuttgart, 4. Febr. Ein tragisches Ereignis bildet heute früh das Stadtgespräch. Gestern abend kamen zwei junge Herrchen im Alter von 15—17 Jahren in ein hiesiges Hotel und baten unter der Angabe, den Zug verfehlt zu haben, um ein Zimmer für die Nacht, sie würden andern Tages mit dem Frühzug wieder abreisen. Heute früh 6 Uhr hörte ein in dem Hotel wohnender Gast eine furchtbare Detonation im Nebenzimmer und unmittelbar hierauf ein Wimmern und Hilferufe. Der Eingang in das verschlossene Zimmer mußte vom Nebenzimmer aus bewerkstelligt werden. Den Eintretenden bot sich ein gräßlicher Anblick. In einem Bette lagen die jungen Leute, der eine mit gräßlich zerschossenem Gesicht, der andere mit einer Schußverletzung zwischen Schläfe und Auge. Ein auf dem Tisch niedergelegter Zettel brachte Licht in den rätselhaften Vorgang, denn es verpflichtete sich auf demselben jeder der jungen Menschen, im Fall des Ueberlebens des Kameraden jenem den „Gnadenstoß" zu geben. Sie hatten demnach sich das Versprechen gegeben, sich gegenseitig zu erschießen. Zu diesem Zwecke fanden sich auch drei Revolver, deren Trommeln sich noch reichlich mit Patronen versehen zeigten. Sofort herbeigerufene ärztliche Hilfe konstatierte zwar, daß beide Unglückliche noch lebten, doch soll bei dem einen die Hoffnung auf Erhaltung eine sehr geringe sein. Auf polizeiliche Anordnung erfolgte die sofortige Üeberführung der Verletzten in das Katharinenhospital, wo heute
früh mittelst einer Operation der Versuch zur Rettung des Lebens gemacht wurde. Der eine der beiden jungen Leute ist als der Sohn eines hiesigen Beamten rekognosziert worden, der andere ist sein Genosse, mit dem er in einer Erziehungsanstalt in der Nähe der hiesigen Stadt untergebracht war. Der letztere soll aus Pforzheim sein. Bei dem Schwerverwundeten wurde die Trepanation vorgenommen, es ist wenig Hoffnung auf Erhaltung des Lebens. Dem andern mußte das linke Auge herausgenommen werden; man hofft, ihn retten zu können.
Nufringen, OA. Herrenberg, 3. Febr. Am Samstag den 30. Januar, vormittags, entsprang eine dem Oekonomen Gräther von Haslach hier angekaufte junge Kalbin; trotz eifrigem Suchen konnte dieselbe nicht eingefangen werden, bis es gestern abend dem Oberförster L. von Hildrizhausen gelang, dieselbe bei den Steinbrüchen von Rohrau mittelst zweier wohlgezielten Schüsse niederzustreäen. Der Schaden des betr. Eigentümers dürfte sich auf gegen 250 belaufen.
Ebingen, 2. Febr. Schon seit einigen Jahren wurde unserer Fohlenweidegesellschaft von der Königlichen Zentralstelle für die Landwirtschaft ein jährlicher Beitrag von 500 Mark zu teil. Derselbe ist ihr auf eine weitere Reihe von Jahren in Aussicht gestellt. Kürzlich wurde nun die Gesellschaft auch von der Königlichen Gestütskommission mit einem einmaligen Beitrag von 600 Mark bedacht. Diese Unterstützung und Anerkennung von seiten des Staates liefert den besten Beweis dafür, daß die Weide vollkommen den Anforderungen entspricht, welche von der Königlichen Zentralstelle an eine derartige Anstalt gemacht werden.
Geislingen, 31. Jan. Pfarrer Dr. Engel von Eislingen hielt am Mittwock abend im Museum über „die Ureinwohner Schwabens" einen höchst interessanten Vortrag, bei welchem er folgende vier Fragen des näheren erörterte. 1) Woher wissen wir etwas vom Urmenschen? 2) In welchem naturellen Zustande befand er sich? 3) Welches ist seine leibliche und geistige Beschaffenheit? 4) Wann hat er gelebt? Durch zahlreiche Funde ist nach den sehr verständlichen Ausführungen des gelehrten Redners zur Genüge erwiesen, daß es nicht nur Renntier- und Höhlenmenschen, sondern auch Pfahlmenschen und Pfahlbauern (ältere Zeit, etwa 2000 Jahre vor Chr. Geb.) gegeben hat. Durch die Freundlichkeit des Vortragenden bekamen wir solche Beweisstücke zu Gesicht, z. B. aus dem Steinhäuser Ried (Pfahlbauernzeit), ein Stück ungebrannte Scherben mit Birkenteer angestrichen und geglättet, Steinbeil, Feuerstein und Feuersteinmeffer. Zur Beweislieferung für das Vorhandensein des Renntiermenschen zitierte Redner als Fund orte die Station an der Schussenquelle (Renntierknochen, Küchenabfälle, isländisches Moos), den hohlen Felsen bei Schelklingen (Renntier- und Höhlenbärenknochen, Werkzeuge), die Ofnet bei Utzmemmingen (Mammuthund Hyänenknochen, Feuersteingeräte), die Bockssteinhöhle bei Langenau (Elfenbeinplatten), Thayingen (Auffindung des Bildes eines auf Renntierknochen eingeritzten Moschusochsen) und endlich das Mammuthsfeld bei Cannstatt. Uebergehend zum kulturellen Zustand des Urmenschen hob Redner hervor, daß (ganz abgesehen vom Pfahlmenschen) der Renntier- und Höhlenmensch auf sehr niedriger Stufe gestanden sei, ähnelnd dem heutigen Patagonier. Bezüglich der Feststellung der Beschaffenheit nach Körper und Geist liegen nur wenige Bruchstücke von Urmenschengerippen vor. Mit köstlicher Ironie kam Redner auf französische Gelehrte zu sprechen, welche die Affenähnlichkeit und Affenabstammung des Urmenschen behaupteten, während heute erwiesen ist, daß man es hier mit echten Menschen, allerdings nur auf niederster Bildungsstufe, zu thun habe. Ueber das Alter der Urschwaben Aufstellungen zu machen, ist Schwindel. Das steht fest, daß der Urmensch mit Mammuth und Höhlenbär zusammenlebte. (Diluvium.) Die tertiäre Abstammung des Menschen ist eine weitere Frage, für welche bis jetzt kein thatsächlicher Beweis vorliegt. Von Kreide- und Juraperiode kann gar keine Rede sein. Der Vorstand des Museums, Oberamtsrichter von Marlens, brachte auf den hier beliebten gelehrten Redner ein sehr beifällig aufgenommenes Hoch aus. — Heute haben wir hier orkanartigen Sturm. Ldsztg.
Ulm, 3. Febr. Gestern abend mit dem Schnellzug wurde der hier wohnhafte Güterschaffner Schurn lebensgefährlich verletzt hierher gebracht.
Der kommandierende russische Offizier weiß wohl, daß der kämpfende Mann dort Oberst Egerton ist. Seine Spione haben es ihm berichtet.
„Ergeben Sie sich Oberst!" schreit er ihm von der anderen Seite des Grabens zu. „Ich bin der Oberst Kozakoff."
„Freut mich, daß ich die Ehre habe", erwidert Oberst Egerton. „Bitte, etwas näher zu kommen."
Und um ihm das Näherkommen zu erleichtern, säbelte er abermals einen Russen nieder, der ihm dort Ungelegenheiten bereitet.
„Ich bin gezwungen, Sie gefangen zu nehmen, mein Herr", ruft der'Angreifer.
„Ich dürfte Ihnen zu schwer werden", scherzt Egerton inmitten des tätlichen Kampfes. „Ich wiege zwei Zentner und fünfzig Pfund und mein Säbel ist auch nicht von Pappe."
Und so teilte er Witze und tätliche Hiebe nach rechts und links aus, als befände er sich am Billardtische, wo Krieg — ä I» guerrs — gespielt wird.
Indessen begannen die Russen die jenseitige Hälfte des Schanzgrabens zu erklettern, gegen welchen sich Egerton gestützt, und wenn es ihnen gelingt, dort hinaufzukommen werden sie ihn mit den Bajonetten leicht niederstechen können. Dies kann zwar nicht geändert werden, doch von Ergeben ist dämm doch keine Rede. Deutlich sah der Oberst, daß zwei Soldaten bereits emporgeklettert sind und einer sich ihm rasch nähert; doch brüllt er in demselben Augenblick schon laut auf und rollt kopfüber in den Graben, während der andere nur noch Zeit hat, zurückzublicken, um dann auch entseelt in die Tiefe zu stürzen.
Es war Sukkurs gekommen, voran kam ein Offizier, dessen Degen den beiden Rüsten den Garaus gemacht hatte und schon im nächsten Augenblick ist der Graben gesäubert; wer den Wall desselben erklettert hatte, fand auch sein Grab daselbst.
Der zu Hilfe gekommene Offizier ficht bewunderungswürdig. Gleich einem chinesischen Jongleur, der sich zwischen spitzigen Messern befindet, warf er sich zwischen
die Bajonette; binnen einer Minute fängt sein Degen zehn Hiebe auf und erwiedert dieselben; hier weicht er zurück, dort leitet er seitwärts; er unterlauft die langen Flintenläufe und wenn seine Rechte ermüdet, nimmt er den Säbel in die Linke und kämpft so weiter.
„Wer Du auch seiest. Du bist ein tapferer Kämpe!" ruft Egerton und wirft sich nunmehr mit aller Wucht gegen die feindliche Menge.
Immer mehr beginnt der Feind an Terrain zu verlieren; die Engländer dringen in den Laufgraben zurück und von der jenseitigen Schanzerhöhung tönt Kozakoff's Kommando: „Feuer!"
„Nieder mit dem Kopf!" ruft Egerton dem kühnen Jügling zu, der den Feind von den Schanzen vertrieben hat.
Der Jüngling aber gehorchte nicht. Hoch aufgerichtet blieb er stehen und als Kozakoff Feuer kommandierte, erkannte Egerton bei dem kurzen Aufblitzen des Pulvers staunend das Milchgesicht.
Keine der Kugeln traf ihn, obschon an hundert Schüsie auf ihn abgegeben worden waren.
„Vorwärts Kinder!" schreit der Milchbart nach der Salve und zu einer zweiten hat der Feind keine Zeit mehr. Er wird mit unwiderstehlicher Gewalt zurückgetrieben und Kozakoff kann es sich zum Glück anrechnen, daß man bei einem Körpergewicht von zwei Zentnern und fünfzig Pfund den Feind nicht mit Erfolg verfolgen kann, sonst würde der Engländer jetzt ihn gefangen nehmen. Er ruft ihm indessen nach, daß er den freundlichen Besuch erwidern wird.
Erst hinter der Gefechtslinie trifft der Oberst neuerdings mit dem jungen Lieutenant zusammen. Egerton drückte ihm die Hand, drückte sie lang und warm ohne ein Wort zu sprechen; doch bedeutet bei Egerton ein Händedruck mehr als eine gymnastische Uebung.
(Schluß folgt.)
« 1^7 -