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Gruppen, ein Geschäftsprogramm auszuarbeiten, sowie die Rede des Führers der Rechten, Herrn von Mackau, mit welcher sich dieser dem Lande als künftiger Ministerpräsident empfahl.
Die Reise des rumänischen Ministers Sturdza nach Berlin und Wien wird von der einen Seite direkt mit dem definitiven Anschluß Rumäniens an die Tripel-Allianz in Verbindung gebracht, von der Anderen dagegen behauptet, die Reise bezwecke die Neutralitäts-Erklärung Rumäniens seitens der Centralmächte. Ebenso gehen die Ansichten über das Resultat der Mission Sturdza's auseinander, welch' Letzterer selbst sich von derselben nicht befriedigt erklärte.
Nachdem eine Woche lang die widersprechendsten Nachrichten über die Stellung und die Absichten der Italiener in Ostafrika verbreitet worden sind, wird endlich wieder einmal eine authentische Mitteilung von Seiten des italienischen Kriegsministers ausgegeben. Danach soll Saati besetzt und das Hauptquartier dorthin verlegt werden. Ob die italienischen Truppen von Saati aus noch weiter vorrücken werden, bleibt nach wie vor unbestimmt. An eine Offensive scheint der General San Marzano nicht zu denken. Das Wahrscheinlichste ist, daß nach der Sicherung Saatis die Wiederbesetzung der nach der Schlacht von Dogali vor Jahresfrist aufgegebenen Punkte Zula, Uaa und Arafali in Angriff genommen wird. Auf ein blutiges Zusammentreffen mit den Streitkräften des Negus wird man sich in den nächsten Tagen gefaßt machen müssen.
Kotitrsche Wcrchvichten.
Deutsches Reich.
— Der Korrespondent des „Figaro", veröffentlicht eine Unterredung mit dem russischen Botschafter in Wien, Fürsten Lobanow, der ihm folgendes gesagt haben soll: „Ich glaube offen und aufrichtig an den Frieden und freue mich, daß sie mir Gelegenheit geben, dies zu wiederholen. Der Zar will keinen Krieg; die Vermehrung der Truppen in Polen bedeutet mcht den Wunsch, einen Krieg herbeizuführen, sondern denselben im Gegenteil zu verhüten, sondern indem wir die Kräfte unserer Verteidigung auf der notwendigen Höhe erhalten. Wir waren Deutschland und Oesterreich gegenüber in zu großer Inferiorität. An die Grenze sind indessen nicht so viele Truppen geschickt worden, als man behauptete. In Rußland ist die öffentliche Meinung bald gegen Oesterreich, bald gegen Deutschland. Das geht aber nicht so weit, um einen unüberlegten Krieg zu wünschen. Was Rußland im Falle eines Krieges zwischen Deutschland und Frankreich thäte, weiß ich nicht; aber in Deutschland nimmt man an, Rußland würde mit Frankreich gehen. Ich bin übrigens überzeugt, Fürst Bismarck will nicht den Krieg. Deutschland ist heute in der Lage eines reichgewordenen Mannes, der sein Vermögen erhalten will. Fürst Bismarck will so handeln, daß ihm der Bissen nicht vom Munde weggezogen werden kann, aber er wird auch nichts thun, um einen neuen Bissen hinzuzufügen, und daher die Militärpartei, die zum Kriege drängt, zurückhalten. Ich liebe die Franzosen und so oft ich einen Franzosen sehe, sage ich ihm: Regen Sie sich nicht auf, Bismarck will keinen Krieg. Wenn etwas an der deutsch-sranzösischen Grenze vorfällt, ist man in Berlin bereit, die Sache abzuschwächen. Diese Vorfälle sind keineswegs absichtlich angestiftet, sie sind verursacht durch den gegenseitigen Haß der beider Völker. Die Bulgaren werden auch nicht die Ursache eines Krieges sein. Rußland ist geduldig, weil es seine Kraft kennt. Rußland erwartet Alles von dem don Sens der Bulgaren. Offiziell ist kein Name als Nachfolger des Prinzen Ferdinand genannt worden. Rußland wartet, bis sich Ferdinand abgenützt hat, denn Ferdinand hat nicht die Fähigkeiten, zu regieren. Das Abenteuer kann schlecht für ihn enden; ohne die Prinzessin Clementine, die alles leitet, wäre er heute schon nicht mehr in Bulgarien. Die Fälschung der Aktenstücke schreibt Lobanow der Umgebung des Prinzen von Bulgarien zu; er wolle damit nicht Deutschland mit Rußland Überwerfen, sondern glauben machen, daß er nicht isoliert stehe, vielmehr die Unterstützung Deutschlands habe."
Afrika.
— Einer Depesche des Korrespondenten der „Jndep. Belge" in Aden zufolge haben die Somalis von Berbera einen englischen Offizier getötet, sowie 25 eingeborene Soldaten, welche den letzteren auf einer Jagd begleiteten.
Hcrges-Weuigkeiten.
Stuttgart, 1. Febr. Gestern abend Hielt Dr. Ziemann aus London einen Vortrag in der Arbeiterhalle über den Kampf gegen die Unsittlichkeit. Man erfuhr daraus, daß sich in Düsseldorf ein christlicher Verein zur Hebung der Sittlichkeit für Deutschland gebildet habe, in dessen Aufträge der Redner seine Vorträge hält. Von dem Standpunkte ausgehend, daß es die schlechteste Politik in der Welt sei, ein Uebel damit gut zu machen, daß man es verschweige, gab Redner an der Hand von statistischen Notizen ein Bild der Verbreitung der Unsiitlichkeit in Deutschland. Der Umstand, daß es 200,000 prostituierte Mädchen in Deutschland gebe, müsse jeden mit Schauder erfüllen. Wie weit die Unsittlichkeit um sich gegriffen, zeigte er vielfach durch Beispiele, die er in seiner ärztlichen Praxis in den Spitälern gesammelt oder die ihm in sonstigen Lebensverhältnissen bekannt geworden, und appelierte schließlich an das Ehrgefühl und den männlichen Mut der Zuhörer. Der Saal war von Zuhörern überfüllt, die am Schluffe in stürmischen Beifall ausbrachen. Heute abend ist noch ein Vortrag für Männer im Bürgermuseum, nachmittags für Frauen ebendaselbst.
Suttgart, 1. Febr. (Landgericht.) Gestern vormittag stand die 21jährige ledige Marie Längerer von Leonberg wegen schweren Diebstahls vor der U. Strafkammer. Die Angeklagte war seit 2 Jahren Haushälterin bei dem verwitweten 79jährigen früheren Kübler M. in Leonberg und hat sich bald nach ihrem Eintritt bei demselben sehr gut zu kleiden angefangen, was sie ohne Zweifel aus der Kaffe des Herrn bestritt, denn sie war, wie sich erst jetzt herausgestellt hat, im Besitz des alten Sekretärschlüffels, der schon lange durch einen neuen ersetzt worden war. Aber niemand hatte einen Verdacht auf sie, bis kürzlich 2 Zehnmarkstücke aus dem Sekretär verschwunden waren. Man fand die Schlüssel bei ihr und sie kam in Untersuchung. Nun erst erzählte der alte Mann, daß seit langer Zeit in seinem Hause Geister umgingen, die ihm allerlei Schrecken eingejagt hätten. In der Nacht wurde er mit einem Besen beschmutzt, die Thür wurde ausgehoben, das Geschirr klirrte zusammen rc., aber immer nur, wenn die Haushälterin zu Hause war; war sie fort oder schlief sie, so regte sich nichts. Das Gericht ging davon aus, daß der Geisterspuk von der Längerer in Scene gesetzt wurde, um den Diebstahlsverdacht von sich abzulenken. Sie wurde zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt.
Gmünd, 29. Jan. In hiesigen industriellen Kreisen giebt sich nach der „R. Ztg." seit längerer Zeit das Bestreben kund, mit Pforzheim, unserer Schwesterstadt, in telephonischen Verbindung zu treten. In einer früher gehaltenen Versammlung wurde die Angelegenheit besprochen und die nötigen Schritte verabredet. Wie es nun scheint, wird die Sache im Sand verlaufen und am Kostenpunkt scheitern. Dagegen werden schon die Gemeinden Herlikofen, Leinzell und Eschach mit Gmünd durch Telephonbetrieb in Verbindung gesetzt werden, wozu kürzlich die entsprechende Genehmigung eingetroffen ist.
Reutlingen, 31. Jan. Heute morgen kurz vor 6 Uhr wurden wir durch Feuerlärm aus dem Schlafe geweckt. Es brannte in der Fabrik von Hans Aikelin. Dieselbe, eine Baumwolleweberei im unteren Teile der Stadt an der Degerschlachter Straße freistehend, brannte bis auf die Umfassungsmauern nieder. Obgleich die Feuerwehr rasch zur Stelle war, gelang es ihr doch nicht, das Feuer schnell zu bewältigen. Sämtliche Maschinen wurden ruiniert. Eine größere Anzahl Arbeiter ist dadurch verdienstlos geworden. Entstehungsursache des Feuers unbekannt.
Ebingen, 1. Febr. Heute morgen wurde in der Trikotwarenfabrik von I. Ott zur Brücke kurz nach 6 Uhr ein 68jähriger stiller und fleißiger
„So trinken Sie auf die Gesundheit Ihrer Geliebten!" rief der Oberst endlich aus und hielt ihm das volle Glas entgegen.
Der Jüngling errötete noch mehr.
„Ich habe keine Geliebte."
„Wollen Sie etwa leugnen? Ihr offener Hemdkragen verrät ja, daß Sie dort etwas tragen. Nun? sehe ich dort nicht etwas wie eine Schnur, an welcher ein Medaillon hängt, das sicherlich ein schönes Porträt in sich birgt. Sie werden doch kein Amulet auf dem Herzen tragen, wie die Russen und Franzosen?"
Der junge Offizier schien mit seiner Antwort zu zögern.
„Keine Ausflüchte!" fuhr ihn der Oberst an. „Gerade heraus, Porträt oder nicht Porträt?"
„Ja, Porträt", versetzte der junge Mann. „Das Porträt meiner Mutter."
Jedermann schien betroffen zu sein. Welch' ein Kind! Kann weder rauchen, noch trinken, liebt unter allen Frauen nur seine Mutter und kam bereits her, um in den Reihen der Männer zu kämpfen. Kaum zu wissen, was das Leben ist, kam er bereits hierher, um zu erfahren, was der Tod ist!
Man ließ ihn fortan in Frieden und bot ihm nichts mehr an. Die Gefühlvolleren zürnten ihm nicht mehr, sondern bedauerten ihn und aus Mitleid schalten sie sodann die Regierung, die so jungen Kindern gestattet, sich auf die Schlachtbank zu begeben.
* * *
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Zwei Tage und drei Nächte lang konnte man die in den Laufgräben postierten Regimenter nicht ablösen. Die englischen Truppen waren derart auf allen Punkten in Anspruch genommen, daß mit Ausnahme der Toten und Verwundeten kein Mensch drei Tage hindurch ausruhen konnte.
Am dritten Tage wurde der Mannschaft insoferne Erleichterung zuteil, als die Hälfte derselben wachbleiben mußte, während die andere Hälfte sich niederlegen durfte.
Niederlegen! Von all' dem Guten, welches die liebreiche Hand der Mutter Natur dem Menschen reicht, ist diese Gabe die süßeste. Die unsichere Stellung auf
geben, die nur den Zweck hat, den Kopf in die Höhe zu halten; den Körper seiner eigenen Neigung zur Erde überlassen und sich nicht um unsere Gliedmaßen bekümmern, die auf sich gegenseitig angewiesen sind! Denke daran, der Du, diese Zeilen in Deinem elastischen Bette liegend, unter der weichen, warmen Decke, im leichten Nacht- gewande, bei gedämpftem Schein der Nachtlampe liesest, bedenke, wie anders es ist, in den eisigen Schlamm, in durchnäßten, schweren Uniformen, beim rasenden Gebrüll des schneidenden Nordes sich niederlegen, den Kopf auf einen von den Schanzbauten zurückgebliebenen Stein zu lehnen und dann das Pfeifen der Bomben, das heisere Brummen der Granaten anzuhören, auf das Getöse einer platzenden Bombe, den Wirbel der Alarmtrommeln, auf das beunruhigende Geräusch der nächtlichen Scheinangriffe zu erwachen, einige Minuten zu horchen, welchen unserer Nachbarn die Bombe hinweggeholt und dann neuerdings zu beginnen: „Vater unser, der Du bist", die eine Hand am Herzen, die andere am Schwertgriffe und weiterzuschlafen bei dem entfernter tönenden Trommelwirbel und zu träumen von einem warmen, behaglichen Zimmer, in welchem Kinder, Knaben und Mädchen um den alten Krieger sitzen, der ihnen schauerliche Geschichten erzählt, die sich vor vielen, vielen Jahren vor Seba- stopol zugetragen. . . .
In der zweiten Hälfte der Nacht begab sich die Abteilung des jungen Offiziers zur Ruhe. . .
Zum zweiten Male inspizierte Oberst Egerton die Wachtlinien. Zum ersten Male, es war vor Mitternacht, hatte er deutlich die klare Stimme des jungen Lieutenants erkannt, der auf seine Fragen geantwortet hatte.
„Der Junge ist wach! ob er es wohl noch lange aushalten wird?" dachte er bei sich.
Beim zweiten Male war bereits der Morgen nahe, als der Oberst vorüberritt. Er brauchte nicht nach dem „Grünschnabel" zu fragen; dort lag er, wo er vor Mitternacht gelegen; den einen Arm hatte er als Kissen unter dem Kopfe, den anderen als Decke auf dem Herzen liegen.
(Fortsetzung folgt.)