dient. Ihre Schuld, wenn von einer solchen über­haupt die Rede sein kann, bestand einfach darin, daß sie Frankreich nicht verstanden hat und von ihm nicht verstanden worden ist. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Sie hat die Schwächen und Fehler der Gemahlin Ludwigs XVI. liebevoll zuge­deckt, dagegen jene Leute, die mit ihrer Beseitigung einen Akt völlig unnützer Grausamkeit begangen ha­ben, zu dem gestempelt, was sie wirklich waren: zu einer erbärmlichen Rotte blutdürstiger Mörder!

Tages-Neuigkeiten.

Deutsches Reich.

lVi,l. Nagold, 24. Okt. Aufgemerkt, ihr Obstbäumebesitzer! Wenn wir auch unsre Obst- Ernte wie alle guten Gaben zunächst von Oben erbitten und abwarten müssen, so sollen wir doch auch die Beobachtungen unsrer Naturforscher zu unsrem Nutzen verwerten. Es ist daher jetzt höchste Zeit, daß wir gewisse Jnsektenhochzeiten fruchtlos ma­chen, das heißt, den alljährlich drohenden Schaden, besonders der Frostnachtschmetlerlinge, aber auch an­derer Obstbaum-Schädlinge (namentlich des Gold- asters, worüber Belehrung nachfolgt) soweit möglich Vorbeugen. Dies geschieht erfahrungsgemäß am besten durch den am längsten klebfähigen und wohl­feilstenRaupenleim" von Pollborn in Berlin (zu­erst im Walde gegen den Nonnenraupenschaden er­probt). Derselbe ist auch Heuer wieder von heute an bei Herrn Gärtner Raas in Nagold, und zwar ^sür Mitglieder unseres Bezirks-Obstbau-Ver- eins um 28 Pfennige pro Pfund, für Nichtmitglie­der um 30 Pfennige pro Pfund (der Uebererlös fällt in die Vereinskasse) zu beziehen, während fernd das Pfund noch 45 Pfennige kostete. Ein Pfund reicht für 4 mittelstarke Obstbäume, an welchen man auf Brusthöhe den Klebgürtel mit einem Bürstcheu 20 Cm. hoch reichlich unmittelbar aus die Rinde aufstreicht, während man an jüngeren tragfähigen Bäumen mit glatter Rinde zuvor einen ebenso hohen Streifen graues oder braunes Packpapier mit Bind­faden oben und unten möglichst fest anbindet und dann das Papier, wie bemerkt, bestreicht. So sängt und vernichtet man von Ende Oktober an die flü­gellosen und deshalb am Stamm hinaufkriechenden Weibchen des großen und kleinen Frostspanners und verhindert sie am Ablegen der Eier, aus denen im nächsten Frühling Raupen schlüpfen würden, welche an Aepfel-, Birn-, Pflaumen-, Kirschen- und Pfirsich-Bäumen nicht bloß die Blätter- und Blüten- Knospen, sonderst nachher auch vollends die Blätter benagen würden, uns also allein schon des künftigen Obst-Ertrags berauben könnten.

I Neubulach, 22. Okt. Infolge der großen Trockenheit des letzten Sommers nahmen die Quel­len unserer Wasserleitung so sehr ab, daß die Krö- ber'sche Wassersäulenpumpe statt mit 28 -30 Touren pro Minute nur noch mit 1213 zu gehen imstande war und daher täglich nur noch ca. 10000 Liter Wasser liefern konnte. Die bürgerl. Kollegien be­schlossen deshalb ein Hilfspumpwerk auszustellen. Die Lieferung wurde der bekannten Firma Klee- mann in Obertürkheim übertragen. Schon 14 Tage nach der Bestellung konnte das Werk in Be­trieb gesetzt werden. Es besteht aus einem zwei­pferdekräftigen Daimler'schen Motor (Benzin) und einer Doppelpumpe. Das Ganze beansprucht solch' geringen Raum, daß es bequem im Maschinenhaus untergebracht werden konnte. Die neue Maschine arbeitet ganz vorzüglich, indem sie, obwohl nicht die ganze Kraft des Motors benützt wird, täglich 30000 Liter Wasser liefert, wozu noch weitere 10000 Liter von der ruhig weiter pumpenden Kröber'schen Maschine zu Berge gefördert werden (165 Meter- Höhe). Die Kosten der Neuanlage belaufen sich im ganzen auf etwa 2800 . Die täglichen Betriebs­kosten verursachen einen Aufwand von etivas über 2 Mark.

Stuttgart, 22. Okt. Von dem Erdbebentheo­retiker Falb ist der nächste Mittwoch als ein kriti­scher Tag erster Ordnung bezeichnet. Auch für No­vember stellt er zwei kritische Tage in Aussicht, den 8. und den 23. Der erstere soll ein solcher zwei­ter, der letztere ein solcher erster Güte sein.

Stuttgart, 22. Okt. Der hochw. Landesbi- schos Dr. von Reiser traf gerstern abend in Stutt­gart ein und ist bei Stadlpfarrer Mangold abgestie­gen. Morgen findet in der St. Eberhardskirche, am Dienstag in der Marienkirche und am Mittwoch in Cannstatt Firmung statt.

Stuttgart, 23. Oktbr. Gestern vormittag 11 Uhr hat ein junger Mann in der Schusterstraße hier zuerst seine Geliebte und dann sich selbst durch je zwei Revolverschüsse getötet. Die Verlebten waren seit 1V> Jahren miteinander verlobt; der Vater der Braut wollte die beabsichtigte Heirat seiner Tochter nicht zugeben und hat vor einigen Tagen dem Bräu­tigam brieflich Nachricht gegeben, womit auch die Braut einverstanden war. Es läßt sich annehmen, daß der Bräutigam seine Braut ohne deren Ein­willigung und hinterlistig getötet hat.

Dörzbach, 20. Okt. Dieser Tage wurde in dem benachbarten Dorfe H. ein vor etlichen Jahren zugereister Bäcker verhaftet. Derselbe erwarb sich die Gunst seines Meisters und dessen Tochter so sehr, daß der Meister vor einem Jahre ihm das Geschäft überließ und seine Tochter zur Frau gab. Der junge Mann wird nun wegen Verdachts der Bigamie verfolgt und nach Oesterreich zurückgeliefert. Durch Bettler aus seiner Heimat soll die Sache aufgedeckt worden sein.

Heidenheim, 22. Okt. Zwei hier lebende Brü­der, Cigarrenmeister Theilacker und Bezirkskranken­kassier Theilacker, erhielten die freudige Botschaft, daß jeder von ihnen sowie noch 3 weitere Geschwister von einem Vetter in Amerika je das Sümmchen von 100000 , E erben.

Saulgau, 20. Okt. In große Verlegenheit kam ein hiesiger Kaufmann, der auf dem Bahnhofe einen Waggon Mostobst verkaufte. Sämtlicher Most wurde ihm zur Verfügung gestellt, da er infolge eines ekelerregenden (wahrscheinlich Karbol- oder Erdöl-) Geschmacks gänzlich ungenießbar war. Wahrschein­lich wurde vor Verladung des Obstes der Waggon nicht gehörig gereinigt.

Ulm, 23. Okt. In hiesigen Offizierskreisen gilt es als feststehend, daß das hiesige Dragonerregiment mit dem Stuttgarter Ulanenregiment auf 1. Oktbr. 1894 einen Garnisonstausch vornehmen wird.

Die Fürstin Josefine von Hohenzollern, das älteste Mitglied des Hohenzollernschen Gesamthauses, vollendete am Sonnabend in Sigmaringen ihr 80. Lebensjahr. Sie ist die zweite Tochter des Groß­herzogs Karl von Baden und der Großherzogin Stephanie Beauharnais, der geistvollen Adoptivtoch­ter Kaiser Napoleons I. Am 21. Okt. 1834 ver­mählte sie sich mit dem damaligen Erbprinzen, spä­teren Fürsten Karl Anton von Hohenzollern-Sigma- ringen. Fürst Karl Anton starb am 2. Juni 1885.

Dresden, 21. Okt. Wie dasDr. I." erfährt, hat der König aus Anlaß seines öOjähr. Militär- Jubiläums einer Anzahl von Militärgefangenen des Festungsgefängnisses den Rest der Strafe ent­weder ganz erlassen oder erheblich herabgesetzt, ferner- zahlreiche Gefangene der Landesanstalt Zwickau, die zu langen Freiheitsstrafen unter Entfernung aus dem Heere verurteilt waren, in Freiheit setzen lassen.

Dresden, 23. Okt. Bei dem gestrigen Em­pfang im Marmorsaale im Residenzschlosse richtete der Kaiser an den König folgende Ansprache: Ein seltenes Fest feiern Eure Majestät am heutigen Tage. 50 Jahre lang traben Eure Majestgt den Soldaten­rock, 50 Jahre militärischen Lebens sind verstrichen, eines Lebens voller Arbeit, voller Aufgaben, voll herrlicher Erinnerungen und Errungenschaften. Eure Majestät sind einer derjenigen Kämpfer, denen es Vorbehalten gewesen, mit meinem hochseligen Groß­vater und meinem Vater zusammen für des Vater­landes Sicherheit fechten zu können und die Einheit des Reiches wie die Kaiserkrone auf dem Schlacht­feld erobern zu helfen. Nach menschlichem Ermes­sen wäre es wohl möglich gewesen, wenn sowohl mein Großvater als mein geliebter Vater und Feld­marschall Graf Moltke, Exzellenz, gm heutigen Tage hätten hier sein können und freudig wären wir an­deren jüngeren ihren Schritten gefolgt, um das Zusammentreffen der Heerführer zu feiern. Die Vorsehung hat es anders beschlossen, und mir ist es nun überkommen, die gesamten Wünsche und die Huldigung des deutschen Heeres am heutigen Tage Eurer Majestät zu Füßen zu legen. Genehmigen Eure Majestät den Ausdruck unseres herzlichsten und innigsten Glückwunsches zum heutigen Tage. Die Freude, daß Eure Majestät diesen Tag in un­gebrochener Kraft und Frische und ungeminderter Arbeitslust und gleichen Interessen erleben und feiern dürfen, erfüllt unser aller Herzen. Huldigend blickt heute die Armee auf den einzigen jener großen Zeit, auf den letzten Ritter des eisernen Kreuzes

mit dem Großkreuze. Eure Majestät haben errun­gen, was dem Soldaten zu erringen nur zusteht: die höchste Ehre wurde Eurer Majestät zu teil, sich den Feldmarschallstab vor dem Feinde zu erkämpfen. Ich bitte daher Eure Majestät, den Feldmarschall­stab, welchen ich Eurer Majestät anzubieten wage, als ein Symbol meiner und meiner Armee Huldi­gung zu übernehmen und wünsche zu gleicher Zeit, daß Eure Majestät uns noch recht lange erhalten bleiben möge, daß, da der bewährten Führer und Ratgeber so viele schon aus dem Leben geschieden sind. Eure Majestät meinen. Streben und meiner Arbeit für unsere Armee mit Ihrem bewährten Rate noch lange zur Seite stehen mögen. Wir vereinigen alle diese Wünsche, die in diesem Augenblick die ge­samten kommandierenden Generale aller Armeekorps des deutschen Heeres durchzucken, in dem Rufe: Seine Majestät, der Generalfeldmarschall König von Sachsen, lebe hoch, nochmals hoch und abermals hoch!

Dresden, 23. Okt. Auf die Ansprache des Kaisers in dem Marmorsaale erwiderte der König: Durch das Erscheinen Eurer Majestät ist einem al­ten Soldaten bei seinem Jubelfeste die höchste Ehre zu Teil geworden, den Kaiser an der Spitze aller Führer des deutschen Heeres vor sich zu sehen. Ich sage Eurer Majestät meinen tiefgefühltesten Dank. Ist es mir in früheren Jahren gelungen, die Zu­friedenheit des verstorbenen Kaisers und seiner Rat­geber zu erwerben, so bin ich dafür noch im Tode denselben dankbar. Dieser Stab, den Eure Maje­stät mir jetzt verliehen, soll in meinen Händen fest und sicher sein. Sollte, was Gott verhüte, ich noch­mals gezwungen sein, für deutsches Recht und Si­cherheit auszuziehen, so werden Eure Majestät ge­wiß glauben, daß ich mit diesem Stab in der Hand meine Pflicht erfüllen werde wie in früheren Zeiten.

Dresden, 24. Okt. Die Hoffestlichkeiten an- läßlicb des Militärjubiläums Sr. Mas. des Königs endeten gestern abend mit einer großen Ballfestlich­keit'im Residenzschloffe.

Eine große öffentliche Versammlung von Hand­werksmeistern und Gewerbetreibenden hat nahezu einstimmig beschlossen, Pen Reichstag zu. ersuchen: Das Alters- und Jnvalrdrtäts-Versicherungs- gesetz dahin abzuändern, daß die Beitragszahlungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ganz aufhören, dafür aber von jedem Staatsangehörigen, je nach der Höhe seines Einkommens progressiv gesteigert, eine allgemeine Staatsrentensteuer zu erheben sei und jedem bedürftigen Staatsangehörigen das Recht eingeräumt werde, mit dem 60. Jahre eine Staats­rente von mindestens einer Mark den Tag zu be­ziehen."

Das sozialdemokratische ZentralorganVorwärts" hat gegenwärtig 42500 Abonnenten. Der Gewinn des Blattes wird für das letzte, bis Ende Juni rei­chende Jahr mit 40655 Mk. angegeben. Die Ge­samtzahl der Parteiblätter beziffert sich auf 75, wo­von 32 täglich erscheinen. Die Einnahmen der so­zialdemokratischen Parteikasse beliefen sich in dem mit dem 30. Sept. 1893 endigenden Jahr insgesamt auf 258326 Mk., die Ausgaben auf 316667 Mk.

Die Einführung eines Quittungsstempels soll nach derRhein. Wests. Ztg. in Erwägung ge­zogen werden für den Fall, daß die eine oder an­dere der in der Vorbereitung begriffenen Steuervor­lagen die Zustimmung des Reichstages nicht finden sollte.

Vom Fürsten Bismarck. DieHamb. Nachr." melden: Fürst Bismarck befindet sich immer noch in der Rekonvaleszenz, und wenn es mit dem Befin­den desselben auch langsam besser geht, so steht doch die völlige Genesung noch aus. Das Aussehen des Fürsten ist den Umständen nach ein recht gutes. Der Fürst unternimmt, nachdem er Anfangs größere Ausfahrten machte, jetzt wieder seine Spaziergänge im Park, ist aus demselben aber noch nicht wieder herausgekommen. Da Besuche mit angebrachter Rück­sichtnahme auf den immerhin schonungsdürftigen Zustand des Fürsten unterblieben, so ist es hier jetzt still geworden; nur die Familie Rantzau umgiebt den Fürsten. Die von verschiedenen Blättern ge­brachte 'Nachricht, daß der Fürst von hier nach Var- zin überzusiedeln gedenke, bestätigt sich nach einge- i zogenen Erkundigungen nicht.

! Aus Berlin wird gemeldet, es solle dort an­fangs nächster Woche eine neue Finanzminister-Kon- , sereuz stattfinden, die sich in erster Linie mit dem