'PoLitische Wachvichten.

Deutsches Reich.

DieNordb. Allg. Ztg." gibt der Veröffentlichung der gefälschten diplomatischen Aktenstücke eine Deutung, welche, neben den Aeußerungen des deutschen Kaisers, bekundet, daß man in Berlin die Situation als zum mindesten erheblich erleichtert betrachtet. Die Aufnahme dieses Schrittes in Petersburg ist eine durchaus sympathische gewesen, da selbst die Panslavisten- Preffe gezwungen ist, die Loyalität der Haltung Deutschlands in der bul­garischen Frage anzuerkennen. Verstärkt wird dieser Eindruck ohne Zweifel durch die unumwundene Erklärung des Organs des Berliner auswärtigen Amtes werden, der Prinz Ferdinand von Coburg sei nicht als Fürst von Bulgarien zu betrachten. Auf Seiten Rußlands beginnt dem Anschein nach auch die Ueberzeugung durchzudrtngen von der Notwendigkeit, die Jntriguen zu durchkreuzen, welche Europa mit einem allgemeinen Kriege zu bescheren gedachten. In der Abberufung des bisherigen russischen Gesandten in Brüssel, des Fürsten Urusoff, darf man wohl das erste Symptom eines, wenn auch noch recht zaghaften Einlenkens Rußlands erblicken. Sollte es sich bestätigen, was von Wien gemeldet wird, daß Rußland jetzt offizielle Erklärungen über die Truppenbewegungen und seine Abfichten abgegeben hat, so würde das nicht wenig zur Beschwichtigung der Unruhe beitragen, welche dis Neujahrs, rede Tisza's hervorgerufen hat. Vorläufig freilich wird man sich mit der Versicherung desWiener Fremdenbl." begnügen müssen, welches weitere Truppenanhäufungen Rußlanos an der galizischen Grenze bestreitet. (Frkf. I.)

Der preußische Lanotag ist laut einer heute verkündigten königlichen Verordnung, datiert 2. Januar, auf den 14. Januar einberufen.

Italien.

Rom, 3. Jan. Der Papst erhielt ein Telegramm des russischen Kaisers aus Gatschina, vom 31. Dezember datiert, welches nach warmen Beglückwünschungen sagt, daß der Kaiser, beseelt von dem Wunsche, die religiösen Interessen seiner römisch-katholischen Unterthanen zu sichern, nicht daran zweifle, daß die hohe Weisheit des Papstes, von welcher derselbe so viele Beweise gegeben habe, dem Kaiser gestatten werde, die Bedürfnisse der römischen Kirche mit dem Fundamentalgrundsätzen seines Reiches zu versöhnen.

Hages-Weirigkeiten.

Eßlingen, 2. Jan. Der um 2 Uhr hier durchgehende Paris- Wiener Schnellzug ist heute hier bei der Einfahrt in den Bahnhof entgleist. Das Unglück geschah dadurch, daß beim Passieren des Schnellzugs über eine offene Weiche eine Klammer, bezw. die Zunge derselben in Folge der außer­ordentlichen Kälte in dem Augenblick brach, als der 3. Wagen über die Weiche rollte. Der Zug riß sofort in 2 Stücke. Maschine, Tender und die 2 vorderen Wagen setzten ihren Weg unbeschädigt fort, während der 3. Wagen, aus dem Geleise geworfen, umstürzte und die übrigen Wagen über die preisgegebene, zum Teil zersplitterte, Weiche hinaus, bald ebenfalls entgleist auf den Schwellen eines Nebengeleises eine kurze Strecke weitertrieben. Ein Wagen stürzte noch um. Nur der allerletzte Wagen des Zugs stand noch halb aus diesem, halb auf jenem Geleise. Leider ist ein Menschenleben zu beklagen : Zugmeister Laub aus Stuttgart ist an schweren Verletzungen, kaum ins neue Kranken- Haus hier verbracht, gestorben. Die meisten Passagiere kamen mit dem Schrecken davon, viele haben leichtere Quetschungen, andere nur Stöße davon­getragen. Die Sitze der umgestürztcn Wagen waren total verschoben und zum Teil so zusammengeklemmt, daß die Passagiere nicht aus den Wagen hinausgelangen konnten. Ein Passagier mußte wegen bedeutenderer Ver- wundung am Hinterkopf hier sich in Pflege geben lassen. Ein anderer, leichter verwundeter Reisender konnte nach angelegtem Notverband weiter reisen. Verschuldung trifft bei diesem Unglück, das offenbar höherer Gewalt zuzuschreiben ist, wohl niemand.

Natürlich mußte er dieser Einladung Folge leisten. Er hätte zwar gerne vor­her mit Erna gesprochen, doch das war nun unmöglich, und so fand ihn der folgende Abend wieder vor des Justizrats Hause.

Als er den Salon betrat, war die Frau Justizrätin wieder die erste, die ihn begrüßte. Doch direkt neben ihr stand Erna, schöner als je. Ihre elegante Toilette, die aus einem reizenden Durcheinander von blaßrosa, bordeaux und weißen Spitzen bestand, kleidete sie zum Entzücken, der edle Kopf mit dem zarten, heute etwas blässeren Teint und dem tiefschwarzen Haar hob sich prächtig ab. Mit dem strahlenden Lächeln, -as er immer so sehr an ihr geliebt, reichte sie ihm die Hand und er versenkte sich so in ihren Anblick, daß er einen Moment ganz übersah, daß noch eine andere Dame hinter Erna hervorgetreten war und ihm die Hand reichte. Es war, ja er täuschte sich nicht, es war Margarethe.

Er ergriff ihre Hand wie im Traum, und er drückte diesmal keinen Kuß darauf. Er hätte es wohl auch kaum gethan, wären sie allein gewesen; denn jetzt hatte er ja wieder klar gesehen, daß sie keinen Verglich mit Erna aushalten könne.

Diese wandte sich nun zu ihm und flüsterte, wie sehr sie sich freue, im Stande gewesen zu sein, ihm eine so angenehme Ueberraschung zu bereiten.

Sie wurde dann von Pflichten gegen andere Gäste in Anspruch genommen und bald befand sich Nordheim mit Margaretem allein im Gedränge.

Wie kommst Du hierher?" fragte er sofort.

O das ist sehr einfach, Aerr Doktor. Sobald ich einen Käufer für die Waldau gefunden, schrieb ich an Erna, sie ist die Cousine, von der ich Ihnen erzählt, sie möge kommen, mir die Angelegenheit ordnen zu helfen und mich dann mit hierher nehmen. Sie kam sofort, alles war bald geordnet und vorgestern trafen wir hier ein. Ich hatte keine Ahnungen, daß Sie mit ihr bekannt seien."

Und warum hast Tu mir nichts von dem allem geschrieben?

O, ich schreibe so ungern; ich wollte Ihnen alles erzählen, sobald ich hierherkäme."

Und Erna? Weiß sie um unsere Verlobung?"

Ja. Aber", sie hielt errötend ein.Ich habe Ihnen etwas zu sagen. Der Herr, der die Waldau gekauft, hat auch lim meine Hand angehalten, und"

Unter den Studierenden Tübingens hat sich derTüb. Ehr." zufolge einAusländer-Verein" gebildet, welchem Russen. Engländer, Serben, Schweizer, Griechen rc. angehören. Derselbe hat den Zweck, die Mitglieder mit der Litteratur und den Sitten der im Verein vertretenen Nationalitäten durch regelmäßige Vorträge bekannt zu machen. Natürlich ist auch der Ge­selligkeit Rechnung getragen.

Schorndorf, 1. Jan. Der gut prädizierte, 55 Jahre alte Farren- halter von Hebsack hat sich am Ofenstängle seiner Wohnstube erhängt. Der Grund der That ist wohl in dem Umstand zu suchen, daß eine vom Hause abwesende Tochter des Verstorbenen die Herausgabe ihres Großelternguts dringend verlangte und im Augenblick keine Mittel vorhanden waren, um dieser Forderung gerecht werden zu können. Der Bettel hat in neuester Zeit sehr eingerissen, obwohl von den Behörden gegen herumziehende Per­sonen thatkräftig eingeschritten wird.

Heiden heim, 31. Dez. Bei drei Fuß tiefem Schnee, wie er in unseren Waldungen liegt, hatten wir in dieser Woche schon eine Kälte von 17« k. Der Postverkehr über die Alb war gestört wegen zu großer Schneemassen. Unsere Brenz, die selten gefriert, weil sie meist Quellwasser hat, ist von hier bis Schnaitheim gefroren, so daß sie von Schlittschuhläufern benützt werden kann. Unsere Bierbrauer benützen die kalte Zeit, um ihren Eisbedarf für das nächste Jahr in Keller zu bringen. In Mergel­stetten brach heute früh ^ g Uhr im Nebengebäude der Zöppritz'schen Fabrik Feuer aus. Im Gasreinigungsraum hatte sich der an der Röhre haftende Teer entzündet. Das Feuer wurde alsbald unterdrückt. Bei Nacht hätte können für das ganze große und stattliche Anwesen die größte Gefahr entstehen.

Langenburg, 31. Dez. Zu Ehren des Oberamtsrichters Kern, welcher hier 8 Jahre lang amtlich wirkte und nun nach Marbach übersiedelt, veranstaltete derLiederkranz" gestern Abend im Gasthaus zur Post eine Familienabschiedsfeier, zu der eine Abteilung der Mergentheimer Militär­kapelle beigezogen wurde. Der Vorstand der Gesellschaft Assessor Mutschler, brachte das Bedauern der zahlreich Versammelten über den Verlust des pflicht­getreuen Beamten und vortrefflichen Gesellschafters zum Ausdruck. Der Scheidende dankte für die ihm zu Teil gewordene Aufmerksamkeit und für die vielen vergnügten Stunden, deren er sich in Freundeskreisen zu erfreuen hatte. Auf recht angenehme Weise verfloß die Feier, die mit einer allge­meinen Tanzunterhaltung endete. Der offizielle Abschied fand einige Tage früher im gleichen Lokale und unter ebenfalls großer Beteiligung statt.

Gernsbach, 1. Jan. In den letzten Tagen des alten Jahres wurde von hier ein fertiges Holzhaus nach den deutsch-ostafrikanischen Kolonien abgeschickt. Die Holzhandlungsfirma Katz und Klumpp hat es gebaut, die einzelnen Teile sind, zum Aufschlagen fertig per Eisenbahn nach Hamburg abgegangen, um von dort nach Sansibar, resp. dem Bestimmungs­orte Dar es Salam weiterbefördert, zu werden. Der einstöckige Bau ist 20 Meter lang und 10 Meter breit und enthält 7 Zimmer. Alle Holzteile des Baues sind mit Quecksilbersublimat imprägniert. Das Dachwerk besteht aus ineinander gefügten imprägnierten Holzdielen, auf die an Ort und Stelle noch eine Erdschichte aufgelegt wird, damit die Sonnenstrahlen mehr von den Gemächern abgehalten werden. Um das Haus herum ist eine gedeckte Veranda gelegt. Der Preis für das fertige Gebäude stellt sich ab hier auf 2500 Mark.

Köln, 25. Dez. Eine überraschende Form von Trinkgeldern lernten kürzlich die Kellner eines hiesigen Gasthofs kennen. Es war ein Fremder eingezogen, der etwa eine Woche zu bleiben gedachte. Die ihm nach der ersten Nacht aufs Zimmer gelegte Tagesrechnung behagte ihm nicht, namentlich stieß er sich an der Rubrik:Bougies 1 Daß dieses WortBougies"

Wachslichter bedeutete, war ihm wohlbekannt; nicht aber vermochte er zu er­gründen, welch' greifbaren Vorteil es ihm gewährte, für zwei Kerzen, die

Und er gefällt Ihnen besser, als ich?" unterbrach er sie fast zornig und doch ungeheuer erleichtert. ^

Ja", entgegnete sie zögernd, und dort kommt er eben, und entschuldigen Sie, Herr Doktor, aber ich habe ihm diesen Tanz versprochen."

Bitte sehr, mein Fräulein", entgegnete Nordheim mit einer steifen Verbeugung, die sie jedoch nicht mehr sah, denn sie hatte ihm schon den Rücken gedreht.

Unterdessen nahm der Ball seinen Anfang, doch Alfred fühlte sich nicht zum Tanzen gestimmt. Er zog sich in den Wintergarten zurück, der augenblicklich ganz verlassen war.

So", sagte er sich, vor wenigen Minuten hatte ich noch zwei Bräute, und jetzt habe ich allem Anscheine nach gar keine."

In tiefe Gedanken versunken, saß er in einem dunkeln Winkel, da hörte er hinter sich das Rauschen eines Damenkleides und zu gleicher Zeit auch Ema's Stimme:Ich gratuliere Ihnen, Herr Doktor!"

Wie rasend sprang er auf.O Erna, verspotte mich nicht! Zu was gratulierst Du mir? Daß ich in verblendeter Thorheit das schönste edelste Weib der Erde ver­gessen konnte, um mich mit einem Gänschen zu verloben, das mich jetzt nicht einmal wihl! O Erna, einzig Geliebte, vergieb mir, sei mein, vergiß meinen Wahnsinn!"

Es lag etwas in seinem Tone, das ihr verriet, daß es ihm ernst sei mit seiner Bitte.

Sie sah ihn an; den flehenden Augen konnte sie nicht widerstehen.Ich habe vergeben, Alfred!

Stürmisch zog er sie an sich:Mein Ein und mein Alles, mein geliebtes Weib!"-

Nie hörte Alfred einen Vorwurf von seiner reizenden jungen Frau; aber bei der ersten Geschäftsreise, die er nach seiner Verheiratung unternahm, flüsterte sie ihm neckisch zu:Gieb acht, Alfred, daß Du Dich nicht etwa aus langer Weile verlobst!"