WaS der Kaiser speziell gemeint hat, ist den Mitgliedern der Deputation nicht klar geworden, und bis er gelingt, eine offizielle Aufklärung darüber zu erhalten, ist man auf Vermutungen angewiesen. Die einen glauben, daß der Kaiser damit auf chie Erörterungen seines Verhältnisses zu seiner hohen Mutter, der Kaiserin Friedrich, angespielt habe, andere denken an die Besprechung von der bevorstehenden Verheiratung der Prinzessin Viktoria." Die „Köln. Ztg." meint: „Die Beziehung der Aeußerung des Kaisers auf den groben Unfug, welcher mit dem Tagebuche des Kaisers Friedrich getrieben worden ist, ist klar."
Berlin, 27. Okt. Die Königin von Italien lud die Kaiserin durch einen Brief, den der Kaiser überbrachte, ein; die Kaiserin versprach, recht bald nach Rom zu kommen.
Berlin, 27. Okt. Dem Bernehmen nach stehen umfangreiche Veränderungen in unscrm diplomatischen Corps bevor. Alle über 60 Jahre alten Diplomaten sollen verabschiedet werden (?).
Berlin, 29. Okt. Die Auswärts verbreitete; Meldung von einem gegen den Kaiser von Rußland ! während seines Aufenthalts in Kutais beabsichtigten! Attentate ist nach von kompetentester Seite eingezo- gener Erkundigung völlig unbegründet. j
Berlin, 29. Okt. Der „Morning Post" zu- j folge ist die Abberufung des französischen Botschaf- ! ters beim Quirinal, Grafen de Mouy, auf dringli- ! ches Verlangen Crispi's erfolgt, da der Graf nicht nur alles unterlassen habe, die Beziehungen Frankreichs zu bessern, sondern auch Differenzen hervorgerufen habe, welche die Fortsetzung des diplomatischen Verkehrs mit ihm bis zur Unmöglichkeit erschwerten.
Berlin. 29. Okt. Die „Nordd. Allg. Ztg." gibt heute die Ansprache des Kaisers an die städtische Deputation wieder, wonach der Kaiser gesagt, vor Allem bäte er sich aus, daß das fortwährende Ci- tieren Allerhöchst seines seligen Vaters gegen seine Person endlich unterbleibe. Es verletze ihn als Sohn auf das Tiefste und sei unpassend im höchsten Maße.
Ein hochoffiziöser Artikel der „Post" belästigt ^ sich eingehend mit den Vorgängen, welche 1870—71 zu Bayerns Beitritt zum Reich geführt haben. Dieser wurde hiernach gerade dadurch herbeigeführt, daß Preußen und Württemberg der bayerischen Re- ! gierung die Alternative stellten, entweder mit den ^ übrigen deutschen Staaten zu gehen, oder nach Ab- j laus des Zollvertrages von jeder wirtschaftlichen Ge- j meinfchaft mit denselben ausgeschlossen zu werden. ! Es würde nun aber unverantwortlich gewesen sein, den Anschluß Bayerns hinauszuschieben und auf Er- ^ langung bessere Bedingungen zu spekulieren. Denn es war zur Zeit der Versailler Verhandlungen noch nicht abzusehen, wie sich die nächste Zukunft gestalten würde. Allgemein war damals die Ueberzeugung verbreitet, daß Frankreich in drei Jahren den Krieg von neuem beginnen werde, und niemand konnte vorher berechnen, wie dann Oesterreich und Rußland sich stellen würden. Die Thatsache, daß viele bayerische Adressen die Vereinigung mit Norddeutschland verlangt hätten, beweise gar nichts. Adressen seien bekanntlich leicht zu beschaffen, aber sie könnten einen Kammerbeichluß nicht ersetzen.
Der „Temps" bespricht die erfolgreiche Reise des deutschen Kaisers und bemerkt alsdann, Frankreich könne ruhig sein vor Angriffen von außen; denn man brauche ein Volk nicht zu bekämpfen, das — selber in seinen Eingeweide» wühle und wie ein Schwindliger dahin gehe. Man lade zur friedlichen Zentenarfeier ein, und setze dem blutigen Danton ein Denkmal: man rüste sich zur Weltausstellung, werfe aber noch vorher die Verfassung um, unter welcher die Republik bisher Schutz gefunden habe, und breche ein Loch darin, durch welches jede Partei einzudringen hoffe. Ein solcher Bundesgenosse wäre was für den bedrängten Kirchenfürsten! Würde ihm eine Partei die Hand reichen, so hätte er die anderen zu um so bitteren Feinden.
Was der K allerbesuch in Rom und Neapel gekostet, davon plaudern italienische Blätter. Es wurden 3 Millionen Lire vom Staat bewilligt. 1 Million gab König Humbert aus seiner Tasche, Rom gab Millionen, Neapel und Castellamare y- Million , und Kaiser Wilhelm Million. Rechnet man die Ausgaben von Privatpersonen auf 1^4 Millionen, so kommen 6 Millionen Lire, oder 4800000 Mark heraus.
Der deutsche Reichstag wird am 20. Nov. in Berlin zusammentreten. Zum ersten Präsidenten an Stelle des Herrn von Wedell wird voraussichtlich der frühere Präsident von Lewetzow gewählt werden.
Im Prozeß Geffcken dürfte nach der „Täglichen Rundschau" die Erhebung der Anklage von seiten der Oberreichsanwaltschaft erst im November zu erwarten sein.
Nach Mitteilungen, welche mit der letzten Post aus Ostafrika eingegangen sind, wird von Lindi und Mikindani an der Sansibarküste ein schwunghafter Sklavenhandel auf Dhans betrieben, welche unter französcher Flagge fahren. (!)
Zn einem Artikel der Köln. Ztg. lesen wir folgendes: „Der Zollanschluß hat Hamburg einen Hafen gegeben, wie ihn wahrlich die Welt nicht zum zweitenmal aufzuweisen hat. Hier nur wenige Zahlen, an welchen sich die Größe der Verhältnisse am besten erkennen läßt! Um den Freihafen in seiner jetzigen Gestalt zu schaffen, der insgesamt einen Flächenraum von 1000 Hektar, und zwar 300 Hektar Wasscr- und 700 Hektar Landfläche umfaßt, mußten 60 Millionen allein für den Grundstückerwerb verausgabt werden. 20 000 Menschen mußten ihre Wohnungen verlassen und ganze Stadtviertel wurden niedergeriffen. Die Herrichtung der Bauanlagen erforderte abermals 60 Millionen *6; die Lagerräume werden von einer einzigen Stelle ans mit elektrischem Licht ' und mit hydraulischer Hebekraft versehen; es werden von dort 4000 (16kerzige) Glühlampen und 5012 Ampörc-Bogen- ! lampen gespeist, 260 Winden, 50 Aufzüge und 36 Krähne i in Betrieb gesetzt. Daß in diesen gewaltigen Räumen ein ? rühriges Leben herrschen wird, das beweist allein schon der ! Aufschwung des Hamburgischen Reedcreigcschäftes; nicht we- Niger als 42 neue Dampfer sind augenblicklich in Bau gege- den, von denen wegen Ueberfüllung der deutschen Werfte ein Teil an das Ausland vergeben werden mußte. Auch dieser Aufschwung wirkt belebend auf die zuversichtliche Stimmung, unter welcher sich der Zollanschluß vollzogen hat.
Hamburg, 29. Okt. Der Kaiser ist mittags 12 Uhr hier eingetroffen und an der Lombardbrücke von einer Deputation des Senats empfangen worden. Der Kaiser reichte freundlich grüßend vielen Anwesenden die Hand, nahm sodann das in der Alsterlust vorbereitete Frühstück ein und fuhr darnach auf festlich geschmücktem Dampfer über die Binnenalster nach dem Jungfernstieg.
S. Majestät der Kaiser wird in Hamburg im Hause des Fräulein Emilie Jentsch am Neuen . Jungsernstieg absteigen. Das Fräulein ist eine reiche ! Patrizierin und legt Wert darauf, in der inneren Einrichtung ihres Hauses nichts zu ändern und meint, es werde den Kaiser interessieren, die häusliche Einrichtung und Lebensweise in einem stattlichen Hamburger Patrizierhaus kennen zu lernen. Das Aeußcre des Hauses ist reich geschmückt worden.
Hamburg, 29. Okt. Bei dem im „Hamb. Hof" vom Senat veranstaltenden Festmahl für die Mitglieder des Bundesrats hatte an der hufeisenförmig aufgestellten Tafel Staatsminister v. Bötticher den Ehrensitz eingenommen; auch Senator Karl! Schurz und Staatsminister Graf Herbert Bismarck, im Ganzen ca. 60 Personen waren anwesend.
Hamburg, 29. Okt. Die Fahrt des Kaisers durch die Stadt nach dem Festplatz glich einem Jubelzuge, wiederholt wurden Blumen durch Kinder überreicht. Der Enthusiasmus von Hunderttausenden war unbeschreiblich, der Kaiser grüßte immerwährend. Nachdem der Kaiser die Tribüne bestiegen hatte, hielt Versmann eine Ansprache: Seine Majestät wolle den Dank des Senats und der Einwohnerschaft Hamburgs entgegen nehmen, daß es Seiner Majestät gefallen, die Stadt durch seine Gegenwart zu ehren und der Feier durch seine persönliche Teilnahme die rechte Weihe zu geben. - Hierauf wurde die Schlußsteinurkunde verlesen, worin die Bedeutung der Entstehung und Vollendung des großen siebenjährigen Werkes des Zollanschlusses geschildert ist. Versmann betonte am Schluß die Inschrift des Steines; sie werde noch den spätesten Geschlechtern unserer Nachkommen Kunde geben. Sodann wurde dem Kaiser die Kelle und der Hammer überreicht. Mit den Worten: „Zur Ehre Gottes, zum Besten des ^ Vaterlandes und zu Hamburgs Wohl" führte der Kaiser den Mörtelwurf und die Hammerschläge aus, j dann folgten Moltke, Versmann, Petersen und Bötticher. Nach Beendigung der Feier erfolgte die Hafenelbefahrt.
Oesterreich-Ungarn.
l Die Wiener Polizei hatte beim Einzuge ! Kaiser Wilhelms bekanntlich das Aushissen von schwarz- rot-goldenen Fahnen verboten. Die Lache wird nun l ihr Nachspiel haben. Im Abgeordnetenhause hat der : deutsche Abg. Weitlof eine Interpellation eingebracht,
die um Auskunft bittet, weshalb das Verbot erfolgt sei. Weitlof sagt zur Begründung seines Antrages, die schwarz-rot-goldene Fahne sei nur ein Symbol der deutschen Einheit für die in verschiedenen Staatswesen lebenden deutschen Stammesgenoffen. Ihr Verbot sei in keinem Gesetz begründet und daher eine willkürliche Polizeiverfügung.
Frankreich.
Paris, 28. Okt. Bei einem gestern Bou- langer zu Ehren stattgehabten Bankett, an welchem gegen 800 Personen teilnahmen, hielt Boulanger eine Rede, in welcher er hervorhob, das Land wolle heute durchgreifende und ernsthafte Reformen, eine Revision werde sich vollziehen. Nach der F. Z. schloß er mit der Losung: „Revision, Dissolution, Konstituante" und trank auf das Wohl von Paris. Ein unbeschreiblicher Jubel brach nach der Rede aus. Man hüllte Boulanger in eine Fahne von 1789 ein.
Paris, 29. Okt. Die „Presse meldet, General Saussier habe einen Corpsbefehl erlassen, der den Offizieren streng untersagt, der Hochzeit von Bou- langers Tochter beizuwohnen.
Paris, 30. Okt. Bei dem gestrigen sranko- amerikanischen Bankett anläßlich des Jahrestages der Einweihung der Freiheitsstatue von Bartholdi im Hafen von Ncw-Doik hielt Minister Goblet eine Rede, worin er sagte: Seit den Tagen seines Unglückes war Frankreich von Mißtrauen und Eifersucht umgeben; heute, wo es sich von den Unglücks- schiägen wieder aufgerichtet hat, flöße es keine Schrek- ken mehr ein. Es beklage sich darüber nicht, es fühle jeden Tag mehr, daß diese Lage nicht ewig dauern werde. „Der Tag wird kommen, wo Frankreich seine frühere Größe wiedergefunden haben wird, dann wird cs seine Freunde nicht vergessen ; Frankreich, das auf Ruhm und Eroberungen verzichtet, (?) will nur für die Verbesserung des Loses seiner Bevölkerung leben. Es will den Frieden, (?) es bedarf seiner, um sein Werk zu vollenden. Frankreich beweist seine Aufrichtigkeit durch die großartigen Vorbereitungen für den großen friedlichen Wettstreit, wozu es alle Völker eingeladen hat."
Paris, 30. Okt. Dem „Echo du Nord" in Lille zufolge ging dem Präsidenten der dortigen geographischen Gesellschaft die Nachricht zu, daß Stanley mit seiner ganzen Mannschaft bis aus 2 getötet wurde.
Paris. Der wegen Spionage angcklagte deutsche Kilian ist in Nizza zu 5 Jahren Gefängnis und 5000 Franken Geldbuße verurteilt. Außerdem ist ihm der Aufenthalt in Frankreich für 6 Jahre verboten. Kilian war beschuldigt, sich unter solchem Namen und mit Verheimlichung seines Berufes in einen festen Platz eingeschlichen, Mitteilungen, welche die Sicherheit des Staates betreffen, ins Ausland ^ geschickt und Festungspläne ausgenommen zu haben.
! Den ersten Anklagepunkt ließ der Staatsanwalt selbst ! fallen. Als Beweismaterial liegen 14 Berichte vor,
! die Kilian an einen angeblichen Oberst im Großen ! Gencralstabe zu Berlin geschickt haben soll und welche , die Alpenmanöver und Bergforts behandeln. Die ; Genieabteilung des französischen Generalstades er- ! klärte diese Berichte für wertvoll und geeignet, der ! französischen Landesverteidigung zu schaden. Außer- ^ dem habe Kilian eine Grasgewehr-Patrone nach ^ Berlin absenden wollen und verschiedene Zeugen sagen aus, sie hätten ihn schon lange im Verdachte der Spionage gehabt. Kilian rühmte sich, ein vertrauter Freund Moltkes zu sein; er behauptete von Adel und ehemaliger Offizier zu sein und einen Brief Bismarcks in der Tasche zu haben, welcher seine Verhaftung als Kriegsfall bezeichne. Der von Amtswegen bestellte Verteidiger stellte Kilian als einen gewöhnlichen Aufschneider hin und erklärte mit großem Eifer, Kilian sei gar nicht in der Lage gewesen, zu spionieren, was er wisse, wisse alle Welt. Der Angeklagte wurde trotzdem für schuldig befunden, Pariser Blätter jubeln nun auch nicht schlecht! Italien.
Rom, 28. Okt. Die „Riforma" schreibt: Die Kundgebungen der Souveräne und Staatsmänner zu Ehren des Ministers des Auswärtigen v. Giers, namentlich diejenigen von Berlin, Rom und Wien, haben die Bedeutung, welche nach der Reise Sr. Maj. des Kaisers Wilhelm niemandem entgehen wird, und bestätigen den absolut friedlichen Charakter und die gleichen Tendenzen des Friedensbundes. Indem man Giers in Berlin, Wien und Rom ehrte, wollte