sei, da das gegenwärtige System der Matrikular- beiträge nach Fortfall der Ueberweisungen nichts Anderes bedeute, wie die Verlegenheiten des Reichs auf die Einzelstaaten übertragen. Die ebenfalls zur Besprechung gelangten Entwürfe des Tabakssteuer- und Reichs-Stempelabgabengesetzes fanden einstimmige Billigung. Bezüglich des Entwurfs eines Wein­steuergesetzes wurde beschlossen, weitere Erwägungen darüber anzustellen, ob nicht auch bei einer Erleich­terung der vorgesehenen Kontrollen der ^finanzielle Erfolg der Vorlage besichert erscheinen möchte.

Aus dem Königreich Sachsen kommen jetzt mit jedem neuen Tag neue Nachrichten über Verhaftungen von Reservisten oder aktiven Soldaten, die sich mit dem bereits in Untersuchung befindlichen Dr. Grcid- nauer sozialistischer Umtriebe in der Armee schuldig gemacht haben sollen. So sollen neuerdings in Zittau beim dortigen Regiment 3 Soldaten und ein Sergeant verhaftet worden sein.

Der Kaiser ließ heute dem Reichskanzler ein prachtvolles Porträt, welches den Kaiser in der Uni­form der Gardes-du-Cvrps darstellt, für das Reichs­kanzlerpalais überreichen.

Das zwischen Deutschland und Spanien be­stehende Handelsprovisorium wurde bis zum 31. Dezember 1893 verlängert.

Ein Reglement über die Ausbildung der Mi- litärradsahrer soll, nach derAllg. Mil.-Korr.", ausgearbettet werden. Es hat sich nach den bis­herigen Erfahrungen, die man mit dem Fahrrad im Militärwesen gemacht hat, die Notwendigkeit herausgestellt, eine gründlichere Ausbildung der Mi­litärradfahrer schon im Frieden eintreten zu lassen.

Ein Einbruch ist in Hamburg im naturhi­storischen Museum verübt worden. Der Dieb zer­trümmerte einen Schaukasten und entwendete fünf Goldklumpen im Muttergestein, welche einen großen Wert haben. Daneben liegende wertvolle Edelsteine sind seiner Aufmerksamkeit entgangen.

Berlin, 28. Okt. Es wird bestätigt, daß in der That die russischen Anerbietungen bei den ge­genwärtigen Zollverhandlungen noch weit entfernt von den Forderungen der deutschen Unterhändler sind; ein naher Abschluß der Verhandlungen ist so­nach nicht zu erwarten. Der Beirat soll mit ganz überwiegender Mehrheit das bisherige Festhalten der Reichsregierung an der von ihr geforderten Herab­setzung der russischen Zölle, deren Nichtbewilligung russischerseits die Erklärung des Zollkrieges zur Folge hatte, durchweg gebilligt haben.

Berlin, 28. Okt. Die Deutsche Warte bringt offiziöse Mitteilungen über die Reichssteuerreform. Die Weinsteuer ist nur für bessere Qualitäten, die Tabaksteuer mit größter Schonung der Hausindustrie, die Börsensteuer als Emissionssteuer geplant.

Berlin, 30. Okt. Durch Scharfrichter Reindel wurde heute früh die Witwe Zillmann im Straf- gesängnis zu Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet.

Posen, 28. Okt. Der Sohn des Gutsbesitzers Dredow auf Zippnow wurde von zwei Knechten ermordet, weil er denselben Vorwürfe gemacht, daß sie die Pferde nicht rechtzeitig fütterten. Die Thä- ter sind verhaftet. *

Oesterreich-Ungarn.

Pest, 28. Okt. Ministerpräsident Wekerle be­suchte heute den Fürstprimas und erklärte ihm, die Regierung wolle an der obligatorischen Zivilehe festhalten und keine Ausnahme bei Lösbarkeit der Ehe gestatten.

Frankreich.

Paris, 30. Okt. Giers sandte an Baron v. Mohrenheim folgendes Telegramm: Petersburg, 28. Okt. Der Kaiser beauftragt Sie, Dolmetsch des aufrichtigen Dankes zu sein bei allen Regierungsbe­hörden und Vertretern aller Gesellschaftsklassen, die sich an dem glänzenden Empfang des russischen Ge schwaders in Frankreich beteiligtein Seine Majestät ist tief bewegt von den Gefühlen der Sympathie und Freundschaft, welche bei dieser Gelegenheit so bewun­derungswert zu Tage getreten sind. Dupuy schickte dieses von Baron v. Mohrenheim mitgeteilte Tele gramm allen Präsekten zu.

Die Franzosen haben in Algerien in aller Stille eine militärische Expedition zur Annexion der Tuat-Oasen vorbereitet. Nach demFigaro" stehen an der Südgrenze Algeriens 3000 Mann französi scher Truppen, um gegebenen Falls die Tuat-Oasen zu besetzen. Die Ausführung sei jedoch vorläufig aus diplomatischen Gründen vertagt worden. Die

Franzosen brauchen die Tuat-Oasen, die, wenn auch nur nominell, unter der Herrschaft des Sultans von Marokko stehen, um ihren großafrikanischen Plan, die Verbindung Algeriens durch die Sahara hindurch mit dem Ttschadsee und den französischen Besitzun­gen am Kongo, auszuführen.

Kaum sind die russischen Offiziere aus Paris abgereist, da tauchen mit einem Mal in der fran­zösischen Metropole die russischen Großfürsten wieder auf, die bei Beginn des Ruffen-Karnevals plötzlich verschwunden waren, obgleich die Franzosen nichts sehnlicher gewünscht hätten, als wenigstens mit ei­nem von ihnen bei den Festen paradieren zu können. Großfürst Sergius von Rußland, der, von Schott­land kommend, zu Beginn der Russenfeste über Ca­lais nach Darmstadt gereist war, ohne Paris zu berühren, ist am Mittwoch mit Gemahlin in Paris eingetroffen und von Carnot in Audienz empfangen worden. Gleichzeitig ist Großfürst Waldimir mit Gemahlin aus Spanien zurückgekommen, sowie Groß­fürst Paul. Großfürst Alexis wartet in Biarritz die Abfahrt des russischen Geschwaders ab, um sich dann nach Nizza und an die Mittelmeerküste zu begeben. Nun wird es den Franzosen doch wohl klar werden, daß das plötzliche Verschwinden der russischen Großfürsten aus Paris nicht blos auf Zufall beruht, sondern auf den Willen des großen Zaren, destreuen" Freundes der Franzosen, zu­rückzuführen ist.

Paris, 30. Okt. Carnot richtete an den Za­ren folgendes Telegramm:Die Depesche, wofür ich Euer Majestät danke, ging mir in dem Augen­blick zu, da ich Toulon verließ, um nach Paris zu- rückzukehren, von dem schönen Geschwader, worauf ich mit lebhafter Befriedigung die russische Flagge in den französischen Gewässern begrüßen konnte. Der herzliche Empfang, der Ihren tapferen Seeleuten überall in Frankreich zu Teil wird, ist ein wieder­holter glänzender Beweis für die aufrichtigen Sym- patien, welche unsere Länder vereinigen, und kenn­zeichnet gleichzeitig den tiefgewurzelten Glauben an den wohlthätigen Einfluß, welchen das Zusammen­halten der beiden großen Nationen, die sich der Sache des Friedens geweiht, auszuüben vermag.

Der PariserTemps" schließt seinen jüngsten, dem Jubiläum des Königs von Sachsen und der Teilnahme des deutschen Kaisers an demselben ge­widmeten Leitartikel mit einer Bemerkung, die be­rechnet ist, die Herzen der Franzosen mit Zuversicht zu erfüllen. Er hebt hervor, daß die deutschen Helden von 1870/71 fast alle schon dahingegangen seien und daß die deutsche Armee von heute etwas ganz anderes sei, alsdie auf ihren Lorbeeren alt gewordene von 1870". Gleichzeitig weist er auf das Eindringen der Sozialdemokraten in den baye­rischen Landtag und ihr Anwachsen im sächsischen hin.

Paris, 30. Okt. Carnot empfing gestern nach­mittag deu Großfürsten Wladimir und erwiderte den Besuch alsbald. Der Großfürst Alexis ist über Toulouse und Marseille nach Cannes abgereist.

Toulon, 30. Okt. Das ' russische Geschwader verließ nachmittags 2 Uhr unter den Salutschüssen und enthusiastischen Ovationen den Hafen. Dasselbe begiebt sich zunächst nach den Inseln bei Ajaccio, wo es weitere Befehle abwartet.

Spanien.

Die Feindseligkeiten zwischen den Spaniern und Mauren bei Melilla haben am Freitag be­gonnen. Die Mauren eröffneten die Angriffe von ihren Schützengräben aus und zwangen die Spanier, sich zurückzuziehen. Es gehen fortgesetzt Verstärkungen nach Melilla ab. Madrider Journale geben die bei Melilla spanischerseits Gefallenen auf 70, die Ver­wundeten auf 122 an. Man hält indes diese Zif­fern für zu hoch.

Madrid, 30. Okt. Nachrichten aus Melilla bestätigen die Gerüchte über stattgehabte blutige Kämpfe. 2000 Spanier, unterstützt von dem Kreuzer Zenariso" kämpften gegen 10 000 Araber. General Ortega war von den Arabern umzingelt worden. Der zur Hilfe eilende General Margallo erhielt einen Schuß ins Herz und war sofort tot. Die Spanier hatten außer vielen Verwundeteil 200 Tote.

Italien.

Rom, 27. Okt. Die Königin Viktoria von England hat dem König Humbert ihren lebhaften Dank für den dem englischen Geschwader in Italien bereiteten Empfang, sowie für die Beweise warmer Freundschaft ausgedrückt, welche von Seiten der

Königlichen Familie, der italienischen Regierung und des italienischen Volkes anläßlich des Todes de) englischen Botschafters Lord Vivian geboten wurden. Eine ähnliche Dankeskundgebung wurde von de.' englischen Regierung an die italienische gerichtet.

Rumänien.

Bukarest, 30. Okt. Anläßlich der Taufe de) Prinzen Karl fand in allen Städten Tedeum statt. Hier wurdei; 101 Kanonenschüsse gelöst, die Mu sikkorps spielten auf den öffentlichen Plätzen, alle) ivar beflaggt, abends Illumination.

Amerika.

Chicago, 30. Okt. Der Bürgermeister Harri- son ist gestern abend von einem unbekannten Manne durch vier Nevolverschüsse getötet worden/ Der Mörder des Bürgermeisters ist ein geistesgestörter Stellenjäger, namens Prendorgast. Derselbe wurde auf sein Klingeln von dem Diener eingelassen und feuerte 4 Schüsse auf den auf dem Sopha ruhen­den Bürgermeister, welcher binnen 20 Minuten ver­starb. Der Mörder ist verhaftet, er wurde beinahe gelyncht. Andere sagen, der Mörder sei ein Anar­chist. Der Gouverneur von Illinois hat letzthin die in Chicago eingesperrten Anarchisten begnadigt und freigelassen.

Kleinere Mitteilungen.

Neue Münzen. Die durch die Blätter g.- gangenen Nitteilungen, daß neue Zwanzig-Pfennig- Stücke zur Ausgabe gelangen, bestätigt sich nicht.

Rottweil, 28. Okt. Eine nach Form und Inhalt gleich gelungene Abbitte im Inseratenteil des hiesigen Amts­blattes verdient weitere Verbreitung. Sie lautet:Di.- tingen. Abbitte. Ich Unterzeichneter habe dem M. D. schlech­ter Tropf gesagt, das ist wahr und daß ich diesen Auf­druck zurücknehmen muß, thut mir leid. Johannes Maier, ges. Schultheißenamt Maier."

Rektor Dörpseld, der hervorragende Pädagoge und Lehrer, ist in Ronsdorf bei Barmen gestorben.

Der Turnerspruch. Der Richtspruch, mit dem der Turnvater Jahn sein am Fuß des Burgberges in Freiburg a. U. erbautes Wohnhaus weihte, lautete:Frisch, frei, froh, fromm!" Diesem bekannten Turnerwort gab er fol­gende, weniger bekannte Erläuterung:Frisch nach dem Rechten und Erreichbaren streben, das Gute thun, das Bessere bedenken, das Beste wählen. Frei sich halten von der Leidenschaft Drang, von des Vorurteils Druck und oes Daseins Aengsten. Froh die Gaben des Lebens genießen, nicht in Schmerz erstarren, wenn die Schuldigkeit gethan, und den höchsten Mut fassen, sich selbst über das Mißlingen der besten Sachen zu erheben und zu ermannen. Fromm die Pflichten des Menschen, Bürgers und Deutschen erfüllen und zuletzt die letzte den Heimgang."

Eine Sängerin, die in Weimar ein Konzert hatte geben wollen, rst dadurch um ihre Einnahme betrogen wor­den, daß die Kassiererin, die die Sängerin mit den Anord­nungen für das Konzert beauftragt hatte, nach Erhebung des von eineni Musikalienhändler für Billette vereinnahm­ten Betrags von 180 Mk. verschwunden war. Die Sängerin war mithin gezwungen, vor einem vollbesetzten Haus um­sonst zu singen.

Ueber eine ergötzliche Hasenjagd wird, wenn auch in nicht mehr ganz neuer Weise, aus Eschenbach in Fran­ken folgendes berichtet: Vergangene Woche gewahrte eine Bauersfrau aus der Umgegend zu ihrer^ großen Freude einen schlafenden Hasen auf dem Feld, schnell entschlos­sen nahm sie ihr Taschentuch, in dessen Knoten sich eine Barsumme von 200 Akk. befand, band dem Hasen die Läufe zusammen und ließ ihn in ihren, Armkorb verschwinden. Doch nicht allzulange sollte sich die Frau ihrer Beute er­freuen, denn mit einem Satz sprang der Vierfüßler aus seinem Versteck' hervor und mit dem Gelo davon. Bis jetzt konnte man des Häsens nicht habhaft werden und die Sache wird auch noch ein gerichtliches Nachspiel haben, da der betreffende Jagdpächter von dem Vorfall Kenntnis erhal­ten hat.

Berlin, 28. Okt. Nicht weniger als 4000 Betrugs­fälle werden bis jetzt der Seifenfirma Mosesmann und Wissing zur Last gelegt, sie sind größtenteils durch Fälschung von Scylußscheinen verübt worden. Die Untersuchung reicht auf Jahre zurück; zahlreiche Staatsanwaltschaften Deutsch­lands sind damit beschäftigt.

Die s. Zt. aus der in Wien veranstalteten Schönheits­konkurrenz als Siegerin hervorgegangene, preisgekrönte Schönheil Frau Betty Sluclard hat sich in Petersburg als Löwenbändigerin erschossen. Als Grund wirdunglückliche Liebe" angegeben.

Aus Budapest wird gemeldet: Eine interessante Epi­sode ereignete sich am Montag in Goedoello. Die Kaise­rin, aus einem Spaziergang begriffen, bemerkte auf dem Eisenbahngeleise grope Steine, eilte sofort zum nächsten Wachterhaus und erst.ttete Anzeige. Der Wächter machte das Geleise fcei, so da,; ecn oa.o kommender Zug unbe­hindert passieren konnte.

Paris, 2S. Okc. Daß der Rnffenenthusiasmus bis zum Selbstmorde führen sollte, hätte nienmad gedacht, wenn nicht eine Tyatsache vocläge. Als gestern vormittag ein Schnellzug der russischen Offiziere über die Eisenbahn­brücke bei Asnieres fuhr, schwang eine etwa 40jähri ge Frau, welche auf der dortigen Verkehrsorücke stand, wie wild russische Fahnen, ließ dann ihren Rock fallen, wickelte den Oberkörper mit Fieberhaft in die Fahnen, ries:Sie sehen uns sterben es lebe Rußland!" und warf sich