den ersten Lesungen des Nachtrages zum Reichshaus­haltsetat und des Vertrages zwischen dem Reich und Japan, sowie der zweiten Lesung des sogenannten Depotgesetzes beschäftigen; daran sollen sich die dritten Lesungen des Börsengesetzes, des Depotgesetzes, der Gewerbenovelle unmittelbar anschließen. Von An­trägen aus dem Hause werden zunächst derjenige elsaß-lothringer Abgeordneter, das Preßgesetz betr., und die Beratung des Commissionsberichtes, das Vereins- und Versammlungsrecht betr., folgen. Die bis zur zweiten Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuches in Plenum noch offenen Tage werden alsdann mit der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs, betr. die Friedenspräsenzstärke, des Nachtragsetats und die Erledigung der noch ausstehenden Vorlagen, wie des Gesetzentwurfs, betr. die kaiserlichen Schutztruppen der Rechnungssachen, der rückständigen Initiativan­träge und der Petitionsberichte in Anspruch genommen sein, so daß neben dem Bürgerlichen Gesetzbuch, vor der Vertagung des Reichstages nur noch die dritte Lesung des sogen. Margarinegesetzes zu erledigen sein würde.

Berlin, 1. Juni. Da Major von Wißmann seines Gesundheitszustandes halber nicht nach Ost­afrika zurrückkehren kann, wird in einzelnen Blättern der Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg als zukünftiger Gouverneur bezeichnet. Der Herzog ist allerdings Präsident der Kolonialgesellschaft, treibt auch arabische und Suaheli-Sprachstudien und es soll ihm, als er vor einem Jahre mit seiner Gemahlin Ostafrika besuchte, dort sehr gut gefallen haben. Es ist aber, so meint dieFrkf. Ztg.", doch sehr un­wahrscheinlich, daß die Reichsregierung einen Prinzen aus souveränem Hause als geeignet für einen Posten ansehen würde, der, wie die letzten Jahre gezeigt haben, zu mannigfachen Reibereien sowohl in Ost­afrika selbst, wie im Verkehr mit den Berliner Zen­tralinstanzen führt.

Berlin, 1. Juni. DiePost" erfährt aus gu­ter Quelle, der Zustand des Majors v. Wißmann sei keineswegs derart, daß sein Rücktritt auch nur erwogen werden könnte. Das Blatt meint, Wißmann beabsichtige nach Beendung seines nicht auf lange Zeit bemessenen Urlaubs, wieder auf seinen Posten zurückzukehren. Es darf als sicher angenommen wer­den, daß wenn nicht außergewöhnliche unvorherge­sehene Ereignisse eintreten, Herr v. Mißmann noch lange an der Spitze der Verwaltung des Ostafrika­nischen Schutzgebietes bleibt.

Ausland.

Kein anderes Land giebt bereitwilliger und mehr Geld für seine Armee aus, als Frankreich. Gegenwärtig plant der französische Kriegsminister eine Verjüngung des Offizierbestandes des Heeres in großem Maßstabe. Die Altersgrenze soll um mehrere Jahre herabgesetzt werden. Dies giebt na­türlich eine große Menge von Pensionen, die das Budget stark belasten müssen; aber der Kriegsminister kann sicher sein: man bewilligt ihm, was er verlangt im Interesse der Schlagfertigkeit des Heeres mit an Einstimmigkeit grenzender Majorität.

Rom, 1. Juni. Die Deputiertenkammer geneh­migte beinahe einstimmig die gerichtliche Verfolgung des Generals Baratieri.

Unter der UeberschriftRussen wahn sinn" schreibt ein sozialistisches Pariser Blatt u. a. folgen­des : Verlangen Sie doch gleich unsere Angliederung an das hl. Rußland! Das würde dem Wettkriechen des Knechtsinnes und der Verächtlichkeit wohl ein Ende machen, durch das wir im Zuge sind, uns in den Augen der gesitteten Welt zu entehren. Keine Monarchie verschwendet soviel Schmeichelei an eine andere Monarchie als die Republik Frankreich an das autokratische Rußland. Wir wälzen uns mit Wonne zu Füßen dieses Selbstherrschers in Peters­burg, wobei wir als Grund vorschützen, daß er sich von Zeit zu Zeit herabläßt, uns um eine Milliarde anzuborgen. Die Königstreuen schmeicheln dieser schwachköpfigen Verirrung und ermutigen sie, denn sie bietet ihnen Gelegenheit, ihre beliebte Behauptung zu wiederholen. Die Franzosen sind im Grunde Monarchisten, so schließt der Artikel, der in Frank­reich viel Verdruß bereitet hat; sehen Sie nur, mit welcher Begeisterung sie ausländische Selbstherrscher feiern; wie wäre es erst, wenn sie sich eines eigenen Königs erfreuen würden, wenn sie selbst eine Krö­nung vornehmen könnten, ganz wie ihre Freunde, die Muschins.

Moskau, I.Juni. Die Stadt steht völlig noch unter dem Eindruck der gräßlichen Katastrophe vom Samstag Morgen. Wie es heißt, betrug die Men­schenmenge, die sich z. Z. des Unglücks auf dem Chodynskifelde zusammendrängte, mehr als 600,000 Personen. Der eigentliche Platz des Unglücks sah einem Schlachtfelde gleich. Um 4 Uhr nachmittags waren indes alle sichtbaren Spuren des schrecklichen Ereignisses fortgeschafft, worauf dann auf dem Chodynskifeld das eigentliche Volksfest mit Gaben­verteilung in Anwesenheit des Zaren unter massen­hafter Beteiligung stattfand. Zu den Buden, wo die Toten meist mit entstellten Gesichtern unterge­bracht waren, hatten nur Verwandte der Verun­glückten Zutritt.

Moskau, 1. Juni. Der Kaiser und die Kai­serin besuchten heute die in den Krankenhäusern untergebrachten Verwundeten. Auf dem Wagankrow- Kirchhof wurde heute die Beerdigung der Verunglück­ten fortgesetzt. Soweit dieselben erkannt worden waren, wurden sie aus Anordnung der Angehörigen gewaschen, in Totengewänder gehüllt und in Einzel­gräber bestattet. Die meisten Leichen waren nicht wieder zu erkennen, da die Gesichter vollkommen ver­stümmelt waren. Sie wurden alle in Massengräbern zu je 200 beerdigt. Der Weg durch den Friedhof ist mit Soldaten und Polizei besetzt. Auf dem Fried­hof hielt sich während des immer noch eine große Menschenmenge auf.

Moskau, 1. Juni. In Betreff des furchtbaren Unglücks werden der Polizei die schärfsten Vorwürfe gemacht. Namentlich hält man ihr vor, daß ihr ganzes Aufgebot auf dem Chodinski-Felde schon vor Mitternacht ab hätte zur Stelle sein müssen, da zu dieser Zeit schon Hunderttausende dort lagerten. Wie verlautet, war dem Gehilfen des Moskauer Ober­polizeimeisters dieLeitungderpolizeilichen Maßnahmen daselbst übertragen. Dem Kaiser, heißt es, ist der volle grausige Umfang des Unglücks so lange wie möglich vorenthalten worden. Die Zahl der Um­gekommenen hat sich nachträglich noch größer her­ausgestellt, als anfänglich angegeben wurde; sie be­trägt nämlich 1282.

Moskau, 1. Juni. Die Polizei erklärt, sie habe keine amtliche Gewalt auf dem Gebiet des Chodinskifelde gehabt und erst einschreiten können, als es die Not erforderte.

Moskau, 2. Juni. Bei einem Besuch im Spital fragte der Kaiser nach den Ursachen der Katastrophe. Die Verwundeten waren anfangs ängstlich, gaben aber dann die bereits bekannten Mängel in der An­ordnung für die Gabenverteilung an. Der Zar weinte bei der Erzählung. Die Zahl der Verwun­deten in den Spitälern schien bisher nicht groß zu sein, da die Leute sich fürchten, die Spitäler aufzu­suchen. Jetzt füllen sich letztere. Bis gestern waren in drei Spitälern schon 700 Verwundete.

Moskau, 2. Juni. Allmählich werden außer den Meldungen der Telegraphenbureaus über das schreckliche Unglück auch Originalberichte einzelner Vertreter der Presse bekannt, welche das schon Be­kannte verschiedentlich ergänzen. So wird demBerl. Lokz." gemeldet:Der Beginn der Geschenkverteilung war auf 10 Uhr festgesetzt. Niemand dachte daran, früher hinauszugehen. Gegen 8 Uhr jedoch weckten mich Jammerrufe. Mein Dienstmädchen stürzte laut schreiend zu mir ins Zimmer:Auf dem Chondynski- Felde hat sich ein entsetzliches Unglück zugetragen. Meine Schwester ist halb tot heimgekehrt. Die Kleider waren ihr vom Leibe gerissen, Hunderte von Menschen sollen erdrückt sein." Ich eilte hinaus. Kein Kutscher war zu bewegen, mich zur Unglücksstätte zu fahren. Ein mir unbekannter General erbarmt sich meiner und nimmt mich in einem Wagen mit. Die Weg­strecke zwischen Alexanderplatz und Thiergarten ist bereits von der heimkehrenden Menge erfüllt. Die meisten tragen die Unglücksgeschenke, das rotgedruckte Tuch und den eisernen Emailbecher, in den Händen. Das riesige Feld, eine Fläche nach allen Richtungen, so weit wie die Entfernung vom Brandenburger Thor zum kaiserlichen Schloß, war mit einem festen Pfahlzaun umschlossen, hinter welchem ein drei Meter tiefer Graben gezogen war. Das Volk fühlte sich von Anbeginn an unsicher, und jedermann erwartete Unheil. Beim ersten Graben mußten wir den Wagen verlassen. Wie eine Mauer umstand die schwarze Menge die Unglücksstätte. Die Stimmung war aufs Aeußerste erbittert. Rufe:Wlassowsky erschießen!" wechselten mit lauten Verwünschungen:Der liebe

Gott vergebe uns, wenn wir ihn totschlagen." Ko­saken hielten den großen Raum frei, wo die Leichen zusammengetragen worden. Der Anblick war der eines greulichen Schlachtfeldes. Ueber 1000 erdrückte Leichen, zerstampft zu Brei, mit blauen Gesichtern und herausquellenden Augen, mit gebrochenen Gliedern mir wurde ganz schwarz vor den Augen. Alles geschah neben den Bretterbuden mit den Geschenken. Die Unterbeamten, durch die Riesenmenge beängstigt, glaubten, klug, zu handeln, wenn sie die Verteilung beendigen wür­den, bevor nach Schluß der Fabriken die großen Arbeitermassen anrückten. Eine genügende Polizei­macht war jedoch nicht zur Stelle. Das Volk drängte unbehindert nach, staute sich am Zaun, und dann stürzten die vordersten in die Gräben, die Nachdringen­den darüber hin, ohne daß sich einer retten konnte. Eine volle Stunde dauerte die Unordnung an. End­lich galoppierten Kosaken herbei und begannen sofort systematisch die Absperrung. Da erst erkannte man die Größe des Unglücks. Alles jammerte, fluchte und betete durcheinander. Es war eine Szene, wie aus einem wüsten Traum. Wie ich mich erhole, erscheinen die ersten Wagen zum Transport der Un­glücklichen. Die Leichen wurden über einander auf Feuerwehrwagen gelegt und, mit Wachstuch bedeckt, fortgeschafft. Verwundete transportierte man in ge­schlossenen Wagen des Roten Kreuzes. Die Ver­wundungen waren meist leichter Natur. Wer ein­mal zu Boden gestürzt war, war dagegen rettungslos verloren, daher die Masse der Verunglückten. Das Aufnehmen der Leichen war so entsetzlich, daß ich den Anblick nicht ertragen konnte und mich abwandte. Am Stadtthor begegnete mir der Wagen des Ober­polizeimeisters mit einer Gendarmen-Eskorte. Der Chef der Moskauer Polizei ist bleich, seine Stirn blutig, da er durch einen Steinwurf verwundet wor­den. Die Menge blickt ihn vorwurfsvoll, doch ruhig am Geradezu staunenswert ist die Ruhe des Slavensvolk. Mittags kehrte die Volksmasse wieder aus das Cho- dynski-Feld zurück, als wäre nichts geschehen, Die Augenzeugen des Unglücks hatten sich bereits ver­laufen, die Nachkommenden waren wieder lustig und sorglos. Es erschien eine glänzende Menge vom Zaren geladener Gäste, prachtvolle Wagen mit weiß­gekleideten Damen, darüber eine goldene Sonne es war ein Kontrast, der mich in sprachloses Stau­nen versetzte. Selbst, wenn wieder ein Feuerwehr­wagen mit schlecht bedeckten Leichen fortfuhr, so trübte das die Stimmung der Menge nicht mehr. Der Kaiserpavillon war glänzend geschmückt. Um 2 Uhr erschien das Zarenpaar, durch endlosen Jubel be­grüßt. Es schien, als ob das Volk den Zaren trö­sten wolle durch Beweise der Liebe. Die Zarin hatte nach der Katastrophe einen schweren Nervenanfall überstanden. Die Stimmung in der Stadt ist ruhig, kaum gedrückt. Das Volk sagt:Es war Gottes Wille." Die meisten Moskauer Zeitungen sind nichk erschienen, weil ihre Setzer unauffindbar waren. Die strengste Untersuchung ist eingeleitet. Alle Er­gebnisse sollen veröffentlicht werden, da der Zar wünscht, daß die ganze Wahrheit herauskommt."

Prätoria, 31. Mai. Die Freilassung der Ge­fangenen ist in ganz Südafrika freudig begrüßt. Präsident Krüger sowohl als Staatssekretär Dr. Leyds erklären, daß der Artikel in dem engl.XIX. Jahrhundert" voller Unwahrheiten sei. Krüger stellt absolut die Existenz einer geheimen oder anderen Abmachung mit Deutschland in Abrede. _

Kleinere Mitteilungen.

Münsingen, 30. Mai. Der Tourist, der von Mün- singen eine halbe und vom Hardtort Auingen aus eine Viertelwegstunde ostwärts strebt, kommt zum neuerbauten Militär-Zeltlager. Aus freiem breitem Hügelrücken dehnt es sich lt.U. Tgbl." gar stattlich aus. Dort herrscht zur Zeit inmitten einer einsamen Landschaft ein bewegtes Leben und Treiben. Die im nahen Böttingen einquartierten Pioniere entfalten eine rege Thätigkeit und jetzt, da die Zelte für die Offiziere und für die Mannschaften erstellt sind, werden Schankbuden errichtet, wird provisorisch ein Offizierskastno erbaut, wird die Wasserlegung gelegt, die den Lagerplatz mit gutem Trinkwasser versorgen wird. Das ausgedehnte Zeltdorf mit seinen weißschimmernden Tuchwänden macht, von den nahen Hügeln aus gesehen, einen imposanten Eindruck, und täglich treffen schau- und wanderlustige Leute ein, um es zu besichtigen. Während des kommenden Sommers beziehen die Bataillone unseres württ. Armeecorps abwechslungsweise und je eine Woche lang das Münsinger Zeltlager. Den Anfang machen am. nächsten Montag die UlmerSechser." Während der Dauer der Schießübung wird die Poststraße, welche die Bezirks­orte Laichingen und Feldstetten mit der Amtsstadt Münsingen verbindet, nur Montags, an welchem Tag die Truppen»