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V2. Jahrgang
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Donnerstag, äen 1^. Juki 1887.
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Deutsches Reich.
München, 12. Juli. Nach dem Franks. Journ. wird die Zusammenkunft des Kaisers Wilhelm mit dem Prinzregenten Luitpold in Lindau am 18. ds. stattfinden. — Das Budget des Finanzministers für die nächste Finanzperiode läßt die bayerische Finanzlage sehr günstig erscheinen.
Berlin, 12. Juli. Der Reichskanzler Fürst Bismarck, welcher gestern abend in Berlin angekommen ist, gedenkt morgen sich nach Varzin zu begeben und Ende Juli nach Kiss in gen zu reisen.
Berlin, 11. Juli. Der Nordd. A. Z. wird aus Paris geschrieben: Die Radikalen fürchten, nachdem sie aus dem Kabinette entfernt sind, daß die Republikaner der gemäßigten Richtung mehr Boden gewinnen, die öff. Meinung mehr nach rechts sich neigen und möglicherweise einem Ministerium Ferry die Wege geebnet werden könnten, deshalb werden von dieser radikalen Seite die äußersten Anstrengungen gemacht, um die jetzige Regierung herabzusetzen. Daß die radikale Partei vor keinem Mittel zurückschreckt, liegt in der Natur derselben. Die Hetzereien gegen die Deutschen, die Wühlerei gegen das Kabinett und für den General Boulanger, die Angriffe auf den Präsidenten der Republik und die Opposition der äußersten Linken in der Kammer entspringen alle aus derselben Quelle, haben denselben Zweck und werden planvoll betrieben, der nächste Zweck ist auf den 14. Juli gerichtet. Die Radikalen wollen an diesem Tage eine Kundgebung gegen den Präs. Grevy und für den Gen. Boulanger in Scene setzen und werden, um die Massen aufzuregen, den Haß gegen die Deutschen zu benützen suchen. Die Deutschcn- hetze richtet sich mit gegen die hiesige Regierung, die stets so hingestellt wird, als stehe sie unter deutschem Drucke. Die Triebfeder dieser Wühlerei liegt aber besonders in der Eifersucht der Franzosen gegen die deutsche Industrie, gegen den deutschen Handel und gegen die deutschen Kaufleute und Handwerker, kurz es ist diese Konkurrenz, die man mit allen, auch den rohesten Mitteln, beseitigen will. Was die Angriffe der Radikalen in der Kammer betrifft, so haben sie vor allem den Zweck, die Regierung zu verdächtigen und sie so hinzustellen, als habe sie sich an die Rechte verkauft. Der Rechten wird dagegen wieder vorgeworfen, daß sie das Land Rom zum Opfer bringe; die Anwesenheit des neuen päpstl. Nuntius bei einem großen Essen und jener Abendgesellschaft des Abg. Mackau, zu der die ganze royalistische Partei gebeten war und erschien, wurde in dem Sinne sehr ausgebeutet, und es wurde schon eine Interpellation deshalb angekündigt.
Metz, 10. Juli. Wie die „K. Z." aus bester Quelle erfährt, sind Erörterungen über die Frage im Gange, ob es nicht angezeigt wäre, nunmehr auch für den Bezirkstag von Lothringen das Deutsche als
ausschließliche Geschäftssprache einzuführen. Die Bejahung dieser Frage unter Gewährung einer entsprechenden Frist darf nach Lage der Sache als sicher angenommen werden. Das Gesetz vom 24. Januar 1873 bestimmte, daß der „Bezirksvertretyng von Lothringen der Mitgebrauch der französischen Sprache gestattet werden kann. Der Aberpräsident bestimmt die Dauer und Ausdehnung dieser Ausnahmen." Letzteres ist nun durch Verordnung vom 28. Mai 1873 geschehen, wonach der Gebrauch des Französischen bei den Verhandlungen erlaubt ist und gleichzeitig vorgeschrieben wird, daß sämtliche Schriftstücke in beiden Sprachen zu verfassen und den Vorlagen der Behörden französische Uebersetzungen beizufügen sind. Die zunächst auf 1. Januar 1878 festgesetzte Frist ist sodann bis auf Weiteres verlängert worden. Im Laufe der letzten Jahre hat sich nun allmälig die Zusammensetzung unserer Bezirksvertretung derartig geändert, daß nur mehr 6—7 Mitglieder befinden, welche des Deutschen nicht mächtig sind. Wird nun der Termin für Einführung der deutschen Geschäftssprache bis nach den letzten Wahlen gesetzt, so hat die Bevölkerung Gelegenheit, dieselben durch deutschredende Abgeordnete zu ersetzen. Wie sehr übrigens ein solches Vorgehen auch durch die im Bezirk herrschenden Sprachoerhältnisse geboten erscheint, geht aus folgenden Ziffern hervor. Lothringen zählt nämlich unter Hinweglassung der hier nicht in Betracht kommenden Militärpersonen blos 181,736 französisch-, dagegen 247,584 deutschredende und 76,135 im gemischten Sprachgebiet lebende Einwohner. Die französische Bevölkerung macht nur 30,37 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Nach diesen Ziffern liegt ein stichhaltiger Grund wohl nicht mehr vor, die französische Sprache auch fernerhin in dem Bezirkstage der deutschen Provinz Lothringen als herrschende Sprache — in der Praxis gestaltete sich die im Gesetz vorgesehene „Mitbenutzung" der französischen Sprache thalsächlich zum alleinigen Gebrauch derselben — zu belassen.
Frankreich.
— Nachstehend einige Stimmen aus der Pariser Presse über die Kundgebungen beiBoulangers Abschied: Die Röpublique franyaise schreibt: „Ein Gewühl von Schreihälsen und Gimpeln hat gestern einem höheren Offizier grobe Beleidigungen zugesügt. Wenn sich der ehemalige Generalstabschef des Herzogs von Aumale mit einiger Aufrichtigkeit den republikanischen Ideen angeschlossen hat, so konnte er nicht ohne Verwirrungen und Scham einer Kundgebung beiwohnen, die patriotisch sein sollte, aber nur lärmend und eines freien Volkes unwürdig war." — National schreibt: „Alle republikanischen Blätter vom Journal des Debats bis zum Radikal tadeln die lärmenden Scenen von gestern Abend. Alle republikanischen Kollegen, welcher Richtung sie auch angehören, von Reinach bis zu Clemenceau, mit Ausnahme der neuen Freunde Dörouledes, der Hrn. Mayer (Redakteur der Lanterne) und Rochefort, sind darin einig, daß jene bedauerliche Kundgebung eine demagogisch.
Feuilleton. (Nachdruck verboten.,
Gin GXperiment.
Nach dem Französischen des Grafen Villiers de l'Jsle-Adam mitgeteilt von Hermann Sprecher.
(Schluß.)
Diese Worte schienen auf La Pommerais einen so erschütternden Eindruck zu machen, daß er, mit weit aufgeriffenen Augen den Professor anstarrend, eine Zeit lang wortlos und wie versteinert blieb. Dann sprang er auf, machte einige Schritte hin und her, und sagte endlich, indem er traurig den Kopf schüttelte: Was Sie da von mir verlangen, scheint mir alles menschliche Wollen weit zu übersteigen. Die furchtbare Gewalt des Schlages wird mich vollständig außer Fassung bringen, abgesehen davon, daß die Lebensfähigkett nicht bei allen Geköpften die nämliche sein soll. Indessen .... kommen Sie am Morgen der Hinrichtung noch einmal hierher, Doktor. Ich werde Ihnen dann sagen, ob ich mich zu einem so fürchterlichen und zugleich illusorischen Experiment hergeben kann. Wenn nicht, so erwarte ich von Ihrer Diskretion, daß Sie mein Haupt ruhig seine letzten Lebensgeister in dem dazu bestimmten Zinnkessel ausbluten lassen werden. Nicht wahr?
Auf baldiges Wiedersehen also, sagte Velpeau, indem er sich erhob. Ueber- legen Sie sich's.
Die beiden Männer wechselten einen stummen Gruß. Dann verließ der Professor die Zelle; der Wärter trat wieder ein, und der Gefangene streckte sich mit ruhiger Fassung auf sein Feldbett, um zu schlafen oder seinen Gedanken nachzuhängen.
Vier Tage später, am 9. Juni gegen fünf und einhald Uhr morgens, traten der Direktor Beauquesne, der Gefängnisgeistliche Crozes und zwei Gerichtsbeamte
in die Zelle. La Pommerais, der ruhig schlief, wurde aufgeweckt; bei der Mitteilung, daß seine Stunde gekommen sei, sprang er auf und kleidete sich rasch an; er war sehr bleich. Dann unterhielt er sich etwa zehn Minuten lang mit dem Abte Crozes, dessen Besuche er schon vorher gerne angenommen hatte. Inzwischen war auch Professor Velpeau eingetreten. Leise flüsterte der Verurteilte ihm zu: Ich habe mich geübt, Doktor. Schauen Sie!
Und dieweil das Urteil verlesen wurde, hielt er das rechte Auge fest verschlossen, während er mit dem linken groß und unverwandt den Professor anblickte.
Velpeau, statt aller Antwort, neigte sich tief vor dem Verbrecher; dann zum Scharfrichter Heidenreich gewandt, der eben mit seinen Gehilfen hinzugekommen war, wechselte er mit demselben ein kaum merkbares Zeichen des Einverständnisses.
Die „Toilette" war bald vollendet; die bei anderen Anlässen beobachtete Erscheinung, daß man nämlich die Haare des Delinquenten unter der Scheere weiß werden sah, zeigte sich dies Mal nicht. Ein Abschiedsbrief seiner Frau — La Pommerais war verheiratet — den ihm der Geistliche mit leiser Stimme vorlas, füllten seine Augen mit Thränen. Dann erhob er sich und ließ sich den Ueberrock über die Schultern legen; auf sein Bitten mußte man ihm die Fesseln an den Handgelenken etwas lockern, das angebotene Glas Branntwein aber schlug er aus — und nun setzte sich der traurige Festzug in Bewegung. Dort an der Schwelle der Ausgangspforte stand noch ein Mal Velpeau; wie zum letzten Gruße wandte sich La Pommerais zu ihm hin: Es gilt also — und Adieu! sagte er mit leiser, nur Jenem verständlicher Stimme.
Plötzlich öffneten sich die mächtigen Flügelthüren und rollten in die Mauer zurück; der Morgenwind drang herein und dämmerndes Frühlicht. Der weite Platz draußen war durch eine doppelte Reihe Kavallerie abgesperrt. Der Pforte gegenüber, etwa zehn Schritte entfernt erhob sich das Schaffst, von einer Abteilung berittener Gensdarmen umgeben, welche beim Erscheinen des Zuges klirrend ihre Säbel zogen.