Hages-WeuigkeiLen.
Deutsches Weich.
Nagold. (Einges.) Auf die im „Gesellsch." Mr. 61 ergangene Einladung hin versammelte sich am Sonntag Abend eine ansehnliche Zahl von Wählern des VII. Wahlkreises im Gasthaus z. Hirsch, um der Entwicklung des Programms unseres Kandidaten der Reichspartei, des Herrn Landgerichtsrats Freiherrn v. Gültlingen anzuwohnen. Herr Kommerzienrat Sannwald eröffnete die Versammlung und wurde zum Vorsitzenden gewählt, worauf er zunächst dem Herrn Kandidaten das Wort erteilte. In längerer von lebhaften Bravorufen unterbrochener Rede entfaltete er sein Programm, das er in den nächsten 5 Jahren zu vertreten gedenkt. Er bezeichnet zunächst unsere gegenwärtige Lage als eine hochernste, wenn wir auf die großen Opfer blicken, die wir in einer Zeit wirtschaftlichen Niedergangs dem Vater- lande bringen sollen. Die Not, in der wir uns befinden, sei zum Teil begründet in Naturereignissen, sie habe aber besonders auch darin ihren Grund, daß wir schon seit Monaten in einer Ungewißheit über die Sicherheit und die fernere Zukunft unsres Vaterlandes schweben, aus der herauszukommen höchste Zeit ist, wenn wir nicht schwere innere und äußere Kämpfe und Krisen im deutschen Reich erleben wollen. Denn zu einer Stärkung des deutschen Reichs habe der Beschluß vom 6. Mai nicht beigetragen. Die Sozialdemokraten haben offen frohlockt in der Hoffnung, während eines bald ausbrechenden Krieges im Trüben fischen und ihre Umsturzpläne durchführen zu können. Im weiteren Verlauf der Rede giebt Redner die Antwort auf die Frage: „Welches sind die Aufgaben des neuen Reichstags?" Die Beratung über die Militärvorlage stehe in erster Linie; doch werden auch andere wichtige Fragen zur Sprache kommen. Von den Gegnern werde insbesondere behauptet, es sei darauf abgesehen, die verfassungsmäßigen Rechte des Volks anzutasten. Redner erinnert an seine früheren Erklärungen und versichert wiederholt, daß er an den verfassungsmäßigen Rechten des Volks festhalten und zu einer Acnderung in dieser Hinsicht nie seine Hand bieten werde. Er will möglichst wenig neue Gesetze. Die bestehenden, welche sich nicht bewährt haben, sind abzuschaffen oder doch abzuändern. So besonders die Bersicherungsgesetze, die zwar gut gemeint seien, aber für unsre kleinbäuerlichen und kleingewerblichen Verhältnisse nicht passen und daher entweder aufgehoben, oder durch Beschränkung auf die Fabrikarbeiter so abgeändert werden müssen, daß sich das Publikum eher mit ihnen befreunden kann. Redner wird ferner eintreten für Verbesserung des Beschwerderechts und Einführung eines neuen Strafverfahrens, beruhend auf dem Prinzip der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit. Er halt gesetzliche Bestimmungen für notwendig, durch welche die Ein qartierungs lasten erleichtert werden sollen. Was die Militärvorlage anbelangt, so bekennt sich Redner zum Antrag Huene, der als äußerstes Auskunftsmittel auch von der Regierung angenommen worden ist. An der Hand amtlicher Zahlen aus den Akten der Kommission beweist er die Notwendigkeit der Heeresverstärkung, wenn wir nicht ganz bedenklich hinter unfern Nachbarn im Westen und Osten Zurückbleiben wollen. Hiernach beträgt die Fciedenspräsenzstärke bei Deutschland 560786 Mann, Oesterreich-Ungarn 317 795 Mann, Italien 236 754 Mann, — 1085 335 Mann, Frankreich 549 096 Mann, Rußland 1033661 Mann, — 1 582 757 Mann. Die Friedenspräsenzstärke des Dreibunds ist also geringer als die von Frankreich und Rußland gut um 497 422 Mann, die Deutschlands allein um 105l971 Mann. An Landheer und Marine besitzt der Dreibund 1 137 865 Mann, Frankreich und Rußland zusammen 1684827 Mann, also mehr um 546962 Mann. Die Zahl der ins Heer Eingestellten verhält sich zur Bevölkerungsziffer wie folgt: Deutschlands 1,072°/o, Oesterreich 0,745°/«, Italien 0,785°/«. zus. 0,888°/«, Frankreich 1,293°/«, Rußland 1,008°/«, zus. 1,092°/«. Redner glaubt, daß angesichts dieser Zahlen niemand die Notwendigkeit der Vorlage bestreiten werde. Jedermann werde zugeben müssen, daß die Negierung mit der Aufstellung der Militärvorlage nur eine Pflicht erfüllt hat; denn wir müssen unsre Heeresmacht so gestalten, daß wir, wenn der Krieg uns aufgedrungen werden jollte, mit froher Zuversicht für die Ehre des Vater- -
landes einstehen können. Die Regierungsvorlage verlangte eine Vermehrung von 72037 Mann und 11 857 Unteroffiziere. Die Kosten beliefen sich auf 64 Millionen. Als Gegenleistung war Einführung der 2jährigen Dienstzeit und Verjüngung der Armee zugesagt fnach welch letzterer die älteren Jahrgänge geschont werden sollen, während die jüngeren in einer Linie einrücken müssen). Nach dem Antrag Huene beträgt die Heeresverstärkung 60 200 Mann und 10 762 Unteroffiziere, also weniger um 12 837 Mann und 1095 Unteroffiziere. Die Kosten würden sich dann nur auf 55 Millionen belaufen, und außerdem würden im ersten Jahr 4 Mill. erspart werden. Bei der Widerlegung der Einwände von seiten der Gegner der Vorlage betont Redner, daß es sich um Ehre, Dasein und Zukunft unsres Vaterlandes handelt. Diese höchsten Güter können wir nicht mit einer minderwertigen Armee verteidigen und schützen. Wir müssen unsere Armee in den Stand setzen, daß unsre Truppen nicht mit dem erdrückenden Gefühl, daß wir die Schwächeren seien, in den Krieg ziehen müssen. Nichts macht den Erfolg unsicherer. Es ist unsre heiligste Pflicht, unsere Brüder so auszurüsten, daß sie bestehen können, wenn die Stunde der Gefahr naht. Redner wünscht daher Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Interesse der Landesverteidigung, wie sie auch die Volkspartei schon längst gefordert hat. Auffallend ist nur, daß die Vorlage gerade jetzt auf so heftigen Widerstand von seiten der Volkspartei und des Freisinns stößt. Jetzt sagen sie: „Wir haben eine solch gute Armee, daß sie siegen muß." Ja, wenn es mit dem Reden ge- than wäre, aber, die Feinde werden vor den Sprüchen eines Herrn Payer, eines Herrn Richter, eines Herrn Dr. Lieber, eiges Herrn Bebel u. s. w. nicht Halt machen. Da gehöre die That her und die Mannhaftigkeit. — Auch das Zutrauen zur Diplomatie helfe nichts. Bismarck allerdings sei es möglich gewesen, durch seine geniale Staatskunst den Frieden zu erhalten; aber auch nur ihm; denn „solch ein Mann erscheint (nach dem Urteil des jetzigen Reichskanzlers Caprivi, der doch kein Verehrer des Fürsten Bismarck ist), nicht alle Jahre, sondern höchstens alle 100 oder gar nur alle paar 100 Jahre." Wenn die Gegner behaupten, nur durch die Herrschaft des Militarismus sei die Vorlage ins Leben gerufen worden, so sei darauf zu erwidern, daß viele sich dieser Phrase bedienen, ohne sich über deren Bedeutung klar zu sein. Ein witziger Bürger von Ebhausen habe dem Herrn Kandidaten gegenüber geäußert, mit dem Militarismus in der Politik verhalte es sich scheints ähnlich wie mit der Influenza in der Medizin. Wenn ein Arzt nicht wisse, wie er eine Krankheit taufen solle, so nenne er sie Influenza. Daß in weiten Kreisen Unzufriedenheit und Verstimmung herrscht, verhehlt sich der Redner nicht. Er selbst bekennt sich auch zu denen, die nicht mit allem einverstanden sind, was der neue Kurs gebracht hat. insbesondere nicht mit der Behandlung des Altreichskanzlers, ohne den ein deutsches Reich gar nicht bestehen würde. Aber — die Sicherheit des Vaterlandes fordert nun einmal diese Opfer, und wenn sie unbedingt notwendig sind, dann können und müssen sie auch gebracht werden. Deutschland ist keineswegs am Ende seiner Leistungsfähigkeit angelangt, wenn man bedenkt, daß Frankreich fast die dreifache, Großbrita- nien mehr als die doppelte Steuerlast zu tragen hat und nur Rußland noch um weniges hinter Deutschland zurücksteht. — Mit der Brau-und Branntweinsteuer, welche von der Regierung zur Deckung der Mehrkosten in Aussicht genommen sind, kann sich Redner nicht befreunden. Dagegen wünscht er mit noch vielen andern gleichgesinnten Reichsboten, daß die Börsensteuer bedingungslos herbeigezogen werde, um die erforderlichen Millionen zu liefern. Zum Schluß berührt Redner noch die Ge- sahren einer Wiederablehnung: Die 2jährtge Dienstzeit könnte nicht eingeführt werden, unser Ansehen im Ausland würde geschwächt, die Sicherheit des Vaterlandes würde preisgegeben, wir würden eine Einbuße an Selbstgefühl erleiden, das Berkehrsleben müßte eine bedenkliche weitere Stockung erfah- ren, die älteren Jahrgänge könnten nicht geschont werden und — der Krieg wäre im höchsten Grade wahrscheinlich, und dann kämen zu den Geldopfern auch noch Blutopfer. Entschließen wir uns also, erstere zu bringen, um die letzteren zu verhüten; denn wir bringen sie ja nicht der Regierung,
sondern in erster Linie uns und unserem Vaterlande, das wir schirmen und schützen möchten. Redner giebt sich der Hoffnung hin, daß die Wähler des VII. Wahlkreises, die unter 9mal 2mal nationalliberal und 7mal reichsparteilich gewählt haben, es auch diesmal nicht fehlen lassen werden, durch ihre Stimme zum Gelingen der Vorlage beizutragen und schließt mit dem Wunsch: „Gott segne unser Vaterland." Nach kurzer Pause ergriff Herr Seminaroberlehrer Schwarz mayer das Wort. Er führte aus, daß wir Deutfche noch unter dem Eindruck der großen Jahre 1870—1871 stehen, daß wir von damals verwöhnt seien. Wir glauben, es werde auch bei einem künftigen Kriege wieder so gehen, daß wir unfern Feind in seinem eignen Lande überfallen, daß wir in Zeit von 7 Monaten Schlacht auf Schlacht schlagen und von Sieg zu Sieg eilen. Unsere Zeit leide an einer gewissen Leichtgläubigkeit in der Auffassung der politischen Lage. Die französischen Zeitungen haben gejubelt, als sie die Kunde von der Auflösung unseres Reichstags erhalten haben. Jetzt allerdings halten sie sich klug zurück, um den „deutschen Michel" nicht aus seiner Sicherheit zu wecken. Er giebt zu, daß zwar der französische Bauer ebenso friedliebend ist als unsereiner, bemerkt übrigens, daß in Frankreich einige Hitzköpfe genügen, wie es deren in Paris genug giebt, um den Krieg zu machen. Der Friede währe keine Stunde länger, wenn der Franzose von seiner Ueberlegenhcit über Deutschland wirklich überzeugt sei. —> Um dem Einwand zu begegnen, daß die Militärvorlage, wie sie jetzt vor uns liegt, auch nur ein Schritt sei zur Weiterentwicklung der Armee, dem vielleicht noch viele solche Schritte Nachfolgen werden, weist Redner darauf hin, daß Frankreich nach dem Gesetz von 1889 in Beziehung auf Menschenmaterial am Ende seiner Leistungsfähigkeit angelangt sei. Wir Deutsche stehen noch zurück. Da Frankreich nicht mehr weiter gehen kann, so werden wir nach Erledigung der schwebenden Mil-.Vorl. auch nicht mehr genötigt sein, weitere Verstärkungen der Armee vorzunehmen. Redner erinnert an diejenigen, die im Jahr 1870 ihr Blut für uns verspritzt haben und hofft, daß der Deutsche im Gedanken ans Vaterland und an die uns drohenden Gefahren, falls die Vorlage ein zweitesmal abgelehnt und der Reichstag ein zweites- mal aufgelöst würde, dieses letzte Opfer für Militär- zwecke mit Freuden bringt. Ein von allen Seiten mit Begeisterung ausgebrachtes Hoch auf das deutsche Vaterland schloß die zündende Rede. Ein von dem Herrn Vorsitzenden auf den Kandidaten ausgebrachtes Hoch, wodurch er diesem den Dank und die Zustimmung der zahlreichen Versammlung ansdrückte, wurde von diesem durch ein Hoch auf den Altreichskanzler Fürst Bismarck erwidert. Einige weitere Ansprachen und das Absingen der „Wacht am Rhein" hielten den Strom patriotischer Begeisterung in Fluß und erst spät trennte sich die Versammlung unter dem tiefgefühlten Eindrücke, daß die künftige Wahl in oer That über die Sicherheit, Ehre und das Gedeihen Deutschlands zu entscheiden habe, und daß Landgerichtsrat Freiherr von Gültlingen ein bewährter Patriot und ein aufrichtiger Freund des Volks sei, der nicht nur schöne Worte mache, wie man sie anderwärts in Wahlversammlungen hören könne, sondern seine Liebe zu Reich und Volk auch durch Thaten beweise. Möchte jeder treugesinnte deutsche Mann am 15. Juni von seinem Wahlrecht Gebrauch machen und dabei der Losung folgen: Nicht die Partei, sondern das Vaterland!
Durch den Einlauf des obigen „Eingesandt", dessen Inhalt die Rede des Reichstagskandidaten Frhr. v. Gült- lingenso eingehend wiedergiebt, glauben wir die eingegangenen Berichte von Ebhausen und Altensteig im Allgemeinen für erledigt halten zu können. Da letzterer aber schon im Satze fertiggestellt war, als obiges „Eingesandt" in der Redaktion eintraf, so lassen wir solchen dennoch folgen.
> Alten steig, 27. Mai. Zwei junge Männer von Evershardt, Brüder, ein Metzger und ein Bauer, wollen bei Wildbad räuberischer Weise angegriffen worden sein. Sie führten Vieh dorthin und begaben sich bei eingebrochener Nacht auf den Heimweg. Vor der Stadt draußen, in der Nähe des Windhofes, seien drei Bursche über sie los, haben den Metzger mehrmals gestochen und den andern niedergeschlagen. Als die beiden zu sich kamen, gingen sie in die Stadt zurück und machten Anzeige. Der Metzger will einen der drei Strolche erkannt haben. Es wurde auch der Betreffende mit 2 Kameraden zur Haft gebracht.