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cäsaristische war. Man würde aber Unrecht haben, Boulanger für dieselbe verantwortlich zu machen. Nach unserer Meinung ist der einzig Schuldige Doroulöde. Vor einigen Jahren schon gab er zu verstehen, daß er nicht weit vom Cäsarismus entfernt sei. Heute marschiert er in Begleitung Roche» forts und Mayers vollständig in demselben. Döroulöde kann von einem Cäsar träumen. Boulanger aber ist nicht der Mann, sich zu der Rolle herzugeben, die Döroulöde für ihn träumt. Der General war das erste Opfer der ge­strigen Szenen und wir sind überzeugt, daß er ernstlich bedauerte, sich nicht dem Eifer der kompromittierenden Freunde entziehen zu können." Ganz ähn­lich spricht sichFrance" aus, während der Jntransigeant, das Einschreiten der Polizei mißbilligt. Das Journal des Debats meint, die aufrührerische Kundgebung gebe viel zu denken.

Wcrges-Werrigkerien.

sAmtliches.s Seine Königliche Majestät haben vermöge Höchster Entschließung vom 8. Juli d. I. gnädigst geruht: die erledigte Amtsgerichtsschreiberstelle bei dem Amtsgericht Calw dem Hilfsgerichtsschreiber Nagel bei dem Amtsgericht Wangen zu übertragen.

* Hirsau. Zur Ergänzung des Berichts über das Gauturn - fest gehört noch die Veröffentlichung der Sieger von nicht zum Gau ge­hörigen Preisturnern und T u r n e r z ö g l i n g e n :

1) B^ü hler , E. O., Turner-Bund Pforzheim,

2^ Dei.ß, Oskar, Turn-Verein

3) Heidecker, Turner-Bund

4) Wolfs, Turn-Verein

5) Burk Hardt, von Brötzingen,

6) Ungerer, von Pforzheim.

Die Sieger der Zöglinge sind:

1) Braun von Nagold,

2) Rentschler

3) Schroth Birkenfeld,

4) Ungerer, Nagold,

5) Gaiser, Chr., Neuenbürg,

6) Zapp, Alph., Calw,

7) Bürkle, Chr., Neuenbürg,

8) Gaiser, Paul,

Besigheim. Die Traubenblüte, welche bei der günstigen Witterung in allen Lagen beinahe gleichzeitig eintrat und einen normalen Verlauf nahm, hat nun ihren Ablchluß gefunden und in guten Berglagen trifft man schon Trauben mit erbsengroßen Beeren. Die reichlichsten Frucht­ansätze zeigen Trollinger, Portugieser, weißer Rießling, St. Laurent, blauer Lasca, Lemberger und in schweren Böden auch der Elbing und Sylvaner. Weniger verspricht Heuer die Müllerrebe. Dies, sowie das vielfach kränk­liche Aussehen dieser Rebsorte scheint in manchem Weingärtner den Entschluß gereift zu haben, dieselbe auf den Aussterbeetat zu setzen.

Siglingen, 5, Juli. Gestern abend ertrank in der Jagst der Weingärtner Christian Scheuber auf eine ganz seltsame Weise. Derselbe wollte zum Gießen ein größeres Faß mit Wasser füllen und stellte zu diesem Zweck den Wagen in die Jagst, so daß die Deichsel dem Ufer zugewendet war. Das halbgefüllte Faß vermochte nun die an den Wagen gespannte Kuh nicht an das Land zu verbringen, und während ein Pferd angespannt werden sollte, ging der Wagen, auf welchem sich Scheuber befand, plötzlich zurück in die Tiefe, das Faß, an welches er sich klammerte, schlug um und begrub ihn in den Wellen. Bald darauf wurde er als Leiche an das Land gebracht. Seine Angehörigen werden allgemein bedauert.

Münsingen, 10. Juli. Unsere Stadt war heute festlich geschmückt, um ein Gaufest des schwäbischen Sängerbundes und zu­gleich das 50jährige Jubiläum des hiesigen Liederkranzes zu feiern. 23 Liederkränze stellten sich ein mit über 400 Sängern. Nach einer tüchtigen Probe unter Musikdirektor Burkhardt von Nürtingen brachte die Aufführung in der Kirche, deren Turm zur Zeit im Umbau begriffen ist, eine wirklich

höchst befriedigende Leistung. Der Unterschied gegen früher, z. B. gegen das 1. hier 1853 gehaltene Gaufest war ein augenscheinlicher. Besonders die Tonbildung war weit besser, als sonst von einer Mehrzahl ländlicher Vereine gehört wird. Hervorzuheben sind die Knechtischen Choräle, dann das durch­schlagendeLaßt Jehovah hoch erheben" von Zwyssig und GlucksLeih aus deines Himmels Höhen", das trotz der Schwierigkeiten recht erfreulich ging. Die gemeinsamen Chöre leitete mit sicherer Hand der vom Sängerbunds­ausschuß abgesandte Musikoir. Burkharvt. Besonders anzuerkennen waren die Leistungen des Münsinger Liederkcanzes und eines gemischten Chores; man konnte da recht sehen, was ein tüchtiger Masiklehrer ausmacht. Mün­singen hat einen solchen in der Person des Schullehrers Heß, der seine Schule in Dörzbach bei Pfarrer Abel und in den bekannten dortigen Oratorien­aufführungen gemacht hat. Die Leistungen seiner Chöre, so besonders die Wiedergabe des Mehul'schenHör uns Gott Herr", waren höchst erfreulich. Dekan Niethammer sprach ein warmes Weihewort, die Berechtigung des Lieds im Leben und besonders fürs Vaterland in schöner und ergreifender Weise darlegend. Der Nachmittag versammelte dann mit den Gästen halb Mün­singen auf der Schloßwiese, einem sehr schönen Festplatzs, auf welchem eine Bühne für die Sänger errichtet war. Gemeinsame Chöre und Einzelvorträge der verschiedenen Liederkränze wechselten; Namens der Stadt begrüßte Stadt­schultheiß Bosler, Namens des schwäbischen Sängerbundes dessen Präsident, die Sänger und besonders den Jubelverein, und Lehrer Heß hielt die Fest­rede, in welcher er nach einem Rückblick auf das Entstehen des deutschen Männergesangs von der Gründung des Jubelvereins erzählte; 3 der ersten Mitglieder sind noch am Leben. Was die vom schwäb. S.-B. veranstalteten und nicht bloß pekuniär, sondern auch geistig und künstlerisch unterstützten Gaufeste auszeichnet, das ist ein ernsteres Streben, nicht bloß Vergnügen, sondern einen tüchtigen Beitrag zur Volksbildung zu bieten. Wenn die länd­lichen Liederkränze lediglich unter sich singen, so lernen sie nichts, bleiben stets auf derselben Stufe. Hier in Münsingen war ganz deutlich wahrzu­nehmen, daß die Vereine des Sängerbundes, namentlich die von Münsingen, Urach, Mezingen, Pfullingen, Eningen, den Kern des Chors bildeten und den minder geübten Gästen des S.-B., den Liederkcänzen der Alborte, als Führer und Vorbild dienten.

Ravensburg, 9. Juli. Eine nicht unerhebliche Boden­senkung fand dem Oberschw. Anz. zufolge in der vorigen Woche im Staatswald Baumgartenwald ca. 1 km vom Basenberg statt. Es befindet sich dort ein steiler Hang, welcher mit Holz bestockt ist. Am oberen Teil des Hanges nahe an der Kante ist eine Fläche von 50-60 m Länge und 510 m Breite etwa 310 m tief senkrecht eingesunken. Etwa 10 m weiter unten fand eine kleinere Senkung in gleicher Art statt. Auf dem gesunkenen Boden stehen 2025 starke Buchen- und Tannenstämme, welche teilweise ihren natürlichen aufrechten Stand behalten haben. Ohne Zweifel befand sich an der betr. Stelle eine Ecdhöhlung, welche infolge Eindringens von Wasser oder infolge einer Erschütterung sich öffnete und so die Senkung verursachte.

L0. Frankfurt a. M., 11. Juli. Altmeister Goethe wird mit seinem Ausspruch, daß nichts schwerer zu ertragen sei, als eine Reihe von guten Tagen, von der jetzt lebenden Generation seiner Vaterstadt gründlich sbsuräum geführt. Denn wir stehen nach vierzehntägigem Festesjubel am Ende, aber bis zur letzten Minute zeigte sich nirgends eine Ermüdung, ja allgemein kommt das Bedauern zum Ausdruck, daß das herrliche Fest schon zu Ende, daß der Festausschuß den allgemeinen Wünschen, das Fest um acht Tage zu verlängern, nicht statt gab.

Zwei Tage aber hat der Ausschuß doch noch zugelegt, denn nach dem gestern erfolgten offiziellen Schluß wird der Festplatz heute noch einmal dem allgemeinen Zutritt gegen einen Eintrittspreis von 20 Pfennigen geöffnet und findet morgen, Dienstag, auf dem Festplatz großes Volksfest statt, dessen ganzer Reinertrag den Opfern der Zuger Katastrophe zu Gute kommen soll. Fürwahr, ein schönerer Abschluß des herrlichen Festes konnte nicht gefunden werden!

Ganz in der Nähe standen die Reporter der Presse, diese entblößten das Haupt. Weiter hin, dort hinter der Baumallee, wogte eine zahlreiche Menschenmenge, aufge­regt durch das lange nächtliche Warten. An den Dachfenstern der zerstreuten Schenken erblickte man ein Paar übernächtige grellgekleidete Dirnen, welche in Gesellschaft trau­riger schwarzbefrackter Kerls zum Teil noch die Champagnerflasche in der Hand sich herausbogen um bester zu sehen. Einige Schwalben flogen in der Morgen­luft zwitschernd hin und her.

Einsam und unheimlich stand die Guillotine da und streckte ihre beiden Arme in die Luft, zwischen denen hindurch hoch oben am blauenden Firmament man den letzten Stern flimmern sah. Bei diesem schauerlichen Anblick erzitterte der Verurteilte, doch faßte er sich sogleich wieder und schritt entschlossen die paar Stufen hinauf. Bei dem verhängnisvollen Brette angelangt, an das er festgeschnallt werden sollte, küßte er die Locke seines Haares, welches der Geistliche während der Toilette aufgehoben hatte: für sie, murmelte er, indem er die Lippen darauf drückte.

Es herrschte in diesem Momente eine so tiefe Stille, daß das Krachen eines Astes, der unter einem neugierigen Zuschauer zusammenbrach, begleitet vom widerlichen Gelächter der Menge, bis zu der tragischen Gruppe auf dem Schaffott herüberdrang. Dann als die sechste Stunde ertönte, deren letzten Schlag er nicht mehr erleben sollte, gewahrte La Pommerais zum dritten Male seinen Kollegen, welcher ihm gegenüber, auf der andern Seite der Guillotine stand, mit einer Hand auf die Plattform ge­stützt und prüfenden Blickes den Verurteilten beobachtend. Dieser sammelte sich einen Augenblick dann schloß er die Augen.

Da, im Nu, wurde das Fallbrett vorgeschoben, der Henker drückte auf die Feder und mit Blitzesschnelle sauste das Beil hernieder. Ein furchtbarer Schlag er­schütterte die Plattform, die Pferde bäumten sich bei dem Gerüche de» Blutes; und noch zitterte die Luft von dem Wiederhall, als schon der unerschrockene Gelehrte mit

fester Hand das zuckende Haupt des Opfers ergriffen hatte, das ihm mit strömendem Blute die Finger, die Manschetten und die Kleider rötete.

Es war ein finsteres Antlitz von erschreckender Blässe; die Augen hatten sich wieder geöffnet und blickten wie zerstreut; die Brauen waren zusammengezogen; die Zähne klapperten auf einander; das Kinn war an seinem unteren Teile mit durch­schnitten worden.

Velpeau beugte sich rasch zu dem Kopfe nieder und rief ihm ins rechte Ohr die verabredete Frage. Und so abgehärtet dieser Mann auch war, das Resultat machte ihn vor Grauen erbeben: denn deutlich senkte und schloß sich der Deckel des rechten Auges, während das linke Auge, weit geöffnet, sich auf ihn heftete.

Im Namen Gottes, im Namen unseres Seins, noch zwei Mal dieses Zeichen!.... rief Velpeau, ziemlich fassungslos. Da zitterten die Wimpern, als wollten sie, einem inneren Antriebe gehorchend, sich wieder scheiden; aber der Augendeckel hob sich nicht mehr. Das Antlitz wurde, von Sekunde zu Sekunde starrer, eisiger, unbeweglicher. ES war zu Ende. Jener gab den Kopf dem Scharfrichter zurück, welcher den­selben, wie üblich, in den Leichenkorb, zwischen die Beine des bereits erstarrten Rumpfes legte.

Ohne ein Wort zu sprechen, wusch der große Gelehrte seine Hände in einem der Eimer, welche zu der schon begonnenen Säuberung der Guillotine bereit standen. Um ihn her verlief sich erschüttert die Menge, ohne ihn zu erkennen. Er trocknete sich ab, immer noch in Schweigen versunken; dann schritt er langsam, mit gesenktem Haupte und nachdenklicher Stirne, zu seinem Wagen, den er an der Ecke des Ge­fängnisses zurückgelasten hatte. Wie er einstieg, erblickte er hinter sich den Leichen­karren der Justiz, welcher in scharfem Trabe die Richtung nach dem Friedhofe von Montparnasse einschlug.

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