der bei der Fahne stehenden Mannschaft vom Winter bis in den Sommer hinein gar nicht oder nur un­vollständig ausgebildet.

Wenn wir trotzdem im Stande bleiben wollen, jeden feindlichen Angriff von der Grenze abzuweisen, so kann auf die dritten Jahrgänge nur verzichtet werden, wenn dafür ein vollgiltiger Ersatz und Ausgleich geschafsen wird.

Ein Gegengewicht für die erwähnten Schatten­seiten des zweijährigen Dienstes sucht und findet die Militäroorlage neben der notwendigen Vermeh­rung der Nekrutenzahl, sowie der Artillerie und anderer LPezialwaffen namentlich darin, daß jedes Regiment der Infanterie in Zunkunst ein aus zwei Kompagnien gebildetes weiteres Bataillon erhalten soll. Diese vierten Bataillone bieten schon im Frieden den nicht hoch genug anzuschlagenden Vor­teil, daß sie die regelmäßigen Bataillone von den vielen Nebendiensten, Abkommandierungen rc, frei machen, welche den eigentlichen Ausbildungsdienst auf Schritt und Tritt stören und hemmen. Ganz besonders aber sind sie dazu bestimmt, bei einer Mobilmachung für die Landwehr und für die Er­satztruppenteile die notwendigen Offiziere und Unter­offiziere abzugeben. Hierdurch werden die drei Feldbataillone der Linie im Fall der Not in den Stand gesetzt, gleich in den ersten Tagen eines ausbrechenden Kriegs dem Feind sich entgegen zu werfen, ohne daß vorher, wie es jetzt noch der Fall ist, eine zeitraubende Neubildung mit ihnen vorgenommen werden muß.

Auf diese Weise wird nicht nur die bisherige Schlagfertigkeit des deutschen Heeres erhalten, die­selbe wird vielmehr ganz bedeutend erhöht. Dies ist aber auch em Gebot der dringendsten Not­wendigkeit angesichts der von Jahr zu Jahr sich mehrenden Streitkräfte unserer Nachbarn im Westen und Osten, angesichts der unter nur zu leichter Decke fortglimmenden Glut des Hasses der Besiegten von 1870/71.

Daß die Vorschläge der Militäroorlage wohl begründet sind, daß namentlich die Entlastung der aktiven Bataillone der Linie durch die vier­ten Bataillone ein äußerst glücklicher Gedanke ist, darüber sind heute alle Sachverständigen einig. Selbst erbitterte Gegner der deutschen Heeresverwaltung haben sich hiervon überzeugt. So der frühere Major und bisherige Reichstagsabgeordnete Hinze, der auch von unserer Volkspartei stets als militärische Autorität ersten Ranges gepriesen wurde. Obgleich als eifriges Mitglied der deutsch-freisinnigen Partei seit Jahren ein entschiedener Gegner der deutschen Heeresverwaltung, hat dieser Mann doch nach gründ­licher Prüfung die volle Berechtigung der Forde­rungen der Bundesregierungen anerkannt und aus­gesprochen, daß er dies thue in dem Bewußtsein der Pflicht, das Wohl des Vaterlandes über alles, auch über die Partei zu stellen.

Nur unsere demokratischen und sozialdemokrati­schen Führer, von denen freilich die meisten, wenigstens bei uns in Süddeutschland, die Ehre des Dienstes im Heer anderen überlassen haben, wissen auch hier alles besser. Wie sie noch wenige Monate vor dem Angriff Frankreichs auf unser deutsches Vaterland die Einführung des schwei­zerischen Mlllzsystems erzwingen wollten, so verwei­gern sie auch jetzt das, was zum Schutz unserer Grenzen unerläßlich ist.

Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen, auch heute wieder wollen sie mit dem Kopf durch die Wand.

Darum, ihr deutschen Wähler, seht euch wohl vor! Eine Woche den Feind im Land kommt den deutschen Bürgern und den deutschen Bauern teurer zu stehen, als in fünfundzwanzig und mehr Jahren alles, was jetzt zur Verstärkung des Heeres und Erhöhung seiner Bereitschaft gefordert wird. Gebt deshalb eure Stimme nur solchen, welche dem Volk den zweijährigen Dienst, dem Heer aber die nötige Stärke und Bereitschaft gewähren, damit es die Feinde nicht blos überwinden, sondern auch vom heimischen Boden fernhalten kann! _

Tages- Neuigkeiten.

Zeutschs« Weich.

Eingesendet. Welchen politischen Blödsinn sonst gescheite Leute leisten können, zeigt die im letzten Blatt veröffentlichte Rede des sonst hochgeehrten und ver­

dienten Professors Virchow in Berlin.Derselbe wandte sich gegen den Gedanken, daß wir für eine fern liegende Möglichkeit stets ein so starkes Heer zur Verfügung haben müssen, um jeden Augenblick in Fein­desland einfallen zu können." Sonst betrachtet man cs als einen Akt fürsorglicher Weisheit, wenn em Hausvater für die fern liegende Möglichkeit seines Todes sich in eine Lebensversicherung aufneh­men läßt. (Und die Militärvorlage ist nichts anderes als eine Fciedensversicheraug.) Wenn wir ferner nicht haben wollen, daß beim Ausbruch des Kriegs der Feind in unser Land einfallen kann, dann müssen wir selbstverständlich dafür sorgen, daß wir stark genug seien um in des Feindes Land einfallen zu können. (Daß aber das so ein gescheiter Herr nicht Ansicht!)Das gehe über die billigen Anforde­rungen hinaus, die eine Regierung an ein Vo!k stellen könne." Wenn eine Regierung nicht für Er­haltung des deutschen Reiches besorgt ist und das von ihr regierte Volk vor feindlichen Ueberschwem- mungen, d. h. vor Vernichtung zu bewahren sacht, dann ist sie keine Bohne nutzEc sei der Meinung, daß der Friede besser sei als der Krieg." Gut ge­brüllt. Löwe! Weiie gesprochen, Herr Professor! Wer möchte andrer Meinung sein? Aber die alten Römer, von denen Sie einen großen Teil Ihrer Weisheit geschöpft haben, pflegten zu sagen:8i vis PUV6M, pur«, bellum." Wie übersetze» Sie das, Herr Professor Virchow? Doch etwa so:Wenn du den Frieden willst, so halte dich gerüstet für den Krieg!" oder nicht? Ferner:daß es Hauptaufgabe sei, den Frieden so lange als möglich zu erhalten, und mit dem Nachbarn sich so z» stellen, daß sich keine Streitigkeiten mit ihm ergeben." Wie einfach! Wenn aber diese Frage dem Herrn Professor in sei­nem Profefsoxatsexarnen als Aufsatzthema gegeben worden wäre, so wäre er wohl mit Glanz durchge­fallen. Endlich:Sei aber der Krieg dann noch unvermeidlich, so werde zur Verteidigung des Vater­landes jeder gern und willig bereit sein." Schön deklamiert! Also wenn die französischen Heere über den Rhein marschieren, dann wäre es nach Virchow die rechte Zeit, sich zur Verteidigung gern und willig bereit zu stellen. O heilige Einfalt! Weiß nicht jeder einfache Mann im Volk, daß man da anders als mit schön gedrechselten Phrasen gerüstet sein muß? Oder will dann Herr Professor Virchow mit all den Gegnern der Militärvorlage eine Sturmkoloime bilden nnd das bedrohte Vaterland retten? Wenn es eine Möglichkeit gäbe, alle die Neinsager, Virchow Richter, Payer, Bebel und wie sie alle heißen, im Kriegsfall in die erste Linie zu stellen, dann würde wohl die Abstimmung über die Militärvorlage an­ders ausgefallen sein! Aber es sind andere, die im Ernstfälle bluten müssen, und an ihnen ist'S, vor der Wahl sich die Sache ernstlich zu überlegen. Nach der Abstimmung könnte es zu spät sein!

> Altensteig, 4. Juni. Heute entwickelte der Kandidat der demokratischen Partei, H. Bauunterneh­mer Reinhold Cleß von Stuttgart, hier im grünen Baum vor einer Wählerversammlung sein Programm. H. Redakteur Schmid war in seiner Begleitung und ihm fiel auch die größere Aufgabe bei der Wahlvers. zu. Kandidat Cleß selbst, vorgestellt von Kaufmann W. Beeri hier, sprach äußerst ruhig. Nur gleich beim Anfang seiner Rede entfiel ihm ein ganz unpassender Ausdruck über die Regierung, wes­halb auch mit Recht von einem anwesenden Beamten hiegegen protestiert wurde. Das Programm von Cleß unterscheidet sich im Grunde genommen von dem des andern Kandidaten Frhr. von Gültlingen wesent­lich nur in Sachen der Militärvorlage, und sagt er, Cleß:Ich stelle mich in dieser Frage auf Seite der Mehrheit des aufgelösten Reichstages." Auf ver­schiedene Weise sucht er zu begründen, daß diese Mehrheit Recht gehabt hatte. Er ist für Börsen­steuer und namentlich für progressive Kapital- und Einkommenssteuer. Sodann sprach Kandidat Cleß über das, was die Volkspartei anstrebe: Ersparnisse bei der Pension der Offiziere, Entschädigung un­schuldig Verurteilter, Ermäßigung der Prozeßkosten (dies ist nur bei der Volkspartei). Schutz des Wahl- geheimnisses, Verbesserung der Alters- und Jnvali- dätsverstcherung. Herr Präzeptor Knodel von hier hat nach Schluß der Kandidatenrede für die Mili­tärvorlage gesprochen und klar und bindig gezeigt, welchen Wert die Genehmigung derselben 1. für den Soldaten, 2. fürs deutsche Volk und 3. gegenüber

dem Ausland gehabt hätte. H. Stadtpfarrcr Hette­rich trat ebenfalls äußerst patriotisch für die Mili­tärvorlage ein nnd hob neben andrem namentlich auch den nachteiligen Einfluß hervor, den die Ab­lehnung derselben jetzt schon für Handel und Wandel gebracht hat, weist auch nach, daß Cleß, abgesehen von der Militärvorlagefrage, mit dem was Gült­lingen gesagt, einig sei. Nun kam Redakteur Schmid vom Beobachter, der eigentliche Wahlkämpfer und suchte beide Vorredner mit demokratischer Schlag- ferligkeit zu widerlegen. Merkwürdigerweise konnte er mit Zahlen Nachweisen, daß das deutsche Heer 1870/71 immer stärker war als das französische, daß eigentlich die numerische Ueberlegenhenhei: auf unsrer Seite sei, daß auch unsre Militärausgaben im letzten Etat 9 Mill., die Frankreichs nur 2 Mill. betragen. Nach verschiedenen Gegenreden schloß Cleß die De­batte mit den Worten: Es ist notwendig, daß das Volk bei dieser Wahl seine Meinung energisch kund giebt.

I Altensteig, 4. Juni. Wahlversammlung. Es soll nicht der Zweck dieses Schreibens sein, ei­nen Bericht über die Bersamm ung und die sich anreihenden Debatten zu geben, solchen konnte man ja schon von Nagold lesen, und einer ist von Al­tensteig in Aussicht, (s. oben) aber nicht verschwiegen soll bleiben, daß H. Schmid, Beobachtersrevaktenr, durch sein Gebühren einen höchst unangenehmen Eindruck gemacht hat. Abgesehen davon, daß ec in Altensteig es nicht der Mähe Wert hielt, den äußeren Anstand zu wahren sondern während seiner Rede beide Hände tief in die Hosentaschen steckte, war seine Kampfes­weise eine nicht edle und seine Behauptungen mit­unter für das deutsche Volk beschämend. Wenn seine Behauptungen und Ausführungen nicht den Stempel der Unwahrheit an sich trügen, mußte man glauben, das deutsche Volk werde von seinen Leitern schon seit Jahren betrogen und es sei feste Absicht von oben, diesen Schwindel weiter zu führen, bis das Volk ruiniert sei. Schmid behauptet und will beweisen, die Nachrichten aus Pariser, überhaupt sranzös. Zeitungen, welche die Anlehnung der Mili- tärvorlage so verspotten und das deutsche Volkverhöhnen, seien von Deutschen aus Deutschland (vielleicht gar im Auftrag der Regierung) an die franz. Redaktionen gesandt worden und haben gegen viel Geld dort Aufnahme gefunden. Schmid sucht den Zuhörern weiter klar zu wichen, daß das deutsche Heer schon seit Jahren dem franz. nummerisch überlegen sei, daß deshalb keine Kriegsgefahr vorhanden sei; man solle nur bedenken, daß in Frankreich 6ijo/o des Militärs einzige Söhne von Eltern seien und es der größte Leichtsinn wäre, durch einen Krieg deren Existenz und damit die der Nation aufs Spiel zu setzen; ein sranzös. Schriftsteller soll dies geschrieben: haben. Rußland seie ebensowenig zu fürchten, dieser Staat sei ein Koloß mit thönernen Füßen, der im Krieg mit der verlotterten Türkei die Hilfe Rumä­niens bedurfte. Davon sch ve:gt Schm d, wie Ruß­land seitdem sich sortwähreno gerüstet und sein Heer neu organisiert hat. Schade ist's, daß Schmid und seine Genossen nicht Bürgschaft für denewigen Frieden"zwischen Fuchs und Hühnern" geben kön­nen, und beim Ausbruch, wenn es ernst ist, werden solche Herren sich fein zu drücken wissen. Schmid führt weiter Aussprüche von Caprivi u. a. Größen an, die beweisen sollen, daß Schmid Recht habe: z. B.Es sei die Angst vor den Russen vollständig unsinnig."Es gäbe nicht einen Heerführer, der im Stande wäre, mit den vorhandenen Heeresmassen zu operieren, der sie ernähren und bewegen könnte." Im Krieg mit 1870/71 mit Frankreich habe man Rußland und Oesterreich als Nahrungsquellen ge­habt, im nächsten Krieg mit Frankreich und Ruß­land falle dies weg; mit was und wie wollen wir unsre 4 Mill. Soldaten erhalten?" Derartige Aus­sprüche, wie sie wortgetreu gegeben, überhaupt wahr sind, wurden von Caprivi u. s. w. jedenfalls in an­derem Zusammenhang gegeben, nicht wie Schmid sie anwendet, als Waffen gegen die Regierung. Die Militärvorlage sei allein vom Kaiser ausgegangen, der 1888 bei seiner Thronbesteigang ganz vergessen habe, daß er außer feinen Soldaten, an die er sofort einen Erlaß richtete:Wir sind für einander ge­boren!" auch noch fast 50 Mill. Bürger habe. Nach einigen Tagen mußte er hieran erinnert werden, und dann kam erst die Ansprache ans Volk. Unter die­sem Kaiser seien während der kurzen Regierungszeit