gegen den Vertrag mit Rußland, als der Landwirt­schaft nachteilig, zu protestieren.

Im Reichstage sind in der letzten Zeit eine große Anzahl von Petitionen zu Gunsten der neuen Militärvorlage eingegangen. Besonders in kleineren und Mittelstädten, die bei der Armeevermehrung auf eine Garnison rechnen, soll sich eine stärkere Strömung zu Gunsten der Vorlage geltend machen.

Der Reichsanzeiger widerlegt in einem ein­gehenden Artikel an der Hand statistischen Materials die mehrfach vorgebrachte Behauptung, daß die in der Militärvorlage geforderte Rekruten-Mehreinstel- lung über die natürlichen Grenzen der Wehrkraft hinausgehe. Das amtliche Blatt bemerkt zum Schlüsse, die durch die Militärvorlage bedingte Re­krutenquote werde eine Herabminderung der An­sprüche an die Tauglichkeit zum Friedensdienst nicht zur Folge haben und ohne Gefährdung der dienstli­chen Leistungen im Allgemeinen wie der Gesundheit des einzelnen Mannes ihre Deckung finden nur aus solchen Militärpflichtigen, die schon nach den jetzigen Bestimmungen die Einstellung in den aktiven Frie- dcnsstand zu gewärtigen haben.

Deutscher Reichstag. Freitagssitzung. Der An­trag des Abg. Werner (Antisemit) auf Einstellung des gegen den Abg. Ah (wardt beim Landgericht in Berlin schwebenden Strafverfahrens wegen öffentlicher Beleidigung wird angenommen, und alsdann die zweite Beratung des Etats des Reichsamtcs fortgesetzt. Abg. Bebel (Soz.) legt in mehrstündiger Rede die Pläne feiner Partei dar. Er bestreitet, daß die Sozialdemokratie heute noch einen soge­nannten Zukunftsstaat wolle, sie wolle nur neue Formen und Organisationen für den heutigen Staat, der sich überlebt habe. Das Erste, was die Sozialdemokratie thun werde, wenn sie zur Macht gelange, sei Expropriation der Arbeits­mittel. Wie das am besten zu thun sei, werde man ja sehen, wenn alles so weit sei. Abg. Frhr. v. Stumm (freikons.) sieht in Bebels Rede eine Vorlesung aus seinen Schriften, bei denen Jeder sich so viel und so wenig denken könne, wie er wolle. Der sozialdemokratische Zukunftsstaat sei in Wahr­heit nichts anders, als ein sehr großes Zuchthaus. Die ganze Thätigkcit der Sozialdemokratie bestehe darin, alle Reformen im deutschen Reiche thunlichst zu verhindern und die Unzufriedenheit wach zu halten. Die Sozialdemokratie appelliere an die Gewalt, deshalb müsse ihr auch mit Gewalt geantwotet werden. Abg. Bachem (Ctr.) betont, er wisse nicht mehr, was er von der Sozialdemokratie denken solle. Sobald man Bestimmtes hören wolle, kämen ausreichende Antworten. In den Agitationsreden werde den Arbeitern alles Mögliche vom Zukunftsstaat und anderen Dingen vor­geredet und nun sage Bebel mit einem Male, er wolle keinen Zukunftsstaat, sondern nur eine natürliche Entwicklung. Da­mit seien aber die aufgeregten Massen nicht zufrieden. Was solle denn in dem sozialdemokratischen Staate werden, wenn dort, da niemand zu gehorchen brauche, einmal Streiks aus­brächen? Und was mache man denn dort mit den Unzufrie­denen ? Hinausschmeißen wie jetzt aus der Partei könne man sie doch nicht, man müsse sie also in einem Meer von Blut ersticken. Das sollten sich die Arbeiter einmal überlegen, und dann würden sie wohl von dem Glauben an die Herrlich­keiten des Zukunftsstaates verlieren. Redner fordert die deutschen Arbeiter auf, sich nicht von den Agitatoren hiurei- ßen zu lassen, die aus Deutschland ein Trümmerfeld machen wollen. (Großer Beifall, Zischen bei den Sozialdemokraten.)

Deutscher Reichstag. Sonnabendsitzung. Die Be­ratung des Etats des Reichsamtes des Innern wird fort­gesetzt. Abg. Richter (freis.) führt in mehrstündiger Rede aus, allgemeine Notstandsdebatten, wie sie die Sozialdemo­kraten im Reichstage angeregt hätten, seien ebenso zwecklos, wie die Agrardebatten im preußischen Abgeordnetenhause, weil in beiden Fällen praktische Vorschläge, welchen die Regierung näher treten könne, vermißt würden. Die heutige Notlage sei hauptsächlich die Folge mehrerer ungünstigen Ernten, welche durch die letzten bessern Ernten noch nicht ausgeglichen seien. Der sozialdemokratische Staat, der mit denselben Ver­hältnissen rechnen müsse, könne ihre Folgen auch nicht auf- heben. Die Versammlungen der Arbeitslosen würden haupt­sächlich von Saisonarbeitern besucht, dienten lediglich zu agitatorischen Zwecken und seien für die Beurteilung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage nicht maßgebend. Der jetzige Militärstaat mit seiner eisernen Disziplin sei dem sozialdemokratischen Staat noch weit vorzuziehen. Die An­hänger der Sozialdemokratie mögen heute an Zahl zunehmen, aber in demselben Matze, in welchem die sozialistischen Zu- kunttSpläne in voller Nacktheit bekannt werden, werden die Massen anderen Sinnes werden. Daher die gestrige Zurück­haltung des Abg. Bebel. Wer weiß auch, wie sich der Mau- sciungSprozeß der Sozialdemokratie, von welchem Bebel gestern sprach, sich noch weiter vollziehen wird. Redner ver­teidigt seine bekannteBrochure .Sozialistische Zukunftsbilder," die vor allen Dingen beweisen sollen, daß der Sozialismus der menschlichen Natur widerspricht. Daß wir heute im Kampfe gegen die Versuche des Rückschritts sowenig Erfolg erzielen, ist hauptsächlich darauf zurück zu führen, daß das liberale Bürgertum gespalten und zum Kampfe gegen zwei Fronten genötigt ist. (Beifall.) Abg. Frohme (Soz.) führt aus, daß zwischen Kapital und Arbeit keine Interessengemein­schaft bestehen könne, und die Bestrebungen der Sozialdemo­kratie berechtigt seien. Staat die angebliche Unfreiheit im Zukunftsstaate zu schildern, möge sich der Abg. Richter lieber die Sklaverei im jetzigen Statt näher ansehen. Eben weil diese nicht übertroffen werden könne, werde die große Masse den sogenannten Sprung ins Dunkle gern mitmachen. Abg. Stöcker (kons.): Der Umstand, daß Abg. Richter den

Notstand der ganzen deutschen Landwirtschaft und einiger tausend Arbeitsloser auf gleiche Stufe stellt, beweise, daß der Freisinn nur die Vorstufe der Sozialdemokratie sei. Die Notstandsdebatte bedeute die Bankerotterklärung der Sozial­demokratie, die mit ihrem Latein zu Ende sei. Um so verwerf­licher sei ihre demagogische Agitation, die auf Erstickung aller edlen Kräfte des Volkes ausgehe. Nach einigen Aus­führungen der Abgg. H i tz e (Ctr.) und Leuschncr (freikons.) wird die Weitcrberatung auf Montag vertagt.

Aus Berlin wird derKöln. Ztg." geschrie­ben: In unfern politischen Kreisen unterhält man sich noch vielfach über den Besuch des Großfürsten- Thronfolgers, von dem man sich eine günstige Wir- kung auf das jdeutsch-russische Verhältnis verspricht, die zu einer wesentlichen Beruhigung der internatio­nalen Lage führen würde. Der Besuch hat eine um so größere Bedeutung, als er ausschließlich der Initiative des Zaren entsprang. Schischkin, obgleich ein ruhiger und kenntnisreicher Mann, hat annoch beim Zaren nicht die Vertrauensstellung erworben, welche Herr v. Giers besaß. Da nun der Zar un­gern höchste Beamte wechselt und neue Gesichter nicht liebt, ließ er die wichtigsten Angelegenheiten mit Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit der Wieder­genesung und Rückkehr des Herrn v. Giers anstehen. Die Ernennung Werders und die Sendung des Thronfolgers sind daher maßgebende Anzeichen für des Zaren persönliche Willensrichtung, die durch die Eindrücke, die der Thronfolger in Berlin em­pfangen hat, noch gefestigt worden ist.

Frankreich.

Paris, 6. Febr. Der Graf von Paris zeigte seinen Anhängern an, der bereits auf der Rückreise befindliche Herzog von Orleans werde baldigst mit ihm in Sevilla Zusammentreffen.

Der französische Senat Halden Gesetzentwurf, betr. die Bekämpfung der gegen die staatlichen Spar­kassen gerichteten Angriffe mit 225 gegen 49 Stim­men angenommen. Die Existenz des Ministeriums Ribot ist vor der Hand gesichert. In der Kammer hat am Freitag eine von 285 republikanischen Abge- ; ordneten besuchte Versammlung stattgefunden, in der eine kräftige Unterstützung des Ministeriums und die Vermeidung jeder Ministerkrise bis nach den Wahlen beschlossen worden ist. Die Untersuchung gegen Ar- ton ist nunmehr abgeschlossen; derselbe wird dreier Verbrechen beschuldigt: des Betrugs bei der Dyna­mitgesellschaft, betrügerischen Bankerotts und der Be­stechung von Parlamentariern. Nun fehlt nur noch, daß die Polizei des Verbrechers habhaft wird; damit scheint es aber immer noch gute Wege zu haben. Blondin, der in den Bestechungsprozeß verwickelte Buchhalter desCredit Lyonnais", ist aus Gesund­heitsrücksichten vorläufig in Freiheit gesetzt worden.

England.

London. Aus Aegypten bestätigen Privat­meldungen, daß die Bewegung unter den Aegyptcrn immer noch fortdauert. Der Khedive hat eine Reise nach Oberägypten mit seinen Ministern angetreten und ist dort von der Bevölkerung unter begeisterten Ovationen empfangen, die ihre Spitze deutlich gegen England richteten. In Kairo ist die Garnison durch ein Bataillon der berühmten schottischenschwarzen Wache" verstärkt worden.

London, 7. Febr. Reuter'fche Depeschen aus Sydney melden erschütternde Einzelheiten über die Ueberschwemmungen. Im südlichen Teil von Queens­land, in Bundeberg sind hundert Familien obdachlos, in Maryborough ist eine Brücke eingestürzt. Man glaubt, dreißig Personen seien hierbei ertrunken, hundert Häuser zerstört. Die Stadt Tirad ist über­schwemmt. Sehr ernst ist die Lage in Brisbane; zwei große Brücken sind durch die Fluten fortgcris- sen, in der Hauptstraße steht das Wasser zwanzig Fuß hoch.

London, 7. Febr. DerStandard" behauptet, die Näherung Rußlands an Deutschland sei eine Schwä­chung des Dreibundes. Der Zar habe vielleicht, in­dem er den Zarewitsch nach Berlin schickte, das Zu­standekommen des neuen Militärprojekts zu verhin­dern gesucht.

Griechenland.

Athen, 3. Febr. Ein furchtbares Erdbeben hat, wie schon kurz gemeldet, die kleine und schöne Insel Zante, das alte Zakynthos. verheert. In den letzten sechs Monaten waren dort wiederholt kleine Erderschütterungen verspürt worden und die Ein­wohner glaubten, daß sich die vulkanische Kraft auf diese Weise erschöpfen würde. Das war ein Irrtum, denn am 3l. Jan. um 5 Uhr 34 Min. morgens

erfolgte ein heftiges Erdbeben, welches die ganze Insel in Bewegung versetzte. Wände, Dächer, Bö­gen stürzten in Zante zusammen »ud die erschreckten Einwohner liefen schreiend nach den offenen Plätzen. Als es tagte, zeigte es sich, daß nicht ein Haus un­versehrt geblieben. Während des ganzen folgenden Tages dauerten die Erdstöße fort. Die Einwohner von Zante kampierten in den Olivenhainen. Die Nacht vom 31. Jan. auf den 1. Febr. war schön und der Mond schien hell. Da erfolgte um 2 Uhr morgens wieder ein sehr heftiger Stoß, der insbe­sondere in den Dörfern arge Verheerungen anrich­tete und zwei dem Erdboden gleich machte. Gestern erfolgte ein dritter Stoß, der am Schloßgesäugnis in Zante eine massive Mauer zum Einsturz brachte. Viele Sträflinge liefen hinaus, allein es gelang dem wachhabenden Offizier mit einigen Soldaten, die Flüchtlinge wieder einzusangen. Zante ist die schönste der Jonischen Inseln, gegenüber der westlichen Land­zunge von Morea. Die Insel ist 8sts Stunden lang, gegen 4 Stunden breit und umfaßt 438 Quad­ratkilometer. Die Insel ist reich an Oliven. Wein (40 Sorten!), Korinthen, Zitronen, Granaten, Melo­nen, Salz, Schwefel, Bergöl und Robbenfang. Sie bildet eine Eparchie und eine eigene Monarchie des Königreichs Griechenland.

Das griechische Königspaar hat sich mit seinen beiden ältesten Söhnen, den Prinzen Konstan­tin und Nikolaus nach der so schwer von einem Erd­beben heimgesuchten Insel Zante begeben und ist von der Bevölkerung herzlich empfangen. Die Furcht unter den Bewohnern hat nachgelassen, die Erdbeben haben an Gewalt verloren. Der Schaden beträgt 8 Millionen.

KlriNere NMeUusgen.

Am preußischen Hose herrscht bekanntlich die Sitte, daß die Staatsminister bei einer Hochzeit, einen sogenanntenFackeltanz" ausführen. Ob das der Würde dieser höchsten Spitzen der Staatsbe­hörden entspricht, lassen wir dah-ngestellt sein. Die Exzellenzen müssen sich, wie es scheint, dem seltsamen Brauche unterwerfen. Jüngst war dies wieder ein­mal der Fall und ein deutsches Witzblatt glossiert den Fackeltanz der Minister treffend w-c folgt:

Wie stattlich tanzt dahin der Bosse,

Das weiße Wachslicht in der Hand,

Wie stattlich Thielen, sein Genosse,

Und Heyden, ei, wie elegant!

Wer Kaltenborn sicht lieblich schreiten.

Sagt wie bezaubert: Ach, wie nett!

Bei Miquel heißt's von allen Seiten:

Der war wohl früher beim Ballet!

Und züchtig wie ein junges Mädel Naht Berlepsch, und es folgen nach Mit seiner Fackel unser Wedel Und der gelenke Achenbach.

Da kommt auch Delbrück, und nicht müßt' ich, Wer so wie er die Fackel trug,

Und Boetticher tanzt wirklich rüstig,

Und Eulenburg beschließt den Zug.

Mir ist's, als ob ich reden höre Die Herr'n, bedenkend ihren Rang:

Wenn es uns nicht befohlen wäre,

Bei Gott, wir fackelten nicht lang'!

Die Gewohnheit, zum Zweck der leichteren Zäh­lung von Banknoten die Finger mit den benetzten Lippen in Berührung zu bringen, hat dieser Tage in Wien ein Menschenleben gefordert. Der 28- jährige verheiratete Kommis Schmeterer verspürte nämlich um die Mitte vorigen Monats an der Un­terlippe einen stechenden Schmerz, nachdem er kurz vorher eine Menge von Bank- und Staatsnoten auf die bezeichnte Weise abgezählt hatte. Anfänglich legte man der Sache keine besondere Bedeutung bei, bis sich eine Blutblase um die Lippen gebildet hatte. Am 22. v. M. veranlaßte die Gattin des Kranken dessen Uebersührung in ein Krankenhaus. Leider war es zu spät. Trotz einer sofort vorgenommenen Operation starb der Patient.

Ein Geistlicher als Räuberhauptmann. Die in Rom erscheinendeRiforma" schreibt: Vor dem Gerichtshöfe in Tram fand die Verhandlung gegen eine Schaar von zwanzig Uebelthätern statt. Ihr Führer, der berüchtigte Bandit Bruno, ist vori­ges Jahr in einem Gefechte mit Carabinieri erschossen worden. Die Mitglieder seiner Bande wurden ge-