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Arbeiter um Hilfe anzurufen, welche ihm auch kurz darauf zuteil wurde. Der Verunglückte mußte pr. Wagen nach Hause gefahren werden.

MmtlichesZ Bei der vom 4. bis 16. November d. I. in Tübingen vorgenommenen ersten höheren Finanzdienstprüfung ist u. a. Kandidaten Otto Günzler von Liebenzell, OA. Calw, für befähigt erkannt und zum Finanzreferendar II. Klasse bestellt worden.

Ludwigsburg, 26. Nov. Die L. Ztg. schreibt: Als der bei Heutingsheim stationierte Bahnwärter gestern vormittags seine Strecke Bietigheim zu beging, fand er gegen 10 Uhr auf dem Geleise den schon erkalteten Leichnam eines Knaben. Der Befund ergab, daß ein Ueberfahren durch den Zug ausgeschlossen bleibt, vielmehr einSturz von derBrücke auf das Geleise vorliegt. Ob dieser Sturz durch leichtsinniges Stehen auf das Geländer der Brücke oder durch absichtlichen Sprung in die Tiefe erfolgte, ist vor der Hand unentschieden. Nach der Lage des Körpers und der Kappe will behauptet werden, ein senkrechtes Fallen bleibe ausge­schlossen. Der Verunglückte ist ein 13 jähriger Schulknabe aus G e i s i n g e n.

Schorndorf, 25. Nov. Zwei Metzger aus dem Wiesenthal waren gestern mit einem Fuhrwerk hier und hatten im Gasthaus zum Lamm ein­gestellt. Beim Herausführen des Pferdes mißhandelte der eine von ihnen dasselbe derart, daß ein hiesiger Bauer Namens Bühler sich veranlaßt sah, den Uebelthäter zurechtzuweisen. Auf dies hin fielen beide über Bühler her und mißhandelten ihn derart, daß er bewußtlos vom Platze getragen werden mußte. Zuschauer, welche dem Unglücklichen zu Hilfe kommen wollten, erhielten gleichfalls Verletzungen. Die Sache ist bei der Behörde zur An­zeige gebracht und die beiden Metzgermeister werden nun ihre Rohheit zu büßen haben.

Aalen, 21. Nov. Wie man dem Schw. M. von hier mitteilt, ist in letzter Woche hier eine in der Aktiengesellschaft Union von C. D. Magirus in Ulm erworbene fahrbare mechanische Leiter von 14 m Länge in Gegen­wart der Behörde einer eingehenden Prüfung unterzogen worden, die ein sehr günstiges Ergebnis hatte. Zum Ausrichten des gewaltigen Instruments genügten 4 Sekunden, zum Ausziehen der Schiebleiter 12, zum Ablassen 6 und zum Niederlegen.der ganzen Leiter 7. Bei der Belastungsprobe wurde die ausgezogene Leiter durch das Gewicht von 7 kräftigen Männern, welche sich auf ein an einem von der obersten Sprosse herabgehenden Seil angehängtes Brett stellten, nicht im mindesten alteriert, ebensowenig durch die noch weiter vorgenommenen Versuche. Sie vereinigt bei einer höchst zu­verlässigen Bauart in sich alle Vorteile einer leichten Handhabung dergestalt, daß sie im Fall der Not von einem einzigen Mann wie oben geschah, auf­gerichtet und in Stand gesetzt und bei günstiger Fahrbahn auf den Platz befördert werden kann. Auf derselben können ihrer ganzen Länge nach ohne alle Gefahr 7 Mann postiert werden. Zu ihrer richtigen Bedienung sind 6 Mann erforderlich. Ein über den Kocherfluß hinweg vorgenommener Versuch zur Besteigung des Dachs und zum Eindringen in die oberen Gelasse eines der hohen Gebäude der Union lieferte einen glänzenden Beleg für den hohen praktischen Wert dieser vorzüglichen Vorrichtung für die Rettung von Personen und Sachen im Fall eines Brandes. Von derselben Fabrik ist dieser Tage in Weiler i. d. B. eine neue Feuerspritze über­nommen und geprüft worden. Die Spritze hat 130 mm Cylinderdurchmesser und 2 Schlauchausmündungen. Bei 16 Mann Bedienung ging der Strahl mit 16 mm Mundstück bei einer Saughöhe von 5 bis 6 m volle 38 m weit, bei gleichzeitiger Anwendung von 11 mm weiten Mundstücken je 32 m weit. Die äußerst solide und elegante Bauart der Spritze bei höchster Leistungs­fähigkeit befriedigte allgemein.

Jmmendingen, 27. Nov. Ueber den Mord an fall, den neulich hier der frühere Falkenwirt Gr. auf seine Schwiegereltern, seine Frau, seinen Schwager und seine Schwägerin machte, mag noch mitgeteilt werden, daß nach dem Ausspruch des Arztes der Schwiegervater, ein 64 Jahre alter Mann, ohne Zweifel an der Schußwunde sterben werde. Ebenso ist der Zu­stand der 20 Jahre alten Schwägerin ein äußerst bedenklicher. Der Schwager ist außer Lebensgefahr. Bei der Frau des Mörders ist noch Hoffnung auf Genesung vorhanden. Der Mörder, der sich selbst schwer verwundete, liegt

im hiesigen Armenhaus, beständig von zwei Männern bewacht. Ernstliche Reue soll er keine empfinden.

München, 26. Nov. Heute früh 7 >/§ Uhr ging im Hof der hiesigen Frohnfeste am Unteranger dieHinrichtung des Mörders Josef Plazak mittelst Fallschwertes durch den Nachrichter Kißlinger vor sich. Plazak, 38jähr. Metzger und Taglöhner von Glosau, Bez. Taus in Böhmen, hatte in der Nacht vom 1. zum 2. Oktober 1886 den Gendarmen Behringer hier über den Versuch der Verhaftung am Marienplatz mittelst zweier Revolver­schüsse ermordet. Am 18. Juni war er vom Schwurgericht zum Tode ver­urteilt worden. Dieses Urteil wurde am 21. ds. vom Prinzregenten bestätigt, da Gründe zur Begnadigung nicht gegeben waren. Seiner Zeit hatte die Blutthat, ebenso wie der einige Tage nachher von Plazak in Passau beim Bankier Leuze verübte freche Diebstahl mit Einbruch großes Aufsehen erregt; für den Diebstahl erhielt er noch 10 Jahr Zuchthaus. Der Verbrecher hatte sich geistlichem Zuspruch durch die 2 ihm beigegebenen Kapuzinerpatres nicht unzugänglich gezeigt. Uebrigens hat er ein Geständnis nicht abgelegt. Und wie er in der letzten Zeit sehr ernstlich einen Ausbruchsversuch ins Werk setzen wollte, so hat er sich auch heute früh noch so frech und schimpffertig benommen, daß die vorsorglich am Schaffott aufgestellten Trommler die Trom­mel schlagen mußten, bis sein Kopf gefallen war.

Cassel, 28. Nov. Ueber eine Blutthat im Gefängnis zu Wehlheiden berichtet dieH. Mztg.": Der Sträfling Stein aus Frankfurt hatte Korrespondenz mit Mitgefangenen unterhalten und wurde nun vor den Direktor der Anstalt. Hrn. Kaldewey, geführt, um darüber vernommen zu werden. Der Oberaufseher Köhler führte Stein in das Zimmer des Direktors und dieser diktierte nach stattgefundener Vernehmung dem Stein drei Tage verschärften Arrest. Kaum hatte er die Strafe ver­nommen, so zog er eine bis dahin verborgen gehaltene, auf beiden Seiten scharf geschliffene Schneiderscheere hervor, warf sich mit blitzartiger Schnelligkeit auf den Oberaufseher Köhler und versetzte ihm einen wuchtigen Stich in den Rücken, so daß Köhler blutüberströmt zusammenbrach. Direktor Kaldewey springt auf, um den Verbrecher zu fassen, doch kaum hat er sich erhoben, so stürzt der wütende Mordgeselle auch auf ihn und ver­setzt ihm zwei tiefe Stiche mit solcher Wucht in die Brust, daß auch er lebensgefährlich getroffen zusammenbricht. Auf das Hilfegeschrei der beiden Beamten springt im selben Moment der Aufseher Roß herbei, zieht blank und schlägt mit einem Säbelhieb über den Kopf den Mörder nieder, sodaß der Mörder und seine zwei Opfer in ihrem Blute schwammen. Die ganze schreckliche Scene spielte sich in wenigen Sekunden ab. Beide Beamten sind leider lebensgefährlich verletzt. Direktor Kaldewey ist am schwersten getroffen, ein Stich hat die Lunge tief durchbohrt und der zweite hat das Herz gestreift; bei Oberausseher Köhler ist der Stich von hinten tief in die Lunge gedrungen. Der Mörder hat eine gefährliche Wunde am Kopfe, Bruch der Schädeldecke, davon getragen und liegt lebensgefährlich verletzt darnieder; er ist jedoch gefesselt, damit er nicht Hand an sich selbst legt.

Paris, 27. Nov. Die Limousin und ihr Ritter Lorentz, welche am Mittwoch in ihrem Cafe in der Rue de Clichy ausgezischt und bedroht wurden, als sie dort ein Bierlokal eröffneten, versuchten gestern ihr Glück auf dem linken Ufer; aber die Jugend des Quartier Latin war ihnen ebenso wenig hold, wie das Malervolk des Montmartre. Das edle Paar hatte eine Studentenkneipe in der Nähe des Panthöon gewählt; der Einfall sollte die Beiden noch teuerer zu stehen kommen, als ihr Besuch der Rue de Clichy. Gegen 9 Uhr bildete sich ein furchtbares Gedränge, aus dem immer drohen­der werdende Stimmen laut wurden:Nieder mit der Limousin I Nach dem Elysöe! Ins Wasser mit der Hexe!" Es mochte 10 Uhr sein, als Lorentz einen Fiaker kommen ließ und sich mit der Schönen hineinflüchtete. Das paßte jedoch den Lärmmachern nicht. Sie zwangen den Kutscher, vom Sitze herabzusteigen, spannten das Pferd aus, rissen Lorentz aus dem Wagen, um ihn durchzuprügeln, während ein paar handfeste Weiber sich der Limousin bemächtigten und ihr die Züchtigung erteilten, vor welcher die ungezogenen Rangen die meiste Scheu haben. Von der Rue de Gay-Lussac bis zum Odöon wurden Limousin und Lorentz geschleppt, bis die Polizei sie in ihren Schutz nahm und auf den Posten der Place Saint-Sulpice brachte. Das

Vergebens wartete indessen Josephine wachen-, monatelang; Saint-Creux kam nicht. Später begann sie ungeduldig, eifersüchtig, dann sogar ungehalten und zornig zu werden und schließlich ging sie so weit, daß einmal, als Saint-Creux in der Um­gegend viel von sich reden machte, herbeieilte, um ihn zu überraschen.

Trauererfüllt nahm sie aber wahr, daß der Betreffende gar nicht ihr Liebling, der sanftblickende, edle Poet, sondern irgend ein brutaler Betrüger sei, der den Namen des altbekannten Patrioten mißbrauchte, um die Leute zum Narren zu halten.

Sie entlarvte weiterhin noch zwei oder drei solcher Pseudo-Saint-Creux, die zur Bethörung des leichtgläubigen Volkes, bald aus Ruhmsucht, bald aus niedrigeren Beweggründen die Sympatie der Bevölkerung für diesen Namen mißbrauchten und die, wenn man sie an einem Orte entlarvt und vertrieben hatte, morgen dieselbe Komödie an einem anderen Orte fortsetzten. Später ging auch dies aus der Mode und von Saint-Creux war keine Rede mehr.

Josephine hatte die Hoffnung bereits aufgegeben, den wahren Saint-Creux noch jemals aufzufinden und kehrte enttäuscht und verzagt in ihr einsames Schloß zurück. Sicherlich hatte der treue Liebende ihrer vergessen oder hatte er in der feind­lichen Welt seinen Untergang gefunden.

In ihren Gedanken hing sie all den süßen Erinnerungen nach, die sie mit dem Träger dieses Namens verbanden. Wie er monatelang um sie her lebte, in seiner bretagnischen Mädchentracht, die ihm so vortrefflich stand. Sein sanftes Gesicht strafte den Rock kaum Lügen. Wie glücklich war er, wenn er den Kopf auf die Hand seiner Herrin legen durfte; wie leuchteten seine Augen, seine schönen, schwarzen Augen, wenn er von der glücklichen Zukunft sprach, die ihrer harrte! Nur da widersprach sein Gesicht dem jungfräulichen Kleide.

Und wie wenn es erst gestern, wie wenn es erst vor einer Stunde geschehen

wäre, daß ihn Josephine hinter den Spiegel verbarg. In der großen Verwirrung hatten sie sogar vergessen, einander zum letzten Mal zu küßen.

Sie hatten ja gar nicht daran gedacht, daß es zum letzten Male sein könne; sie hatten gemeint, daß die Gräfin eine Stunde später den Geliebten aus dem Ge­fängnisse werde entlassen können. Wie merkwürdig! wie, wenn er noch immer dort stehen müßte!

Halb träumerisch, halb unbewußt drückte die Gräfin gegen die geheime Feder; vielleicht hoffte sie in der Nische irgend ein orientierendes Zeichen von Saint-Creux vorzufinden.

Langsam drehte sich der Spiegel hinweg und an der Wand der geöffneten Nische - stand auch jetzt noch Saint-Creux.

Der treue Liebende in seiner bretagnischen Mädchentracht, nur schon längst tot.

Zu seinen Füßen lag die Ventilschnur. Jene winzigen Würmer, deren Schmetter­linge des Abends die Kerzenflamme umflattern und die Motten genannt werden, hatten Saint-Creux getötet, indem sie die seidene Schnur durchfraßen, welche die Klappe öffnen sollte und der Jüngling war dort an Ort und Stelle erstickt.

Auf die Rückwand des Spiegels hatte er mit einer Nadelspitze geritzt:

Geliebte! Die Ventilschnur ist gerissen. Ich ersticke hier, werde Dich aber nicht verraten. Adieu."

Der Jüngling war gestorben, noch während die Soldaten die Gräfin in ihrem Zimmer bewacht hatten. Lautlos, ohne im Todeskampfe ein Geräusch zu erregen, den schwindelnden Kopf gegen die Mauer gedrückt, kaum drei Schritte von der Ge­liebten entfernt, hatte er seine Seele ausgehaucht, ohne daß sie gar seinen letzten Seufzer vernommen hätte, der zu ihr und für sie entflattert war.