ihrer Kamerungebiete. Dieselben sollen sich bis zum Tschadsee erstrecken, Deutschland soll der Zugang zu demselben gesichert sein. Die Nachricht lautet merkwürdig genug, da bekanntlich Frankreich seit langer Zeit bemüht ist, vom Senegal, wie von Algier aus durch die Sahara das Ufer des Tschadsees zu gewinnen und denselben zu einem französischen Gewässer zu machen. Sollte sich die Nachricht bewahrheiten, so wäre die Thatsache für Deutschland von höchster Bedeutung.
Berlin, 10. August. Die „Macht des Gesanges" verfehlt auch noch heute ihre Wirkung nicht. Der Schuhmachermeister H- pflegte seit einiger Zeit abends den Stammtisch aufzusuchen. Die Wirkung blieb dann später in der Häuslichkeit nicht aus. An einem der letzten Abende hatte er seinen gewohnten Platz wieder eingenommen und klagte bei vorgerückter Stunde etwas unruhig seinen Zechgenossen, daß ihm bei der Heimkehr nun wieder die gewohnte Gardinenpredigt bevorstehe. „Da werden wir Dir schon helfen," erscholl es aus der Tafelrunde. Kaum war später Frau H. im besten Zuge, ihrem Mann eine laute Gardinenpredigt zu halten, so erscholl plötzlich vom Hofe aus unter Leitung eines Musikers von acht kräftigen Männerkehlen das Abtsche Lied „Flüstere linde, flüstere leise, Sie ein Engel stehet hier." Die Wirkung war überraschend; verraucht war der Zorn der Frau Meisterin und sie lud sogar die lustigen Sänger zu einem Glase Bier ein.
Berlin, 12. Aug. Wie sehr die russische Regierung sich verrechnet hat, wenn sie meinte, daß infolge des Zollkriegs gegen das deutsche Reich der Roggenpreis in Deutschland so steigen würde, daß daraus Schwierigkeiten für die Volksernährung entstehen müßten, zeigt ein Vergleich der Berliner Notierungen in den Monaten Juni, Juli und August. Am 13. Juli wurde der russische Höchsttarif veröffentlicht. Bis dahin herrschte in weiten Kreisen die Ueberzeugung, daß es demnächst zu einem deutschrussischen Handelsverträge kommen werde. Am 10. Juni stand Roggen an der Berliner Getreide-Börse 146,50 am 1. Juli noch 144, aber am 15. Juli, als die Möglichkeit eines deutsch-russischen Zollkrieges schon sehr nahe gerückt war, 143 um dann unmittelbar vor dem Ausbruch des Zollkrieges am 29. Juli wieder auf 146 zu steigen. Aber in diesem Monat trat wieder ein beständiger Rückgang ein und am Donnerstag hatte Roggen mit 140,50 ^ den tiefsten Preisstand seit drei Monaten erreicht. Zeigt dieser lehrreiche Vergleich den Russen. daß sie sich gründlich verrechnet haben, als sie Deutschland aushungern zu können glaubten, so beweist er doch gleichzeitig auch unfern einheimischen Gegnern eines deutschrussischen Handelsvertrages, wie sehr sie sich täuschen, wenn sie von einer Fernhaltung des russischen Getreides von unserm Markte eine Preissteigerung erwarten.
Berlin, 13. Aug. Die Nachrichten aus Gotha lassen wohl leider dort für die nächsten Tage das Ableben des Herzogs Ernst II. und damit einen Thronwechsel in dem Doppelherzogtum Sachsen- Coburg und Gotha erwarten. Der 75jährige Herzog hat immer für sehr robust gegolten, der vor einigen Wochen eingetretene Schlaganfall indeß mußte gerade nach der Natur solcher körperlicher Anlagen für die Ankündigung des Endes gelten. Das Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha ist nach dem 11. Februar 1825 nach dem Erlöschen des älteren Hauses Sachsen-Gotha gebildet worden; damals fiel das Hauptland Gotha an die Linie Sachsen-Coburg, das jetzige Herzogtum Altenburg an die Linie Sachsen- Hildburghausen, welche dafür den nach der letztgenannten Stadt bezeichnten Besitz an Sachsen-Meiningen abtrat u. s. w. An Eifersüchteleien zwischen dem größeren aber ärmeren Gotha und dem reichen kleinen Coburg bezw. ihren Volksvertretungen hat es nicht gefehlt, und auch die Ausgleichsbemühungen des Herzogs Ernst II. sind nicht immer von Erfolg begleitet gewesen; die Sonderbarkeit der Staatsbildung zeigt sich in dem Dasein eines gemeinsamen und zweier Separatlandtage. Ueber die Persönlichkeit des Herzogs Ernst, seine Bemühungen um die deutsche Litteratur wie der nationalen Einigungsfrage wird später zu urteilen sein; für heute nur so viel, daß der dortige Thronwechsel der erste jener mehreren . vom Fürsten Bismarck vorausgesehenen Fälle mir der landesherrlichen Erbfolge außerdeutschen Fürsten in Deutschland sein würde. Der nächste Erbe des Herzogs Ernst ist sein zweiter Brudersohn, der
Herzog von Edinburg; da aber dieser Prinz englischer Admiral ist, würde die Regierung voraussichtlich an seinen Sohn fallen, der eine deutsche Erziehung erhalten hat; es ist bekanntlich der leibliche Vetter Kaiser Wilhelms II., der Schwcstersohn Alexanders III. und durch seine eigene Schwester der Schwager des künftigen Königs von Rumänien. Der erste deutsche Reichskanzler hatte seiner Zeit die Erbfolge äußer- deutscher Fürsten in Deutschland als eine Schädigung der neugeeinigteu Nation bezeichnet, worauf jene deutsche Erziehung des herzoglichen Großneffen in das Werk gesetzt wurde; eine Spitze richtete jene Aeuße- rung des Fürsten Bismarck außerdem noch nach Oldenburg , wo eventuell später ein russisch erzogener Prinz erbt, und nach Württemberg, wo das gleiche mit einem österreichisch erzogenen Prinzen der Fall sein würde; doch hat bekanntlich jetzt der Sohn des letztbezeichneten Prinzen, der junge Herzog Albrecht von Württemberg, Aufenthalt und Militärdienst im Heimatlande genommen. Unter den aus der Zeit der Reichsbegründung noch übrigen deutschen Regenten war nach dem Großherzog Friedrich von Baden Herzog Ernst jedenfalls der persönlich bedeudentste und einflußreichste.
Der „Reichsanzeiger" weist angesichts des Auftretens der Cholera in verschiedenen Staaten Europas darauf hin, daß ein erneuter Ausbruch der Cholera in Deutschland mehr als bisher zu befürchten sei. Es werden deshalb die im vorigen Jahr erlassenen Vorschriften zur Bekämpfung der Seuche in Erinnerung gebracht. Der „Reichsanzeiger" warnt vor unvorsichtigem Genuß rohen Obstes und Gemüses und vor Entnahme von Wasser aus den im vorigen Jahr verseuchten Flußläufen, und fordert zugleich auf, jede verdächtige Erkrankung ärztlich behandeln zu lassen und zur Anzeige zu bringen. Die weitere Ausbreitung der Choleraseuche sei im vorigen Jahre wesentlich durch Mitwirkung der Staatsbürger verhindert worden, und es sei zu hoffen, daß dieselben auch in diesem Jahr es an der zur Vermeidung von Gefahren unbedingt erforderlichen Mitwirkung nicht fehlen lassen werden.
Bellerreich-Ungarn.
Der Besuch des deutschen Kaisers in Pest, den die ungarische Presse als feststehend annimmt, obwohl endgültige Anordnungen noch nicht getroffen sind, beschäftigt die Geister in Ungarn schon jetzt auf's lebhafteste. Es ist ein alter Schmerz der Magyaren, daß auswärtige Herrscher den Monarchen meist auf österreichischem Gebiete, in Wien treffen, daß er sich bei solchen Gelegenheiten als Kaiser von Oesterreich und nicht als König von Ungarn darstellt. „Pest Naplo", eines der deutschfeindlichen Blätter Ungarns, begrüßt schon jetzt die bevorstehende Ankunft Kaiser Wilhelms mit einem Leitartikel voller Sympathie.
Pest. 14. Aug. In Oberungarn sind verheerende Wolkenbrüche niedergegangen, fast alle Gemeinden der Gegend Eperies sind überflutet, viele Häuser sind eingestürzt, zahlreiche Personen verloren das Leben. Die im Bau begriffenen oberungarischen Eisenbahnen sollen stark beschädigt sein.
P e st, 14. Aug. Nach weiteren Meldungen aus Eperies ist der Fluß Szekcsoe infolge starker Re- gengüsse ausgetreten. Die umliegenden Ortschaften sind überschwemmt, viele Häuser wurden weggerissen, mehrere Personen fanden dabei ihren Tod. In Vo- rocso wurde eine Baracke fortgeschwemmt, eine Fatni- lie von 7 Köpfen und 6 Arbeiter kamen dabei um.
Frankreich.
Der Rechtsbeistand der Gläubiger ves Panama- Unternehmens beanspruchen von dem Ingenieur Eiffel einen Schadenersatz von 18 Millionen Frcs.
Italien.
Nach Nachrichten aus Rom wurde ein Teil des Marktfleckens Mattinata (Provinz Foggia) durch ein Erdbeben zerstört. Mehrere Personen wurden getötet, viele verwundet. Auf der Insel Stromboli fand ebenfalls ein heftiges Erdbeben und darauf ein Ausbruch des Vulkans statt.
-leisere Mltteilssse«.
Blaubeuren, 9. Aug. Am letzten Montag ereignete sich in Oppingen ein schwerer llnglücks- fall. Der 67jährige Adlerwirt I l g fuhr am Mittag mit wenigen Garben nach Hause. Nicht weit von dem Dorfe wich eine Garbe, so daß der Mann mit derselben hinter die Pferde fiel. Dadurch erschreckt,
rannten die Pferde davon und schleiften Jlg einige Schritte unter dem Wagen mit fort. Es wurden ihm beide Füße abgefahren, sowie das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht. Der Verunglückte war noch vier Stunden bei klarem Bewußtsein, dann trat der Tod ein.
Ein witziger Durchgänger ist der Uhrmacher Lemmes aus Wiebelskirchen, Kreis Ottweiler, welcher vor kurzem unter Hinterlassung vieler Schulden das Weite suchte. Von der Schweiz aus benachrichtigte er seine trauernden Gläubiger von seinem Verduften mit der brieflichen Scherzfrage: „Welche Aehnlichkeit besteht zwischen Lemmes und der Militärvorlage?" Die in umgekehrter Schrift beigeführte Antwort lautete: „Beide sind durchgegangen."
Aus Frankfurt a. M. wird gemeldet: Einem reichen Russen wurden im Luftkurort Königsteiu 80000 Rubel gestohlen. Die sofort telegraphisch benachrichtigte Frankfurter Polizei entsandte einen Kommissär mit Schutzleuten, welche den Eisenbahnzug Cronberg- Frankfurt auf offener Strecke stellten und alle Rei- senden visitierten. Eine Person wurde verhaftet, doch stellte sich alsbald deren Unschuld heraus; der wirkliche Thäter entkam inzwischen.
Spandau, 14. Aug. Auf die hiesige Polizeiwache brachte ein hiesiger Schlosser ein Paket, welches er von einem aus Kiel gekommenen Arbeiter zugeschickt erhalten hatte. Das Paket enthielt eine Höllenmaschine, welche auf der Polizeiwache explodierte, ohne Schaden anzurichten. Der Absender ist verhaftet.
Im Besitze des in Graz wohnhaften Gutsbesitzers Baumgärtner befindet sich als ein Andenken an anno 71 der Schlüssel eines Pariser Stadt- thores. Laut eines dem Schlüssel angehängten Zettels hat ein Württemberger, der im Jahre 1871 bei dem Thore, „wo die Preußen und Württemberger eingezogen sind", auf Posten stand, den Schlüssel abgezogen und mitgenommen. Der Mann war ein gelernter Schlosser und hat den großen Schlüssel wohl hauptsächlich wegen der schönen Arbeit zu sich gesteckt.
Bayreuth, 13. Aug. In Creussen sind 37 Wohngebäude und 13 Nebenhäuser niedergebrannt. Ein Feuerwehrmann kam dabei ums Leben, einer wurde schwer verletzt und einer wird noch vermißt. Das Feuer wurde durch ein 3jähriges Kind verursacht, das mit Zündhölzchen spielte.
Eine schöne Ausrede. Ein Angeklagter, der des Holzdiebstahls überführt wurde, soll zu seiner Entschuldigung angeführt haben, daß Schiller durch sein Wort: „Nehmet Holz vom Fichtenstamme," ihn zu der That verleitet habe. An diese Anekdote erinnert eine Ausrede, die dieser Tage der des Diebstahls beschuldigte Schlächtergeselle Robert Galle vor der 131. Abteilung des Berliner Schöffengerichts vorbrachte. Am 19. Juni 1893 war der Angeschuldigte mit einem leeren Schlächterwagen, der vor der Zentral-Markthalle hielt, während der Führer sich auf kurze Zeit ins Innere der Halle begeben hatte, davongefahren. Der Dieb wurde eingeholt, erhielt zunächst einen fühlbaren Denkzettel, und wurde dann verhaftet. Im Termine behauptete Galle, daß er nur das „Opfer seiner Gefälligkeit" geworden sei. Er habe zufällig neben dem Wagen gestanden, als ein Schutzmann ihn mit den Worten angefahren habe: „Machen Sie, daß Sie mit dem Fuhrwerk fortkom- men, Sie dürfen hier nicht halten!" Der Angeklagte will gedacht haben, daß er den Führer vor einem Strafmandat bewahren könnte, wenn er den Schutzmann in seinem Irrtum beließ! Er habe deshalb den Wagen bestiegen und sei langsam davon gefahren in der Absicht, „nur eine kleine Rundtonr zu machen, um dem Schutzmann aus den Augen zu kommen." Diese Ausrede des Angeklagten erregte allgemeine Heiterkeit, fand beim Gerichtshöfe aber leider keinen Glauben, denn er verurteilte den „gefälligen" Mann zu drei Monaten Gefängnis.
Ein schreckliches Familiendrama hat sich in Werb abgespielt. Der Pferdehändler M. daselbst war mit seinem hochbetagten Vater in Wortwechsel geraten. Als der alte Mann nicht nachgeben wollte, riß der Bube einen Revolver aus der Tasche und feuerte zwei Schüsse auf den Greis; die Kugeln drangen in die Brust. Ein dritter Schuß traf die eigene Frau des Unholds, welche ihr Kind auf dem Arme, sich zwischen die Streitenden geworfen hatte; das Kind blieb unverletzt. Die auf das Wehegeschrei zu Hilfe eilenden Nachbarn wurden ebenfalls von Schüssen