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bekannten Heimstätte zu dauernder Pflege Siecher und Vereinsamter, sind 48 Pfleglinge. In den Finanzen ist es im letzten Jahr vorwärts gegangen durch Legate und Beiträge vom Königshaus (Se. Mej. der König ist hoher Protektor der Anstalt) bis zum Witwenstübchen herab, aber doch ruht noch eine große Schuld auf der Karlshöhe: 99,072 -M, auf dem Salon: 64,288 die' von Jahr zu Jahr auf abtragende Hände hoffen.

Schmie b. Maulbronn, 28. Juni. Große Sensation erregte gestern früh die wie ein Lauffeuer verbreitete Nachricht von einem Mordversuche in dem kleinen Ort. Ein seit erst 6 Wochen verheiratetes Ehepaar hatte nämlich seit einigen Tagen, angeblich weil die Frau, welche von Lienzingen gebürtig ist, Heimweh habe, das sechsjährige Töchterlein von Verwandten des Mannes zu sich genommen. Gestern morgen nun fand man dieses Kind mit teilweise durchschnittenem Halse in seinem Blute liegen. Auch die Frau hatte am Halse und an den Händen unbedeutende Verletzungen und wollte einen Schlag auf den Kopf bekommen haben. Da dies bei verschlossenen Thüren und Fenstern geschah, und auch der Mann unter denselben Umständen einige Tage vorher einen Schlag auf den Kopf bekam, so entfaltete sofort der Hexenglaube seine Blüten, indem man von gewisser Seite aus weißmachen wollte, daß dies alles von einer unsichtbaren, finstern Macht herrühre. Das König!. Amtsgericht und die Gerichtsärzte waren jedoch anderer Ansicht; denn als man im Laufe der Voruntersuchung aus dem entleerten Güllenloch ein Rasiermesser zutage förderte, welches als Eigentum des Ehemannes er­kannt wurde, und nachher noch ein Hammer, im Bett der Frau versteckt, zum Vorschein kam, da wurde die Frau als Gefangene nach Maulbronn ab­geführt. Das Kind scheint vorläufig außer Gefahr zu sein. Zunächst bleibt die Sache ziemlich rätselhaft.

Hohenstaufen, 29. Juni. Gestern abend wurde ein zwölfjähriges Mädchen von einem fremden feingekleideten Mann auf dem Berge vergewaltigt. Obschon zu gleicher Zeit noch mehrere Personen auf dem Berge waren, konnte das Mädchen doch nicht um Hilfe rufen, da ihr der Unmensch den Mund verstopfte. Er gab sich als Lustkurgast aus; von dem Landjäger in dem benachbarten Maitis eingeholt und verhaftet, entpuppte sich der saubere Patron als ein Weber aus Echterdingen, der nur noch 95 L in seiner Bar­schaft hatte. In Salach ist ein ganz ähnlicher Fall vorgekommen. Auch der dortige Thäter ist hinter Schloß und Riegel.

Tuttlingen. 28. Juni. In letzter Woche kam ein Brand auf dem Lohhof aus, einem auf der Höhe des Witt hoch gelegenen Anwesens, das erst vor 2 Jahren an der Stelle des abgebrannten neu erbaut wurde. Da es zu gleicher Zeit an 2 Orten, in der Heubühne des einen Hauses und im Schweinestall am andern, wenige Schritte von dem ersten entfernten Hause brannte, )o wurde der Verdacht der Brandstiftung bald rege. Von den Hausbewohnern wurde der Verdacht auf 3 Handwerksburschen gelenkt. Der andauernden Nachforschung des hiesigen Stationskommandanten ist es jedoch gelungen, den wahren Thatbestand zu ermitteln. Unter dringenden Verdachts­gründen wurde eine Bäuerin verhaftet, welche auch auf dem Weg zum hie­sigen Amtsgericht einräumte, das Feuer im Zorn auf die verwandten Nach­barsleute angezündet zu haben. In Durchhausen ertränkte sich eine 80 Jahre alte Witwe, die bei ihrem Sohne, einem Tagelöhner, wohnte, in der Nacht von Sonntag auf den Montag in dem Gemeindewasserbehälter.

Schramberg, 29. Juni. Der Adlerwirt Haas, 65 Jahre alt, wurde von seiner Frau mit dem Kopf nach unten und den Füßen nach oben tot im Bierkessel aufgefunden; er mußte das Uebergewicht bekommen und so kopfüber in den mit Wasser gefüllten Kessel gestürzt sein.

In Burg, A. Waldshut, wurde einem von Herrischried berufenen Kurpfuscher ein erkrankter Ochse zur Heilung übergeben. Der Heilkünstler schüttete Schnaps auf den Rücken des Tieres und zündete die Flüssigkeit an. Der Ochse krepierte, das Fleisch wurde als ungenießbar erklärt und der kluge Mann von Herrischried sieht seiner Bestrafung entgegen.

Das Amtsgefängnis zu Mannheim war am 27. Juni der Schau­

platz einer entsetzlich rohen That. Der Gefangenwärter Dold wollte einen von zwei Schutzleuten eingebrachten Arrestanten Namens Robert Heß von Kronau hinter Schloß und Riegel verbringen. Auf dem Wege durch den Gefängnis fiel letzterer plötzlich über den Aufseher her, warf ihn zu Boden, trat ihn mit den Füßen auf den Unterleib, erfaßte eine in der Nähe befind­liche Eisenstange und schlug mit derselben auf den Wärter ein, so daß dieser bewußtlos liegen blieb und nun hoffnungslos darniederliegt.

Gebweiler i. E. Bei der Rekrutenaushebung zeigte es sich, daß ein Rekrut auf der Brust »Vivo I» krsnos" eintätowiert hatte. Auf dem linken Arm las man Negrier, auf dem rechten Boulanger, und auf den zwei Hinteren Hemisphären Moltke und Bismarck. Der Mensch erhielt zehn Monat Gefängnis.

Wevnrischtes.

Der Klebestoff der Briefmarken. Alle Gerüchte über ge­sundheitsgefährliche Beimengungen zum Klebstoff unserer Postmarken erklärt die Papier-Ztg. für vollkommen grundlos.Zur Bereitung der klebenden Schicht wird von der deutschen Reichsdruckerei grundsätzlich nur reiner weißer arabischer Gummi ohne alle Beimengungen verwendet. Das Aufträgen der Flüssigkeit erfolgt auf besonderen Maschinen mit so großer Sorgfalt und Sauberkeit, daß jedes Markenblatt, wie es aus der genannten Anstalt her­vorgeht und von den Postämtern verabfolgt wird, durchaus appetitlich und unverdächtig ist. Der Anwendung des natürlichsten BriefmarkenbeseuchterS, der Zunge, steht kein Bacillengespenst im Wege, und der Briefschreiber, dem es Vergnügen macht, die Marke auf solche Weise zu befeuchten, kann dieser Thätigkeit ohne Besorgnis obliegen. Wer sehr vorsichtig sein oder eine Marke von zweifelhafter Sauberkeit, die schon durch verschiedene Hände gegangen ist, benutzen will, mag die rechte obere Ecke des Briefumschlags befeuchten, gegen dessen Reinlichkeit hoffentlich nichts einzuwenden ist. Die ganze Scheu vor Benutzung desnatürlichen Briefmarkenfeuchters" halten wir für eine Erscheinungsform wahrscheinlich auch anderweitig zu bemerkender Prüderie, deren Pflege dem Absatz vonkünstlichen Briefmarkenfeuchtern" allerdings recht förderlich sein mag. Die bekannten kleinen Geschichtchen von Blutver­giftung durch Briefmarken sind Seitenstücke zur Seeschlange. Briefmarken sind allerdings keine Verbandstoffe für antiseptische Wundbehandlung, und wer eine alte schmutzige Marke auf frische Wunden klebt, braucht sich eben­sowenig zu wundern, wenn die Heilung verzögert wird, als wenn er einen alten Putzlappen benutzt hätte. An solchen Erscheinungen sind aber nicht die Marken schuld, sondern die unreinlichen Menschen, welche sie in Geldtaschen monatelang Herumschleppen und sich dann wundern, daß die mißhandelte deutsche Reichspostmarke Schmutz angesetzt hat und in diesem Zustande nicht zum Heftpflaster taugt."

Ein Dreimillionen-Dieb verhaftet. Aus Paris, 29. d., wird dem Frkf. Journ. geschrieben: Eine Depesche, welche heute Vormittag auf der Polizeipräfektur eintraf, meldet, daß der vor etwa einem Monat mit mehr als drei Millionen Francs durchgebrannte Direktor der Banque Parisienne, Herr Mouvet, durch einen Agenten der Pariser Sicher­heitsbehörde in Konstantinopel verhaftet worden ist. Mouvet war mit seiner ganzen Familie, bestehend aus seiner Frau und drei Kindern über Wien nach Konstantinopel gereist, wo er sich geborgen glaubte, da zwischen Frankreich und der Türkei kein Auslieferungs-Vertrag besteht. Daß er den­noch nach Frankreich überführt wird, ist auf Grund eines alten Edikts mög­lich gemacht, welches dem französischen Konsul gestattet, Franzosen auf türkischem Gebiete zu verhaften und nach Frankreich einzuschiffen.

Gottesdienste am Sonntag, den 3. Juli 1887.

Vom Turme: Nro. 403. Vormittagspredigt: Hr. Dekan Berg. Christenlehre mit den Söhnen in der Kirche. Nachmittagspredigt um 2 Uhr: Hr. Dekan Berg.

Älotteeäienfl« in ä«r Metkioäisteakapekke am Sonntag, den 3. Juli 1887.

Morgens 9 Uhr, abends 8 Uhr.

Feuilleton. (Nachdruck vcrbotkn.»

Schtoßzauöer.

Novelle von Hmik Aeschkau.

(Schluß.)

Sie scherzen Herr Graf."

Dazu wäre jetzt kaum die Zeit. Bitte, sehen Sie selbst."

Er zog ein Packet Papier aus der Tasche.Vertrag mit dem Schiffseigen­tümer mit dem Arzt mit Professor Korber Sie kennen ihn ja, er übernimmt die wissenschaftliche Leitung der Expedition. Ich werde Seehunde jagen und Eisbären."

Ihre Augen ruhten fragend auf ihm.

Ich begreife nicht ich . . ."

Sie griff nach den Papieren.

Lesen Sie und sie werden Alles verstehen. Ich habe eine Expedition ausgerüstet."

Die Papiere zitterten in ihren Händen.

Sie Sie? Und die Comtesse sie wird sie begleiten?"

Welche Comtesse?"

Tion-Löwenberg man sagt, daß Sie daß Sie sich vermählen wollen."

Ist das tolle Geschwätz bis hierher gedrungen? Ich habe ihr aus Verzweif­lung ein wenig den Hof gemacht. Was thut man nicht aus Verzweiflung! Und Sie glaubten das. Sie konnten . . . Aber Sie sind nicht wohl, Sie leiden? Oder, nein, nein, das ist ja nicht möglich."

Was soll nicht möglich fein?"

Er lächelte.Verzeihen Sie den albernen Einfall. Sie können ja nicht eifer­süchtig sein."

Eifersüchtig? Nein, nein . . Sie stand auf und fächelte sich wieder Luft zu . . .Aber warum sind Sie hier, Herr Graf?"

Er sah sie schmerzlich an und folgte ihr ans Fenster.Warum? Können Sie das nicht erraten? Ich sagte mir: nie wieder! Als ich aber diese Papiere in Händen hielt als ich meine Koffer packte da wühlte und wühlte es in mir: Frage noch einmal an! Und so kam ich noch einmal Johanna, frage noch einmal"

Sie hob ihre Arme und schlang sie leidenschaftlich um seinen Hals. Und ihr thränennasses Gesicht an das seine pressend, stammelte sie:Du liebst mich noch?"

Johanna Du kannst vergessen?"

Thu mit mir, was Du willst."

Er zog sie an seine Brust und ein heißer Kuß flammte auf ihren Lippen. Und dann sah er sie an:Und wirklich eifersüchtig, wie ich es war?" Sie barg ihr Haupt an seiner Schulter.Verzeih mir!"

Da öffnete sich die Thür und Tini trat ein. Als sie die Beiden sah, stieß sie einen Schrei aus und fuhr erschreckt zurück.

Der Graf aber trat lächelnd auf sie zu und reichte ihr die Hand.Diesmal haben Sie gesiegt, Baronesse. Wir laden Sie zur Hochzeit. Sind Sie jetzt zufrieden mit mir?"

Sie lachte.Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut."

Schloßzauber, Baronesse Sie Habens ja prophezeit. Und Sie haben Recht behalten."

Dann will ich nur für ein Verlobungsmahl Sorge tragen. Auf Wiedersehen. Verliebte Leute soll man ja auch nicht stören nicht wahr Fernegg? Uebrigens bin ich Ihnen nur Dank schuldig. Sie haben mir noch rechtzeitig den Star gestochen. Ach die Langeweile! Adieu auf Wiedersehen!"

Der Graf trat wieder auf Johanna zu, die ihm beide Hände entgegenstreckte. Er aber öffnete seine Arme und sie flog mit glückstrahlenden Augen an seine Brust. Und dann traten sie in den Erker, aus dem sie erst hervorkamen, als Baronesse Tini erklärte, sie sehe sich gezwungen, rücksichtlich des Verlobungsmahls nun zu Gewalt­maßregeln zu greifen. . .