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Tages-Werrigkeiten.

Nov. In vergangener Woche hielt Hr. Oberförster Staatswald Weckenhardt, bei Oberreichenbach

* C,alw, 1.

ein Treibjagen ab, bei welchem die eingeladenen SchützeiflgerMzü^rNüsMV" "ebst Wirtschaftsgebäuden, die altehrwürdige Kirche, derGasthof zum grünen

überrascht wurden. Es war denselben vor Beginn mitgeteilt worden, daß auch einige Stück Hochwild im Trieb sein könnten, welche jedoch nicht ge­schaffen werden sollten. Wie erstaunt aber waren die Schützen als 3 Hirsche, Kühe mit Kälbern, im ganzen 14 Stück, anliefen, worauf der Abschuß ge­stattet wurde. Die Folge davon war, daß noch 2 Tiere zur Strecke kamen. Das Wild kam unverhezt und unscheu, Hund und Hirsch gewöhnlich zusammen.

Stuttgart, 30. Okt. Fe'uersee-Korrektion. Die scM "nachmittag hier ab. Ein junges Dienstmädchen hatte im Wahnsinn das Dach

mehrfach besprochene Horizontallegung der Feuerseesohle, durch welche winters eine gefahrlose Eisbahn gewonnen werden soll, ist gestern in Angriff genommen worden. Das Wasser des Sees ist abgelaffen worden und hat einen ca. I'fl Fuß tiefen Schlamm zurückgelaffen, auf dem eine Menge von Fischen, Fischlein und Krebsen herumzappeln. Dieselben wurden von Knaben und Mädchen aus dem Schlamm herausgeholt, in Töpfe gebracht und zu einer Mahlzeit nach Hause getragen oder verkauft. Die Umwohner des Sees haben allerdings von dem Schlammgeruch und dem Gestank verwesender Fische nicht wenig zu leiden.

Baden-Baden, 28. Okt. Sicherem Vernehmen nach wird die deutsche Kaiserin nach siebenwöchentlichem Aufenthalte unsere Stadt nächsten Samstag verlassen, um für einige Zeit sich nach Koblenz zu begeben. Die hohe Frau hat sich zur allgemeinen Freude außerordentlich gekräftigt und unternimmt bei dem herrlichen Herbstwetter nicht nur tägliche Spazierfahrten, sondern verläßt gewöhnlich auf den Höhen den Wagen, um, von einer Hofdame und dem Kammerdiener begleitet, sich in den Wäldern zu ergehen.

Augsburg, 24. Okt. Es war bisher ein sehr seltener Fall, daß sich das zarte Geschlecht wegen eines Vergehens wider die persönliche Freiheit § 241 des St.-G.-B. vor dem Strafrichter in Bayern zu verant­worten hatte, eines solchen Reales war die 22 Jahre alte Fabrikarbeiterin Maria Seltsam von Aichach vor der Strafkammer am kgl. Landgerichte dahier angeklagt. Sie unterhielt längere Zeit mit dem Mühlburschen Max Huber aus Ludwigsmoos, Bezirksamts Aichach, z. Z. Soldat im 10. In­fanterie-Regiment, ein Liebesverhältnis, das nicht ohne Folgen blieb. Huber löste hierauf das Verhältnis, weshalb die Angeklagte auf Mittel sann, um sich aus Eifersucht zu rächen. Am 26. April l. I. kam Huber in Urlaub nach Aichach und als er in Folge ergangener Einladung einen Besuch ab­statten wollte, feuerte Maria Seltsam auf offener Straße aus einer mit einem Papieipfropfen geladenen Pistole einen Schuß auf ihn ab, während sie, nachdem sie bemerkte, daß der Schuß nicht die beabsichtigte Wirkung hervorbrachte, ausrief:Ich erschieß Dich doch noch und wenn ich gleich 10 Jahre ins Zuchthaus komm'". Am gleichen'Tage äußerte die An­geklagte wiederholt zu mehreren Personen:Wenn ich ihn treffe, erschieß ich ihn doch noch." Der k. Staatsanwalt Vickel beantragte gegen die bisher nicht bestrafte Angeklagte 4 Wochen Gefängnis, während das Gericht unter Würdigung der gereizten Stimmung der Beschuldigten und der ganzen Ver­hältnisse auf 5 Tage Gefängnis erkannte.

Cassel, 27. Okt. Zu dem bereits gemeldeten großen Brand­unglück in Lichtenau, wird derRh. Wests. Ztg." noch berichtet: Höchstwahrscheinlich ist das Feuer in einem Stallgebäude unweit der Kirche auf bis jetzt noch unaufgeklärte Weise ausgebrochen; durch den starken Wind angefacht, verbreitete sich das Feuer mit rapider Schnelle und standen in wenigen Minuten vier Wohnhäuser in Flammen; die erschreckt aus ihren Belten auffahrenden Bewohner retteten kaum ihr Leben, das wenige Geräte wurde, kaum begreiflich, in die unweit stehende Kirche geschafft. Da nun auch diese gegen morgen in Brand geriet, so verbrannten nun auch die bisher verschont gebliebenen Sachen noch, die man mit Lebensgefahr gerettet hatte.

Die ganze linke Häuserreihe der vom Bahnhof führenden Hauptstraße, von der Kirche bis zum Postgebäude, liegt in Schutt und Asche; Rathaus und Postgebäude konnten nur mit großer Mühe gerettet werden. 17 Wohnhäuser

Baum" sind total abgebrannt; die Kirchenglocken geschmolzen, 35 Familien sind obdachlos und nur der kleinere Teil hat versichert. Der Gesamtschaden wird auf 4- bis 500,000 vlL angegeben. Es ist nur wenig gerettet und ge­bricht es den ärmeren Leuten an Allem, was zum Leben nötig ist, namentlich an Kleidungsstücken und Lebensmitteln. Hilfe thut Not.

Remscheid, 27. Okt. Eine aufregende Scene spielte sich gestern

eines Hauses erklettert und warf aus dieser gefährlichen Situation die Ziegel unter die zahlreiche Menge, welche sich unten angesammelt hatte. Erst nach vieler Mühe gelang es einigen beherzten Männern, die Wahnsinnige zu feffeln und in Sicherheit zu bringen.

Die Lüneburger Anzeiger berichten unterm 25. ds. Mts: Die gestern abend im Schützenhause vom Thalia-Verein veranstaltete Tanzbelusti­gung hatte leider einen argen Exzeß zur Folge. Es kamen, während sich die Paare arglos im fröhlichen Tanze drehten, ungefähr dreißig Dra­goner mit gezogenem Säbel die Treppe herauf in den Saal gestürmt und hieben blindlings um sich. Weder Frauen noch Kinder wurden geschont und Mobiliarstücke in großer Menge zerstört. Lampen, Tische, Gläser, Fenster­scheiben , ja sogar Kruken mit eingemachten Früchten und anderes fiel den Aufgeregten zum Opfer. Als die zu Hilfe gerufenen Polizeibeamten am Thatorte erschienen, war ein blutiger Kampf zwischen Dragonern und Zivilisten bereits beendet. Vom Schießgraben bis zur Behrschen Mühle hatten sich Gruppen aufgeregter Zivil- und Militärpsrsonen aufgestellt, welche letztere der an sie ergangenen Aufforderung, den Platz zu räumen, nicht nachkamen, weil sie die noch im Schützenhause befindlichen Kameraden mit­nehmen wollten. Währenddem nun unter Heulen und Wehklagen des weib­lichen Geschlechts, das sich in die Privatzimmer des Schützenhauses geflüchtet hatte, die Räumung des Tanzlokales vorgenommen wurde, ertönte ein in der Nähe abgefeuerter Schuß. Die dorthin geeilten Beamten stießen daselbst auf einen Trupp (ca. 60 Mann) Dragoner, die zum Teil mit blanker Waffe abermals im Begriffe waren, den Kampf zu erneuern. Es gelang, den Ur­heber des Schusses, einen neunzehnjährigen Arbeiter G., festzunehmen und dessen Revolver, der noch mit drei scharfen Patronen geladen war, zu kon­fiszieren. Die Beamten wurden in ihrer keineswegs beneidenswerten Thätig- keit von hinzugekommenen Unteroffizieren des Dragoner-Regiments in lobens­werter Weise unterstützt.

Altona, 26. Okt. Die Lust unserer stark mit sozialistischen Elementen durchsetzten Bevölkerung zu Demonstrationen hat schon oft die Behörden sowohl, als die Regierung zu strengen Maßnahmen veranlaßt, ohne daß es gelungen wäre, diese Lust vollständig zu unterdrücken. Jetzt hat eine derartige Demonstration sogar den Charakter eines Aufruhrs, eines Landfriedensbruches angenommen, welcher in der davon betroffenen Gegend eine heillose Panik erzeugte. Ein Samstag abend entstandenes großes Feuer in den Räumen des früheren Ausstellungs-Pavillons hatte ein nach Tausenden zählendes Publikum herangelockt, welches sich dermaßen drängte und stieß, daß die Polizei mit der blanken Waffe Ordnung schaffen mußte, wobei zahlreiche Verwundungen vorkamen. Am Sonntag Abend nun bot die große und kleine Freiheit eine Gegend der Vergnügungen zweifelhafter Art ein Bild großer Aufgeregtheit; Trupps von Arbeitern, namentlich Maurer, durchzogen demonstrativ die Straßen und fingen in den verschiedenen dort befindlichen Tanzlokalen Streit an. Nachts gegen 2 Uhr zog ein circa fünfzig Mann starker Trupp durch die große Freiheit, gefolgt von mehreren Polizei­wächtern , welche die Menge zum Auseinandergehen aufforderten. An einer ziemlich dunklen Stelle der Straße machte der Trupp plötzlich Kehrt und griff mit einem Steinhagel unter den Rufen:Kameraden! Nehmt

-arbeitenden Mann von jeher umgab, fiel wie ein Sonnenblick zum ersten Male das Bewußtsein, geliebt zu werden. Es schmeichelte ihm, es kam wie ein heimlicher, lang entbehrter Segen.

Das nächste Alleinsein mit ihr brachte vielleicht ein bindendes Wort, entschied über seine und ihre ganze Zukunft. Mochte es so kommen! Er wollte den Tag be­grüßen wie ein hohes, schönes Fest.

Und nach Hause zurückkehrend, konnte er sich sagen, daß seine Weihnachts­stimmung gefunden sei. Auch er horchte. Mußte sie ihm denn nicht an dieser Stelle nochmals begegnen?

Sein lächelnder Blick streifte die Treppe.

Gate Nacht, Elisabeth!" - Was sagte doch Walter?Schwarze Diamanten!" Wahrhaftig, er hatte Recht, aber nur in Bezug auf die Augen! Ihr Herz ist ein Heller, glänzender Edelstein.

Draußen tanzten im Mondlicht die einzelnen klaren Flocken, Alles in der NattE war still und feierlich. Schicksalsstimme warnte vor dem Abgrund, der zwei Leben zu verschlingen drohte. Am andern Morgen fühlte sich, wie immer nach irgend einer Auflegung, die kranke Frau so schwach, daß die Rücksicht für sie jeden anderen Gedanken in den Hintergrund drängte; die Festtage vergingen bei herabgelassenen Vorhängen, und sowohl der Doktor als auch Elisabeth widmeten ihre ganze Zeit der armen Dulderin, die meistens in Halbschlummer lag und nur zuweilen mit mattem Dankesblick von einen: der jungen Leute zum andern sah, als wolle sie sagen:Der Himmel erhört meine liebste, inständigste Bitte ich weiß es."

Dann konnte Julius lächeln, das unglückliche Mädchen aber erschien nur noch angstvoller, scheuer in sich zusammenzusinken; sie wich ihm geflissentlich aus, sodaß er wenig oder gar keine Gelegenheit fand, sich ihr zu nähern.

Du bist mein lieber, guter Engel, mein Trost und meine Freude", hatte die kranke Frau gesagt,und ich glaube, Tu wirst mir, ehe ich sterbe, noch viel mehr sein. Mein ganzes Herz nennt Dich Tochter!"

Wenn dann Julius hinzukam und dann stillschweigend ihre Hand an seine Lippen zog, gleichsam als Bestätigung dieser Worte, wenn er sich von dem Leidens­

gesicht seiner kranken Mutter mit so tief empfundener, männlicher Trauer abwandte, war es da wohl möglich, in solchem Augenblick und unter solch kritischen Verhält­nissen das schwerwiegende Wort des Bekenntnisses auszusprechen? Wo die Umgebung eines Kranken auf leisen Sohlen schleicht und leise Flüsterworte tauscht, da darf nicht der Orkan plötzlich und unvorbereitet entfesselt werden.

Elisabeth wagte nicht, jetzt zu sprechen; die Kranke ließ sie auch kaum auf Minuten von sich, ihr blieb keine Gelegenheit während des ganzen Tages; und in der Nacht schlief sie auf dem Sopha oder vor dem Bette im Lehnstuhl, nur um immer zur Hand zu sein.

Tante Josephine teilte redlich alle diese Mühen.

Ich glaube, es geht zu Ende", sagte sie, während große Thränen über ihre Wangen herabrollten.Was meint Julius, liebe Elisabeth! Hat er mit Ihnen gesprochen?"

Die Gesellschafterin wandte sich ab.

Herr Doktor Hartmann fürchtet für den Augenblick nichts, Fräulein Haber­land", versetzte sie seufzend,aber wäre es nicht an der Zeit, jetzt, im Angesicht des nahen Todes, den alten Zwist zu vergessen? Sprechen Sie ein gütiges Wort, und alles ist ausgeglichen!"

Tante Finchen schüttelte den Kopf.

..Er hat mich zu sehr beleidigt, zu unversöhnlich es ist schon ein schweres Opfer, daß ich überhaupt mit ihm spreche und äußerlich ruhig erscheine. Wäre es nicht um meiner armen Schwester willen, so könnte er in Gottes Namen auf und davon gehen. Ich würde ihn nicht zurückhalten."

Aber sie lieben ihn doch, Fräulein Haberland! Er ist beinahe auch ihr Sohn müßte es Ihnen nicht leid thun, ihn zu verlieren?"

Das alte Fräulein schüttelte den Kopf, während unter der Brille hervor die Thränen unaufhaltsam flössen.

(Fortsetzung folgt.)