Der Gesellschafter

Amts- und Intelligenz-Blatt für den Oberamts-Beztrk Nagold.

7 tr 71.

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Dienstag 20 Juni

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1893

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Amtlicher.

Bekanntmachung.

Im Stalle des Johannes Gauß und Jakob Deng- ler in Wenden ist die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen. Die Seuche ist bösartig, ein Stück Vieh ist gefallen.

Nagold, 17. Juni 1893.

K. Oberamt. Vogt.

y ^ Vages-Hleuigkeilcn.

s Deutsches Weich.

Z Wildberg, 16. Juni. Letzten Sonntag hiel­ten die Sozialdemokraten imSchwarzwaldbräuhaus" hier eine Wahlversammlung ab, in welcher der Reichs- tagsabgcordnete Candidat Proß sein Programm entwickelte. Die Versammlung war zahlreich besucht und es erntete der Redner auch seitens einiger halb­wüchsigen Burschen vielfach Beifall. Daß der aus- gestreute Samen leider Boden gefunden, beweist das Wahlresultat, das nicht möglich gewesen, wenn den Sozialdemokraten wie i» andern Orten des Ober- amtsbczirks einfach die Thüre gewiesen worden wäre. Von 14 sozialvcmokratischen Stimmen im ganzen Oberamtsbezirk entfallen auf Wildbcrg allein 11! Dieser Umstand und das Wahlresultat in Wildberg überhaupt zeugt von einer herrschenden Unzufrieden­heit im hiesige» Orte mit den bestehenden Verhält­nissen. Ob dieselbe berechtigt ist. bleibt dahingestellt. Thatsache ist, daß an den zum Teil recht traurigen lokalen Zuständen, unter welchen der fleißige und ehrbare Bürger sehr zu leiden hat, die Bevölkerung vielfach selbst die Schuld trägt. Würde doch jeder Unzufriedene ausrichtig, einmal recht gründlich und unnachsichtlich vor der eigenen Thüre kehren, dann wenn namentlich auch in moralischer Beziehung alles im eigenen Hause sauber und in Oronung ist, dann erst sich um die Einrichtungen im Reichs- und Staatshaushalt kümmern, das Resultat seiner Ueber- zeugung am Wahltage wäre sicher ein gerechteres, als wenn er sein Gewissen damit zu beschwichtigen sucht, daß er bei einer Reichstags- oder Landtags- Wahl einfach gegen die Regierung stimmt. Den 11 Sozialdemokraten aber wollen wir zu gut halten, daß sie über die wahren Ziele der Sozialdemokratie sich offenbar nicht im Klaren befanden und nur aus Verblendung ihre Stimme dieser verwerflichen Partei gegeben haben.

Rottenburg, 15. Juni. Bischof v. Reifer erläßt folgendes bischöfliche Schreiben: Ge­liebte Bistumsangehörige! Ueber der irdischen Hülle unseres teuren, unvergeßlichen Obcrhirten Karl Josef hat sich das Grab geschlossen. In der alt­ehrwürdigen Kirche zu Sülchen haben wir ihn an der Seite seiner beiden hochseligen Vorgänger auf dem bischöfl. Stuhle unter großartiger, wahrhaft rührender und erhebender Teilnahme seiner Kinder und Verehrer zur stillen Ruhe gebettet. Nach voll- brachten» Tageswerk harrt er dort, behütet von der Liebe seiner Diözesanen, des großen Tages, wo neues Leben und Verklärung in die Gräber derer hinein­dringen wird, welche im Herrn gestorben sind. Ge­liebte Bistumsangehörige! Durch Apostolisches Breve, gegeben zu Rom unterm Fischerring am 31. August 1886, hat der glorreich regierende hl. Vater, Leo XÜI., mit Zustimmung der K. Regierung und nach voranZegangenen Verhandlungen mit dem zur Wahl des Bischofs berechtigten Domkapitel in Rottenburg mich zum Bischof in Enos und zugleich zum Coad-

jutor des selig entschlafenen Bischofs ernannt in der Weise, daß sofort nach dessen Ableben die Regierung der verwaisten Diözese in meine Hände übergehen soll. Auf Grund dessen habe ich, gesegnet vom hl. Vater, die Leitung der Diözese übernommen. Indem ich Euch hievon Kenntnis gebe und Euch aus lieben­dem Herzen den ersten oberhirtlichen Gruß entbiete, füge ich zugleich an, daß ich erst nach vollendeter Trauerzeit in feierlicher Weise von dem bischöflichen Stuhle Besitz ergreifen werde. Es wird meine Pflicht sein, seiner Zeit Euch von dieser Feier Mitteilung zu machen und Euch dazu einzuladen. Für jetzt aber richte ich an Euch die inständige Bitte, Eure frommen Gebete mit den meinigen vereinigen zu wol­len, damit meine Amtsführung, von der Gnade Got­tes reichlich befruchtet, eine gesegnete werde für unsere geliebte Diözese und unser teures Vaterland. Rot­tenburg, am Feste des allerheiligsten Herzen Jesu, den 9. Juni 1893. -f Wilhelm, Bischof.

Blaubeuren, 13. Juni. Heute Nachmittag fand ein Knabe auf dem Weg zum Bahnhof einen größeren Briefumschlag, in welchem, wie sich bei dessen Untersuchung ergab, Papiergeld und zwar in dem namhafteu Betrag von 2600 befand. Der Vater des Finders vermutete, das Geld werde einem zur Bahn gegangenen Viehhändler entfallen sein, und ging sofort zum Bahnhof, wo er den Viehhänd­ler traf. Die Vermutung war richtig, das Geld ge­hörte dem Händler, der indessen noch keine Ahnung von seinem Verluste hatte; er nahm dann ruhig sein Geld in Empfang und gab dem Finder 1 ^ 50 ^f. (Jsts da ein Wunder, wenn die llnehrlichkeit über­hand nimmt!)

In Ger mersheim in Baden hat der Tage­löhner Reiß den Gensdarmen Schoch von Rülz­heim, als dieser ihn verhaften wollte, erschossen.

Frankfurt a. M., 14. Juni. Heute früh ent­stand in einer Klasse der Liebfrauenschule in der Großen Friedbergerstraße ein panischer Schrecken. Eines der Schulmädchen bildete sich plötzlich ein, ein Gespenst" zu erblicken. Mit dem Schrei:Das Gespenst! das Gespenst! in der Uhlandschule ist es auch schon gewesen!" lief das Mädchen zur Thür hinaus und gab damit das Signal zur Flucht der ganzen Klasse. Weinend und zitternd stürzten die Mädchen ins Freie, die meisten in den Schulhof, viele auch auf die Straße. Auch die Mädchen der übrigen Klassen verließen zum Teil die Klassenzimmer. Die Nachbarschaft glaubte anfangs, es sei ein Brand in der Schule ansgebrochen. Die Ermahnungen und Beschwichtigungen der Lehrer blieben fruchtlos. Die Kinder wollten nicht mehr in das Schulhaus zurück. Erst als ein Schutzmann erschien und schmunzelnd erklärte, dem Gespenste zu Leibe gehen zu wollen mit dem ganzen Mut, der am Ende unseres aufgeklärten Jahrhunderts zu einem solchen Wagnis gehört, da beruhigten sich die aufgeregten Kinder­gemüter und folgten dem Gespensterbeschwörer mit der Pickelhaube in das Schulhaus, so daß die Lehrer mit dem Unterricht wieder beginnen konnten.

In der GrubeFrankenholz" (Pfalz) wurden 13 Mann durch schlagende Wetter getötet.

Der bisherige Reichstag war, nach der im April herausgegebenen Fraktionsliste wie folgt zusammengesetzt: 65 Konservative, 18 Freikonsecvative, 108 Centrum, 17 Polen, 41 Nationalliberaie, 67 Freisinnige, 10 Volkspartei (süddeutsch), 36 Sozial­demokraten, 32 bei keiner Fraktion, 3 Mandate wa­ren erledigt. Bei der letzten Wahl am 20. Febr.

1890 wurden von den 397 Wahlen 246 enögiltig vollzogen; es waren 151 Stichwahlen erforderlich. Drei Jahre vorher, 1887, waren nur 62 Stichwah­len notwendig gewesen.

Finanzminister Dr. Miguel, sowie andere vom Hektor Ahlwardt angegriffene Personen haben, denHamb. Nachr." zufolge, diesen wegen Beleidi­gung und Verläumdung verklagt.

Zu den erneuten Meldungen von der Ausarbei­tung von Steuergesetzentwürfen zur Deckung der Kosten der Müitärvorlage wird halbamtlich mit­geteilt, daß seit der Reichstagsauflösung über dies Thema keinerlei Beratungen wieder gepflogen wor­den sind. Die Sache ruht im gegenwärtigen Augen­blick gänzlich.

Fürst Bismarck und die neue Militärvor­lage. Was dem Fürsten Bismarck die Militär­vorlage in angebrachter Art unannehmbar macht» ist neben der Verkürzung der Dienstzeit der Mangel einer Verstärkung der Artillerie. Ueber diesen Punkt sprechen sich dieHamb. Nachr." wie folgt, aus: Wenn die Artillerie nicht aufgebessert wird, und zwar in stärkerem Maße, als die Regierungsvorlage und der Antrag Hüne verlangen, wenn in Folge dieser Unterlassnng das Unheil des Krieges im ei­genen Lande und der Verwüstung durch feindliche Truppen über Deutschland Hereinbrechen sollte, so würde die Verantwortung hierfür die Urheber der Militärvorlage und nicht den Reichstag treffen. Wir sind überzeugt, daß eine Militärvorlage zur sofortigen Vermehrung der bespannten Artillerie und der Avan­cierten auch von dem aufgelösten Reichstage nicht nur ohne Schwierigkeit zu haben gewesen wäre, son­dern auch ausgereicht hätte, uns vor der Gefahr feindlicher Invasion zu schützen. Wir halten diese Eventualität für drohend, falls es nicht gelingt, die Militärvorlage abzuändern und sie so einzurichten, daß sie wirklich bringt, was uns fehlt.

Die Resultate der einzelnen Wahlkreise sind zunächst folgende: I. Wahlkreis Stichwahl zwi­schen Siegle (natl.) und Kloß (Soz.). II. W-Kr. Stichwahl zwischen Kallenberg (natl.) und Schnaidt (Dem.). III. W.-Kr. Stichwahl zwischen Maier (natl.) und Haag (Dem). IV. W.-Kr. Stichwahl zwischen Schrempf (kons.) und Kercher (Dem.). V. W.-Kr. Stichwahl zwischen Weiß (natl.) und Ehni (Dem.) VI. W.-Kr. Payer (Dem.) gewählt. VII. W.-Kr. v. Gültlingen (Reichspartei) gewählt. VIII. W.-Kr. Stichwahl zwischen Egelhaaf (natl.) und Galler (Dem.). IX. W.-Kr. Haußmann (Dem.) ge­wählt. X. W.-Kr. Stichwahl zwischen Schmid (natl.) und Speiser (Dem.) XI. W.-Kr. Hartmann (Dem.) gewählt. XII. W.-Kr. Pflüger (Dem.) gewählt. XIII. W.-Kr. Wengert (Zentr.) gewählt. XIV. W.-Kr. Bantleon (natl.) gewählt. XV. W.-Kr. Gröber (Zentrum) gewählt. XVI. W.-Kr. Braun (Zentrum) gewählt. XVII. W.-Kr. Rembold (Zentr.) gewählt.

Eine neue Schrift über die Sozialdemokra­tie von Hans Blum, dem ältesten Sohn des im Jahre 1848 wegen Beteiligung an der Revolution standrechtlich erschossenen Robert Blum, verläßt so­eben die Presse. Sie ist betitelt:Unsere Sozial­demokratie im Spiegel der französischen Revolution" (München, C. H. Beck). Der Verfasser kommt zu folgenden beherzigenswerten Schlüssen :Wir sahen die alte französische Staatsordnung und Gesellschaft so rasch und jäh zusammenbrechen und zur Beute der llmsturzmänner werde», weil die damaligen Zu­stände im höchsten Maße verbesserungsbedürftig