'NoMische Wachvichten.
Deutsches Reich.
Stuttgart, 26. März. Die Kammer der Abgeordneten erledigte heute den Staatsvertrag mit Bayern, betreffend die Herstellung der Linien Leutkirch—-Memmingen und Wangen—Hergatz und die Regelung verschiedener Anschlußverhältnisse zwischen Württemberg und Bayern. Dentler sprach den Wunsch aus, es möchten nun auch bald die Verhandlungen über die Bodenseegürtelbahn wieder ausgenommen werden, worauf Ministerpräsident v. Mittnacht hervorhob, daß die Regierung schon mehrfach für die für Württemberg in Betracht kommende Strecke Lindau-Friedrichshafen eingetreten sei. Die bayrische Regierung habe aber stets abgelehnt, mit dem Bemerken, diese Strecke sei nicht im Interesse Bayerns. Der Minister schloß mit den Worten, daß voraussichtlich in nicht zu ferner Zeit die Frage der Bodenseegürtelbahn, und zwar unter Mitwirkung eines dritten Faktors (des Reichs) wieder auf die Tagesoronung kommen werde. Der Vertrag wurde nach einer weiteren unwesentlichen Debatte angenommen. — Man trat sodann in die Beratung des Justizetats ein. Bei der Exigenz, betr. Erhöhung der Gehalte der Staatsanwälte, entspann sich eine längere Debatte. Lang, Schnaidt, Egger und Becher waren gegen diese Aufbesserung, für welche Ebner, Frhr. v. Var.nbüler, Uhl eintraten. Man nahm die Exigenz schließlich an.
— Der Reichstag beschäftigte sich heute mit den Abänderungsanträgen verschiedener Abgeordneter zur Gewerbeordnung (Erweiterung des Rechts der Innungen und Befähigungsnachweis). Als Antragsteller begründet zunächst Biehl den Zentrvmsantrag, der lediglich die Kräftigung des Handwerkerstandes bezwecke; von einem Zurückschrauben des Handwerks zu mittelalterlichen Zuständen sei nicht die Rede. Der Befähigungsnachweis würde wesentlich dazu beitragen, das Standesbewußtsein zu heben und das Handwerk zu Ehren zu bringen. — Ackermann, welcher den kons. Antrag vertritt (in den Hauptpunkten dem des Zentrums gleich) bezeichnet ebenfalls als Ziel desselben die Festigung des Handwerkerstandes, was aber nur durch Einräumung großer Vorrechte an die Innungen zu erreichen sei. — Lohren betont, daß der von einem Teil der Reichspartei eingebrachte Antrag vornehmlich die fachgemäße Ausbildung der jungen Leute im Handwerk ins Auge fasse. Den Befähigungsnachweis halten sie dagegen nur für solche Gewerbe am Platze, bei denen die mangelhafte Ausbildung Leben und Gesundheit der Mitbürger gefährden könne. — An der Erörterung beteiligen sich noch Bauinbach (namens der Dsch.-Freisinnigen grundsätzlich gegen die Anträge), ebenso Meyer-Jena (nat.-lib.), welcher von denselben gleichfalls eine Besserung der Lage des Handwerks nicht erhofft. Dagegen hält er die Frage des Befähigungsnachweises für erörterbar, doch müßten zunächst darüber regierungsseitig angeordnete Erhebungen abgewartet werden. Grillenberger (Soz.-D.) spricht ebenfalls gegen die Anträge, die dann einer 21er-Kommission überwiesen werden. — Am Samstag Novelle zum Reichseisenbahngesetz, Gesetz, betr. den Verkehr mit Kunstbutter.
— Der Reichsanzeiger vom 23. März veröffentlicht nachfolgenden Erlaß des Kaisers an den Reichskanzler: Es ist eine wunderbare Fügung des Himmels, daß Mir nach so vielen unvergeßlichen Ecinnerungstagen auch noch vergönnt gewesen ist, am 22. März Mein 90. Lebensjahr zu vollenden. In demütigem Ernste erkenne Ich die Gnade Gottes, welche Mich diesen Tag hat erleben lassen, welche Mir in so hohem Alter die Kraft zur Erfüllung Meiner Fürstlichen Pflichten erhalten hat, welche Mir das Glück gewährt, noch den Lebens- mit Meiner geliebten Gemahlin zu teilen und auf eine kräftig emporwachsende Nachfolge von Kindern, Enkeln und Urenkeln zu schauen. 90 Jahre eines menschlichen Lebens, welch' eine lange Spanne Zeit! Wenn Ich sie im Geiste an Mir vorübergehen lasse, so will es Mir oft kaum faßlich erscheinen, was Ich Alles erlebt, erfahren und errungen habe. Die göttliche Vorsehung hat Meine Wege, wenn auch nicht ohne schwere Prüfungen, sicher geleitet und zu glücklichen Zielen geführt. Götter reichster Segen hat auf Meiner Arbeit geruht. — In frühester Jugenv habe Ich die Monarchie Meines tiefgebeugten Vaters in ihrer verhängnisvollen Heimsuchung gesehen. Ich habe aber auch die hingebendste Treue und Opferfreudigkeit, die ungebrochene
„Alter! Alter!" drohte seine Frau, „was sind das für überflüssige Redensarten!"
„Na, ich meinte nur", bemerkte er trocken und fuhr, sich gegen mich wendend, fort: „Sie kommen doch zeitig genug wieder zum Spiel?
„Gewiß", antwortete ich, mit einer leichten Bewegung die Katze wegscheuchend, welche äußerst beharrlich hinter mir an meinem weißen Beinkleid herumschnüffelte. „Ich bin Ihnen ohnehin noch Revanche schuldig für die gestrige Parthie —"
„Die Sie nur darum gewonnen haben", fiel der Alte ins Wort, „weil ich irrtümlicherweise den Coeur- statt des Piquebuben ausspielte."
„Kinder", rief lachend die Mama den Töchtern zu, welche vor dem Spiegel ihre Hüte auffetzten, „jetzt mackt, daß ihr fortkommt, es ist die höchste Zeit. Denn fangen die Beiden ihren Spieldisput an, dann könnt ihr nur gleich wieder oblegen, aus eurem Spaziergang wird nichts."
„Mama hat Recht", sagte Luise, „lassen Sie uns gehen."
„Gerne meine Damen", antwortete ich, „also auf Wiedersehen!" Mit diesen Worten wandte ich mich nach der Thüre, um dieselbe als galanter Mann den Schwestern zu öffnen, drehte mich aber erstaunt gleich wieder um, als diese, wie aus einem Munde, einen Schrei ausstießen, während der Alte in ein furchtbares Gelächter ausbrach, und die Mutter entsetzt ausrief:
„Um Gottes willen, was haben Sie denn angestellt?"
„Ich, angestellt —? daß ich nicht wüßte?" entgegnete ich ganz bettoffen, als ich sah, daß alle Blicke auf meinem Rücken hafteten, wobei ich mich vergebens nach Rechts und Links drehte, um das gewisse Etwas zu erblicken, welches diese allgemeine Aufregung hervorgerufen hatte.
„Richtig B—o—ck—Bock! Er trägt einen Bock auf dem Rücken", platzte der Alle heraus, wobei er so heftig lachte, daß die irdene Pfeife in seiner Hand zerbrach und klirrend zu Boden fiel.
Kraft und den unverzagten Mut des Volkes in den Tagen seiner Erhebung und Befreiung kennen gelernt. Jetzt in Meinem Alter blicke Ich, nach so manchen Wechselfällen Meines Lebens, mit Stolz und Befriedigung auf die Wandlungen, welche die ruhmvolle Vergangenheit der jüngsten Zeit, ein unvergleichliches Zeugnis deutscher Einigkeit und deutscher Vaterlandsliebe, in Deutschland geschaffen hat. Möge Unserem teueren Vaterlande die lang ersehnte Errungenschaft, wie ich es zuversichtlich hoffe, in ungestörter, segensreicher Friedensarbeit zu stets wachsender Wohlfahrt aller Klassen der Nation gereichen! In wohlthuender Erinnerung an eine solche ereignisreiche Vergangenheit gewinnt die 90. Wiederkehr Meines Geburtstages für Mich eine besondere Bedeutung, welche durch die allgemeine tief empfundene Teilnahme Meines Volkes erhöht wird. Aus allen Teilen des Reiches, aus fernen Landen, in denen Deutsche eine neue Heimat gefunden, selbst von jenseits des Ozeans her, sind Mir Adressen in zum Teil kunstvoller, gediegener Ausstattung, Zuschriften und Telegramme, poetische und musikalische Gaben, Blumenspenden und Arbeiten in überreicher Anzahl zu diesem seltenen Tage zugegangen. Von Gemeindeverbänden, größeren wie kleineren Umfangs, von Kollegien, Korporationen und Genossenschaften jeder Art, von wissenschaftlichen und Kunstinstituten, von Anstalten und einzelnen Personen bin Ich in der herzlichsten Weise beglückwünscht worden. Künstler, bildende wie darstellende, Studierende der deutschen Universitäten, Akademien und technische Hochschulen, Krieger-, Turn-, Bürger- und andere Vereine, Gilden und Innungen haben in der verschiedensten Weise ihre treue Anhänglichkeit an Mich kundgethan. Durch festliche Veranstaltungen und Festversammlungen ist der Tag aller Orten verherrlicht worden. Der Umfang und die Mannigfaltigkeit dieser Beweise von Liebe und Verehrung ist so groß gewesen, daß sich die Feier des Tages zu einer nationalen Huldigung für Mich gestaltet hat. Nicht vermag Ich Allen, welche Mir so liebevolle Aufmerksamkeiten erwiesen haben, im Einzelnen dafür zu danken. Tief ergriffen von solcher durch alle Schichten der Bevölkerung gehenden Bewegung kann Ich nur her Gesamtheit zu erkennen geben, welche ungemeine Freude Mir jeder air seinem Teile bereitet hat und wie tief Mein Herz von innigster Dankbarkeit für alle diese patriotischen Kundgebungen erfüllt ist. Es giebt wahrlich für Mich kein größeres Glück, kein erhebenderes Bewußtsein als zu wissen, daß in solcher Weise die Herzen des Volkes Mir entgegenschlagen. Möge mir diese Treue und Anhänglichkeit als ein teures Gut, welches die letzten Jahre Meines Lebens hell erleuchtet, erhalten bleiben! Mein Sinnen und Denken aber soll wie bisher so auch ferner für die Zeit, welche Mir zu wirken noch beschicken sein wird, darauf gerichtet sein, die Wohlfahrt und Sicherheit Meines Volkes zu heben und zu fördern. Ich beauftrage Sie, diesen Erlaß zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. Berlin, 23. März 1887. Wilhelm. — An den Reichskanzler.
Hcrges-Weuigkeilen.
* Hirsau, 27. März. Wenn wir nachträglich auch von hier aus noch kurz berichten, daß die 90. Geburtstagsfeier unseres in Ehrfurcht geliebten Kaisers auf schöne Weise bei uns begangen wurde, so möchten wir nur damit konstatieren, wie auch hier deutscher Sinn und deutsches Fühlen über alle partikularistischen Interessen die Oberhand gewonnen hat. Am Vorabend loderte ein mächtiges Freudenfeuer hinter den Ruinen empor. Am Morgen des Festtages wurde durch weithin das Echo weckende Böllerschüsse die Freude eingeleitet (leider ein wenig getrübt durch einen kleinen Unfall, der aber gottlob keine bleibenden nachteiligen Folgen haben wird). Um 8 Uhr wurde durch eine treffliche, die Kinder zur Vaterlandsliebe ermunternde Rede des Ortsgeistlichen die Schulfeier begonnen; Gesang und Deklamation der Schüler folgten hierauf, und am Schluffe wurden lieblich duftende Kaiserbrote verabreicht. Am Abend stellten sich im Schwanensaal wohl über 50 Bürger ein, um bei trefflicher Bewirtung gemeinschaftlich einige fröhliche Stunden im Andenken ans teure Kaiserhaus zu verleben. Toast auf Toast folgte, und Kaiser, Bismarck und Moltke ließ man jubelnd hochleben. Patriotische Lieder erhöhten noch die festliche Stimmung. Die (wegen Raummangel in nächster Nr.) folgenden Gedichte von E. Z. und E. schloßen sich den vorhergehenden^
„Und so wollten Sie uns in den zoologischen Garten führen?" sagte sehr ärgerlich Luise „ei, so ziehen Sie doch einmal gefälligst Ihren Rock aus und bettachten Sie den Rücken desselben!
„So sind Sie durch die Stadt spaziert?" fragte Anna hinzu, „das ist doch ein bischen stark."
In mir dämmerte eine furchtbare Ahnung. Die Hunde-Affaire — mein Andrücken an die Wand — der Anstreicher — o Gott!
Ich stotterte verlegen einige entschuldigende Worte und entledigte mich meines Rockes, bei dessen Anblick ich allerdings beinahe in Ohnmacht fiel. Ja» der Alte hatte Recht. Ganz deutlich war in schwarzer Oelfarbe, allerdings verkehrt, aber trotzdem sehr leserlich, das Wort „Bock" abgedrückt. Nur das untere Ende der Buchstaben fehlte, mußte jedoch nach meiner Berechnung in der Gegend meiner Kniekehlen auf meinem weißen Beinkleid sitzen, wo ich es später auch richtig vorfand.
Das war sogar sehr stark! Darum hatten mich die Vorübergehenden so grinsend angelacht, — darum also die allgemeine Heiterkeit — dämm! Und ich, ich hatte mitgelacht, ohne zu wissen warum. Die Leute mußten mich für einen Narren gehalten haben. Und Keiner hatte mich benachrichtigt — Keiner! Dies sah den sauberen Holländern wieder einmal so recht ähnlich. Unter ehrlichen Deutschen wäre ich keine zehn Schritte weit gegangen, ohne daß mich Einer von meinem Unfall benachrichtigt hätte. O, über das Pack! So dachte ich und machte dabei ein so schauerlich dummes Gesicht, daß ich ordentlich erschrak, als ich es zufällig in dem gegenüber hängenden Spiegel erschaute.
(Fortsetzung folgt.)