kann nicht ein Minister sein, den ein so junger Monarch wünscht, wie es der jetzige Kaiser ist. Die klarsehenden Freunde des Fürsten Bismarck geben sich in dieser Beziehung keiner Täuschung hin. Noch neulich drückte einem solchen Freunde gegenüber ein Konservativer, welcher den Rücktritt des Herrn von Puttkammer bedauerte, die Ueberzeugung aus, daß die so kurze Regierung von Friedrich III. zu lange gedauert hätte ; der Freund des Kanzlers antwortete, „wir sollten uns vielmehr beglückwünschen, daß Friedrich III. einige Tage hat regieren können. Während dieser hundert Tage hat sich Fürst Bismarck notwendigerweise an den Gedanken gewöhnen müssen, daß er nicht mehr der Ratgeber eines 90jährigen Greifes sei, und er hat sich vorbereiten können, die Geschäfte mit einem jungen und lebensvollen Souverän zu führen." In diesen wenigen Worten liegt eine sehr klare Uebersicht der Lage. Die Regierung des kranken Friedrich III. hat einen zu radikalen Regierungswechsel verhindert und hat sich sehr nützlich als Zwischenglied zwischen der Regierung Wilhelms I. und derjenigen seines Enkels erwiesen.
Die „Berl. Pol. Nachr." schreiben: »Es war eine der ersten Rcgierungshandlungen Kaiser Friedrichs, für Abfassung eines neuen Exerzierreglements für die Infanterie Sorge zu tragen. Er hat den Abschluß der einschlägigen Arbeiten nicht mehr erlebt, aber sein Nachfolger' hat dieses vom Vater überkommene Vermächtnis übernommen und in kurzer Zeit zur abschließenden That werden lasten. Nachdem nun dasselbe vorliegt, darf aus der ganzen Anlage und nach einigen den Geist der Vorschriften besonders präzisierenden Stellen der sichere Schluß gezogen werden, daß seitens des Kriegsherrn der preußischen Armee eine direkte persönliche Einwirkung auf den Inhalt des neuen Exerzierreglements stattgefunden hat. Letzteres giebt sich als eine überaus glückliche Verbindung der altpreußischen Straffheit mit den Anforderungen des modernen Gefechtes an Beweglichkeit und Schmiegsamkeit der taktischen Formen. „Kriegs- gemäß" soll zukünftig die preußische Infanterie erzogen werden, und diese Forderung zieht sich durch das ganze Reglement. Gleich die ersten Sätze geben Direktive für die Art und Weise, wie künftighin unsere Infanterie ausgebildet werden soll. Es heißt: „Das Exerzieren bezweckt Schickung und Vorbereitung der Führer und Mannschaften für den Krieg. Me Ucbungen müssen deshalb auf den Krieg berechnet sein. Die wichtigsten Anforderungen aber, welche der Krieg stellt, sind: strengste Disziplin und Ordnung bei höchster Anspannung aller Kräfte. Diese Eigenschaften der Truppe so anzuerziehen, daß sie ihr -ur andern Natur werden,, ist ein Hauptzweck aller Hebungen auf dem Exerzierplatz, wie im Gelände. Im Kriege verspricht nur Einfaches Erfolg. Es handelt sich daher nur um die Erlernung und Anwendung weniger einfacher Formen, welche aber mit Straffheit eingeübt und mit voller Sicherheit beherrscht werden müssen. Die Vorschriften des Reglements geben hierfür allein die Norm. Sie sind ihrem Geiste und Wortlaute nach für Krieg und Frieden unbedingt verbindlich. Alle Künsteleien find untersagt."
Zwei Anleihen wünschen die Franzosen bei uns Deutschen zu machen und zwar, wenn's nicht anders geht, nur auf ein paar kurze Jahre. 1) wünschen sie von Deutschland zu borgen (und das ist ein schon älterer Wunsch) den Fürsten Bismarck und 2) den Kaiser Wilhelm II. Sie gestehen freimütig, daß sie mit diesen Anleihen die besten Ge- j schäfte machen würden. Der angesehene Schriftsteller i Cornely ist's, der diese Wünsche im „Gaulois" zur! Aussprache bringt. Er berichtet, daß Pariser Herren, ^ die mit ihm gefahren seien, den jungen Kaiser einen „Pietisten" genannt hätten und fügt seufzend hinzu : Hätten wir doch solche Pietisten, ein Staats-Oberhaupt, das einen solchen Brief an den alten Moltke schreibt, wie es Wilhelm II. gethan hat, „dieser Dank-Entlassungsbrief ist eines der schönsten und großartigsten Dokumente, die je einem Menschengehirn entsprossen > sind. Ter Mann, der einen solchen Brief schreibt, ist kein gewöhnlicher Souverän." Und non dem testamentlichen Tagebuch des Kaisers Wilhelm I. sagt er bewundernd: „Dieser alte wackere Mann, der den mit unserem Blut gefärbten Degen in den Winkel stellt, um sich von Angesicht zu Angesicht mit Gott zu besprechen, ist ein erhabenes Schauspiel. Hätten wir doch solche Pietisten!"
Müncheberg, 15. Sept. Im Verlaufe der heutigen Hebungen befehligte der Kaiser in der Uniform der Garde du Korps mit gezogenem Pallasch 56 Schwadronen Kavallerie, 4 reitende Batterien und die markierte Infanteriedivision gegen den an- gedeuteren Feind. Die Uebung verlies glänzend, der Schluß erfolgte nach 12 Uhr mittags mit einem Vorbeimarsch aller 14 Reiter-Regimenter im G.ilopp, wobei Großfürst Nikolaus das 5. Kürassier-Regiment vorbeiführte. Nach dem Parademarsch der Kavallerie und Artillerie, welche der Kaiser und der König von Sachsen vorführte, versammelte der Großfürst Nikolaus die Ossiziere seines Regiments zur Begrüßung. Während die Fürstlichkeiten zu Wagen sich nach Münche
berg begaben, ritt der Kaiser in schärfster Gangart > dorthin, um die Gäste zu empfangen. Alsdann folgte! ein Frühstück zu 130 Gedecken. Die Fürstlichkeiten - begaben sich um 2 Uhr nach Berlin. Abends sind et j eine Serenade für den Kaiser statt, welche von dem ^ Musikkorps des 4. Garderegiments und 300 Sängern ^ des gleichen Regiments ausgeführt wird. !
Hamburg, 17. Sept. Graf Kalnoky ist! heute Nachmittag hier eingetroffen. §
In dem Lande aller Reußen, aus dem, man schon so mancherlei Sonderbarkeiten vernommen! ! hat, also auch in dessen Landeshauptstadt Greiz, sind alle politischen Vereine verboten, und als politische Vereine werden auch diejenigen behandelt, welche sich mit Gemeindeangelegenheiten befassen wollen. Auch einem Reichsverein, der sich in Greiz bilden wollte und die Bekämpfung der Sozialdemokratie, welche dort sehr zahlreich vertreten ist, sich zur Aufgabe machte, hat man, wie preußische Blätter hören, die Genehmigung versagt. Die 56 000 Unterthanen ' Sr. Hoheit des Fürsten Heinrich XXII. sind daher in politischen Bereinsangelegenheiten Deutsche zweiter Klasse und haben sich in ihrer Not daran erinnert, daß nach Art. 4 der deutschen Reichsverfassung die Bestimmungen über das Bereinswesen der Beaufsichtigung und der Gesetzgebung des Reiches unterliegen. Sie wollen sich daher an den Bundesrat und den, Reichstag mit dem Gesuche wenden, ein Reichsver- ' einsgcsetz zu erlassen, damit auch die Staatsbürger des Landes aller Reußen dieselben politischen Rechte, wie > die Preußen und die Bayern, die Sachsen und die Württemberger ausübcn dürfen.
Oefterrcich-Ungaru.
Wien. Wie der „Pol. Korr." aus Rom telegraphiert wird, begegnet die rügende Aeußerung des Kaisers gegenüber dem panslavistisch gesinnten Bischof Stroßmayer in hohen kirchlichen Kreisen allgemeiner , unumwundener Zustimmung. Es heißt, der Papst werde den Bischof auffordern, sich in ein Kloster zurückzuziehen.
Frankreich.
Paris, 14. Sept. Dem „Figaro" wird aus Turin berichtet, der König und die Königin von Italien hätten gestern die vom Prinzen Napoleon ! zur Hochzeitsfeier seiner Tochter geladenen Franzosen empfangen. Bei dieser Gelegenheit habe König Hum- !
^ bert seine Befriedigung darüber geäußert, daß auch!
^ Frankreich an dem Feste teilnehme, und gesagt: „Auf > beiden Seiten sind Mißverständnisse; diese müssen verschwinden, und die Zeitungen sollten dazu beitragen. Piemont vor allem kann nicht mit Frankreich in Feindschaft leben und das Jahr 1859 vergessen. Italien will Frieden, und es bedarf desselben zur Entwicklung seiner Industrie und seines Handelns. Wir wollen keinen Krieg, und meine Regierung wird alles aufwenden, um Europa den Frieden lange Zeit ^ zu erhalten. ^
Paris. Der französ. Chauvinismus bekommt j wieder Oberwasser. Das Neueste in den Köpfen der! französischen Chauvins ist das russisch-französisch- ^ österreichische Bündnis, die neueste Tripel-Allianz, die ! dem deutschen Koloß den Garaus machen wird. Das . geht nun nach dem „Matin" so zu: „Der Krieg, wenn er ausbricht, beginnt auf der österreichisch-russischen Grenze. Oesterreich wird, besiegt, nur '
sein Gebiet retten, wenn es ein Bündnis mit seinem Feinde von gestern gegen Deutschland und Italien
unterzeichnet. Dies ist der Zeitpunkt, wo
Frankreich in Szene tritt; in diesem Augenblicke ist es Herr des Gleichgewichts und kann sein Schwert nach Belieben in die linke oder rechte Wagschale werfen; von links und rechts bedroht, wird Deutschland sich die Neutralität sichern, um diese zu erhalten, Elsaß und Lothringen wieder abtreten. . .
Wie man sieht, ist die Sache gar nicht schwierig, immer vorausgesetzt, daß Oesterreich besiegt und Deutschland gezwungen wird, die rettende Hand der Franzosen zu ergreifen.
In der Kammer Frankreichs droht ein neuer Skandal. Der Deputierte Gilly hat öffentlich geäußert, in der Budget-Kommission der Kammer säßen wohl noch 20 „Wilsons". Die Aeußerung machte großen Lärm und in Folge davon hat Gilly erklärt, er sei bereit, die 20 namhaft zu machen. Italien
Rom, 14. Sept. Der Besnch^Kaiser Wilhelms beim Papste trägt bis zum Thore des Vatikans einen privaten, innerhalb des Vatikans einen offiziellen Charakter. Der Besuch wird in Anwesen
heit des diplomatischen Korps stattfinden. Ein Gespräch unter vier Augen hat der Kaiser abgelehnt. England.
London, 17. Sept. Die „Times" ist der Ansicht, die Zusammenkunft zwischen Bismarck und Kalnoky sei ein normales Symptom dafür, daß die Ruhe Europas genügend geschützt sei.
Bulgarien.
Rustschuk, 17. Sept. Der ehemalige Beamte der bulgarschen diplomatischen Agentur in Bukarest, Kissoloff, welcher wegen Unterschlagung von Geldern entlassen wurde, gab gestern sechs Revolverschüsse auf den Finanzminister Natschowitsch ab. Drei Kugeln gingen fehl, drei trafen, nur eine verursachte eine ernstere Verwundung oberhalb der rechten Brustseite.
Kleinere Mitteilungen.
Stuttgart, 17. Sept. In der vergangenen Nacht erstach hier ein Hausknecht seine Geliebte, ein Dienstmädchen. Das Motiv der That war Eifersucht. Auch einen Cvnditor trieb die Eifersucht zu gleichem Verbrechen.
Eine originelle Todesanzeige geben die Münchener „Neuesten Nachrichten" wieder. Dieselbe stammt aus der „Magdeburger Kreiszeitung" vom 21. März 1842 und lautet folgendermaßen: Tod meines Sohnes, des Spiegelmachers. Dem lieben Gott hat es gefallen, meinen Sohn Jakob durch einen Gußspicgcl von 6 F. 8 Z. Höhe und 4 F. 4 Z. Breite sterben zu lassen. Er wollte den Spiegel im Kaufmann Schöncmann'schen Hause an der Wand befestigen. Der obere Nagel stockte schon in der Mauer, der Spiegel hung bereits, da wurde bewußter Nagel plötzlich los, er roß sich «US der Wand und storzle, und mit ihm der Spiegel ans meinen Sohn, dem sogleich die Besinnung schwund, die Verletzung, die erlittene, war schauderhaft, heute gab er seinen Gast uf. Ich zeige dieses an und bitte doppelte Beilcidbezcugungen. Erstens wegen meinem Jakob, und nachher wegen dem Spiegel, indem warum? Er will ihn noch dazu bezahlt haben! Schö- ncmann behauptet, ich mußte den Spiegel tragen, da mein Sohn doch durch seinen schlechten Nagel an dem Storz des Spiegels mit seinem Tode schuldig gewesen sei. Ich trage ihn aber nicht, sondern das kann Schönemann. Er liegt in Scherben. Mein Sohn Jakob war 27 Jahr alt. Magdeburg, am 19. März 1842. Susanne Fädeckc, Spiegel- und Glas-Luster-Fa brikan tin."
Es giebt auch einen Dummen-Jungen-Trost. Alexander v. Humboldt, an den man später aus der neuen in die alte Welt schrieb: „An Humboldt'in Deutschland" galt und hieß bis zum zwölften Jahre in seiner Familie nur der dumme Junge. Dem berühmten Botaniker Linus erklärten seine Lehrer täglich, aus Dir wird nie etwas Gescheites, und ebenso erging es dem berühmten Arzt Hufeland. Verlassen aber darf sich keiner darauf. Obgleich mancher Student ans der Universität sich so oft gepaukt und so oft die Kollegien geschwänzt hat, wie der Studiosus Bismarck, ein Bismarck ist er doch nicht geworden, oder er müßte noch im tiefsten Inkognito leben.
In Lausanne in der französischen Schweiz, wo die Führer der deutschen Sozialdemokratie inkognito getagt haben, soll der Berichterstatter des Pariser „Gaulois" mit Liebknecht folgendes Gespräch gehabt haben: Franzose: „Was denken Sie über Kaiser Wilhelm?" „Nicht viel. Er ist noch zu kurze Zeit am Regiment. Er hat noch nicht die Zeit gehabt, uns Gutes oder Böses zu thun." „Und Herr von Bismarck?" „Sie stellen mir da eine sehr wichtige Frage. Ich will Ihnen offen sagen, ich glaube nicht, daß der Kanzler noch lange im Amte bleibt. Wenn Sie die letzten Reden Wilhelms gelesen haben, so werden sie eingesehen haben, daß zwischen dem Kaiser und dem Kanzler große Meinungsverschiedenheiten bestehen, und wenn ein Einvernehmen nicht zustande kommt, wird Bismarck sich zurückziehen. Merken Sie sich das gut, was ich Ihnen sagte, und Sie werden sehen, daß die Zukunft mir Recht gebe» wird." „Und Herr Camot?" „Für mich und meine Freunde ist dies ein guter und würdiger Mann, und wenn die Republikaner vernünftig sind, werde.: sie ihn so lange als möglich behalten." „Und der nächste Krieg?" „Ich will Ihnen offen antworten, ich fürchte, er bricht eher aus, als man glaubt. Im Falle eines Entbrcnnens wird er schrecklich sein. Ich hege diese Ansicht namentlich seit dem letzten Attentat auf der deutschen Botschaft. Es genügte, daß ein Nachahmer Garniers auf den Botschafter schießt, um eine Kriegserklärung herbeizuführen. In Frankreich und in Deutschland macht man übrigens mächtige Vorbereitungen?" „Welches ist die Zukunft der Sozialisten in Deutschland?" „Wir machen große und ernste Fortschritte. Das Volk fängt an, uns zu verstehen. Unsere Rekruten nehmen mit jedem Tag zu. Voll Vertrauens in die Zukunft, sind wir des Sieges sicher. Unsere Theorieen haben nichts Umstürzendes; wir wollen nur,. daß der Arbeiter besser seine Rechte und seine Pflichten erfasse.'
Pünktlich jedes Jahr berichteten die russischen Beamten im Gouvernement Cherson über die Zahl und den Zustand der Volksschulen; jetzt hat sich herausgestellt, daß 217 dieser Schulen nur auf dem Papier bestehen. Die Summen für die Schulhänser, die Lehrer u. s. w. scheinen in die Taschen der Beamten geflossen zu sein.
Händel Verkehr.
* Nagold, 19. Sept. Die Hopfenpflücke naht ihrem Ende, welche durch die sommerliche Witterung sehr begünstigt wurde. Die Ernte befriedigt sowohl' quantitativ als qualitativ. Händler können jetzt schon ziemlich sacküarc Ware erwerben. Käufe bis jetzt noch nicht abgeschlossen.