Vorlage sei eine bloße Zufallsmehrheit gewesen. Die Polen hätten nur aus taktischen Gründen dafür gestimmt. Die militärischen Ausgaben halten die Völker davon ab, den notwendigen Kulturaufgaben gerecht zu werden. Frankreich könne man für die Vorlage nicht ins Feld führen, da es an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt sei. Auch der italienische Kriegsmiknster habe erklärt, daß Italien die militärischen Lasten auf die Dauer nicht ertragen könne. Das seien Symptome, welche beweisen, daß alle Staaten eifrig den Krieg verhüten werden. Deutschland habe also gar keine Ursache, auf dem betretenen Wege fortzuschreiten. So lange das heutige politische und ökonomische System in Rußland herrsche, könne auch dieses nicht daran denken, einen Krieg gegen Westeuropa zu führen. Die Sozialdemokraten anerkennen, daß bei den heutigen Verhältnissen jeder europäische Staat gerüstet sein müsse, um sich gegen Angriffe zu verteidigen. Im Verteidigungskampfe würde Deutschland nicht nur durch die Bourgeois, sondern auch durch die Arbeiterklassen gerettet werden, aber Deutschland müsse seine militärische Organisation so gestalten, daß dem Volke nicht unerschwingliche Kosten daraus erwüchsen. Redner verbreitet sich darauf ausführlich über die Scharnhorstschen Organisativnspläne.
Stuttgart, 15. Juli. (Privattelegramm des Gesellschafter.) Berlin. (Reichstag.) Die Militärvorlage wurde mit 201 gegen 185 Stimmen angenommen. Mehrheit und Minderheit setzte sich aus denselben Stimmen zusammen wie bei der zweiten Lesung. Mit Ja stimmten u. a. Graf Bismarck, Lender (Zentrum), Prinz Arenberg, Ahlwardt, Liebermann von Sounenberg.
Stuttgart, 15. Juli. Wie sich der „Figaro" aus Berlin depeschieren läßt, sei eine Auszeichnung Caprivis durch den Kaiser zu erwarten. Vielfach werde angenommen, Caprivi werde den Titel „Fürst" erhalten. (?) Der Kaffer habe, als ihm Caprivi die Nachricht von der Annahme der Vorlage mitgcteilt habe, seine lebhafteste Freude kundgegeben. — Einem Privattelegramm der „Hamb. Nachr." zufolge wäre im Dongebiet in Südrußland die Pest«ausgebrochen.
Von den württembergischen Reichstagsabgeordneten sind in die Kommission des Reichstags gewählt: Ehni, Grübe, Freih. v. Gültlingen; Siegle in die Kommission für den Reichshaushalts-Etat; Galler in die Kommission für die Petitionen.
Cannstatt. Nachdem die letzte Gewerbe-Ausstellung in Cannstatt vor 30 Jahren staltgefunden, hat sich sowohl die Gewerbe» als Fabritthätigkeil bei einer inzwischen auf's dreifache angewachsenen Bevölkerungsz ffer derart gehoben und ausgedehnt, daß schon die>er Umstand neben anderen lokalen Gründen, wie Volksfest, Wanderoersammlung, Eröffnung der neuen Brücke, für den hiesigen Gewerln- verein bestimmend war, wieder mit einer Ausfüllung hervorzutreten, die im Kleinen wie im Großen den jetzigen Stand unserer sehr entwickelten Gewerbe- lhatigkeit vorführen soll. Die Ausstellung wird vom 0. August bis Anfang Oktober, wie es auf den eben ausgegebenen Plakaten lautet, stattfindcn, und es sind die Bauten der Maschinenhallen und offenen Ausstellungshallen und die Einrichtungen in der neu erstellten Turnhalle für Kleingewerbe, sowie die gärtnerischen Anlagen schon so weit gediehen, daß sie uns über die Größe und den Umfang hinreichend orientieren ui d einen befriedigenden Schluß auf das Ganze zulasten. Die Gewerbelhäugkeit selbst wird in einzelnen Branchen den Besuchern der Ausstellung vorgeführt, insbesondere werden auch Elektromotoren ihre Leistungen und ihren sicheren, regelmäßigen Gang zeigen. Zu letzterem Zwecke wird die in Betrieb gesetzte Dynamomaschine dienen; sie soll aber auch der Concerte und Abendunterhaltungen wegen, für die in ausgiebiger Weise gesorgt werden wird, zur Speisung von 18 Bogenlampen und 40 Glühlichlern verwendet werden.
Eggingen, 10. Juli. Wie alljährlich, so wurde auch Heuer >m April das Gras in den Waldungen des Freiherrn v. Ulm-Erbach verkauft und von den Käufern bezahlt. Mit Eintritt der Notlage hat nun der Herr Baron v. Ulm-Erbach den Gcsamter- lvs in der Höhe von etwa 200 — mit einer
Liste der Käufer an die Gemeindepflege zurückgesandt und die Weisung gegeben, daß jedem Käufer sein Betrag zurückbezahlt werde und daß das Gras ganz kostenfrei abgeholt werden dürfe. Außerdem hat der
Herr Baron die weitgehendste Ausnützung seiner Waldungen gestattet, um so viel wie möglich dem landwirtschaftlichen Notstand zu begegnen. Die Gemeinde weiß diese hochherzige Gesinnung sehr zu schätzen und ist dem edlen Geber von Herzen dankbar!
Ell Wangen, 13. Juli. Die seit 8 Tagen mehrfach niedergegangenen Regen haben dem bebauten Felde und namentlich dem Getreide die notwendige Feuchtigkeit gebracht, für die Wiesen wäre eine gründlichere Durchfeuchtung zu wünschen gewesen. Immerhin hat sich die Besorgnis der Landleute etwas gelegt und ist der Verschleuderung des Bieh- stands Einhalt gethan worden, auch die Vieh- und Fleischpreise haben sich schon wieder merklich gehoben. Wenn die gebotenen Hilfsmittel verständig benützt werden und die seither mehrfach vermißte Selbsthilfe sich energisch bethätigt, dürfte die Höhe des Notstands für uns überschritten sein.
Friedrichshafen. 13. Juli. Der Empfang unseres Herrn Bischofs seitens der beiden Majestäten war ein überaus huldvoller, freundlicher und herzlicher. Während der Audienz wurde dem Bischof von Seiner Majestät persönlich das Komturkreuz des Ordens der württembergischen Krone überreicht. Ueber Tisch trank Seim Majestät auf die Gesundheit des Bischofs.
In Bruchsal ist am 12. d. M. infolge Blitzschlags das Militär-Fouragemagazin abgebrannt.
Görlitz, 14. Juli. Auf der Station Kohlen- furt erfolgte infolge falscher Signalisierung eines Stationsbeamten ein gewaltiger Zusammenstoß zweier Güterzüge. 39 Wagen wurden zertrümmert.
Die Trockenheit hat den Wasserstand zahlreicher deutscher Flüsse auf ein derartig niedriges Niveau herabgedrückt, daß die Binnenschifffahrt teils hat ganz eingestellt werden müssen, teils nur unier großen Schwierigkeiten und in wesentlich reduzieriem Maße betrieben werden kann. Auf der Oberweser z. B. ist der Schifffahrtsbetrieb völlig lahm gelegt. Die Fulda liegt bis auf ein schmales Rinnsal inmitten des Flußbettes gänzlich trocken. Auf der oberen Oder veringert sich der Wasserstau!) so schnell, daß die völlige Einstellung des Schifffahrlsbelriebes nur als eine Frage kurz bemessener Frist erscheint. Und io sieht es im mittleren Deuischland fast überall aus. Nur für die Flußkanalisationsarbeiten und Korrek- tionsarbeilen, wo solche im Gange sind, ist der nied rige Stand von Vorteil. Gedachte Arbeiten schreiten denn auch überall rüstig vorwärts.
Posen, 12. Juli. 75 Soldaten des hiesigen Husaren-Regiments erkrankten nach Genuß von Flcisch- wurst. Ein Teil derselben befindet sich bereits in der Besserung.
Seitens der preußischen Regierung sind die Kreisschulinspektoren veranlaßt worden, allen Lehrern ihrer Bezirke die Versicherung ihres Mobiliars gegen Feuecsgefahr zur Pflicht zu machen und ihnen hierbei zu bedeuten, daß sie beim Unterlassen der Versicherung im Falle des Verlustes ihrer Habe durch Feuer auf die Gewährung einer Unterstützung um jo weniger zu rechnen hätten, als Gewicht darauf gelegt werden muß, daß auch in dieser Beziehung die Lehrer mit gutem Beispiel vorangehen.
Berlin. l4. Juli. Bei vollbesetztem Hause und überfüllten Tribünen erfolgte gestern die Abstimmung über den Paragraphen 1 der Militärvor- läge. Lautlose Stille trat ein. Nur das gleichmäßige geschäftsmäßige Aufrufen von Namen, das laute schnelle Antworten „Ja", „Nein" war zu hören. Line lebhafte Bewegung giug durch das Haus, als Gras Herbert Bismarck mit einem vernehmlichen „Ja" antwortete. Ehe noch das offizielle Resultat verkündet worden war. sah man am Bundesratstische Caprivi von Glückwünschenden umgeben; der bayrische Bevollmächtigte Graf Lerchenfeld schüttelte ihm herzlich die Hand. Der Kanzler blieb ernst; keine Miene verriet, daß er die Schlacht gewonnen habe. Unter gespanntester Stille verkündete der Präsident das Resultat der Abstimmung. Rufe des Erstaunens ertönten über die geringe Mehrheit.
Berlin, 15. Juli. Der „Vorwärts" meldet: Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie tritt am 22. Oktober in Köln zusammen.
Berlin, 15. Juli. Wie die Nordd. Allg. Ztg. mittcilt, werden aus Anlaß der Futternot die Truppen bei Manövern nur dahin gelegt werden, wo es ohne erhebliche Nachteile für die Bevölkerung geschehen könne.
Deutscher Reichstag. In der Tonnerstagssitzung erledigte der Reichstag zunächst die Jnteipellation des Abg. Osann (natlib.), im Hinbltck auf die in weiten Gebieten des deutschen Reiches herrschende Futternot in diesen Bezirken die diesjährigen Manöver ausfallen zu lasse». Kriegsminister v. Kaltenborn-Stachau erwiderte, daß bereits Erhebungen in dieser Frage veranlagt seien, daß dieselben aber noch nicht zur Aufhebung der Manöverordres geführt hätten. Jedenfalls würde durch Anlage von Proviantmagazinen ec. auf die Landwirtschaft thunlichst Rücksicht genommen. Der bayerische und der württembergische Kriegsminister erklären ebenfalls, auf die Landwirtschaft solle thunlichst Rücksicht genommen werden. Abg. Broekmnnn sCtr.), Frege (kons.), Burger >Ctr), Köhler (Antisemit), Schönlank (Soz.), Küh r (Soz.), Graf Limburg- Stirum (kons.) wünschen ebenfalls Berücksichtigung der not- leidenden Bezirke. Damit ist die Interpellation erledigt, ein Beschluß wird nicht gefaßt. Es folgt zioeite Beratung der Militärvorlage. Abg. Graf Hompesch (Ctr.) protestiert gegen die treuliche Bemerkung des Reichskanzlers, das Centrum sei eine demokratische Partei geworden. Abg Lieber (Ctr.) schließt sich dem an und erklärt das Centrnm für eine politische Partei. Reichskanzler Graf Caprivi spricht seine Befriedigung über diese Erklärungen aus. Abg. Zimmermann (Antisemit) und Graf Moltke (freikons.) sind für die Vorlage. ZI, der Hauptparagraph, welcher die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke feststem, wird hiernach mit 198 gegen 187 Stimmen angenommen. Dafür stimmen Konservative, Freikonservative, Nationallibcrale, Polen, Frcis. Vereinigung, Antisemiten, von welchen Ahlwardt, v. Liebermann, Lauß fehlen und die Centrumsleute Lender und Prinz Arenberg; zu Artikel 2 liegt der Antrag Carolath vor, welcher besagt, daß für die Dauer der Bewilligung der neuen Friedensstärke an der zweijährigen Dienstzeit festzuhalte» ist. Reichskanzler Graf Caprivi bezeichnet« den Antrag als unschäslich, aber auch als überflüssig. Die Abstimmung darüber findet Freitag statt. Der neue Nahtragselat wird der Bndgetkomnüision überwiesen.
Die Reise des Kaiserpaares. Nach Schluß des Reichstages wird, wie die „Kreuzztg." hört, der Kaiser mit der Kaiserin und zahlreichem Gefolge auf der Jacht „Hohenzollern" eine Seereise in der Ostsee unternehmen, auf welcher voraussichtlich Born- Holm und Gothland werden berührt werden. Da der Kaiser der zwischen dem I. und 8. August in Co- wcs statlfindenden Regatta wie im vorigen Jahre beiwohnen wird, so wird die Kaiserin in Kiel vcr» bleiben, während das Gefolge den Kaiser nach England begleitet.
F r a n k r e i >ch,
Paris, 15. Juli. Em lMhriger Knabe beging Selbstmord, indem er sich mehrere R.wolver- schüsse im Unterleib veibrachre, um nicht Hungers zu sterben, weil seine Eltern ihn foctgejagt hatten.
Paris, 15. Juli. Das Nationalsest nahm einen lebhaften Verlauf. Es fanden zahlreiche Ballfestlichkeiten statt. Die Straßen waren glänzend illuminiert; Ruhestörungen sind nicht oorgekommen.
Paris. 15. Juli. Anläßlich des Nauonalfestes verfügte das Ministerium die bedingte Entlassung von 344 Verurteilten.
Rouen, 15. Juli. Die hiesige Feuerwerkfabrik ist in die Luft geflogen. Sämtliche Arbeiter wurden verwundet, der Besitzer lebensgefährlich verletzt, seine Frau wurde vollständig zerrissen und blieb auf der Stelle tot. Sein Schwager, zwei andere Frauen und zwei Kinder wurden lebensgefährlich verletzt.
Belgien-Holland.
Brüssel, 13. Juli. Bei dem Konkurrenzarm- krustschießen in Bonsecours wurde infolge eines nationalen Streites ein französischer Schütze von den Belgiern totgeschlagen und zahlreiche andere schwer verwundet. Die Untersuchung ist eingeleitet.
Italien.
Rom, 11. Juli. Infolge der „Entdeckung" einer angeblich wunderthätigen Madonna im Mailänder Dom fanden dort gestern und vorgestern wüste antiklerikale Tumulte statt. Eine die Straßen durchziehende große Prozession wurde von den Antiklerikalen beschimpft und zersprengt; darauf zerschlug die Menge sämtliche Fenster der Redaktion des klerikalen Blattes „Lega Lombarda" und des katholischen Klubs und verübte weiteren Unfug, ohne daß die Polizei einschritt.
Rußland.
Der Großfürst-Thronfolger ist wieder in Petersburg angekommen und hat dem deutschen Kaiser sofort telegraphisch seinen nochmaligen Dank für, den herzlichen Empfang in Potsdam ausgesprochen. — In Shitomir im Bezirk Wolhynien ist soeben mit Verurteilung der meisten Angeklagten zu langjähriger Zwangsarbeit ein umfangreicher Kriminalprozeß zum Abschluß gekommen, indem eine große Menge Juden angeklagt war, einen christlichen Russen, der eine Jüdin heiraten wollte, ermordet zu haben, um die Heirat zu verhindern. Das Gericht erachtete