waren und weil selbst die kleine Minderheit der damals übermäßig Bevorrechtigten aller Teilnahme und Interessen an der politischen Arbeit sich entwöhnt hatte. Diese Erfahrung predigt uns auss kräftigste die Erfüllung unserer Pflichten gegen Staat und Gesellschaft, Recht und Ordnung. Nur dann, wenn es je denkbar wäre, daß bei uns die „herrschenden Klassen:" Königtum, Beamtentum, Adel, Geistlichkeit, Gelehrtenstand, Bürgertum in Stadt und Land, unser arbeitendes Volk so hartherzig und unchristlich ausbeuten würden wie in Frankreich vor 1789 — und nur dann, wenn diese „herrschenden Stände," wie in Frankreich vor 1789, jeder Teilnahme an politischen^Dingen entsagt hätten, wäre ein Sieg unserer roten Umsturzpartei denkbar. Daraus ergiebt sich für uns die doppelte Pflicht: auf den Bahnen der großartigen sozialpolitischen Gesetzgebung des deutschen Reiches fortschreitend, jedem berechtigten Anspruch unserer Arbeiterschaft Ohr und Herz zu bieten und unsere Beteiligung am öffentlichen Leben unseres Volkes nie zu versagen, in ihr unser vornehmstes Recht, aber auch unsere vornehmste Pflicht zu erblicken."
Berlin, 16. Juni. Sozialvemokraten wählten: Zwickau, Nürnberg, Glauchau, Braunschweig. Aipzig Land, München 2, Berlin 4, Berlin 6. Zentrum: Krefeld. Nationalliberale: Worms, Essen.
Berlin, 17. Juni. Der deutsche Bauernbund nahm endgültig den Antrag an, sich aufzulösen und sein Vermögen an den Bund der Landwirte abzuführen.
Berlin, 17. Juni. Bis jetzt sind 318 Wahlresultate bekannt; davon sind definitiv gewählt: 38 Konservative, 15 Nationalliberale, 58 Zentrum, 23 Sozialdemokraten, 5 süddeutsche Volkspartei, 4 freisinnige Vereinigung, 14 Polen, 6 Elsässer. 2 Antisemiten, je 1 Däne, l Wildliberaler. 1 Bauernbündler. Es finden 150 Stichwahlen statt.
Berlin, 17. Juni. Die Freisinnigen verloren endgiltig 25 Wahlkreise; kein einziger von der Richtergruppe ist gewählt. Diese Partei wird vielleicht auf höchstens ein Dutzend zusammenschmelzen. Die Konservativen behaupten ihre eigentlichen ostelbischen Stammsitze gut. ihre sächsischen Mandate gehen großenteils an die Antisemiten über. Ahlwardt ist doppelt gewählt. Herbert Bismarck eroberte einen freisinnigen Wahlkreis. Beachtung findet die Wiederwahl sämtlicher militärfreundlicher Polen, auch die Wahl mehrerer militörsreundlicher Altdeutschen in Elsaß. Bayerische Nachrichten melden ansehnliche Erfolge der gegen das Zentrum gerichteten agrarischen und partikularistischen Kandidaten.
Berlin, 17. Juni. Entgegen den bisherigen Meldungen ist kein einziger Abgeordneter von der Partei Richter gewählt. Dieselbe hat bis jetzt endgiltig 23 Mandate verloren. Die 5 Rich- terianer, die als gewählt bezeichnet wurden, sind die 5 südd. Bolksparteiler. Im Wahlkreis Jericho kommt Graf Herbert Bismarck mit dem bish. freisinnigen Abg. Wöllmer in die Stichwahl.
Besterrrich-Ungarn.
Den großen Herbstmanövern in Ungarn werden, wie Pesrec Blätter melden, außer dem deutschen Kaiser auch König Humbert von Italien, der russische Thronfolger und der Kronprinz von Dänemark als Gaste des Kaisers Franz Josef beiwohnen. Das Hauptquartier soll in Gnens aufgejchlagen werden.
Frankreich.
Paris, 12. Juni. Der „Figaro" läßt sich ous Konstannnvpel folgende entsetzliche Meldung telegraphieren, die wir der Kuriosität halber wiedergeben : „Die Ausbreitung der Deutschen in der Türkei vollzieht sich methodisch nach bestimmten, von Berlin aus gegebenen Anweisungen und Plänen. Gruppen deutscher Gewerbetreibender, Industrieller, Ingenieure, Landwirthe, wohl auch Offiziere, die als einfache Touristen verkleidet sind, überziehen Kleinasien nach allen Richtungen, bisweilen begleitet von Mitgliedern des deutschen Bolschasts- oder Konsulatspersonals, und durchforschen das Land aufs gründlichste. Wenn die anderen europäischen Mächte, die im Orient Interessen zu vertreten haben, nicht zeitig dagegen handeln, wird bald der größte Teil der asiatischen Provinzen des otlvmanischen Reichs moralisch von den Deutschen m Besitz genommen sein . . . ." Sollte in Paris die Hitze schon so hoch gestiegen sein?" .. ..
Paris, 15. Juni. Die bekannte Frau Juliette Adam beschwört in einem von: „Journal" veröffent
lichten Artikel die Elsaß-Lothringer, Gegner der Militärvorlage zu wählen. Sie schließt: „Ich bete zu Gott, der Frankreich beschützt und Gott Lothringens ist, er möge in die Seelen unserer Landsleute die Ueberzeugung einpflanzen, daß es ihm genüge, wenn man christlich und deutschfeundlich ist." (Der Chauvinismus dieses Weibes ist, wie man sieht, nicht mehr weit vom Wahnsinn entfernt. Und wir müssen uns sagen, daß viele Tausende ihrer Landsleute ebenso empfinden» wenn sie es auch weniger leidenschaftlich äußern. Bei solchen Gesinnungen unserer Nachbarn sollen wir an den Bestand des Friedens glauben?)
Es stellt sich offiziell heraus, daß die Franzosen nach ihrer Gewohnheit die Nachrichten vom Ausbruch der Cholera auch in diesem Jahre wieder gewaltig vertuschen. So sind in Lorient in den letzten Wochen 500 Erkrankungen und 178 Todesfälle an Cholera vorgekommen, über welche aus Paris fast nichts gemeldet ist.
Der „Lanterne" zufolge ist die Gesundheit Carnots ernstlich erschüttert. Seine Umgebung ist sehr besorgt.
Auch in vielen Teilen Frankreichs herrscht große Dürre. Inmitten des Flusses Doubs, etwas unterhalb St. Ursanne, ist jetzt ein Felsblock zu sehen, auf dem die Worte eingemeißelt sind: „Wenn ihr mich Wiedersehen werdet, werdet ihr weinen." Man nimmt an, daß seit 200 Jahren niemals eine gleiche Trockenheit wie in diesem Frühjahr geherrscht hat.
Toulon. 17. Juni. An Bord des „Formi- dable" platzte eine Kanone und tötete 22 Mann.
Epinal, 17. Juni. Die Landleute schlachten all ihr Vieh. Pferde werden für 5 bis 10 Frcs. verkauft. Biele Pferde werden ebenfalls getötet. Die Fulternot ist unbeschreiblich.
Ein neues russisch-französisches Verbrüderungsfest. In Algier besichtigte am Freitag Großfürst Alexis die französische Flotte und hielt eine Ansprache an die Offiziere, worin er auf die hohe Aufgabe hinwies, die sie erfüllen sollen. Nähere Meldungen fehlen noch, dagegen liegen solche von einem derartigen Feste aus Saigon vor, wo ein russisches Geschwader kürzlich ankerte. Ein Kapitän Despac sagte in seinem Trinkspruch: „Angesichts des rührenden herrlichen Schauspiels, welches ich vor Augen habe, fühle ich meine Hoffnung wachsen, unser unlängst so unglückliches und heute noch in so grausamer Weise verstümmeltes Vaterland wieder vollständig zu sehen nach der Rückeroberung von Elsaß'Lothringen, glorreich unterstützt in dieser heilige» Aufgabe durch die russischen Armeen. Ja wohl, wenn das bürgerliche Frankreich, d. h. unsere Re- servisten und Landwehrmänner sich im Süden Deutschlands unter unfern Fahnen sammeln werden, dann wissen wir, daß im Norden die russische Fahne flattern wird, und ich sehe schon, wie die Banner der beiden vereinten Nationen die alliierten Bataillone durch Europa geleiten, bis sie Zusammentreffen, nachdem sie auf ihrem Triumhpzuge alle Hindernisse überwunden haben. . . Unsere Hände drücken sich brüderlich, meine Herren russischen Offiziere, aber mit welcher stolzen Herzensergießung werden sie sich nach dem Siege drücken, wenn Russen und Franzosen sich vereinigt haben werden. Alle bedeckt mit demselben Ruhme, wenu der Beistand der befreundeten Armee und Flotte es uns ermöglicht haben wird, unsere glorreiche Trikolore wieder an den ehemaligen Grenzen aufzupflanzen. Meine Herren, ich trinke auf den Zaren und seine Allerhöchste Familie, aus Rußland, auf die russische Armee und Marine, auf Frankreich, auf Elsaß-Lothringen."
Rußland.
Giers wurde vom Kaiser empfangen und übernimmt wiederum die Leitung des Auswärtigen.
Die Thatsache. daß Herr v. Giers die Leitung des Auswärtigen Amtes in Rußland wieder übernommen hat, wird vielfach, namentlich in Oesterreich- Ungarn, als Zeichen für eine Besserung der politischen Lage aufgefaßt. Es ist jedenfalls bezeichnend, daß der Zar gerade jetzt auf die Dienste des Staatsmannes nicht verzichten will, der in Europa als Repräsentant der friedlichen Tendenzen Rußlands betrachtet wird.
Asien.
Nach einer Meldung der „Daily News" aus Kairo kommen in Mekka im Durchschnitt täglich 50 Todesfälle infolge von Cholera vor. (Nach einer Meldung des Bureau Reuter seit Freitag 155).
China.
Hungersnot in China. Die seit einiger Zeit in der chinesischen Provinz Schonst herrschende Hungersnot, die in Folge einer langen Dürre ausbrach, hat, dem „O. Ll." zufolge, Tausende von Opfern gefordert. In der bedeutenden Stadt Kuei-Hun-tschang sollen allein gegen 10 000 Personen des Hungers gestorben sein und auf dem Lande ist die Todesrate verhältnismäßig noch bedeutender gewesen. Aus verschiedenen Quellen sind bis Ende April gegen 1400000 Taels zur Unterstützung der Notdürftigen zusammengebracht worden; außerdem schenkte die Regierung 200 000 Säcke Reis. Die Hungersnot soll noch entsetzlicher sein, als die, welche in Schaust und anderen Provinzen Chinas in den Jahren 1876 dis 1878 herrschte.
Klkluere Mittkilange».
Kempten, 14. Juni. In Stein (bei Jmmen- stadt) brach am Dienstag früh gegen 3 Uhr in der Aicheles-Sägemühle Feuer aus, das rasend schnell um sich griff und das ganze Anwesen vollständig einäscherte. Leider sind diesem Brande auch vier junge Menschenleben zum Opfer gefallen.
Geschäftspraktiken. Wie das Geschäft mit sog. „Gelegenheitskäufen" gemacht wird, darüber wird der „K. V-Z." aus Berlin geschrieben: „Durch Seewasser leicht beschädigte Tuchstoffe," „aus Resten gearbeitete Hosen," „Teppichreste," u. s. w. sind in Berlin sehr beliebte Berkanfsarükel. Von den unzähligen „Konkursmassen" wollen wir gar mehr einmal reden. Allein die angeblich durch Seewasser beschädigten Stoffe sind nicht beschädigt und haben auch niemals Seewasser geschmeckt. Die Teppichreste sind vielfach sehr große Teppiche, die aus Renten geardeiteien Hosen werden zu Tausenden fabriziert. Was soll nun die „Geschäftspraxis," die eigenen Waren gewissermaßen als minderwertig hinzustellen? Weil das Publikum glaubt, ans diese Art billige „Gelegenheitskäufe" zu machen. Besonders die geschätzten Damen beißen gern an auf solche Köder. Man nimmt einen billigen Damenk eiderstoff, dcr sonst das Meter 2 </A 50 kostet, setzt den Preis auf 3 fest und sigt zu der kaufenden Dame: „Seheil Sie, gnädige Frau, von diesem Stoff kostet das Meter sonst 5 ^l, jetzt ist es durch Seewasscr beschädigt weil es sich ans einem Schiffe befand, das, von England kommend, in der Nordsee einen Leck bekam; deshalb bekommen Sie cs jetzt zu 3 selbstredend kann auch das schärfste Auge von dieser Beschädigung nichts entdecken — dann fügt der Verkäufer: „Gnädige Frau haben Glück, das ist gerade ein Stück Tuch, das gar nicht gelitten zu haben scheint; aber wir sind kulant und nehmen doch nicht mehr als 3 dafür." „Solchen Verführuugsieden kann keine Dame widerstehen, sie kauft so v:'el, als ihre Kasse znläßt, wenn sie es auch gar nicht braucht. Das ist dcr Vorteil beim Verkauf von angeblich „beschädigten" Stoffen; einige Beispiele wir hier ge- geben, aber das Geschäft wird in hunderterlei Arten gemacht."
Ein schreckliches Unglück ereignete sich in dem wenige Stunden von der französischen Grenze entfernt gelegenen luxemburgischen Dorfe Düdelingen am Sonntage. An jenem Tage wurde die Fronleichnamsprozession unter dem üblichen Böllerschießen gefeiert. Beim Laden der Böller beteiligen sich gewöhnlich die Jünglinge des Dorfes, wobei es größtenteils ohne alle Vorsicht hergeht. Während des Ladens entlud sich ein Böller und barst. Die Stücke richteten unter den Umstehenden erschreckliche Verheerungen an. Einer blieb tot zur Stelle; fünf bis sechs anderen wurden die Beine teils zerschmettert, teils dermaßen verwundet, daß sie abgenommen werden mußten. Andere erlitten Verwundungen im Gesicht und am Körper. Alle Getroffenen sind arme Leute, unter ihnen mehrere Familienväter. Die Ortsvorstände sollten das Schießen mit dergleichen gefährlichen Dingen aufs Strengste untersagen. — In einer anderen Ortschaft Luxemburgs wurden drei auf dem Felde weilende Kinder vom Blitze getroffen. Eins blieb tot liegen, die anderen sind vom Arzte aufgegeben. Die Kinder und deren Eltern liefen beim Anbruche des Gewitters aus allen Kräften, um ihr Heim zu erreichen; also abermals eine Waräung, während eines Gewitters nicht zu laufen.
Gläserne, aufwickelbare Fensterrouleaux. Diese hübsche Neuheit, die eine ganz neue Industrie