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die Beurteilung der Weinfälschungsfrage sei wegen der verschiedenartigen Auffassung der BegriffeWeinverbesserung" undWeinfälschung" äußerst schwierig. Die Regierung müsse hier die positiven Anträge aus dem Hause selbst erwarten. Lingens (Zentr.) will jede Manipulation, welche den Charakter des Weins als reinen Naturweins verändert, unter Strafe gestellt wissen. Rickert behauptet, eine solche Vorschrift würde den Ruin des deutschen Weinhandels bedeuten. Buhl (nat.-lib.) ist im Prinzip für Natur­weine, will jedoch Verbesserungen zulassen; nur soll das beim Verkauf zum Ausdruck gebracht werden. Das weintrinkende Publikum verlange, daß man den Wein nicht fälsche, es müsse aber erlaubt werden, ihn zu verbessern.

Nach längerer Debatte teilt Staatssekretär v. Bötticher mit, daß dem Bundcsrate ein Gesetz über die Verwendung giftiger Farbstoffe vorliege.

Hierauf wird der Etat des Gesundheitsamtes nach dem Kommissions­antrag unverändert genehmigt. Nächste Sitzung Freitag: Fortsetzung der Etatsberatung.

Berlin, 5. Jan. Die Militär-Kommission lehnte den Antrag des Centrums, 468,000 Mann auf 3 Jahre zu bewilligen, ebenso den Antrag Köller, diese P r ä s e n z z i f f e r auf 7 und endlich den Antrag der Freisinnigen, 445,000 Mann auf 3 Jahre zu gewähren, ab. Sonach wurde § 2 Alinea 1 (Präsenzziffer) abgelehnt; dagegen wurde Alinea 2 (Formation) angenommen. Die Finanzfrage bleibt dem Plenum Vorbehalten.

Der Gesundheitszustand des Fürsten Bismarck ist derM. Z." zufolge vor dem Feste nicht sonderlich befriedigend gewesen! es erfolgt deshalb die Berufung seines Leibarztes Dr. Schwenninger nach Friedrichsruhe. Der Arzt soll dem Fürsten geraten haben, mindestens bis zur Mitte des Februars in Friedrichsruhe zu verbleiben und dann erst zu den Geschäften nach Berlin zurückzukehren; heute aber hieß es, derselbe sei bereits zum 15. Januar zu erwarten. Vorläufig wird angenommen, auch die zweite Lesung der Militärvorlage werde ohne Fürst Bismarck stattfinden und der Kriegs­minister allein werde die Vertretung der Regierung übernehmen.

O e st e r r e i ch.

Wien, 5. Jan. Aus Sofia wird gemeldet: Nachdem festgestellt ist, daß das Volk gegen die Kandidatur des Dadian von Mingrelien ist, und nach der Unterredung des englischen Botschafters mit dem Großvezir glauben die Regierangskreise, daß Rußland diese Kandidatur fallen läßt. In Sofia wurde eine Agitation entdeckt, welche die Bevölke­rung aufwiegelte und Unterschriften für eine Petition an den Zaren behufs Occupation des Landes sammelte.

. , d Gcrges-Weirigkeiten.

* Altheng stett, 6. Jan. Gegenwärtig sind die Gemüter an­gesichts der politischen Unsicherheit auch in unserer Gemeinde ziemlich erregt. Mütter klagen schon längst über ihre Aktiven, Schwestern stricken vorsichts­halber bereits Strümpfe für ihre auszumarschierenden Brüder und die Männer erinnern sich der Kosaken und Franzosen, deren Menschenfreundlichkeit noch heute die Aeltesten in verschiedenen Proben zu schildern wissen; Geschäftsleute beklagen schon jetzt die nahende Geschäfksstockung. So darf es nicht wundern, daß auch hier letzten Sonntag die aufgelegte Petition an den Reichstag um sofortige Annahme der Militärvorlage in sehr kurzer Zeit mit 135 Unter­schriften bedeckt mar, denn Niemand glaubt hier im Falle der Ablehnung an eine Besserung, wohl aber an eine Verschlimmerung der unguten Zustände. Die Stimmung der ganzen Gemeinde läßt sich in die Worte fassen: Lieber alles der Regierung bieten, als einen Fuß des Feindes auf vaterlän­dischem Boden sehen.

(!) In Breitend erg samt Filial Oberkollwangen haben sämtliche zum Wählen in den Reichstag Berechtigte mit einigen kaum nennenswerten Ausnahmen die Bittschrift an den Reichstag betreffs der

Militärvorlage unterzeichnet, wodurch die Zahl von 110 Unterschriften er­reicht worden ist.

Herrenberg, 4. Jan. Auch hier wurden Unterschriften zu einer Petition an den Reichstag um unveränderte Annahme der Militärvor - läge gesammelt. Die mit zahlreichen Unterschriften versehene Adresse ging gestern von hier ab.

Stuttgart, 4. Jan. Wegen Ablebens Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Prinzessin Marie von Württemberg ist Hoftrauer von heute an auf vier Wochen, die erste Hälfte in dritter, die zweite in vierter Abstufung der Hoftrauerordnung, angeordnet worden.

Stuttgart, 6. Jan. In dem aus Nizza eingetroffenen Dank­schreiben für die Neujahrsglückwünsche der hiesigen bürgerlichen Kollegen heißt es:Ihre Majestäten hegen die Hoffnung und den herzlichen Wunsch, daß ihre Haupt- und Residenzstadt wie das ganze württembergische Land, deren Wohl ihr innigstes Anliegen ist, auch im kommenden Jahre unter den Segnungen des Friedens gedeihe und aufblühe und werden, was auch die Zukunft bringen mag, Freud und Leid stets in treuer und warmer Fürsorge mit ihrem geliebten Volke teilen."

Aus dem Murgthal, 2. Jan. In dem bei Forbach gelegenen badi­schen Orte Bermersbach wurden in den letzten Tagen 16 bis 20 Wildschweine, teils Frischlinge, teils alte Sauen, von den Waldarbeitern mit der Axt erschlagen; bei einer Jagd vor 3 Tagen lief ein angeschossener Eber durchs Dorf, warf ein Kind um und biß ihm drei Finger ab. In verflossener Woche kam ein Eber durch das Oberdorf und stellte eine Frau, bis ein Nachbar ihn mit der Axt vertrieb. Derselbe Eber griff einen Mann an, der mit Heu des Wegs kam. Andere Männer eilten zu Hilfe, da der Angegriffene sonst von dem Tiere zerfleischt worden wäre. Am Freitag mittag wurden zwei Waldarbeiter von einem Eber angepackt, einer schwer am Schenkel verwundet und auf den Boden geworfen. Der Begleiter des Verunglückten schlug mit der Axt dem Eber den Schädel ein.

München, 5. Jan. Dem Prinz-Regenten wird heute Abend von der Münchener Künstlerschaft ein solenner Fackel zug dargebracht. Der Prinz-Regent wird diese Huldigung von den Appartements des Königsbaues aus, in welchen König Max II. wohnte, entgegennehmen.

Hirschberg i. Schl., 6. Jan. In Folge heftiger Stürme und enormer Schneewehungen sind wiederum große Verkehrs­störungen überallhin eingetreten. Bei Rebnitz entgleisten sieben Wagen eines Güterzuges. Der gestrige Berliner Abendzug traf heute früh ein. Die Richtung nach Breslau ist gesperrt. Zwischen Ja nowitz und Schild au blieb ein Zug stecken, da die Maschine entgleiste. Bei Merzdorfist die Strecke vollständig verweht. Die Richtung nach Schmiede« berg bei Zillerthal ist gesperrt. Züge verkehren nicht.

Metz, 5. Jan. Dynamitexplosion. Heute hat sich in der Nähe unserer Stadt ein bedauerlicher Unglücksfall zugetragen. Von der Veste Friedrich Karl herab wird eine Militärstraße angelegt und ist man gegenwärtig mit Wegsprengung von Felsteilen beschäftigt und zwar unter An­wendung von Dynamitpatronen, die der kalten Witterung wegen gegenwärtig erst angewärmt werden müssen, bevor sie gebraucht werden können. Es ge­schieht dies auf eine einfache Art, bei der selbstverständlich, große Vorsicht angewandt werden muß. Mit dieser Prozedur war ein erprobter Mienen­arbeiter betraut, dem drei Gehilfen zur Hand gegeben waren. Das Wärmen des Dynamits wurde in einer Bretterbude vorgenommen, als auf einmal ein furchtbarer Knall ertönte und die Bude in die Luft flog. Die Patronen waren explodiert und hatten den einen der Arbeiter, einen gewissen Julius Massy aus Chatel, Vater von 5 Kindern, vollständig in Stücke zerrissen, einem anderen Arbeiter namens Michel aus Lorry den Brustkasten zer­trümmert und ebenfalls getötet, während die beiden übrigen, von verhältnis­mäßig unbedeutenden Verletzungen abgesehen, glücklich davongekommen sind.

Auch das noch!"

Der Fremde seinerseits erhob sich mit kältester Ruhe vom Sitz.

Herr Doktor," sagte er,entweder ist dieser Herr wahnsinnig, oder es bedarf im Augenblick einer Erklärung, die nur Sie geben können. Wen habe ich die zweifel­hafte Ehre zu sehen?"

Spitzbube!" rief der heißblütige Walter.Du wirst schon anders sprechen, wenn erst die Polizei Dich fragt."

Julius fühlte die Notwendigkeit einer Einmischung; er mußte sein Gesicht dem Anderen zeigen, obgleich er wußte, daß es ohne Worte Alles verraten 8>ürde.

Walter," sagte er tonlos,Walter, Du irrst. Dieser Herr ist ein lang­jähriger Bekannter von mir. Ich behandelte ihn einst im Spital von K. und habe ihn in höchst ehrenvoller Stellung auch später wiedergesehen. Du verwechselst ihn mit jenem Anderen. Dich täuscht eine Aehnlichkeit. Herr"

Robert Webs!" half der Fremde ein.

Herr Robert Webs kann unmöglich Geld gestohlen haben. Du solltest ihn vielmehr um Entschuldigung bitten, Walter."

Der junge Postbeamte schüttelte den Kopf; er hatte das Gezwungene in dem Tone seines Freundes längst bemerkt und hielt ihn jetzt für das Opfer einer plumpen Mystifikation.

Julius," rief er,so wahr ich lebe, es ist der Kerl! Die Stimme, die Hal­tung, der Blick ich kann mich unmöglich täuschen!"

Julius legte seine Hand auf die des Anderen, schwer und eiskalt, als sei sie die eines Toten.

Doch, Walter! doch!" sagte er.Du irrst vollständig."

Und sich in dieser Stellung dein Fremden zuwendend, reichte er ihm das Blanquett.

Hier, Herr"

Julius!" rief außer sich der Postbeamte.Julius, Du kennst faktisch garnicht den Namen dieses Betrügers! Laß Dich doch warnen, ehe möglicherweise Dein Ruf durch die Verbindung mit einem Gauner unheilbaren Schaden erleidet!"

Der Doktor zuckte zusammen. Seine kalte schwere Hand legte sich kälter und schwerer um den Arm des Anderen.

Laß das, Walter! Ist es so in Ordnung Herr Webs?"

Der Fremde ergriff den Hut und verbeugte sich mit offenbarem Hohn vor seinem Angreifer.

Besten Dank, Herr Doktor! Ich empfehle mich Ihnen, Monsieur. Sollten wir uns irgendwo am dritten Orte treffen, verspreche ich Ihnen die genauere Be­kanntschaft meiner Reitpeitsche."

Und langsamen Schrittes das Zimmer verlassend, freute er sich triumphierend der eklatanten Niederlage, welche sein Beleidiger erlüten. Noch von der Straße herauf spöttisch grüßend, setzte er abermals das leichtbewegliche Blut des ehemaligen Offiziers in schnelleres Tempo.

Julius ich handle auf eigene Verantwortung ich laufe ihm nach er ist der Dieb, so gewiß ich hier vor Dir stehe!"

Der Doktor hielt seine Hand fest.

Bleib!" rief er beinahe befehlend.Ich will es!"

Und dann, nachdem ihn der Andere mit wortlosem' Erstaunen angesehen, fügte er hinzu:Walter ich bin krank bitte mir zu Liebe Doktor Helms um seinen Besuch für meine hauptsächlichsten Pattenten er kennt sie alle"

Der junge Freiherr nickte.

Ich gehe sogleich, Julius, aber ich bin Dein Freund nicht mehr? Hast Du mir über diese seltsame Angelegenheit Nichts anzuvertrauen?"

Ein stummes Kopfschütteln war die einzige Antwort.

Stunden vergingen, bevor Julius Ruhe und Festigkeit genug erlangt hatte, um seine Frau im Schlafzimmer auffuchen zu können. Er saß am Fenster und sah starr hinaus, gedankenlos vor Groll und Kummer, tödlich getroffen von diesem un­erwarteten, vernichtenden Schlag. Nur ein einziger Heller Strahl belebte das Dunkel, welches ihn umgab: die Erinnerung an jene Andere, die wirkliche Elisabeth Herbst.

(Fortsetzung folgt.)