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Freund von Frankreich, sicher aber kein natürlicher Freund. Fürst Bismarck habe gesagt: „Wenn wir unsere Kräfte vereinigen, sind wir die Herren der Welt." Niemand wird wagen, sich an uns zu vergreisen und ohne Hintergedanken würden wir an dem Fortschritte der Zivilisation arbeiten können. In Bezug auf den gleichfalls angegriffenen Vizekonsul Brandt bemerkt Lesseps, daß derselbe von Nationalität ein Deutscher, gegen ihn, sowie auch gegen andere Durchreisende große Liebenswürdigkeit gezeigt und während der Kriegszeit sich um die gefangenen und verwundeten Franzosen viele Verdienste erworben habe.
Die Angriffe, sagte Lesseps, seien ibm übrigens vollständig gleichgültig.
Rußland.
Petersburg, 19. März. Die verhafteten 3 Attentäter erklärten, die Todesstrafe nicht zu fürchten, weil eine genügende Anzahl von Ersatzmännern hinter ihnen stehe. Die beschlagnahmten Geschosse enthielten je sieben Pfund Dynamit und zweihundert mit Strychnin vergiftete kleine Kugeln.
— Der „Times" wird aus Petersburg gemeldet, daß zuerst die deutsche Polizei von den Vorbereitungen zu einem Mordanschlag auf den Zaren Kenntnis hatte und die russische Polizei benachrichtigte. Daraufhin bewog der Stadtkommandant von Petersburg, General Gresser, den Kaiser und die Kaiserin, Petersburg zu verlassen, obgleich die Kaiserin gern die Fastenzeit in der Hauptstadt verbracht hätte. Von dem vereitelten Anschlag erfuhr die Kaiserin erst, als der Eisenbahnzug sich in Bewegung setzte. Die Petersburger Polizei ließ absichtlich den Verschwörern Zeit, um sie dann alle auf einmal zu fasten. Es sind bis jetzt 48 Verhaftungen erfolgt, neun Nihilisten trugen Bomben in Form von Büchern oder Früchten. Die Mehrzahl der Verhafteten waren Studenten, ferner sind einige Offiziere und mehrere Frauen festgenommen. — Der „W. A. Z." wird über das Attentat noch berichtet: „Während der größte Teil der Bewohner unserer Residenz noch keine Ahnung von dem Attentate hatte, trafen in Gatschina bereits am Sonntag abend die telegraphischen Glückwünsche des ö st e r r e i ch i s ch e n und deutschen Kaisers ein. In der Bevölkerung bildet das Attentat und dessen Verhinderung überall jetzt den Gesprächsstoff. Irgend welche Erregung ist jedoch nicht bemerkbar. Die Sprengbomben werden von deu-PH' Experten als vortrefflich gearbeitet geschildert. Die Füllung soll aus bestem Melinit bestehen und die vorbereiiete Sprengwirkung eine derartige sein, daß wahrscheinlich außer einer Menge gelöteter Personen auch noch die nächsten Häuser stark mitgenommen worden wären. — Die Verschwörer hatten mit großer Umsicht die Vorbereitungen getroffen. Die Zahl derselben betrug mehr als fünzig. Das Haus, in dem sie arbeiteten, stößt unmittelbar an die blaue Brücke. Die Verschwörer hatten durch den Hauskanal eine Verbindung mit der Newa hergestellt und sich das Wasser des Stromes nutzbar gemacht; es trieb ihnen Transmissionen, sie schliffen Eisen und formten Bomben. Bei Tage wurde die Röhre des Hauskanals gesperrt, bei Nacht erst begann die Arbeit. Das ganze Kellerlokal war mit Matratzen und Strohsäcken förmlich austapeziert; alle Drehbänke und Ambosse standen auf dicken Schichten Häcksel und Stroh, so daß kein Lärm nach außen dringen konnte. Die Gesellschaft nannte sich „das blutende Rußland." — Sehr herzlich dankte der Kaiser dem General Gresser für seine umsichtige Handlungsweise. Die betreffenden Geheimpolizisten sind stolz auf ihren Erfolg und wurden sehr hoch belohnt.
Italien.
— Die von Ras Allula noch vor der Schlacht bei Saati gefangen gesetzte italienische Expedition nach Godscham besteht aus dem Ingenieur Conte Salimbenr, dem Major Piano, dem Ingenieur Conte Savoiroux und dem zehnjährigen Sohne des Majors Piano, Emmanuele. Salimbeni hatte sich bereits 1882 bis 1885 in Schoa und Abessien aufgehalten und war wegen seiner technischen Arbeiten, die er im Dienste des Negus mit Glück vollbrachte, beliebt. Kaiser Johannes hatte ihn beauftragt, eine Brücke über den blauen Nil zu schlagen, uno Salimbeni führte zu diesem Zwecke eine
polytetragonale Brücke, System Cottrau, mit, die er in Godscham zusammenstellen und der Benützung übergeben wollte. Er wendete sich zu diesem Zwecke unmittelbar vor seiner Gefangennahme an den Balambaras Tessama, den Schwiegersohn Ras Allulas, damit ihm dieser, wenn der Schwiegervater mit dem Heere gegen die Mahdisten abwesend sei, eine Schutzmannschaft für den Transport der zahlreichen Colli beistelle. Bald darauf führte aber Ras Allula plötzlich den Schlag gegen die Italiener bei Saati und die italienische Expedition geriet hiebei in seine Gewalt.
Hcrges-Werrigkeiten.
Calw. Ueber die Feier vom Kaisergeburtstag wird uns mitgeteilt: Der Fackelzug sammelt sich vor der Turnhalle abends 6^ Uhr und zieht in Gliedern von je 3 Personen über die untere Brücke, Lederstraße, rechte Seite des Marktplatzes um den oberen Marktbrunnen, Oberamtei, untere Marktstraße, Post, Bischoffstraße bis zum badischen Hof, in folgender Ordnung: Eine Abteilung Feuerwehr, Tambours und Musik, Veteranenverein, Militärverein, Landwehrstammmannschaft, Turnverein, Handelsschule, Jünglingsverein, Vl. und VII. Reallycealklosse, Liederkranz, Concordia, Festteilnehmer, welche obigen Vereinen nicht angehören, Schluß eine Abteilung Feuerwehr.
Calw, 21. März. Das vom Pforzheimer Zitherklub am gestrigen Sonntag im Julius Dreiß'schen Saale gegebene Konzert erfreute sich eines weniger zahlreichen Besuchs, als man angesichts des damit verbundenen Zwecks und der Uneigennützigkeit der Pforzheimer Herren billigerweise hätte hoffen dürfen, doch kam noch ein ansehnlicher Betrag an Eintrittsgeld zusammen. Seit seinem letzten Hiersein hat der Klub, nach dem reichhaltigen Programm zu erteilen, sein Repertoir wesentlich erweitert und außerdem eine schätzenswerte Neuerung getroffen durch die Mithilfe einer Stahlgeige, welche die Uebergänge und das Zusammenschmelzen der Töne in milder Weise vermittelt. Das Zusammenspiel war harmonisch und exakt und reicher Beisall^wurde nach jeder Nummer den Spielenden zuteil.
4.^41. Aichelberg. Die Mitteilung, betreffend den Unglücksfall in ünerberg (Wochenblatt Nro. 32) bedarf der Richtigstellung: Der verunglückte Dienstknecht besaß die eigentümliche Art, mit Kindern in kindischem Benehmen zu spielen und hat auch diesmal mit dem 3jährigen Kinde seines Dienstherrn im Stall in Abwesenheit der Pferde der Mutmaßung nach „Rößle's" gespielt, wobei er sich die Leine, an der die Pferde an die Krippe gebunden werden, am innern Teil derselben, also nicht dem Teil, der dem Pferd um den Hals geschlungen wird und der sich verengt oder erweitert. sondern den Teil, der weit ist und sich nicht verengt, um den Hals gemacht, um gleich einem Pferde an der Krippe angebunden zu sein. Durch Nachahmung der Bewegungen des Pferdes, das an der Stelle sonst steht, kam der Knabe zum Fallen, so daß er das Genick brach und nicht durch den Strick erstickte. Dies bestätigt auch die Aeußerung des Kindes, das in der Stube bemerkte: „Jetzt ist D. auch ein Schimmel." Selbstmord ist dabei ausgeschloffen. Genauere und bestimmtere Angabe des bedauerlichen Vorgangs kann niemand geben, nur dürfte zur Vermeidung etwaiger Mißverständnisse öder gar liebloser Urteile diese Darstellung und Berichtigung angezeigt sein. Anders, als wie oben dargestellt, kann der Vorfall sich wohl unmöglich ereignet haben.
Ebingen, 16. März. Heute erregte hier die Verhaftung eines schon in der Mitte der 60 stehenden achtbaren gutsituierten Bürgers großes Aufsehen. Derselbe traf letzten Freitag mit einem gleichalterigen Bekannten in einer Wirtschaft zusammen. Aus spaßhaften Bemerkungen, wer der stärkere sei, entstanden Thätlichkeiten, welche damit endeten, daß der Verhaftete seinem Altersgenossen einen Stoß auf den Leib versetzte. Am zweiten Tage starb der Verletzte und der heute vorgenommenen Legalinspektion folgte die Verhaftung des Thäters. — Im benachbarten Meßstetten wird seit 6 Tagen ein älterer Mann vermißt. Derselbe wollte seinen in einem andern Dorf
belehrte, was ihnen bis jetzt wohl fremd geblieben war. Sie waren recht aufmerksame ^ Zuhörerinnen und namentlich die Aeltere schien einen besonderen Drang zu verspüren, recht gelehrt zu werden. Sie hing sehr aufmerksam an meinem Munde, was ich oft mit geheimer Eitelkeit bemerkte, und in Folge dessen stets mehr das Wort an sie, als an ihre jüngere Schwester richtete.
So bildete sich nach und nach ein ganz eigentümliches Verhältnis zwischen uns und es dauerte nicht lange, so sing ich an, mit besonderer Sorgfalt auf mein Aeußeres zu achten, die Launen des Papa van der Knypsen mit noch musterhafterer Geduld als bisher zu ertragen, der dicken Mama Alles zu thun, was ich ihr an den Augen, ansehen konnte und mich mit ihrem Lieblingstier der Hauskatze, zu befreunden.
Erfahrene Leser wissen schon, was dies Alles bei einem jungen Manne zu bedeuten hat, und obwohl ich nun alle meine Leser für erfahrene halte, so will ich doch zur Vorsorge für etwaige Unerfahrene aussprechen, daß ich zum ersten Male verliebt — wirklich und wahrhaftig verliebt war!
Ja, Luise, die älteste der van Knypsen'schen Schwestern, hatte es mir angethan, was ich freilich erst bemerkte, als sie mir die unzweideutigsten Beweise gegeben hatte, daß ich ihrer Zuneigung gewiß sein durste.
Wenn ich nun auch lange nur noch mit einer gewissen Bitterkeit an jene Zeit, an jenes Haus und an seine Bewohner zurückdachte, so kann ich doch nicht leugnen, daß die Letzteren eigentlich ein besseres Angedenken meinerseits verdient haben, und wenn Dir vielleicht einmal diese Geschichte zu Gesicht kommt, Papa van der Knypsen, so betrachte diese Zeilen als ein offen Bekenntnis meinerseits, daß ich damals in der bekannten „Jugendeselei" gehandelt habe.
Man hatte es ja so gut mit mir vor, das merkte ich mit jedem Tag deutlicher, und was man mit mir beabsichtigte, hätte mir am besten die Art und Weise zeigen müssen, wie seit einiger Zeit ein gewisser Hausfreund und Lederhändler mit Namen van Bock behandelt wurde.
Ich habe so lange- wie möglich diesen Mann ignoriert, und seinen Namen verschwiegen, weil er mir im hohen Grade zuwider ist, nun aber ist er heraus und
ich fühle die moralische Verpflichtung, den Träger desselben jetzt in aller Form vor zuführen, obschon ich dem werten Leser gerade keine interessante Bekanntschaft dabei versprechen kann.
Van Bock war also ein holländischer Lederhändler — ein echter rechter Holländer, mit etwas aufgedunsenem Gesicht; trotz seiner Jugend — er war höchstens zwei Jahre älter als ich — bereits von ansehnlichem Embonpoint — stark borniert, dafür aber vesto aufgeblasener und erfüllt von jenem unmotivierten Deutschenhaß, der dem Holländer, wie es scheint, bereits mit der Muttermilch eingeimpft wird. Er kam häufig in das van Knypsen'sche Haus, und wenn ich sage, daß er mir ein Greuel war, so dürste dieses schöne Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht haben, da ich ihm jedenfalls auch keine Sympatieen einflößen konnte.
Er war ein entfernter Vetter des Hauses und wie mir Luise später heimlich anvertraute, ihr bereits seit Jahren als Mann bestimmt. Die van Böcke waren reich, sehr reich und hatten außerdem ein vortreffliches Geschäft, welches Tausende abwarf. Was Wunder, daß ihr Sprößling auf mich, den armen Deutschen, mit einer gewissen Verachtung herabsah, und sich mehr und mehr ärgerte, so oft er mich im Kreise der Familie antraf, die er schon mit Gewißheit für die Zukunft als die seinige bettachtete? Mir hingegen war der ganze Abend verdorben, wenn die Thüre sich öffnete und der penetrante Ledergeruch, den er stets mitbrachte, seinen Besuch ankündigte. Er chika- nierte mich redlich, wo er konnte, und ich muß ehrlich bekennen, das ich ihm ebenfalls nichts schuldig blieb, wenn ich ihn auch mit anständigeren Waffen bekämpfte. Es gewährte mir nämlich ein besonderes Vergnügen, das Gespräch, so oft es anging, auf ein Thema zu bringen, wo er nicht mitteden konnte, kurz, ihn als das zu kennzeichnen, was er wirklich war — als einen beschränkten arroganten Menschen.
Und meine Taktik verfehlte ihre Wirkung nicht. Währerd er früher im Hause alles gegolten hatte, fing man allgemach an ihn kühler zu behandeln und ehe ein Vierteljahr vergangen war, spielte er eine recht traurige Rolle in der Familie.
(Fortsetzung folgt.)
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