62. Jahrgang.
Wro. 141.
Amts- uaä IntelligenMatt für äen Aezirst.
Erscheint Z»ie«»t«g, Ionnerstag L K«m»ta>.
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Donnerstag, äen 1. Dezember 188?.
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H^oMifche Wachvichterr.
Deutsches Reich.
Berlin, 27. Nov. Der Kaiser erwiderte den Reichstagspräsidenten auf deren Ausdruck der ehrerbietigen Teilnahme an der Krankheit des Kronprinzen, dieselbe sei eine schwere Schickung, wenn man die hohe Befähigung des Kronprinzen bedenke, die preußische und die deutsche Politik in einer solchen Weise weiterzuführen, daß der Kaiser ruhig die Augen hätte schließen können. Der Kaiser bedauerte, daß er die Thronrede nicht persönlich vorlesen konnte, um der Weltzu sagen, daher den Frieden wolle, daß Deutschland aber auch vollkommen gerüstet sei, etwaigen Angriffen zu begegnen. Erfreulich sei die Finanzlage. Schließlich die allgemeine europäische Lage berührend, bedauerte der Kaiser den Rücktritt des Präsidenten Grevy.
Berlin, 28. Nov. Es ist in der jüngsten Thronrede einigermaßen ausgefallen, daß die Erneuerung des Sozialistengesetzes nicht erwähnt wurde. Der Schluß, daß auf dieses Gesetz verzichtet werden solle, dürfte aber ganz unzutreffend sein. Man hört vielmehr, daß voraussichtlich noch einige Verschärfungen vorgeschlagen werden. Auch soll neuerdings die Absicht bestehen, eine fünfjährige Geltungsdauer zu beantragen.
— Die „Kreuzztg." kann sich mit der Erklärung der „Köln. Ztg.", betr. die Anklage gegen Persönlichkeiten des Berl. Hofs noch nicht zufrieden geben, sie bemerkt hierüber: Immerhin bleibt noch eine Beschuldigung bestehen, die, wenn sie so allgemein, öffentlich und ohne persönliche Verantwortlichkeit von einem nicht offiziellen Organ ausgesprochen wird, so lange als mindestens leichtfertig bezeichnet werden muß, als sie nicht bewiesen ist. Und wenn die „Köln. Ztg." erklärt: die Beweife haben der Zar und Fürst Bismarck voll- giltig einander geliefert, so übersieht das Blatt, daß weder der Zar noch Fürst Bismarck irgend eine Ueberzeugung in dieser Richtung öffentlich ausgesprochen haben, daß vielmehr die „Kölnische Zeitung" zur Zeit allein die Verantwortung für die Beschuldigung trägt. Für das, was zwischen dem Zar und dem Reichskanzler verhandelt worden ist, kann niemand Aufklärung oder Beweis verlangen, wenn aber ein Blatt, wie die „Köln. Ztg.", deren Glaubwürdigkeit keineswegs über allen Zweifel erhaben ist, öffentlich Beschuldigungen gegen nicht genannte Personen in der Umgebung des Kaisers
ausspricht, so muß sie ihre Behauptungen beweisen, oder den Vorwurf, frivol gehandelt zu haben, auf sich sitzen lassen.
Italien.
SanRemo, 28. Nov. Das Befinden des Kronprinzen ist fortgesetzt gut. In den letzten Tagen Hot er stundenlang in der freien Luft geweilt. Gestern fuhr er schon vor Mittag mit der Kronprinzessin und den Prinzessinnen Töchtern fort und kehrte erst nach Anbruch der Dunkelheit zurück. Unterwegs sind die Herrschaften ausgestiegen und haben einen längeren Fußmarsch gemacht. Auch heute ist der Kronprinz wieder ausgefahren und spazieren gegangen. Dabei ist die Stimmung gut; er interessiert sich für alles und verfolgt mit lebhaftem Anteil die politische Lage. Der Zustand des Halses wird den Umständen entsprechend als befriedigend bezeichnet. Angeblich fallen sogar die Geschwüre zu heilen beginnen; dies ist indessen nur ein Gerücht. Die Kronprinzessin besuchte gestern mit ihren Töchtern die englische Kirche.
Frankreich.
Paris, 28. Nov. Gestern abend wurde offiziell durch Rouvier den Präsidenten des Senats und der Kammer der Entschluß Grevy 's, zu demissionieren, mitgeteilt. Grevy will aber erst am nächsten Donnerstag seine geplante Botschaft an die Kammern richten. Diese Verzögerung wird zweifellos nur dazu beitragen, die Angriffe gegen Grevy zu verstärken, da die Annahme nur zu nahe liegt, daß der Präsident der Republik seine Demission bis zum 1. Dezember verschoben habe, um noch die 1 0 0,0 0 0 Franken Gehalt für den Monat Dezember beziehen zu können. Der „Jntransigeant" versichert heute, der deutsche Botschafter biete infolge der aus Berlin erhaltenen Weisungen alles auf, um Iules Ferry zur Präsidentschaft zu verhelfen, welche Unverschämtheit von einer ganzen Reihe von Blättern nachgedruckt wird.
Rußland.
Petersburg, 28. Nov. (Privattelegramm des Neuen Tagblatts.) Es wird in Bälde ein erschütternder Stoß auf den Prinzen von Koburg erwartet. Die bulgarische Frage wurde vornehmlich als Gegenstand der Besprechung zwifchen dem Zaren und Bismarck bezeichnet.
Hages-Weirigksiten.
Calw. Ein schwerer Unglücksfall ereignete sich am letzten Montag abend an dem Neubau des Eiskellers von Jul. Dreiß. Flaschnermeister Eßig, welcher vor nicht langer Zeit das Burkart'sche Geschäft übernommen und sich vor wenigen Wochen verheiratet hatte, kam bei bereits eingetretener Dunkelheit durch einen Fehltritt derart zu Fall, daß er sich den Bruch von 3 Rippen und mehrere Verletzungen am Kopfe zuzog. Ca. I V? Stunden hatte derselbe bewußtlos im Keller gelegen, nach welcher Zeit es ihm endlich gelang, sich an einer Leiter emporzuziehen und vorbeigehende
JeuiCceton.
Treue Liebe.
Eine Ballade von Maurus Jökat.
Autorisierte Uebersetzung von Ludwig Wechsler.
(Schluß.)
Saint-Creux gehorchte; er trat in die Nische und ließ die Spiegelthür verschließen.
„Noch eins", flüsterte ihm Josephine durch den Spiegel zu: „Wenn man mich mit Gewalt von hier fortschleppen sollte, kannst Du nach meiner Entfernung Dein Versteck verlassen, indem Du die Feder des Jnnenschlosses an Dich ziehst. Ueber die Steintreppen kannst Du dann leicht entkommen."
In diesem Augenblick polterten die Soldaten bereits vor ihrer Thür.
Ruhig trat ihnen die Gräfin entgegen und fragte, was sie wollten.
Der Gardekapitain teilte ihr mit, daß sie gekommen seien, Saint-Creux zu suchen, der sich sicherem Vernehmen nach im Chateau de quatre Rivieres verborgen halte.
„Bitte, suchen Sie ihn," sprach die Gräfin.
Der Kapitän stellte drei Soldaten mit geladenen Waffen neben die Gräfin und befahl denselben, auf jede ihrer Bewegungen zu achten, während er selbst mit den übrigen aufbrach, um das Schloß zu durchsuchen.
Das Suchen währte bis zum Morgen. Dann kam der Kapitän mit schlecht verhehltem Verdrusse zurück und meldete der Gräfin, daß er Saint-Creux allerdings nicht gefunden habe, dessenungeachtet aber seinem erhaltenen Aufträge gemäß, die Gräfin nach Paris geleiten müsse.
Die Gräfin erwiderte, daß sie bereit sei. Sie selbst drängte den Kapitän zu möglichst raschem Aufbruch, da sie Saint-Creux nicht zu lange in seinem engen Verstecke belasten wollte.
Fünf Minuten später befand man sich unterwegs; die Gräfin in ihrem Wagen, die Soldaten in ihren Sätteln.
Erleichterten Herzens blickte Josephine zu ihrem Schlosse zurück, als sie dasselbe bereits weit hinter sich hatte. Saint-Creux mochte seither schon längst entflohen sein.
Die Gräfin wurde ins Staatsgefängnis geworfen und dort verblieb sie jahrelang, ohne daß man je das Wort an sie gerichtet hätte. Sie weinte, bat und petitionierte und erhielt niemals eine Antwort.
Die Julirevolution des Jahres 1830 vertrieb Karl den Zehnten und die Zusätzen des Staatsgefängnisses erlangten ihre Freiheit wieder. Und so wurde auch Josephine frei.
Die Freude über ihre Befreiung erhielt noch eine Steigerung durch die Nachricht, die man ihr eiligst zur Kenntnis brachte. Ihr Scheidungsprozes war nämlich längst beendet worden und Graf Therme hatte seither auch schon geheiratet. Auch ihr zweiter Kerker hatte sich also vor ihr geöffnet und sie war zweier Fesseln ledig.
In ihrem Freudentaumel eilte sie heim in ihr Schloß de quatre Rivisres, an welches sie durch so viele traurige, jetzt so viele liebliche Erinnerungen geknüpft war.
Die durch die heißen Julitage errungenen Triumphe erweckten in ihr die sichere Hoffnung, daß Saint-Creux eilen werde, sie aufzusuchen, was sie umso eher erwarten durfte, als sie häufig, bald von Bekannten, bald durch Zeitungen über Saint-Creux Nachricht erhielt. In den politischen Strömungen, die sich nun entwickelten, begann dieser Name eine Rolle zu spielen.