Graf Wälder see interviewt. Nach der „Voss. Ztg." ist der Chef des deutschen General-^ stabes von einem Vertreter des New-Aork-Herald i interviewt worden. Auf die Frage, ob er einen i Krieg als unvermeidlich betrachte und deshalb schleunigst herbeiwünsche, antwortete Waldcrsee: „Daß ich einen Krieg wünsche, ist Unsinn; ich wünsche, daß wir so stark organisiert sein mögen, daß unseren Feinden jede Lust, uns anzugreifen, vergeht. Sollte die Vorsehung uns aber einen Krieg senden, so glaube ich zuversichtlich im stände zu sein, die mir anvertrauten Aufgaben auszuführen. Ich kenne den Aufopferungsgeist der Deutschen und weiß, mit welchem Vertrauen sie ihrem jungen und energischen Kaiser folgen werden. Ich kenne auch unsere Armee und bin gewiß, daß sie, was Tüchtigkeit betrifft, jeder anderen überlegen ist. Andere Nationen mögen unsere taktischen Formen und unsere Waffen nachahmen , sie können aber nicht die moralische Qualität nachahmen, und das ist gerade die Hauptsache. Unsere Bündnisse erhöhen unsere Stärke und sind jedenfalls eine kräftige Friedensbürgschaft, aber ich bin gewiß, daß die Macht Deutschlands, in einer einzigen starken Hand gehalten und geleitet von einem einzigen festen Willen, stark genug ist, um einer Koalition mit guter Hoffnung auf Erfolg allein die Stirn zu bieten."
Deutscher Reichstag. Die am Dienstag begonnene Etatsberatung wurde am Mittwoch in sehr animierter Debatte fortgesetzt. Abg. von Wedelt-Malchow zkons.) erachtete eiue sehr genaue Prüfung der neuen Mili- tärforderungen für geboten, aber einfach von der Hand weisen dürfe man sie nicht. Am Vorabend eines Kiieges könne nicht erst alles beschafft werden. Hr. Rickert habe gestern von hohen Steuern gesprochen, aber in parlamentarischen Ländern sei cs auch nicht anders. Die Angaben über die bestehende Tcnerung seien ebenfalls übertrieben. Abg. Belt e l (Soz.) bekämpfte die neuen Militärsorderungen als unnötig. Die Völker dächten gar nicht an Krieg und unwahr sei es, zu behaupten, daß nur durch die Fürsten mühsam der Friede erhalten werde. Unser Erbfeind sei auch gar nickt Frankreich, sondern das Barbarcnland Rußland. Redner bekämpfte dann die Getreidezölle und sagte zum Schluß, daß die Maßnahmen gegen die Sozialdemokratie t» Zukunft ebensowenig nützen würden, wie in der Vergangenheit. Kriegsminister Verdu du Vernois erwiderte, daß d>r deutsche Kaiser ehrlich den Frieden wolle Durch Aeußerungen, wie die Bebels über Rußland werde er aber nicht gefördert. Abg. von Bennigsen (natlib.) konstatiert, daß Deutschland wirklich den Frieden wolle. Werde er gefrört, so hätten wir doch keine Schuld. Redner erachtet die Tilgung der hohen Reichsschuld und die Bildung eines eigenen verantwortlichen Reiciis- finanzministcriums für dringend erwünscht. Die G trcidezölle würden kaum immer so hoch, wie jetzt, behalten werden können, aber sofort sei an ihre Beseitigung nicht zu denken. Der Abg. Rickert habe unsere inneren Verhältnisse viel zu schwarz gemalt. Das deutsche Volk sei durchaus zufrieden und werde die Aeußerungen Rickert» nur als Karrikatur anf- fassen. Abg. Windthorsl meint, Bennigsen's Rede sei auch eine Karrikatur. Unsere inneren Verhältnisse ließen in der That recht viel zu wünschen übrig. Redner forderte die eingehendste Prüfung der Militärfordcrnngen, die denn doch etwas gar zu hoch seien. Abg. von Kardorff ffreikons.j wird die Darlegungen des Kriegsministers über die Militär- forderungen abwarten und bestreitet, daß unsere inneren Verhältnisse traurige seien. Darauf wird die Sitzung auf Donnerstag Mittag vertagt. — Die Centrumspaitci bat einen Antrag auf Befreiung der Geistlichen von der activen Militärpflicht im Reichstage eiugebracht.
(Deutscher Reichstag.) Donuerstagssitznng. Die erste Ekatsberatung wird fortgesetzt. Staatssekretär Frhr. v. Maltzahn betont, daß die hohen Nenfordernn- gen der Reichsregiernng auch keine Freude machten, aber sie seien notwendig. An eine plötzliche Aufhebung der Zölle sei doch beim besten Willen nicbt zu denken. übrigens seien in Preußen allein 78 Millionen zu Stencr-Eileichte ungen verwendet. Das s i doch kein schlechtes Resultat. Abg. Richter-Hagen speis.) bestreitet, daß das neue französische Wehrgesctz die neuen deutsche» Mililärforderungen begründe, und bekämpft die Flottenvcrstäikung. Die neue Kaiseryacht möge man auf Kosten der Krondotation bauen, die im vorigen Jahre erst nm ö Millionen erhöht sei. D e Ko- louialpolitik sei unnütz In Lstasrika würde gebrannt und gelötet, das heiße mau dann Kultur nach Afrika tragen. Herrn von Bein igscns Forderung auf Errichtung eines Reichsfiuanzinittisicrinius habe die volle Zustimmung der freisinnigen Partei. Lb aber die Aufstellung eines solchen Verlangens die Nationallibcralen nicht zu Rcichsfeinden mache? Redner bekämpft die Wirkichaftspoliuk Fürst Bismarcks, nennt unsere inneren Verhältnisse sehr traurige, denn die Gleichberechtigung aller Konse sioncu und Stände sei durch die antisemitische .Heye und bekannte Aeußerungen über den Adel i erschüttert. Die Sozialdemokratie sei aus der Politik des i Fürsten Bismarck hervor.wgaugcn und in dieser Politik liege die Gefahr für die Zukunft. - Staatssekretär von B ö t-> 1 ichcr erwidert, er begreife nicht, wie Hr Richter in einem ^ Lande bleibe, dessen Zustände so traurig seien, liniere Wirt- ^ ichaftlichc Lage sei aber gar nicht so ungünstig, die Ausfuhr ^ und Einfuhr habe erheblich «genommen. Zur Abwendung ^ der Srncheng-fakr war das Schweineeinfuhrverbot unbedingt ' nötig, die Flcrjcl Preise seien auch im Auslände gestiegen. Die 'Regierung habe sich durch Tari'cruiäßigmigen und an- s dere Maßnahmen bemüht, die Erhöhung zu mäßigen. Tie i Geirridevteisc seien heute noch nicht einmal so hoch, wie sic!
zeitweise vor Einführung der Kornzöllc gewesen. Die Löhne der Arbeiter hätten sich bedeutend gebessert. Abgeord. von Bennigsen bestreitet, daß Richters Schilderung eine zutreffende sei. Im ganzen deutschen Reiche sei in Dörfern und Städten ein bedeutender Aufschwung bemerkbar. Wenn Herr Richter trotzdem bei seiner Rolle als Unzufriedener beharren wolle, dann möge er es thnn. Abg Rickert (freis.) bedauert, daß Herr von Bennigsen seine Ansichten so sehr gegen früher geändert. Damals habe er ganz anders gesprochen. Darauf wird die Debatte geschlossen, und die wichtigsten Etatstitel werden an die Budgetkommission verwiesen. Nächste Sitzung: Montag 1 Uhr. (Erste Beratung des Sozialistengesetzes.)
Das Zentrum beschloß nach längerer Fraktionsberatung einstimmig, daß das Sozialistengesetz in der vorgelegten Form unannehmbar sei.
Das deutsche Emin-Pascha-Comitee in Berlin hat jetzt definitiv beschlossen, Dr. Peters sofort zurückzuberufen , da die Expedition wegen des Anmarsches Emin-Paschas zur Küste nutzlos geworden ist.
Aus Anlaß der Annection der Somaliküste durch Deutschland, die vor kurzem bekanntlich erfolgte, haben englische Blätter großen Lärni geschlagen und den Widerspruch ihrer Regierungen angekündigt. Es scheint aber, als ob über die Besitzfrage schon vor der Annection zwischen Berlin und London eine Vereinbarung getroffen ist, so daß also nicht mehr viel geändert werden kann. Fürst Bismarck ist in Ostafrika mit England stets Hand in Hand gegangen, auch den Gesandten des Sultans von Sansibar gegenüber hat er ja das vortreffliche deutsch-englische Einvernehmen betont, und man kann also nicht annehmen, daß die Somaliküste früher annectiert ist, als bis in der Hauptsache volle Einigkeit bestand.
Der österreichische Minister des Auswärtigen, Graf Kalnoky ist am Donnerstag Abend zum Besuche des Fürsten Bismarck nach Friedrichsruhe von Wien gereist.
Angefcuert durch die nicht unbeträchtliche Konkurrenz, welche der Reichspost in Berlin durch die Privatpost der Packetfahrtgesellschaft bereitet wird, hat die ecstere nun etwas ganz Neues ausgesonnen: Mit dem heutigen ersten Novbr. ist eine Straßen- p ost neu eingerichtet worden, die sonst noch nirgends in der Welt besteht, und wodurch die Bestellung aller Briessachen in Berlin außerordentlich beschleunigt wird. Für die Straßenposten sind besondere Wagen erbaut, welche mit Briefkasten versehen und im Innern mit Stempelvorrichtungen, Sortierfach- werkcn und Packtischen ausgerüstet sind. Der Dienst in den Straßenposten wird durch besonders für den Berliner Stadtpostdienst geschulte Beamte wahrgenommen, welche während der Fahrt die aus den Straßenbriefschaltern eingesammelten, sowie durch die Wagenbriefkästen unmittelbar ausgcliescrten Brief- fachen bearbeiten und ohne Aufenthalt den Bestell- Postanstalten znführen. Der Gang der Straßenposten ist so geregelt, daß sie stündlich, etwa zehn Minuten nach jeder vollen Stunde aus 11, strahlenförmig von der Stadtgrenzc zum Stadtpostamtc Berlin 0. fahrenden Linien nach Letzterem fahren, daselbst die Briefe austauschen, alsbald wieder die Rückfahrt antreten und etwa eine Stunde nach der Abfahrt bei itiren Ausgangspunkten wieder eiutreffen. Die Briefbestellung wird dadurch um 1 bis 2 Stunden beschleunigt.
Der Großherzog von Mecklenburg- Schwerin hat seine Reise nach Südfrankreich zum Winteraufcnthalt angetretcn. Nach Privatmit- teilungen ist der Zustand des kranken Fürsten ungünstiger, als bisher bekannt war. Besorgniserregend ist eine Lungenaffektion, welche Blutauswürfe zur Folge hat.
Lesterreick-Ungarn.
Wien. I. Nov. Dem Prinzen Ferdinand von Coburg nahestehende Persönlichkeiten erklären, vorgestern seien Ereignisse privater Natur eingetreten, die eine Aufschiebung der Reise erforderlich machten. Man vermutet, daß die Heiratsangelegenhcit des Prinzen in ein ernstes Stadium getreten sei. Derselbe verabschiedete sich gestern von seiner Mutter in Ebentyal.
Wien, 1. Novbr. Fürst Ferdinand von Bulgarien ist gestern abend nach Sofia zurückgereist.
Ter Erzherzog Johann von Oesterreich wird in das Rcdaktionsburcau des „Newyork-Herald" in Paris eintretcu. Er soll 40000 Fr. Gehalt bekommen. (Ein teurer Redakteur.)
Die böhmische Falschmünz erbandc, von welcher kürzlich einige Mitglieder beim Ausgeben falscher Fünfmarkstücke in Olbernhau i. S. ertappt und dingfest gemacht worden sind, hat nach den vorliegenden neuen Berichten ihr Handwerk jenseits der Grenze in großartigem Maßstab getrieben. Bei der mit großer Umsicht geführten Untersuchung entdeckte man in einem Holzkeller, ziemlich tief im Erdreich vergraben, 8000 Stück funkelnde Fünfmark-Stücke vierfacher Sorte, nämlich preußische, sächsische, würt- tembergische und bayerische. Dieselben sind auf galvanoplastischem Weg aus Zinn und Silber erzeugt. Sie sind den echten täuschend ähnlich, doch um eine Kleinigkeit leichter. Die Stanzen konnten nicht aufgefunden werden, dagegen fand man Münzstock und andere Werkzeuge zur Herstellung der falschen Münzen.
Belgien.
Die Streikbewegung in den belgischen Kohlenbezirken nahe der französischen Grenze nimmt zu. Die Zahl der Ausständischeu ist auf 9800 gestiegen.
Italien.
Rom, 2. Nov. (Privatdepeschc.) Die Wassersnot in Oberitalien hat einen enormen Schaden angerichtech Zwei Ortschaften, Pogetti und Galliern, sind vollsUndig zerstört. (Dsz.)
R o m, 2. Nov. Die „Tribuna" meldet, K a l- noky werde in Fricdrichsruh über die Schwenkung Deutschlands nach dem Zareubesuch zu Gunsten Rußlands aufgeklärt werden.
England.
Glasgow, 2. Nov. Die größte Teppichfabrik Hierselbst) worin 140 Frauen beschäftigt sind, ist infolge eines orkanartikeu Sturmes gestern abend eingestürzt; man schätzt die Zahl der Verwundeten und Toten auf 50.
Türkei.
Konstaut inopel, 1. Novbr. Die Zeitung „Tarik" begrüßt die Ankunft Kaiser Wilhelms als ein glückliches Ereignis für die Türkei und erblickt in dem Besuch des Kaisers einen Beweis, daß Deutschland die weise Politik des Sultans billige. Seit Friedrich dem Großen erfreue sich die Türkei der Sympathie Deutschlands. Der Kaiser werde mit großer Herzlichkeit empfangen werden. Die Zusammenkunft der beiden Monarchen werde die guten Beziehungen zwischen den beiden Reichen befestigen. Deutschland strebe nach Aufrechterhaltnng des Friedens, die Türkei verfolge dieselbe Aufgabe, indem sie eine strikte Neutralität beobachte.
Nach dem nunn 'hr festgestelltcn Programm für den Besuch des deutschen Kaiserpaares in Konstantinopel wird ein Tag der Besichtigung der Stadt und ihrer Denkwürdigkeiten gewidmet werden. Der Sultan wird an diesem Tag mit den Würdenträgern des Staates und den obersten Offizieren der Armee das Kaiserpaar aus dem deutschen Botschafterhotel abholen und mit demselben verschiedene Moscheen besuchen. Auf der ganzen Länge der Fahrt durch die innere Stadt wird das türkische Militär Spalier bilden. Bei der für den Nachmittag in Aussicht genommenen Spazierfahrt am Bosporus wird eine starke Cavallerie-Escorte die kaiserlichen Wagen geleiten.
Zum Empfang Kaiser Wilhelms in Stamm- bul schreibt Neologos: In Iildiz Kiosk werden nicht weniger als zehn große Gemächer für die überreichen Geschenke in Anspruch genommen, welche der Sultan seinem hohen Gaste zu machen gedenkt. Für die Kaiserin ist ein herrliches Diadem bestimmt, welches ein namhafter Juwelier in Damaskus gearbeitet hat. Dasselbe kostet 20.000 türkische Pfund, nach deutschem Gelde etwa 200,000 und wird vom Pa- dischah persönlich der Kaiserin überreicht werden. Der Gesamtwert der Geschenke übersteigt 150,000 türkische Pfund. Als Kronprinz Rudolf von Oesterreich den Sultan besuchte, widmete dieser seinem Gaste Geschenke im Werte von 100,000 Pfund. Dem Sohne des deutschen Reichskanzlers hat der Padischah eine besonders glänzende Auszeichnung zugedacht, über deren Einzelheiten Bestimmtes noch nicht verlautet.
Rußland.
Aus Petersburg. Die Zahl der russischen Seebataillone soll von 10 auf 25 gebracht werden, d. h. aus 25 000 Mann.
Der Jahrestag des Eise n b ahnung l ü ck s bei Borki, bei welchem die russische Kaiserfamilie so wunderbarer Weise verschont geblieben ist, ist am Dieus-