Amts- und Intelligenz-Blatt für den Oberamts -Bezirk Nagold.

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1893.

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Marie Antoinette.

Am 16. Oktober d. I. waren es gerade hun­dert Jahre, büß jn Paris dieVeuve Capet" auf dem Blutgerüst geendet hat. Witwe Capet! Das ! war der einzige Titel, der der Unglücklichen übrig geblieben war, die die Geschichte als Marie Antoi­nette, Erzherzogin von Oesterreich, Königin von Frankreich, kennt. Wohl wenigen ist es beschieden gewesen, vom höchsten Gipfel irdischer Macht so tief ! in Elend und Leiden gestürzt zu werden, wie die­ser Frau. Eine Tochter der großen Maria There­sia, wurde sie schon mit 15 Jahren (1770) die Ge­mahlin des französischen Dauphins, und als dieser ! 1774 den Thron des üppigen Ludwig XV. als

Ludwig XVI. bestseg, Königin von Frankreich. Und kaum zwölf Jahre darauf begann der Anfang ihrer Leiden, die erst sieben Jahre später enden sollten,

^ allerdings nur mit dem Tod. .

! Marie Antoinette war, wie Zeitgenossen berich- > , ten, eine sehr schöne Frau, liebenswürdig, gütig und ; hochgebildet; aber durch ihr stolzes Wesen, ihre Vorliebe für aristokratischen Prunk zog sie sich die Ungunst des Volkes bald im höchsten Grad zu, wes- ( halb dieses nur zu sehr geneigt war, die Freiheiten, - die sie sich im Privatleben gestattete, so unschuldig ! sie an sich auch rparen, übel zu deuten. Das Fa- ! milienleben Ludwigs XVI. war, wie man weiß, das beste, aber Man war in Frankreich schon zu lange gewöhnt, nur Unsittlichkeit am Hof herrschen zu sehen, und die Königin that in der Lebhaftigkeit ihres Geistes nicht immer alles, um selbst den bösen Schein zu vermeiden. Dabei bewirkte sie durch ihre Neigung, deni schwachen, unselbständigen Gemahl gegenüber in alles handelnd und thätig einzugreifen, , daß man ihr alle unpopulären Maßregeln zuschrieb. Ihre Gegner, besonders der Herzog von Orleans, scheuten sich nicht,! Spottgedichte, ja Gassenlieder zu verbreiten, in denen die weibliche und die fürstliche Ehre der Königin in schmachvollster Weise angegrif­fen wurden. Daß ein solches verleumderisches Trei­ben nur zu sehr geeignet mar, den letzten Rest von Ehrfurcht gegen die Königin im Herzen des Volkes zu ersticken, ist selbstverständlich.

Es kann nicht der Zweck dieser Zeilen sein, der französischen Revolution Schritt für Schritt bis zur schließlichen Katastrophe zu folgen. Wir glauben vielmehr nur jene Momente der blutigen Bewegung hervorheben zu sollen, die mit dem Schicksal der unglücklichen Fürstin in unmittelbarem Zusammen­hang stehen. Und hier müssen wir zunächst der berühmten geheimnisvollen Halsbandgeschichte gc- i denken, die einen Skandal sondergleichen darstcllt. ! Der Königin war ein kostbarer Halsschmuck für 1600000 Francs zum Kauf angeboren, '.aber von . ihr als zu teuer zurückgewiesen worden. Ties be- s nutzte die Gräfin de Lamotte-Valois, um ein nieder­trächtiges Spiel mit der Ehre der Königin zu trei­ben. Sie wußte den sittenlosen, verschwenderischen Kardinal Rohan, Bischof von Straßburg und Groß­almosenier von Frankreich, durch gefälschte, auf den ! Namen Marie Antoinettes ausgestellte Billets glan-

! den zu machen, er könne sich durch Ankauf jenes

Schmuckes bei der Königin in Glinst setzen und die ersehnte Ministerstelle, von der die Ungnade der Letzteren ihn bisher ferngehalten hatte, erlangen. Der bethörte Kardinal, den man auf andere Weise noch vollends köderte, kaufte den Schmuck und über­gab ihn der Gräfin Lamotte-Valois, die die Steine sofort in England veräußerte. Die Sache kam an den Tag, als der Ministerposten ausblieb, und Rohan,

unfähig den 'beim Ankauf des Geschmeides ausge­stellten Wechsel zu bezahlen, in einen Prozeß ver­wickelt wurde. Der König ließ ihn (es war)am 15. August 1785) verhaften, das Pariser Parlament aber sprach ihn am 31. Mai 1786 frei. So we­nig galt dem französischen Volk bereits die Ehre derOesterreicherin", daß der Mann, der sie in gröblichster Weise beschimpft hatte, straflos ausging.

Am 5. Oktober 1789 zog ein ungeheurer Pö­belhause, größtenteils aus Weibern bestehend, unter Führung des Bastillenhelden Maillard und des als Kopfabschneider" bekannten Metzgergesellen Jour- dan, um Brod schreiend, nach Versailles, um den König zur Verlegung der Residenz nach Paris zu zwingen. In die Nationalversammlung drang der Abschaum der Pariser Bevölkerung ein und störte und beschimpfte die Deputierten. Eine Deputation ward an den König abgesandt, der begütigend ant­wortete. In der Nacht jedoch griff der Haufe das Schloß an, nachdem diePatriotinnen" die Mehr­heit der bewachenden Soldaten mit allen Verführungs­künsten für diegute Sache" gewonnen hatten, und stürmte einen Flügel des Schlosses und zwar den, in welchem die Königin wohnte. Die Leibgardisten -wurden getötet, nur mit genauer Not gelang es der Königin, in die Zimmer ihres Gemahls zu fliehen. Hier entwickelte sich eine erschütternde Scene. Die Königin schmiegte sich mit den lautweinenden Kindern zitternd au den König, der ruhig, aber totenbleich dastand. Und unter den Fenstern die tobende Volks­masse, die danach lechzte, den Kops der Königin auf ihre Piken zu pflanzen! Die Ankunft Lafaqettes und der Nationalgarden verhütete damals das Schlimmste, aber Ludwig mußte sich dazu verstehen, demVolk" nach Paris zu folgen und fortan in den Tuilerien zu wohnen. Noch ein schöner Tag, der letzte, war der Königin beschieden. Am 14. Juli 1789, dem Jahrestag der Erstürmung der Bastille, wurde auf dem mit einem amphitheatralischen Aufbau verseheneil Marsseld ein großesVerbrüderungsfest" veran­staltet. Der Erzbischof voll Autun nahm an der Spitze von 300 weißgekleideten, mit trikoloren Schär­pen versehenen Priestern -die Fahnenweihe der 83 Departements vor. Dann legte Lafayette im Na­men der Nationalgarde, der Präsident der National­versammlung und schließlich der König selbst den Eid auf die neue Verfassung ab und die ganze, aus einer halben Million Menschen bestehende Versamm­lung hob die Hände und sprach den Bürgereid nach. Es war ein großartiger Augenblick und di: Köni­gin, hingerissen von der Begeisterung, hob den klei­nen Dauphin in die Höhe lind stimmte in den all­gemeinen, spontanen Jubel ein. Aber ach, nnr zu bald wurde es klar, daß die Hoffnung, die man in ganz Europa an dieses Fest geknüpft hatte, eitel, daß das Verhängnis, das über Ludwig XVI. und den Seinen schwebte, unabwendbar war. Der Ver­such des Königs, mit seiner Familie aus Paris zu fliehen, scheiterte, er raubte dem König, dersein Volk verlassen wollte" und die geschworene Verfassung widerrief, die letzte Spur von Macht und Ansehen.

Am 17. Januar 1793 faßte der Nationalkon­vent den Beschluß, durch welchenLouis Capet" zum Tode verurteilt wurde. Zwei Stunden gönnte man ihm, um Abschied von seiner Gattin und von seinen Kindern zu nehmen. Der Abschied von De­nen, die er wehrlos und ohne zuverlässige Freunde in den Händen der Barbaren zurücklassen mußte, war ein Ausbruch langgehänsten Jammers, eine einzige, nicht endende, mit Schluchzen erfüllte Um­armung. Was in jenen Momenten das Herz der

unglücklichen Königin erfüllt haben mag, die ihren. Gemahl dem Tod entgegengehen sah und zugleich für das Leben ihrer Kinder und das ihre fürchten mußte, wer vermag es mit Worten zu schildern? Am 21. Januar siel Ludwigs Haupt. Aber noch war das Maß der Leiden Marie Antoinettes noch nicht voll. Ende Juli verfügte derWohlfahrts­ausschuß" die Trennung der Königin von ihrem Sohn. Mitten in der Nacht erschienen die Schergen im Temple, wo die entthronte Königin mit ihren Kindern weilte, und verkündeten der aus dem Schlaf Ge­schreckten den grausamen Befehl. Die Mutter aber leistete verzweifelten Widerstand; sie warf sich über das Bett, in welchem der Knabe schlief, und deckte ihn mit ihrem eigenen Leib. Ihr Heldenmut und ihre Größe im furchtbarsten Unglück hätte allen anderen Menschen Achtung und Mitleid abgenötigt, die Ja­kobiner, diese Bestien in Menschengestalt, kannten keines dieser Gefühle. Als Zureden und Drohun­gen nichts halfen, ergriff man die Prinzessin und drohte, sie niederzustoßen, wenn die Mutter den Dauphin (den Kronprinzen) nicht überliefere. Da war der Widerstand der Königin gebrochen; um das eine Kind zu retten, ließ sie sich das andere entrei­ßen. Man weiß, welches traurige Schicksal den Dauphin erwartete; er ist einem fanatischen Schuh­macher übergeben und von diesem in kurzer Zeit totgeprügelt worden. Marie Antoinette aber hatte nach der Trennung nur noch einen Wunsch, den, baldigst zu sterben. Und die Schreckensmänner, in deren Händen ihr Geschick lag, ließen sie nicht lange warten. Der sog.Wohlfahrtsausschuß" verfügte am 1. August durch den Konvent, sein willenloses Werkzeug, die Abführung derVeuve Capet" in die Conciergerie und ihre Stellung vor das Re- volutiönsgericht. In Lumpen gehüllt, abgezehrt und ergraut, 'erschien die erst achtunddreißigjährige Köni­gin am 14. Oktober nach einer achtwöchigen Hast, die von den schmählichsten Mißhandlungen begleitet war, vor den Schranken des Tribunals. Ihr Be­nehmen war von einer solchen Würde, daß das zahlreiche Publikum sich einer Regung des Mitleids und der Ehrfurcht nicht erwehren konnte. Welcher Gestalt die Anklagen waren, die man gegen sie er­hob, geht wohl zur Genüge aus der Thatsache her­vor, daß man den achtjährigen Dauphin und die zwölfjährige Prinzessin stundenlang nnt einem Ver­hör peinigte, um von ihnen zu erforschen, ob die Königin niit jenem unzüchtigen Verkehr gepflogen habe! Es gelang, den Knaben, den seinPflege­vater" Simon mit Branntwein berauscht hatte, zur Unterzeichnung einesbezüglichen Geständnisses" zu veranlassen, und an der Hand dieses schmählichen Schriftstückes wagte man es, der Königin mit der ekelhaften Beschuldigung gegenüber zu treten! Da flammte der Zorn der Gequälten empor; mit halb- erstickter Stimme rief sie ihren Peinigern zu:Eine Mutter kann auf solche Dinge nichts entgegnen; ich rufe jene Mutter an, die etwa hier anwesend ist." Dieser Appell rief ein tiefes Murren im Saal hervor und die Richter wagten nicht, auf die Sache zurückzukommen.

Das Ende konnte freilich bei den vielen schweren Vergehen, deren sich die Königin schuldig gemacht haben sollte, nicht zweifelhaft sein. Sie wurde zum Tod verurteilt und am 16. Oktober 1793 folgte sie ihrem Gemahl auf das Schaffott. Ihr Leichnam wurde mit ungelöschtem Kalk überschüttet und es war ein'Akt der Justiz" mehr geschehen. Marie Antoinette war gewiß nicht ganz frei vom Tadel, aber ein solches Schicksal hat gerade sie nicht ver-